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·31. Oktober 2019
Interview mit Fanhilfe Kölsche Klüngel: „Stadionverbote sind eine rein repressive Maßnahme“

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·31. Oktober 2019
Bei einem Stadionbesuch des Lieblingsvereins – egal ob heim oder auswärts – gehört der Kontakt mit der Polizei für viele Fußballfans zum Alltag. Nicht selten endet dieses Zusammentreffen in Konfrontation – zum Nachteil für uns Fans. Oft beginnen die Auseinandersetzungen schon bei der Anreise: So gibt die Polizei immer häufiger Anreisewege zu Auswärtsspielen vor. Reisen Fans als größere Gruppe an, werden ihnen bei Umstiegen mit der Bahn unter dem Deckmantel der Sicherheit Zugang zu sanitären Anlagen oder zum gastronomischen Angebot verwehrt. Doch denkbare Einschränkungen durch die Polizei enden nicht im öffentlichen Raum.
Die Verringerung von Kartenkontingenten auf Druck der Polizei und eine steigende Anzahl an Risikospielen, wie die Polizei Hochsicherheitsspiele nennt, sind Anzeichen dafür. Wer jetzt denkt, dass das sie oder ihn als Normalo-Fan nicht betrifft, irrt gewaltig. So kann jeder, der sich am Spieltag zur falschen Zeit am falschen Ort aufhält, von einer polizeilichen Maßnahme betroffen sein und sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung ausgesetzt sehen, mit einer Anzeige wegen Landfriedensbruch konfrontiert oder Opfer von Polizeiwillkür werden. Für Einzelpersonen ist es dabei häufig mit großen Risiken verbunden, sich gegen rechtswidrige staatliche Maßnahmen zur Wehr zu setzen: entweder müssen sie hohe Kosten oder die Gefahr, weitere repressive Maßnahmen zu erleiden, auf sich nehmen.
In vielen Städten haben sich in den letzten Jahren solidarische Fanhilfen begründet, um Betroffene zu unterstützen und Hilfestellung zu geben. So auch in Köln. Im effzeh.com-Interview erzählen Ehrenamtliche, die im „Kölsche Klüngel“ aktiv sind, warum wir eine Fanhilfe brauchen und wie man sie unterstützen kann.
effzeh.com: Was ist der „Kölsche Klüngel“?
Wir sind eine Fanhilfe und eine AG der Südkurve 1. FC Köln e.V. Gegründet wurden wir schon 2013. Alle, die im Klüngel tätig sind, sind auch in der Südkurve organisiert. Andersherum kann jeder bei uns mitmachen, der mit seinem Fanclub in der Südkurve 1. FC Köln ist. Aktuell haben wir rund 15 bis 20 Aktive, die regelmäßig ehrenamtlich mitarbeiten.
Wichtig ist: Wir sind nicht als Rechtschutz zu verstehen. Wir suchen uns Präzedenzfälle heraus und klagen dann für die Allgemeinheit. Denn wir haben ja in diesem Sinne keine Mitgliedschaft und sind finanziell nicht so gut aufgestellt wie andere Fanhilfen, die zahlende Mitglieder haben.
effzeh.com: Ihr seid also eine Fanhilfe von Fans für Fans. Warum braucht es das?
Kritische Situationen mit den Sicherheitsorganen gehören für viele Fans heutzutage bedauerlicherweise zum Alltag. Anstatt die ganze Energie in den Support der Mannschaft zu stecken, müssen sich Fans immer öfter mit Repressionen auseinandersetzen. Oft fehlt es auch an Informationen, wie man sich in kritischen Situation mit der Polizei richtig verhalten soll, sodass wir den ratsuchenden Fans eine Unterstützung geben wollen.
Wir haben an Spieltagen zum Beispiel das sogenannte Notfalltelefon dabei. Dort können sich FC-Fans oder auch Auswärtsfans, die nach Köln kommen und Probleme mit der Polizei oder dem Ordnungsdienst haben, melden. Aber auch bei generellen rechtlichen Problemen oder Fragen kann man sich dann unter der Nummer bei uns melden. Wir können allerdings nur eine nicht-juristische Ersthilfe bieten. Ein anderer Punkt unserer Arbeit ist, dass wir sehr eng mit Anwälten zusammenarbeiten, FC-Fans in Rechtsangelegenheiten unterstützen oder sie an Anwälte vermitteln können.
effzeh.com: Was sind das für Fragen, die euch am Spieltag gestellt werden?
