Rund um den Brustring
·13. März 2024
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·13. März 2024
Die Fans sollten Grund haben, nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz auf den VfB stolz zu sein, erklärte Alexander Wehrle in der jüngsten Folge der Saisondoku. Das mag für wohltätige Aktion wie die Vesperkirche gelten — für vieles andere muss man sich als Fan und Mitglied schämen.
Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert. So oder ähnlich wird man wohl gedacht haben, als man die eigene Kommunikationsabteilung das Statement veröffentlichen ließ, welches die Mitglieder und Fans des VfB am späten Dienstagnachmittag erreichte:
“Mit den Aufsichtsratsmitgliedern unserer Partner Mercedes-Benz und Porsche bin ich der Meinung, dass in Zukunft die Idealbesetzung des Aufsichtsratsvorsitzenden ein Präsidiumsmitglied des Vereins sein sollte, das von den Mitgliedern direkt gewählt wurde und über die notwendigen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen verfügt.“
So Tanja Gönner, die neue Aufsichtsratsvorsitzende der VfB AG. “Die notwendigen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen”. Das sitzt und hat bemerkenswert wenig Stil. Egal wie man zu Claus Vogt und seinem Wirken als Aufsichtsratsvorsitzender und Vereinspräsident steht: Dass man ihm quasi im Nachtritt die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen abspricht und sich nicht mal, wie in solchen Situationen üblich, zu einem heuchlerischen Dank für die geleistete Arbeit abringen kann, spricht Bände. Über die Zustände innerhalb des Gremiums, an denen Vogt angesichts der Masse der sich wiederholenden Vorwürfe sicher nicht unschuldig ist, auch wenn ich es von außen nicht beurteilen kann. Aber auch über die Machtverhältnisse an der Mercedesstraße. Denn da skizziert eine Aufsichtsrätin ohne jegliche direkte (habe ich nachträglich präzisiert, um zu verdeutlichen, was ich meine) vereinsdemokratische Legitimation, die den VfB e.V. nur auf dem Papier vertritt, gemeinsam mit zwei Investoren — was ist eigentlich mit Jako? — wie der Mehrheitseigner der AG in Zukunft den Aufsichtsratsvorsitz besetzen soll.
Überhaupt ist das ganze Statement an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Gönner solle die Vorstandsarbeit “professionell begleiten, kontrollieren und fördern”, als ob das in der Vergangenheit allein an einer von neun Personen gescheitert sei. Entlarvend auch der zweite Absatz, in dem gleich mal klargemacht wird, wem die Mitglieder das alles zu verdanken haben: “Als Ergänzung des Hauptanteileigners, des VfB Stuttgart 1893 e.V., hat das Weltmarkenbündnis […] die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen, um den VfB zukunftssicher aufzustellen und weiterzuentwickeln.” Mit anderen Worten: Wir bezahlen den Laden hier, also gebt Ruhe! Dass Gönner “als vom VfB e.V. 2022 in den Aufsichtsrat entsandtes Mitglied zudem in der Position [ist] , die Interessen der Vereinsmitglieder führungsstark zu vertreten”, ist nicht weniger als ein Affront gegenüber den Mitgliedern. Tanja Gönner hat sich keiner Wahl gestellt und ohne in der baden-württembergischen Landespolitik als Exil-Fan zu tief drin zu sein bin ich mir auch nicht sicher, ob sie diese gewonnen hätte.
Gönner lässt mit dem oben hervorgehobenen Zitat durchblicken, dass sie sich nur als Interimslösung sieht, damit in Zukunft wieder ein direkt gewähltes Präsidiumsmitglied diesen Posten übernehmen kann. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass man sich im Aufsichtsrat des Tabubruchs durchaus bewusst ist, den man da begangen hat und dass Tanja Gönner eben doch keine angemessene Repräsentantin des eingetragenen Vereins ist. Gleichzeitig wird mit diesem Statement klar: Es ist ihnen herzlich egal und sie machen noch einmal überdeutlich, wer beim VfB mittlerweile das Sagen hat. Porsche, Mercedes und jene Aufsichtsratsmitglieder, die mit deren Auftreten kein Problem haben. Ich würde ja gerne so tun als wäre das der Dammbruch bei 50+1, den wir seit der Ausgliederung 2017 befürchtet haben. Es ist aber in Wirklichkeit nur das bislang letzte Kapitel einer Geschichte von Missachtung von und Betrug an den Mitgliedern. Von der Drohung von e.V.-Aufsichtsrat Martin Schäfer, Abwahlanträge gegen ihn sowie die Herren Porth und Jenner sowie eine Ablehnung Wolfgang Dietrichs würden den Verein in Schutt und Asche legen über fast die gesamte Amtszeit Wolfgang Dietrichs bis hin zur Installation eines Vorstandsvorsitzenden vor der Neuwahl eines Präsidenten, dem Versuch, diese beiden Posten zusammenzulegen oder der drohenden Nicht-Zulassung eines amtierenden Präsidenten für eine Wiederwahl.
