Hüben wie drüben: Jörg Heinrich | OneFootball

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1. FC Köln

·21. November 2020

Hüben wie drüben: Jörg Heinrich

Artikelbild:Hüben wie drüben: Jörg Heinrich

Jörg Heinrich spielt im Alter von 24 Jahren noch in der Oberliga. Vier Jahre später wird er zum teuersten deutschen Fußballspieler. Er wird zweimal Deutscher Meister und gewinnt die Champions League. Danach wechselt er zum 1. FC Köln, spielt später in der vierten Liga für Union Berlin und eröffnet zwei Sportgeschäfte. Im Gespräch lässt er seine ungewöhnliche Karriere Revue passieren.

Wer in David Beckhams Biografie blättert, stößt auf einen Namen, den dort wohl die wenigsten vermuten würden: Jörg Heinrich. „Gegen ihn zu spielen, war so schwierig wie gegen keinen anderen“, schreibt der englische Superstar in seinem Buch. „Damit hat Beckham recht“, sagt Jörg Heinrich und beginnt zu lachen. „Ich formuliere es mal so: Ich hätte auch nicht gerne gegen mich gespielt.“


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Heinrich und Beckham stehen sich 1997 im Halbfinale der Champions League binnen weniger Wochen zweimal gegenüber. Heinrich spielt links hinten für Borussia Dortmund, Beckham stürmt über rechts für Manchester United. Zumindest versucht er es. Denn andauernd stibitzt Heinrich dem Engländer den Ball vom Fuß, wenn dieser gerade eine seiner gefürchteten Flanken schlagen will. Heinrich kämpft unermüdlich, gibt keinen Ball verloren. Nicht nur in den beiden Partien gegen United, sondern immer, wenn er auf dem Platz steht. Heinrich und der BVB besiegen den englischen Meister in Hin- und Rückspiel, treffen im Finale auf Juventus Turin – und gewinnen die Champions League. Einige Monate später in Tokyo sogar den Weltpokal. Als Protagonist macht Heinrich auf der großen internationalen Bühne von sich Reden.

Drei Jahre zuvor spielt der Blondschopf noch im Hinterhoftheater. In der Oberliga. In Emden. Dorthin war der beidfüßige Außenverteidiger, der in Rathenow, einer kleinen Stadt in Brandenburg geboren ist, nach der Wende gewechselt. Im Alter von 24 Jahren wird er im Trikot der Kickers Emden in der Oberliga Nord zum Spieler der Saison 1993/94 gewählt. Der SC Freiburg wird auf Heinrich aufmerksam und verpflichtet ihn.

Teuerster deutscher Fußballer des 20. Jahrhunderts

Im Breisgau bleibt Heinrich eineinhalb Jahre, ehe er zu Borussia Dortmund wechselt. Mit dem BVB wird er auf Anhieb Deutscher Meister. Er debütiert für die deutsche Nationalmannschaft, mit der er 1998 zur WM fährt. Dass es sein einziges großes Turnier im DFB-Dress bleiben würde, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vielmehr umtreibt ihn der Gedanke an einen Vereinswechsel. Namhafte Vereine, darunter der FC Bayern, Atletico Madrid und Arsenal, buhlen um Heinrichs Dienste. Letztlich zieht es den Nationalspieler in die Toskana. Der AC Florenz bezahlt 25 Millionen Mark. Bis 2007 zahlt kein Verein eine höhere Ablösesumme für einen deutschen Spieler. Heinrich geht als teuerster deutscher Fußballer des 20. Jahrhunderts in die Geschichte ein, spielt in Italien mit Weltstars wie Batistuta, Rui Costa und Mijatovic zusammen. Er wird auf Anhieb Stammspieler, absolviert in zwei Jahren 57 Spiele. Florenz aber übernimmt sich finanziell und ist kurz nach der Jahrtausendwende gezwungen, seine Stars zu verkaufen.

Heinrich kehrt zum BVB zurück, obwohl ihm erneut eine Anfrage des FC Bayern vorliegt. Er wird 2002 abermals Deutscher Meister und von Rudi Völler ins Aufgebot der Nationalmannschaft für die WM in Japan und Südkorea berufen. Nach drei Faserrissen fühlt sich Heinrich vor dem Turnierstart aber nicht fit. Einen Tag vor dem Abflug informiert er Völler über seinen Entschluss, nicht an der WM teilzunehmen. Deutschland wird Vize-Weltmeister – ohne Heinrich. „Ich war der Meinung, dass ich nicht vier Wochen irgendwohin fliegen muss, wenn ich dem Team nicht helfen kann. Im Trainingslager kam ich nicht nur einen, sondern permanent fünf bis zehn Schritte zu spät.“

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„Wusste, was beim FC abgehen kann“

In der Folgesaison kommt Heinrich bei Dortmund noch auf 27 Pflichtspiel-Einsätze, fällt wegen kleinerer Verletzungen des Öfteren aus. Sein Vertrag beim BVB endet und er sucht eine neue Herausforderung, die er im Sommer 2003 beim Bundesliga-Rückkehrer 1. FC Köln findet. „Ich fand das Projekt nach dem Wiederaufstieg sehr reizvoll. Ich hatte zuvor schon einige Male in Köln gespielt und wusste, was da im Stadion so abgehen kann.“ Sportlich aber läuft es dürftig. Heinrich ist zwar Stammspieler, kommt häufig im linken oder rechten Mittelfeld zum Einsatz, aber der FC befindet sich im Abstiegskampf. Ab dem 21. Spieltag ist der Club durchgängig Tabellenletzter und steigt mit nur 23 Punkten ab. „Es wurde teilweise auf das falsche Pferd gesetzt. Es gab Trainerwechsel, die vielleicht nicht hätten sein müssen.“