Am Spieltag müssen wir uns oft um Leute kümmern, die in Gewahrsam genommen wurden. In Zusammenarbeit mit dem sozialpädagogischen Fanprojekt finden wir den Namen der Person heraus und was mit ihm passiert. Meistens wird die Person nach dem Spiel wieder rausgelassen. Wir geben daraufhin den Freunden Bescheid, mit denen die Person da ist. So wissen sie genau, was mit ihrem Freund passiert und können auf ihn warten, bis er raus gelassen wird.
Was auch öfter mal vorkommen kann ist, dass Fans einen Platzverweis von dem Polizeibeamten erhalten. Viele wissen dann gar nicht, was das genau bedeutet. Wir geben dann Tipps, wie man sich am besten verhalten sollte.
effzeh.com: Und was ratet ihr dann?
Sich dran zu halten und das Gelände zu verlassen. Wer trotz Platzverweis dableiben würde, riskiert noch mehr Ärger.
effzeh.com: Warum ist es so wichtig, dass es eine Fanhilfe gibt?
Es ist wichtig, eine Fanhilfe zu haben, weil wir zu allen in Frage kommenden Szenarien – auch Bereichsbetretungs- oder Stadionverbote – wichtige Informationen haben und hilfreiche Tipps geben können. Nicht jeder hat Lust, sich durch Gesetztestexte zu wühlen – wir haben das aber gemacht und können diesen Leuten alle für sie relevanten Informationen zur Verfügung stellen. Wir können zum Beispiel helfen, ein Schreiben aufzusetzen, wenn jemand ein Bereichsbetretungsverbot bekommen hat. Oder wir bieten Betroffenen an, mit ihnen zur Stadionverbotskommission zu gehen, wenn man vorgeladen wurde.
effzeh.com: Werdet ihr von 1. FC Köln unterstützt?
Nein. Das ist aber auch okay, denn wir als AG der Südkurve haben als diese mit dem Verein gar nichts zu tun.
effzeh.com: Wie kann man euch unterstützen?
Viele andere Fanhilfen haben eine eigene Mitgliedschaft, doch wir haben uns gegen so ein Modell entschieden. Weil wir eine AG der Südkurve sind, werden wir von den Mitgliedern der Südkurve unterstützt – auch finanziell. So generieren wir Spenden. Wir sammeln aber auch auf Busfahrten, bei Festen wie dem Südkurvencup oder Partys. Wer gut findet, was wir machen, kann uns aber auch als Einzelperson mit einer Spende über unser Bankkonto oder den PayPal-Button auf unserer Seite im Internet unterstützen.
Wichtig ist uns, dass wir alle ehrenamtlich am Start sind und niemand von uns dafür bezahlt wird. Alle Spenden, die beim Klüngel ankommen, fließen in solidarische Aktionen:Wir geben zum Beispiel den Betroffenen, die in einem Gesang vermeintlich Dietmar Hopp im Stadion beleidigt haben sollen, finanzielle Unterstützung. Ein anderes Beispiel: Die Stadt Freiburg hat beim letzten Mal, als wir dort gespielt haben, für das Verschicken von Stadtverboten eine Bearbeitungsgebühr von 105 Euro pro Nase verlangt. Die Spenden fließen alle an von solchen repressiven Maßnahmen betroffenen FC-Fans.
effzeh.com: Habt ihr konkrete Tipps für Verhalten am Spieltag?
Das Wichtigste ist: ruhig bleiben und nicht die Nerven verlieren. Das ist die halbe Miete. Wenn Personalien aufgenommen werden, sollte man einfach den Ausweis abgeben. Alle Daten, die auf dem Ausweis draufstehen, kann und sollte man der Polizei weitergeben. Was viele aber nicht wissen: alle Informationen, die darüber hinausgehen, muss man nicht einfach so weitergeben. Man muss den Beamten nicht die Telefonnummer, die Emailadresse, den Arbeitgeber oder die Namen der Eltern nennen. Auch in Handys dürfen die Beamten nicht einfach so gucken. Es wird zwar manchmal versucht, mit irgendwelchen Tricks die Leute dazu zu bringen, den Pin freiwillig zu verraten oder das Handy zu entsperren. Deshalb ist es so wichtig, dass Fußballfans über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt sind. Umso wichtiger ist es, ruhig zu bleiben und freundlich, aber klar zu kommunizieren.
