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Antonia Hennigs·19. September 2020

Wochenschau: Leistner zeigt, dass Menschlichkeit professionell ist

Artikelbild:Wochenschau: Leistner zeigt, dass Menschlichkeit professionell ist

Nachdem der Hamburger SV in der ersten Pokalrunde am Wochenende eine blamable Leistung hinlegte und 4:1 von Dynamo Dresden vom Platz gefegt wurde, stellte der Neu-Hamburger Toni Leistner sich den Journalisten. Während eines Interviews, das direkt vor einem Dynamo-Block geführt wurde, kam es dann zur (nichtsportlichen) Szene des Tages.

Nach Beleidigungen der übelsten Art und Weise gegen ihn, seine Frau und seine Tochter platzte Leistner der Kragen. Er kletterte auf die Tribüne und drückte den Fan, von dem die Äußerungen kamen, zu Boden, ehe Ordner und andere Zuschauer dazwischen gingen. „Ich bin nach dem Spiel von der Tribüne meiner Heimatstadt aus massiv beleidigt worden. Damit kann ich normalerweise umgehen. Doch dann ging es extrem unter die Gürtellinie gegen meine Familie, meine Frau und meine Tochter“, erklärte der gebürtige Dresdner die Situation im Nachhinein.


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Schnell war die Szene überall zu sehen und die Entrüstung groß. Aber warum eigentlich? Ein Ehemann, der widerliche Aussagen gegen seine Familie nicht einfach so stehen lässt, ist vor allem eins: menschlich. Das sah unter anderem auch der Verein Dynamo Dresden selbst so, der sich noch am Abend zu den Geschehnissen äußerte und Leistner den Rücken stärkte.

Einen beschämenden Vorfall wie diesen könne der Klub so nicht stehen lassen und der pöbelnde Fan werde gesucht, machte der Verein deutlich. Leistner selbst entschuldigte sich kurz nach seiner Aktion auch bereits via Instagram. „So etwas darf mir dennoch niemals passieren. Ich bin Familienvater, der als Vorbild dienen möchte. Ich entschuldige mich in aller Form für mein Verhalten.“

Auch HSV-Sportvorstand Jonas Boldt unterstützte seinen Profi und betonte noch einmal, dass die Kommentare teilweise unsäglich seien. „Gegen solch drastische Beschimpfungen, ob beleidigend, homophob oder rassistisch, müssen wir im Fußball und auch in der Gesellschaft vorgehen“, machte Boldt klar und traf damit den Nagel auf den Kopf. Das hier hat nämlich – bis auf den Schauplatz – nichts mit Fußball zu tun.

Im Fußball überwiegen Emotionen und wo Emotionen sind, da trifft man auch mal den falschen Ton. Im Fall des Dynamo-Fans geht es aber weder um Emotionen noch um den falschen Ton. Es geht um widerwärtige Beleidigungen gegen die Familie – Frau und Tochter – eines Menschen. Dass da einmal eine Sicherung durchbrennt, sollte nicht passieren, ist dann aber doch irgendwie verständlich.

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Aussagen wie die von Boldt oder auch die von Union-Profi Christopher Trimmel, der den Vorfall ebenfalls kommentierte, lassen aufhorchen: „Ich kenne Toni gut genug, das muss schon eine ordentliche Beleidigung gewesen sein. Wenn es eine normale Beleidigung gewesen wäre, wäre er sicher ruhig geblieben. Da muss schon mehr vorgefallen sein.“ Fußballer müssen also schon einen Unterschied zwischen „normalen“ und „ordentlichen“ Beleidigungen machen und nach dieser Abgrenzung dann reagieren.

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Im Stadion muss man viel aushalten können. Auch Mario Götze als „Judas“ zu bezeichnen und die alte Timo-Werner-Hurensohn-Leier waren peinlich, aber noch einmal ein anderes Kaliber als die Nummer in Dresden. Die Entwicklung in diese Richtung muss man nicht gutheißen und vor allem endlich zum Anlass nehmen, die Gürtellinie mal wieder ein bisschen höher zu ziehen.

Dafür hat Toni Leistner seinen Beitrag geleistet und dafür wird auch der DFB nun seinen Beitrag leisten müssen, indem der Fan Folgen zu spüren bekommt. Das Stadion darf nicht als anonymer Ort angesehen werden und die Eintrittskarte nicht als Aufforderung, allen Respekt am Eingang abzugeben und Mitmenschen – die Fußballer schlicht und einfach auch sind – aufs Widerwärtigste zu beleidigen.

Dass der HSV-Profi selbst ebenso für sein Verhalten bestraft wurde, ist selbstverständlich. Paolo Guerrero musste 2010 nach seinem Flaschenwurf in Richtung eines Zuschauers fünf Spiele aussetzen, Eric Dier von Tottenham Hotspur stürmte erst im März die Tribüne, nachdem ein Fan seinen Bruder beleidigt hatte und erhielt dafür eine Sperre für vier Spiele. Bei Leistner sind es nun mindestens drei Spiele. Zwei weitere wurden zur Bewährung ausgesetzt.

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Ja, wir haben jetzt auch Eric Cantona im Kopf, der hier natürlich nicht unerwähnt bleiben darf. 1995 im Spiel gegen Crystal Palace wehrte sich der damalige Profi von Manchester United gegen Anfeindungen der Fans, indem er einem Fan wie ein wahrer Kung-Fu-Kämpfer gegen die Brust trat und daraufhin noch weiter zu schlagen. Cantona entging nur knapp einer kurzen Haftstrafe und wurde für ganze acht Monate gesperrt. Nicht zu vergleichen mit Toni Leistner, aber immer eine Erwähnung wert.

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Die Frage, was Leon Goretzka bezüglich einer Strafe für Leistner sagen würde, ist übrigens auch nicht uninteressant. Der Bayern-Profi zeigte nämlich überraschend wenig Verständnis für den Ausrutscher des Kollegen. „In so einem emotionalen Kochtopf muss man schon von einem Spieler erwarten können, dass man sich da nicht beeindrucken lässt und die Ruhe bewahrt. Da muss man drüberstehen“, blieb er hart. Die verbalen Ausfälle von den Rängen müsse man „überhören“, obwohl er auch nicht genau wisse, was Leistner sich anhören musste.

Goretzka erklärte auch, dass die umstehenden Stadionbesucher ja ihren Teil leisten und Zivilcourage beweisen könnten, indem sie „eingreifen und denjenigen darauf hinweisen, dass völlig falsch ist, was er da sagt.“ Genau das hätten die Menschen um den besagten Fan auch machen sollen, aber kann man von Leistner ernsthaft erwarten, dass er währenddessen einfach nur ruhig rumsteht, bis die Umstehenden eingreifen?

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Natürlich hat der 30-Jährige eine Vorbildfunktion, aber trotzdem bleibt ein gewisses Verständnis dafür, dass man dieser nicht in jedem Moment gerecht werden kann. Dass Leistner sich schnell entschuldigte ist richtig und reif. Es darf auch nicht zur Normalität werden, dass Spieler die Tribüne stürmen. Am Ende zeigt es aber nur, dass Spieler bei allem Medientraining und trotz riesiger Gehälter weiter Menschen sind. Vielleicht sollte man sich das auf den Tribünen auch noch einmal vor Augen führen.