Bemerkenswert ist immerhin, dass man es jetzt geschafft hat, ein Versprechen zu brechen, das jemand gegeben hat, der sonst nicht viel für die Einhaltung von Zusagen oder gar Mitgliederrechte übrig hatte. Aber das war ja von Anfang an der Kniff. Davon gesprochen haben immer die anderen, wie beispielsweise Bernd Gaiser bei einem Dunkelroten Tisch im Herbst 2019:
Wie praktisch, dass der nicht mehr im Amt ist. Mein Vertrauen in die handelnden Personen oberhalb der unmittelbaren sportlichen Ebene ist ja schon lange verloren gegangen, weil man in diesem von Intrigen und Beeinflussungsversuchen durchzogenen Klepperlesverein nicht mehr sicher sein kann, wer sich dieses noch verdient hat. Laut Carlos Ubina, der wie üblich sein Ohr ganz dicht an der Tür zum Sitzungszimmer des Aufsichtsrat hatte, hätten lediglich Rainer Adrion und Beate Beck-Deharde gegen eine Abwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden votiert. Das mag stimmen, muss es angesichts der bisherigen Berichterstattung aus Möhringen aber nicht unbedingt. Ich erwarte eigentlich von allen dem e.V‑Präsidium angehörenden und vom Verein entsandten Aufsichtsräten eine Aussage, wie sie in dieser Sache abgestimmt haben und warum. Solange ich meine Information dazu weiterhin aus der Presse beziehen muss und man die Mitglieder im Dunkeln an der Nase herumführt, kann die Konsequenz eigentlich nur ein personeller Neuanfang sein. Mal wieder.
Sollte hier keine Transparenz hergestellt werden, muss das gesamte Präsidium des eingetragenen Vereins zurücktreten. Klar ist: Wer eine Absichtserklärung unterschrieben hat, den e.V.-Präsidenten als Aufsichtsratsvorsitzenden abzuwählen, kann meiner Meinung (!) nach nicht mehr für sich reklamieren, die Mitglieder und deren Interessen zu vertreten. Natürlich wollen nicht alle 90.000 Mitglieder Claus Vogt als Aufsichtsratsvorsitzenden oder gar als Präsidenten haben. Aber wenn wir die Mitgliederversammlung als höchstes Gremium des Vereins trotz ihrer geringen Teilnehmerzahl ernst nehmen wollen, dann hat diese einen Präsidenten gewählt in dem Vertrauen, er würde anschließend auch vom Aufsichtsrat der AG zu dessen Vorsitzenden gewählt. Schließlich war das bisher der Fall und niemand hatte angekündigt, diese Funktionen in Zukunft trennen zu wollen. Wer am gestrigen Dienstag für eine Abwahl des Vereinspräsidenten gestimmt hat, für den gilt das erst recht. Ebenso, wer die Mitglieder über ein Dreivierteljahr über die Nebenbedingungen des groß gefeierten Porsche-Einstiegs im Dunkeln gelassen hat und sich allem Anschein nach nicht an getroffene Absprachen gehalten hat. Und nein, die Mitglieder, die erst 2021 ein Votum zum Präsidenten und damit in ihrem Glauben zum Aufsichtsratsvorsitzenden abgegeben haben, erneut zu befragen, ist kein Ausweg aus dieser Situation. Was wären denn die Alternativen? Vogt oder die zweite Tranche von Porsche? Das kann nicht Euer verdammter Ernst sein. Also die Herren Vogt, Adrion und Riethmüller: Wenn ich nicht bald weiß was Sache ist und sonst nichts passiert warte ich eigentlich nur auf die Einladung zur Mitgliederversammlung und die Einreichungsfrist für Abwahlanträge.