Auf unserer Homepage geben wir einen Überblick, welche Daten man beispielsweise in einer Kontrolle angeben muss – und welche nicht. Was bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung oder bei Blut- oder DNA-Proben gilt und wie man sich im Falle einer Hausdurchsuchung verhalten sollte.
effzeh.com: Was sollte man tun, wenn man Zeuge von Polizeimaßnahmen oder Fehlverhalten der Polizei bei Fußballspielen geworden ist?
Dann sollte man sich in jeden Fall bei uns melden. Je mehr Zeugen, je mehr Videoaufnahmen man hat, desto besser können wir Betroffenen helfen, wenn gegen diese ein Verfahren eingeleitet werden sollte. Wichtig ist, dass man dabei seine Kontaktdaten angibt, damit wir Kontakt aufnehmen können. Auch wichtig sind Angaben, was wann wo passiert ist. Das erleichtert unsere Arbeit sehr.
effzeh.com: War die vergangene Saison für den Klüngel ohne Derbys eher eine ruhige?
Nein, das täuscht. An den Spieltagen passierte vielleicht nicht so viel, aber wir haben uns ja auch als Ziel gesetzt, so viele FC-Fans wie möglich über ihre Rechte aufzuklären und wie sie sich im Falle von Polizei-Kontrollen verhalten sollten.
Das letzte halbe Jahr haben wir uns intensiv mit Dietmar Hopp beschäftigt. Insgesamt 21 Anzeigen wurden gegen FC-Fans gestellt. Wir waren mit allen Betroffenen in Kontakt und haben Anwälte vermittelt. Dabei haben wir sehr eng mit der Fanhilfe Dortmund gearbeitet, weil auch die massiv davon betroffen waren.
effzeh.com: Zur Einordnung: Was wurde den Leuten konkret vorgeworfen?
Das waren Leute, die im Block standen und die Hopp-Gesänge mitgesungen haben. Über dem Stadion hing ein Richtmikrofon und die Polizei hat den Block gefilmt. Die szenekundigen Beamten haben dann diese Videoaufnahmen gesichtet und diejenigen identifiziert, die die spezifischen Gesänge mitgesungen haben.
effzeh.com: Wie werden Stadionverbote (SVs) in Köln vergeben?
Die Stadionverbotsrichtlinien vom DFB sehen vor, dass sobald ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Fußballspielen von der Polizei eingeleitet wird, ein Stadionverbot ausgesprochen werden sollte. Das ist juristisch ein bisschen schwammig formuliert. „Sollte“ ist relativ nah dran an „muss“, ist aber kein „muss”. Es besteht also ein gewisser Handlungsspielraum für die Vereine.
In der Regel läuft es so ab, dass die Polizei ein Ermittlungsverfahren eröffnet, was dem Verein auch mitgeteilt wird. Beim FC bekommt der Betreffende dann eine Einladung zur Stadionverbotskommission. Dort kann man sich dann zur Sache äußern, wenn man möchte. Die Kommission entscheidet dann – nach getätigter Äußerung oder auch nach nicht getätigter Äußerung – ob und wenn ja, wie lange man Stadionverbot bekommt.
