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Benjamin Kuhlhoff·26. Juni 2018

Warum wir den Iran bei dieser WM vermissen werden

Artikelbild:Warum wir den Iran bei dieser WM vermissen werden

Unrechtsstaat, politisch isoliert, eine Mannschaft voller No Names: Der Iran ging als Underdog in die WM und verlässt sie vielleicht als größter Gewinner.

Vorab sei angemerkt: Auch ich kannte die wenigsten Spieler des Iran namentlich. Und auch nach dem Ausscheiden der Mannschaft werden viele – vielleicht alle –  Namen der Spieler verblassen wie alte Fotos. Doch die iranische Mannschaft und seine Fans haben etwas geschafft, was manchmal sogar Weltmeistern nicht gelingt: Sie haben die Herzen der Fans auf der ganzen Welt erobert. Weil sie Geschichten lieferten, die es im modernen Fußball eigentlich nicht mehr gibt. Oder geben darf.


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Der krasseste Außenseiter von allen?

Dass der Iran als krasser Außenseiter in die Gruppe B startete, war allen Experten klar. Doch sportlich war das Team Melli eine Bereicherung. Während sich die Topnationen durch das Turnier verwalten, riss sich Irans Mannschaft über drei Mal neunzig Minuten den Arsch auf. Herzblut, Leidenschaft, Wille: Die Grundtugenden sind der kleinste gemeinsame Nenner für Fußballfans von Trier bis Teheran. Sie können einen mehr packen als ein Traumtor mit dem Außenrist.

Weil sie zeigen, dass Fußball in Zeiten von Taktikexperten, Wissenschaftlern und Videoschiedsrichtern eben doch ganz einfach sein kann – wenn man das Herz am rechten Fleck hat. Die Spieler Irans haben diese simplen Stilmittel bis zum Erbrechen auf den Platz transportiert. Sie haben der Übermacht Spanien fast ein Unentschieden abgerungen und den Europameister Portugal bis an den Rand des Ausscheidens getrieben. Allein dafür könnte man sie lieben.

Doch es sind auch die Dinge, die neben dem Platz passierten, die dieser Nationalmannschaft einen Platz in der WM-Geschichte sichern. Erstmals seit 37 Jahren durften etwa Frauen ein Fußballspiel im Azadi-Stadion von Teheran schauen. Es war das Duell des Iran gegen Spanien, ein simples Public Viewing. Normalität für uns, ein Meilenstein auf dem Weg zur Normalität im Iran.

Es war die Kraft des Fußballs, der die schwachsinnigen – teils mittelalterlichen – Regeln der Islamischen Republik aus den Angeln hob. Der sture Polizisten zu Männern mit Eiern machte, die erst ihr Herz und dann die Tore des Stadions öffneten, damit Familien gemeinsam die vielleicht größte, fußballerische Stunde der iranischen Mannschaft erleben durften.

Da war aber auch die Mannschaft selbst, die voller Geschichten steckte. Kurz vor dem Turnier etwa stand sie ohne Fußballschuhe da, weil die Repressalien eines wirren US-Präsidenten es verbaten, dass der Iran in Schuhen des amerikanischen Sportartikelherstellers Nike auflief. Das ist nicht nur dämlich, sondern lachhaft, aber in dieser von Machtgeilheit geleiteten Fußball- und Politikwelt traurige Realität. Doch wahrscheinlich wäre „Team Melli“ auch barfuß angetreten. Weil Dummheit niemals siegen darf. Es ist schließlich anderen Sportartiklern zu verdanken, die der Mannschaft mit Schuhen aushalfen.

Und dann ist da noch die Geschichte von Alireza Beiranvand, der im Alter von zwölf Jahren von zu Hause weglief, weil seine Familie seine Fußballschuhe verbrannt hatte. Der jahrelang auf der Straße lebte, weil er einen Traum hatte. Er schlief vor den Trainingsgeländen der Vereine, um morgens als erster beim Probetraining zu sein. Er ließ alles hinter sich, getrieben von einer Idee, die schließlich Realität wurde.

Gestern Abend stand er auf dem Rasen eine Fußball-WM – und hielt einen Elfmeter gegen Cristiano Ronaldo. Alireza Beiranvand in der Torwart der iranischen Nationalmannschaft. Nach dem gehaltenen Elfer lag er auf dem Ball, schloss die Augen und blendete die tosenden Massen für ein paar wertvolle Momente aus. Er hielt den Ball in den Armen wie ein Baby. Seine Welt.

Alireza Beiranvand ist ein Gesicht der WM, das man vielleicht bald vergessen wird – auch wenn es eine Schande wäre.

Und wenn sich nach dem 15. Juli die Welt wieder etwas weniger um den Fußball dreht, wenn alle nur noch über die glänzenden Sieger, die magischen Traumtore und die spektakulären Tricks der Megastars sprechen, dann sollten sich Fans auf der ganzen Welt auch an den Iran erinnern.

Die Mannschaft, die in der Vorrunde rausflog und dem Fußball in nur 14 Tagen doch mehr gegeben hat als es Neymars Frisur und Ronaldos Bart jemals geben können.

Danke dafür!