
Rund um den Brustring
·27 Agustus 2025
Mit zwei gelb-blauen Augen

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Yahoo sportsRund um den Brustring
·27 Agustus 2025
Erst im Elfmeterschießen setzt sich der VfB in der ersten Pokalrunde in Braunschweig durch. Vorangegangen war ein wildes Spiel, in dem die Brustringträger nicht nur zwei Mal die Führung, sondern zeitweise auch die Kontrolle verloren und das die Frage aufwarf, was man aus dem harmlosen Union-Spiel eigentlich gelernt hat.
Wenn es eine Szene gibt, die den VfB an diesem Dienstagabend in Niedersachsen perfekt zusammenfasst, dann ist es diese: Jamie Leweling hat kurz vor Ende der Verlängerung noch die Luft und die Energie, auf links durchzubrechen. In der Mitte sind gleich zwei Mitspieler mitgelaufen und Jamie hat genug Platz, um in den Strafraum einzudringen, sich eine Anspielstation auszusuchen und zum Held eines durchwachsenen Pokalabends zu werden. Stattdessen erleidet er kurz nach dem Eintritt in den Strafraum einen Schwächeanfall, fällt ohne gegnerische Berührung um und erhält statt eines Elfmeters die verdiente gelbe Karte für die unsportliche Schwalbe. Oder vielleicht auch ein bisschen für die himmelschreiende Dummheit, die Chance auf den Siegtreffer so unnötig vergeben zu haben.
Dass ein Zweitligist, zumal einer, der in der letzten Saison den Klassenerhalt — wenn auch gerade so — geschafft hat und damit über eine grundsätzlich zweitligataugliche Mannschaft verfügt, eines der schwersten Lose in der ersten Pokalrunde ist, ist unbestritten. Anders als gegen Zweitliga-Aufsteiger Münster in der vergangenen Saison konnte man hier nicht unbedingt mit einem locker-flockigen Erstrunden-Sieg rechnen und auch Sebastian Hoeneß war bewusst, was die Mannschaft im Eintracht-Stadion an der Hamburger Straße erwarten würde und fordert deshalb auf der Pressekonferenz vor dem Spiel “von der ersten Sekunde an Power, Dynamik, Zielstrebigkeit auszustrahlen, um in den finalen Aktionen effizienz zu sein, Spielverläufe zu kreieren, Momente zu nutzen.” Wie viel davon in der Spielvorbereitung bei seiner Mannschaft ankam, ist fraglich.
Denn bei allem Respekt vor der Braunschweiger Laufleistung und deren Mut: Was der VfB über weite Strecken der 120 Minuten auf dem Platz zeigte, war kopflos, unstrukturiert und fahrlässig. Zeitweise war die Eintracht drauf und dran, uns zu überrennen, ein Kontrollverlust, wie wir ihn zuletzt gegen Paris oder Anfang der vergangenen Saison erlebt haben. Zeitweise war auf dem Platz niemand in der Lage, das Spiel zu beruhigen oder einen geordneten Angriff vorzutragen, stattdessen wurde der Ball unkontrolliert hinten raus geschlagen, schlampige Pässe gespielt und beispielsweise versucht, die Anfang der Verlängerung erzielte Führung, eine halbe Stunde lang über die Zeit zu schleppen.
Erneut eklatant war auch der Abfall der vermeintlichen Führungs- und Unterschiedsspieler, die in einem solchen Spiel, nun ja, den Unterschied hätten ausmachen können und müssen. Deniz Undav und der neue Zehner des VfB, Chris Führich, wurden nach 70 Minuten brotloser Kunst in Form von aussichtslosen Dribblins und harmlosen Distanzschüssen ausgewechselt. Alexander Nübel parierte am Ende zwar drei Elfmeter, ließ aber erneut einen Distanzschuss viel zu leicht in sein Tor und bekam das Spielgerät zudem noch zwei Mal ins kurze Torwarteck geprügelt. Und auch über Angelo Stiller und Kapitän Atakan Karazor müssen wir sprechen, denn wenn Braunschweig durchkam, dann durch die Mitte, also durch deren Territorium.
Eine Reaktion auf das Union-Spiel vom Samstag, als man den Berlinern mit der eigenen Unachtsamkeit und Einfallslosigkeit komplett in die Karten spielte, blieb komplett aus. Zwei Mal lief man einem Rückstand hinterher und konnte den vor allem dank individueller Qualität ausgleichen — gegen einen Zweitligisten kein Ruhmesblatt. Und selbst die zeigte sich bei kaum jemandem durchgängig. Tiago Tomás zeigte zwar erneut seine feine Hacke, vernachlässigte aber bei zwei Gegentreffern die Defensivarbeit. Ermedin Demirovic erzwang vorne zwei Treffer, die am Ende halbe Eigentore waren, vergab aber die vielleicht größte Chance des Spiels kurz vor Abpfiff der regulären Spielzeit. Und auch Nick Woltemade, der sein erstes Tor nach dem Transfertheater erzielte, ließ lange Bälle immer wieder, statt sie festzumachen, so weit abtropfen, dass man nur von einer Kontervorlage sprechen kann.
Unterm Strich ist der VfB natürlich trotzdem mit zwei (gelb-)blauen Augen weiter und kann seine Mission Titelverteidigung in der zweiten Runde, die am Sonntag ausgelost wird, fortsetzen. Die ersten drei Pflichtspiele haben aber Probleme offenbart, die scheinbar niemand so erwartet hat. Denn nach einer eigentlich perfekten Vorbereitung ohne unnötige Auslandsreisen oder abgebrochene Trainingslager und nachdem man den Kader, der Anfang Februar trotz Dreifachbelastung noch auf Platz 4 stand und sich im Saisonendspurt stabilisierte, größtenteils zusammenhalten konnte, sind mir solche Auftritte unverständlich. Die Mannschaft wirkt nicht heiß auf Titel oder auf eine erneute Qualifikation für Europa über die Liga. Sie wirkt im besten Fall überfordert, im schlimmsten Fall überheblich. Und passt damit leider so gar nicht zur guten Stimmung und den vollmundigen Ankündigungen, die in den letzten Wochen teilweise zu hören waren.
Atakan Karazor kündigte im SWR an, der Mannschaft vor dem Spiel Verantwortungsbewusstsein mit auf den Weg zu geben. Die Mannschaft hat aber nicht nur die Verantwortung, einem Gegner wie Braunschweig in Sachen Intensität mindestens auf Augenhöhe zu begegnen. Sie hat auch die Verantwortung, die glänzende Ausgangslage, die wir uns in den vergangenen zwei Jahren sportlich wie wirtschaftlich geschaffen haben, nicht einfach durch solche Auftritte zu verspielen. Wir werden mit großer Wahrscheinlichkeit nie so stabil in der Spitze spielen wie andere Vereine in der Liga. Umso wichtiger, dass wir alles investieren, um möglichst lange möglichst weit oben mit dabei zu sein.
Zum Weiterlesen: Der Vertikalpass sieht einen Auftritt, der eines Pokalsiegers unwürdig ist, Stuttgart.international stellt Fragen: “Warum tritt eine eingespielte Mannschaft so löchrig und unkoordiniert auf? Wie kann es sein, dass einige der vermeintlichen Leistungsträger nach sechs Wochen Vorbereitung dermaßen außer Form sind? Und weshalb ist von den Entwicklungsansätzen, die das Trainerteam für die neue Saison anstoßen will, so wenig zu sehen?”
Titelbild: © Ronny Hartmann/Getty Images