Wir weisen aber auch ausdrücklich darauf hin, dass unsere Anwälte keine großen Freunde dieser Kommission sind. Wir haben sogar davon abgeraten, hinzugehen. Der Grund dafür ist einfach: Wenn man sich dort äußert, tätigt man Dritten gegenüber eine Aussage. Jeder Anwalt sagt, dass man sich erstmal nicht äußern und Akteneinsicht beantragen soll. Genau das ist bei einer Stadionverbotskommission nicht gewährleistet. Da sitzt man zehn Leuten gegenüber, die mit dem Verfahren nichts zu tun haben und soll sich aber denen gegenüber zum Verfahren äußern. Das ist rechtlich sehr schwierig, zumal es auch schon vorkam, dass Teilnehmer der Stadionverbotskommission dann vor Gericht vorgeladen wurden und dort berichten sollten, was der oder die Beschuldigte in der Kommission gesagt hat. Das ist für jeden Anwalt ein Horrorszenario und darum raten wir davon ab, zur Stadionverbotskommission zu gehen. Der Verein hingegen möchte natürlich, dass man hingeht, damit man sich ein Bild von den Leuten machen kann.
effzeh.com: Wie könnt ihr FC-Fans helfen, die zur Stadionverbotskommission müssen?
Also zuerst mal müssen wir überhaupt von dem Termin wissen, man muss uns Bescheid geben. Denn eventuell ist jemand, der zur Stadionverbotskommission erscheinen soll, schon damit überfordert, dass überhaupt ein Verfahren gegen sie oder ihn eingeleitet wird. Wir können da helfen. Je nachdem welches Schreiben der Betroffene erhält, können wir raten, wie man darauf reagieren solle. Wenn man zum Beispiel eine Vorladung der Polizei erhält, muss man dort nicht zwangsläufig erscheinen. Wenn aber der Vorladung allerdings ein staatsanwaltschaftlicher Auftrag zugrunde liegt, sollte man definitiv hingehen und dies bestenfalls mit einem Anwalt. Das wissen aber viele nicht. Wenn dann ein Verfahren eingeleitet wurde, helfen wir den Betroffenen auch, indem wir Anwälte vermitteln. Sollte allerdings so ein Brief eintrudeln, kann man uns immer gerne ansprechen.
effzeh.com: Wenn ein SV ausgesprochen wurde, kann man sich dann noch dagegen wehren?
Meistens ist man erstmal machtlos und muss abwarten, wie das Ermittlungsverfahren ausgeht. Kommt es zu einem Freispruch oder einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO), muss das Stadionverbot sofort aufgehoben werden. Dabei liegt „sofort“ auch immer im Ermessen des Sachbearbeiters, wie schnell „sofort“ umzusetzen ist. Bei Einstellung nach § 153 oder 153a – der Einstellung bei Geringfügigkeit beziehungsweise Einstellung unter Auflagen– muss der Verein dann nochmal neu entscheiden, ob ein Stadionverbot weiter bestehen bleibt. Das Ermittlungsverfahren ist dann formell abgeschlossen, ob gegen Auflagen, wie die Zahlung eines geringen Geldbetrags oder nicht, ist dafür egal.
effzeh.com: Um mal mit einem Mythos aufzuräumen: Ein lebenslanges Stadionverbot gibt es nicht, oder?
Nein, das gibt es nicht. Wir wissen aber tatsächlich von einem Fall, wo jemand momentan faktisch ein lebenslanges Stadionverbot beim Verein hat. Das heißt dann aber offiziell „lebenslanges Hausverbot“. Derjenige darf dann nicht mehr zu den Heimspielen, das gilt aber nicht bundesweit. Gemäß der DFB-Richtlinie darf ein Stadionverbot nicht länger als fünf Jahre gelten.
effzeh.com: Stadtverbote, Aufenthaltsverbote, Betretungsverbote – ist das alles dasselbe?
Ja, eigentlich schon. Die Stadtverwaltung von Freiburg nennt es Aufenthaltsverbot, die Polizei in Köln nennt es Bereichsbetretungsverbot. Die umgangssprachliche Bezeichnung ist aber Stadtverbot.
effzeh.com: Kann man sich gegen so ein Stadtverbot wehren?