Einhergehen mit einer Neuwahl des Vereinspräsidiums muss in der Folge eine Neubesetzung der dem e.V. zustehenden Aufsichtsratsplätze. Wenn Frau Gönner — und scheinbar auch der Rest des Aufsichtsrats — der Meinung ist, jemand der in der Hauptversammlung der AG zum Aufsichtsrat bestimmt wurde, könne die Mitglieder ebenso vertreten wie ein von Mitgliedern gewähltes Präsidiumsmitglied, dann haben diese Personen in ihrer Rolle als Vereinsvertreter offensichtlich versagt: Neben Gönner also auch Alexander Kläger, Tobias Röschl — der vermutlich angesichts der geringen Beteiligung Jakos offiziell vom e.V. entsandt ist — und eventuell auch Beate Beck-Deharde. Was Lutz Meschke, Albrecht Reimold, Franz Reiner und Peter Schymon machen, darauf haben wir nun mal keinen Einfluss. Aber sie sind ja eigentlich in der Minderheit, sowohl mit ihren Anteilen als auch mit ihren Stimmen im Aufsichtsrat. Ziel muss es sein, alle vom e.V. entsandten Aufsichtsratsmitglieder von den Mitgliedern wählen zu lassen. Damit ist, dem Aktienrecht sei Dank, zwar kein direktes Mandat verbunden, aber anders als Gönner, Kläger, Beck-Deharde oder Röschl müssten sie sich dann bei einer Mitgliederversammlung vor den Mitgliedern verantworten. Und vielleicht ist es auch wirklich mal an der Zeit, wie in anderen Vereinen eine Fan-Abteilung ins Leben zu rufen, die Mitgliedern einen direkteren Einfluss auf den Aufsichtsrat bietet als Vereinsvertreter, die sich von Investoren bereitwillig die Pistole auf die Brust setzen lassen.
An der Stelle muss ich allerdings auch beim AG-Vorstand mal wieder kritisch nachfragen, was sie sich dabei gedacht haben. Denn die Verhandlungen mit Porsche wird ja nicht zuletzt auch ein Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle geführt haben, womöglich auch ein Marketingvorstand Rouven Kasper oder ein Finanzvorstand Dr. Thomas Ignatzi. Wusste man während der Verhandlungen von den Forderungen Porsches, die dem Konzern offensichtlich für einen Einstieg so wichtig waren, dass man sich die Erfüllung schriftlich zusichern ließ? Und wenn nicht: Mit was für Leuten hat man sich da an einen Tisch gesetzt, die entweder direkt mit solchen Forderungen ankommen oder, wie mitunter kolportiert, solche kurzfristig und somit unter großem Zeitdruck für alle Beteiligten stellen? Ist uns nach Wettbüros als Hauptsponsor, Sammelkarten-Abzocke, “Trikots als Kunstobjekt” und dem Ja zum unausgegorenen DFL-Beteiligungskonzept wirklich mittlerweile alles egal?
Es scheint so und man wünscht sich fast, man könnte allein den sportlichen Erfolg genießen und sich den ganzen Rest einfach sparen. Das ist aber natürlich genau das Kalkül: Lasst uns mal machen, es läuft doch. Aber wie soll ich als Mitglied jemandem vertrauen, der sich keiner Wahl und keiner Entlastung stellen muss? Und wenn es damit anfängt, wo hört es auf? Wenn man ja seitens des VfB wenigstens so ehrlich wäre und offen sagen würde, dass man Mitglieder nur als notwendiges Übel betrachtet. Es wird natürlich auch jetzt diejenigen geben, die versuchen werden, diese Diskussion auf die Person Claus Vogts zu reduzieren und damit die Tragweite der Entscheidung am Dienstag kleinzureden. Als wäre es ein ganz natürlicher und logischer Vorgang beim VfB, dass der Minderheitseigner der AG dem Mehrheitseigner diktieren kann, wie dieser den Vorsitz des Aufsichtsrats besetzt. Oder diejenigen, die versuchen werden, die jetzt entbrannte Diskussionen mit dem sportlichen Erfolg im Saisonendspurt zu verknüpfen. Bekanntermaßen haben uns ja auch die “Dietrich raus”-Rufe vor und nach den Spielen im Frühjahr 2019 den Klassenerhalt gekostet — von Stempeln auf Gesichtern ganz zu schweigen. Davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Anders als bei den wirren Abwahlanträgen aus dem vergangenen Jahr wird die VfB AG auch in Zukunft sportlich und finanziell handlungsfähig sein — aber wenn schon mit dem “dreckigen” Geld von Porsche, dann immerhin nicht mit diesem Personal.
Zum Weiterlesen: Ron beschreibt auf Nachspielzeit den vereinspolitischen Stuttgart downfall, und geht dabei mit vielen Gedanken in eine ähnliche Richtung, auch wenn ich bei der Bewertung von Claus Vogt nicht uneingeschränkt mitgehe. Benni Hofmann fragt im Kicker zurecht: Mitglieder? Welche Mitglieder?. Christoph gibt bei Stuttgart.international zu bedenken: “Die Hoffnung, dass ein neu gewähltes Präsidium die Dinge wieder geraderückt, wirkt ziemlich naiv.” Auf dem Brustringblog prophezeit Gast-Autor Marius: “Die nächste Mitgliederversammlung wird ein heißer Tanz”. Martin stellt auf gedankenvoll.de fest: “Der e.V. ist auch nicht am 12. März 2024 gestorben, nein, das ist er bereits im Sommer 2017 – dort wurden die Investorengeister gerufen. Das Resultat haben wir jetzt auf dem Tisch.”
Titelbild: © Alexander Hassenstein/Getty Images