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·10 June 2024

Füllkrug: Ein Torjäger in der Warteschleife

Article image:Füllkrug: Ein Torjäger in der Warteschleife

Im EM-Eröffnungsspiel soll Kai Havertz als Mittelstürmer auflaufen und nicht Niclas Füllkrug. Wie geht man mit dieser Situation um?

Als Niclas Füllkrug am Sonntag mit dem Zug von Hannover Richtung EM-Quartier in Herzogenaurach rollte, lief er im Waggon einer Gruppe von Abiturienten in die Arme. Und die ließ den Mittelstürmer der Nationalmannschaft nicht mehr aus ihren Fängen.


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Er musste alles beantworten. Wer seine Freunde in der Mannschaft sind. Wie man so ein Turnier vorbereitet. Was so ein Bundesliga-Spieler alles leisten muss. „Oberflächlich“ sei das Gespräch gewesen, aber „auf Augenhöhe“. Füllkrug sammelte fleißig Sympathiepunkte.

Auch bei uns Journalisten, die an seinen Lippen hingen, als er in der DFB-Pressekonferenz die Geschichte mit den Abiturienten im Zug erzählte. Seine gute Laune ist nicht gespielt und verdient trotzdem Bewunderung. Er weiß, dass er Freitag gegen Schottland nicht von Beginn an spielt.

Für einen Nationalspieler ist das der Super-GAU: Es ist Turnier - und du schaust zu. Ausgerechnet Kai Havertz bekommt den Vorzug. Der hat in der Premier League auch nur einen Treffer mehr erzielt als er mit seinen zwölf Toren in der Bundesliga-Saison. Aber was das heißt das schon?

„Ich bin im Angestelltenverhältnis“, sagt Füllkrug, und der Trainer sitze „am längeren Hebel“. Da kannste nix machen. Oder vielleicht doch: zusehen, dass du im richtigen Moment bei einer Einwechslung zuschlägst. Bis dahin gilt: Beine stillhalten. Er sagt: „Ich bin sehr ehrgeizig.“

Für einen kurzen Moment wird die Zerrissenheit eines Nationalspielers sichtbar, der kicken will, aber nicht darf. Füllkrug erzählt, wie er „jeden Tag im Nachwuchsleistungszentrum zum Konkurrenzdenken“ gedrillt worden war. Er oder nicht, so müssen Stürmer denken.

Diesen Reflex muss er heute mit 31 unterbinden. Kein böses Wort, zu niemanden. Nicht mal zu Abiturienten auf einer launigen Zugfahrt. Lieber redet er davon, dass er „Verantwortung tragen“ will. Dass er „Kai jedes Tor wünscht“. Was man halt so sagt, wenn man nicht anecken will.

Ein Mittelstürmer in der Warteschleife. Mich erinnert seine Situation an Oliver Bierhoff. Bevor er 1996 Deutschland mit einem Golden Goal zum EM-Titel schoss, bewegte sich der Kopfball-Spezialist wie ein Fremdkörper im Kreis der Nationalmannschaft und machte auf gute Laune.

Er war zwar ein ziemlich guter Mittelstürmer, das wussten seine DFB-Kollegen. Aber keiner von ihnen. Er als Bundesliga-Abbrecher hatte seine Torjägerkarriere über den zweiten Bildungsweg in Italien fortgesetzt. Ascoli und Undine hießen seine Vereine, nicht Bayern oder Borussia.

Man ahnte allenfalls, was dieser schlaksige Kerl drauf hat. Ich habe damals stundenlang mit ihm telefoniert und von seinem Frust erfahren, wie Mobbing das Geschacher um die Startplätze im DFB-Team begleitet. Nach außen aber: nur gute Laune.

Ich habe seine Worte noch im Ohr, wenn Niclas Füllkrug auf der DFB-Pressekonferenz am Montag sein Reservistendasein hinter Kai Havertz zu erklären versucht. Gegen die Schotten im EM-Eröffnungsspiel am Freitag wird er auf der Ersatzbank sitzen, so viel ist sicher.

Wahrscheinlich besteht der Trost genau darin: im entscheidenden Moment den Bierhoff machen. Der spätere Nationalelf-Manager wurde damals überraschend im EM-Finale gegen Tschechien eingewechselt, erzielte zuerst den Ausgleich, dann das Siegtor. Der Rest ist EM-Geschichte.

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