Ein Bereichsbetretungsverbot stellt einen relativ gewichtigen Eingriff in die Grundrechte dar. Also ja, auch wenn es oft schwierig ist, sollte man immer Einspruch einlegen, wenn man das Stadtverbot als ungerechtfertigt empfindet. Zuerst kommt eine Anhörung von Stadt oder Polizei, die man wahrnehmen sollte. Auch schriftlich muss man dann Einspruch einlegen. Wenn der endgültige Bescheid kommt, steht einem der Rechtsweg offen und man kann dagegen klagen. Die Verwaltungsgerichte in Köln sind aber nicht so schnell und so ein Verfahren kann sich über Jahre hinziehen. Das kann dazu führen, dass erst lange im Nachhinein festgestellt wird, dass die Maßnahme ungerechtfertigt war. Das heißt: Am betreffenden Spieltag war man dann trotzdem nicht da.
effzeh.com: Wird ein Betretungsverbot von der betreffenden Stadt ausgesprochen, in der der FC spielt, wird nicht selten eine Bearbeitungsgebühr von den Personen verlangt. Die Stadt Freiburg praktiziert das beispielsweise. Welche Städte noch?
Alle Städte in Baden-Württemberg machen das so, wie auch die betreffenden Städte in Niedersachsen. Wir hatten mit Schreiben aus Freiburg, Wolfsburg, Sandhausen, Magdeburg und Dresden zu tun. Das stellt für die Betroffenen eine enorme finanzielle Belastung dar, denn selbst wenn sie gar nicht vorhatten, zu dem Spiel zu fahren, müssen sie diese Gebühr bezahlen. Wenn man sich vorstellt, dass wir 17 Auswärtsspiele haben und im Durchschnitt 50 Euro pro Auswärtsspiel erhoben werden, ist das sehr viel Geld. Bei dem Auswärtsspiel in München wurden sogar 150,- Euro pro Person verlangt.
effzeh.com: Wer bekommt solche Schreiben mit einem Stadtverbot?
Das ist leider für uns schwer zu sagen. Es kann schon reichen, einmal bei einer fußballbezogenen Maßnahme festgenommen worden zu sein. Es ist nicht so, dass alle, die solche Schreiben bekommen, schon mal rechtskräftig verurteilt worden sind. Vielmehr reicht es, wenn die Polizei einen als potenziell „gewaltbereit“ einstuft. Dann können die szenekundigen Beamten nach persönlichem Empfinden festlegen, wer ein Stadtverbot bekommt. Für uns ist das jedoch absolut willkürlich und wir versuchen, da eine Art Muster herauszulesen, aber das gibt es einfach nicht. In den Begründungen taucht teilweise auf, wenn jemand mal vor Jahren betrunken ein Straßenschild in der Nacht der Abifeier umgetreten hat. Da wird den Leuten ein Strick aus Dingen gedreht, die mit Fußball oder dem FC nichts zu tun haben. Wir prangern an, dass bei der Vergabe von Stadtverboten keine Transparenz herrscht und die meisten, die ein solches Stadtverbot bekommen, niemals verurteilt wurden und viele Verfahren früher oder später sowieso eingestellt werden. Die Beurteilung der Leute liegt absolut im Ermessen der szenekundigen Beamten und wie diese einen einschätzen.
effzeh.com: Also könnte das jedem passieren, der einmal in eine polizeiliche Maßnahme gerät?
Ja, das ist ja schon passiert. Nachdem beim Spiel der FC-Amateure gegen Rot-Weiss Essen Pyrotechnik gezündet wurde, wurden nach dem Spiel 120 FC-Fans von der Polizei im Franz-Kremer-Stadion eingekesselt und erkennungsdienstlich behandelt. Dafür wurden sie bis spät in die Nacht festgehalten. Ohne zu wissen, wer diese 120 Leute genau sind, hat die Polizei damals dem 1.FC Köln geraten, gegen alle 120 Personen Stadionverbote auszusprechen.
effzeh.com: Wie viele wurden es im Endeffekt?
Es wurden insgesamt 72 Stadionverbote ausgesprochen, dabei sind aber auch Stadionverbote für das Heimspiel gegen Hoffenheim und man kann das heute nur schwer aufdröseln, wer für was ein Stadionverbot bekommen hat. Fest steht: Bei den Amateuren wurden 14 Fackeln gezündet, sonst ist da nichts passiert. Hinzu kommt, dass alle Verfahren eingestellt wurden, es gab nicht eine Verurteilung. Trotzdem bekamen rund 60 Leute Stadionverbot und haben in der Konsequenz die historische Europasaison verpasst und durften ein Jahr lang nicht ins Stadion. Das macht einfach nur wütend. Wir hätten uns von der Stadionverbotskommission ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl gewünscht.
Denn das Stadionverbot kann auch Jahre später noch Konsequenzen für diese Leute bedeuten und gegen sie verwendet werden. Obwohl diese Verfahren alle eingestellt wurden, werden solche SVs als Punkt aufgeführt, warum Menschen heute in Wolfsburg ein Stadtverbot im Vorfeld eines Spiels zugeschickt bekommen: In der Begründung heißt es dann, dass man vor Jahren während einer Pyro-Aktion im Block anwesend war. Auch wenn bewiesenermaßen keine Straftat vorgelegen hat, reicht das aus, um einer Person die Fahrt nach Wolfsburg zu verbieten und gegebenenfalls zudem mit einer Geldstrafe zu belegen – alles im Vorfeld des Spiels wohlgemerkt.
effzeh.com: Wow, das klingt nach einem unverhältnismäßig großen Aufwand für die Behörden.
Ja, wie viele Beamte da beschäftigt sind, würde uns auch mal interessieren. Da wird sich auf jeden Fall große Mühe gegeben. Um mal auf das Dietmar-Hopp-Verfahren zurückzukommen: Wenn man sich überlegt, wie viele Menschen beim Hoffenheim-Spiel im Stadion waren und wie viel Arbeit das gewesen sein muss, sich jeden von den rund 3000 Menschen auf Band anzuschauen und dann 21 Leute zu identifizieren. Und diese Mühe haben die sich ja nicht nur mit den Kölnern gemacht, das haben sie auch mit der Dortmunder und der Berliner Fanszene gemacht. Auch dort sind Anzeigen wegen Beleidigung der Person Hopp eingegangen.
effzeh.com: Erfüllen den Stadionverbote ihren Zweck? Was wollen Vereine damit erreichen?
Wir sind grundsätzlich gegen Stadionverbote. Diese sollen ja eigentlich eine zivilrechtliche Präventivmaßnahme sein, tatsächlich handelt es sich aber um eine rein repressive Maßnahme. Die Vereine wollen damit ausdrücken, dass sie damit potentielle Störer aus den Stadien raus haben wollen – egal ob diese verurteilt werden oder nicht. Wir sagen aber: Es ist immer besser, die Leute dabei zu haben, als sie draußen zu lassen.
effzeh.com: Stichwort Polizeigesetz in NRW. Im Dezember hat der Landtag das neue, deutlich schärfere Polizeigesetz verabschiedet. Auf welche Neuerungen müssen wir uns einstellen?
Bei jedem Heimspiel kann die Polizei nach §12a PolG NRW ab sofort im Vorfeld eines Spiels einen Bereich ums Müngersdorfer Stadion als Gefahrenbereich deklarieren und darf dann verhaltensunabhängige Identitätsfeststellungen durchführen. Das heißt, es muss gar kein Anfangsverdacht bestehen, dass jemand eine Straftat begangen hat. Die Polizei darf jede Person, die sich in diesem Gebiet befindet, anhalten, kontrollieren und durchsuchen – auch das Auto dieser Person, wenn diese mit einem unterwegs ist. Vorher war dazu ein richterlicher Beschluss nötig, das ist jetzt nicht mehr so – wenn das Gebiet als Gefahrenbereich deklariert wurde. Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass bereits die simplen und nicht immer nachvollziehbaren Identitätsfeststellungen, die bislang an das Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte geknüpft waren, dafür sorgen, dass teilweise große Teile von Fans ganze Spiele verpassen, weil sie sich in einer solchen Maßnahme befinden. Auch Aufenthaltsvorgaben wie Hausarrest oder Kontaktverbote können die Beamten nach §34b Abs. 1 PolG NRW verhängen, sofern eine terroristische Straftat zugrunde liegt.
effzeh.com: Was kann einem denn jetzt noch passieren?
Durch die Änderungen der §§35gg PolG NRW kann die Polizei jetzt Personen nicht mehr „nur“ 48 Stunden in Gewahrsam nehmen, sondern je nach Vorwurf bis zu 28 Tage wegsperren. Das stellt einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen dar und kann heftige Auswirkungen auf den Job oder die Familie haben.
Man fragt sich da halt schon, welchen präventiven Zweck es erfüllen soll, wenn jemand 24 Stunden nach dem Heimspiel noch in Gewahrsam sitzt. Das ist zum Glück noch nicht vorgekommen, aber rein rechtlich ist es jetzt möglich, eine Person bis montags um 7 Uhr festzuhalten, wenn das Spiel am Samstag um 15:30 Uhr stattgefunden hat.
effzeh.com: Stimmen da noch die Relationen?
Nein, darum sind wir ja alle letzten Sommer auf die Straße gegangen und haben gegen das verschärfte Polizeigesetz demonstriert. Man kann gegen das Gesetz aber erst klagen, wenn man selbst davon betroffen ist. Wir müssen einfach schauen, was die Zukunft und vor allem die laufende Saison mit sich bringt.
effzeh.com: Was erwartet ihr denn für die laufende Saison?
Wir schwanken zwischen der Hoffnung, dass sich für Fußballfans nicht viel ändert, und der Angst, dass wir Fußballfans jetzt als Testpersonen für das neue Polizeigesetz gelten und die volle Bandbreite zu spüren bekommen.
effzeh.com: Wie kommt es denn, dass Fußballfans eine so schlechte Lobby haben?
Wir sind einfach die kleinste Stimme und von Presse und Polizei in den vergangenen Jahren immer wieder schlecht geschrieben worden. Wir haben einen schlechten Ruf und wenn in der Presse jemand als „Hooligan“ bezeichnet wird, der weder verurteilt noch ein Hooligan ist, dann schert das niemanden. Wenn man sich Stadionverbote und Verurteilungen in absoluten Zahlen anschaut, merkt man, dass an dem schlechten Bild nichts dran ist. Wir haben das Gefühl, dass da oftmals die Gesellschaft ein falsches Bild von Fußballfans hat.
Wenn die Journalisten in der Zeitung den Polizeibericht ungeprüft übernehmen und dann schreiben, jemand hätte im Stadion „stark randaliert“, weil er gerade zufällig da stand, wo etwas passiert ist, dann wirft das ein schlechtes Licht auf alle Fans. Hinzu kommt, dass vielleicht viele junge Fans schlichtweg nicht die finanziellen Mittel oder die Verbindung zu guten Anwälten haben, gegen solche Falschdarstellungen vorzugehen. Darum sind Fanhilfen immer hilfreich. Denn wir haben Kontakte zu engagierten Anwälten. Und wir bringen unter Umständen das Geld auf, um dagegen vorzugehen.
Das schlechte Image ist auch der Grund, warum die Polizei sich verhalten kann, wie sie sich verhält – Stichwort Polizeigewalt: Wenn man versucht, gegen Polizeigewalt vorzugehen und zur Anzeige zu bringen, dann, so unsere Erfahrung, werden die Kollegen zur Hilfe eilen und den betreffenden Beamten decken. Auf jede Anzeige gegen einen Polizisten bekommt man reflexartig eine Gegenanzeige. Im Zweifel wird der Richter immer den Beamten glauben. Das ist das Problem. Das ist ein Kernproblem unserer Gesellschaft.
effzeh.com: Warum ist es wichtig, mit anderen Fanhilfen zusammenzuarbeiten?
Wir sind bundesweit gut vernetzt und treffen uns in regelmäßigen Abständen mit anderen Fanhilfen in Deutschland. Das ist total wichtig. Wir unterstützen uns gegenseitig. Beispielsweise, wenn wir ein Auswärtsspiel in Niedersachsen hätten, würden wir uns im Vorfeld z. B. mit der Fanhilfe Hannover austauschen und abklären, was im niedersächsischen Polizeigesetz für Änderungen stehen, die uns betreffen könnten. Aber mit den anderen acht Fanhilfen in NRW stehen wir auch im Austausch. Der neue Flyer über das Polizeigesetz ist in Zusammenarbeit mit der Fanhilfe Dortmund entstanden. Den Inhalt haben wir den anderen NRW Fanhilfen zur Verfügung gestellt. Den Entwurf kann jede Fanhilfe mit ihrem eigenen Layout und den eigenen Vereinsfarben nutzen. So werden Synergien geschaffen, von denen alle profitieren.