Funkel, Luhukay, Koller. Drei Trainer in einer Saison, doch keiner vermag die Wende einzuleiten. „Es war eine Zeit, in der es sehr unruhig war rund um den Verein. Da wurde zu schnell gehandelt, vielleicht auch getrieben durch die Öffentlichkeit“, erinnert sich Heinrich, der dennoch gerne an seine Zeit beim FC zurückdenkt. „Wer einmal beim FC und in Köln Fußball gespielt und die Stimmung erlebt hat, vergisst den Verein und die Stadt nicht.“ Besonders die Herzlichkeit der Menschen und deren bedingungslose Liebe zum FC haben Heinrich nachhaltig beeindruckt. „FC-Fans kommen immer. Die gehen nicht nur einmal im Jahr ins Stadion, um etwas Schönes zu sehen. Es spielt keine Rolle, wer der Gegner ist. Das Stadion ist immer voll. Das macht den FC so speziell.“

Im Alter von 34 Jahren endet nach dem Abstieg seine Zeit beim FC und in der Bundesliga. 205 Pflichtspiele absolviert er in der höchsten deutschen Spielklasse. Sein Abschied von der großen Fußballbühne ist ein stiller, seine Karriere als Fußballer aber nicht beendet. Um nicht abrupt mit dem Leistungssport aufzuhören, schließt er sich zur Saison 2004/05 in der Nähe von Berlin dem Ludwigsfelder FC an. Beim Oberligisten kickt Heinrich zweimal die Woche mit. Muskulatur und Sportlerherz will er so langsam abtrainieren. „Und wie das dann so ist: Aus zweimal wurden dreimal, und irgendwann hieß es dann, dass ich am Wochenende auch mitspielen kann, wenn ich eh so häufig komme.“

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Oberliga-Meister mit Union Berlin

Drei Spieltage vor Saisonende tritt Heinrich mit Ludwigsfelde in Babelsberg an. „Bei Babelsberg spielte damals der ehemalige Bundesliga-Profi Jörg Schwanke. Er ist mir permanent über den gesamten Platz hinterhergelaufen. Ich dachte mir nur: ‚Was ist denn hier los?‘“, erinnert sich Heinrich. „Irgendwann sagte er zu mir: ‚Mensch, ich mach‘ in der nächsten Saison noch ein Jahr Union, denen geht es nicht so gut. Willste auch mithelfen?‘“

Heinrich lässt sich ein paar Tage Bedenkzeit, dann sagt er zu. „Union Berlin als Marke reizte mich damals“, sagt Heinrich, der unweit der Hauptstadt wohnt. „Einmal quer durch Berlin, dann war ich bei Union“, erzählt er. „Union war gerade in die Oberliga abgestiegen. Es war die sportlich schwierigste Phase in der Geschichte des Vereins.“ Dort, wo die Union-Mannschaft in der Spielzeit 2005/06 unweit der Stadtforste auf einem ackerähnlichen Geläuf trainiert, befinden sich heute Parkplätze. Umziehen mussten sich die Spieler in einem Container-Gebäude. „Das wurde damals provisorisch aufgestellt. In den Duschen haben wir kaum Luft bekommen, so muffig und schmutzig waren die“, erzählt Heinrich. „Aber es war cool, so etwas mal mitzuerleben.“

Sportlich geht es für Union in der Saison 2005/06 mit Spielern wie Heinrich, Mattuschka und Benyamina bergauf. Als Oberliga-Meister gelingt die Rückkehr in die Regionalliga. „Unsere Mannschaft war überdurchschnittlich gut. Wir konnten selbst steuern, wie die Spiele ausgehen.“ Vor rüden Fouls von Gegenspielern, die es einem ehemaligen Nationalspieler mal zeigen wollen, muss sich Heinrich nicht in Acht nehmen. „Ich war ja viel zu schnell für die anderen. Mich hat ja gar keiner bekommen“, sagt er lachend.

Nach dem Aufstieg hört Heinrich als Spieler auf – vorerst. Ein halbes Jahr lang ist er bei Union als Sportdirektor tätig. „Aber hinter dem Schreibtisch zu sitzen war nicht meins. Ich bin lieber auf dem Platz.“ Und dorthin kehrt er schon wenig später zurück, weil er seinen Sandkastenfreunden einen großen Wunsch nicht abschlagen kann. Seine Freunde aus Jugendzeiten bitten Heinrich, nochmal mit ihnen in Rathenow zusammenzuspielen. Und so führt Heinrichs Weg zurück zu seinem fußballerischen Ursprung. In der Landesliga ist sein sportlicher Ehrgeiz immer noch groß, wegen vermeintlichen Meckerns wird Heinrich einmal sogar des Feldes verwiesen. Der Schiedsrichter zückte die rote Karte damals mit den Worten: „So Heinrich, deine Zeit ist vorbei.“ Bis heute kann der ehemalige Nationalspieler darüber nur schmunzeln. „Ich habe normal mit dem Schriri diskutiert, aber der war immer gleich beleidigt. Vielleicht war er auch Bayern-Fan, wer weiß.“

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Co-Trainer von Peter Stöger

Einige Monate nach diesem Vorfall beendet Heinrich tatsächlich seine Karriere. Nicht aus Gefallen zum Schiedsrichter, sondern weil es mit 41 Jahren an der Zeit ist. 2012 schließt er die Ausbildung zum Fußballlehrer ab und beginnt, in der Regionalliga den BSC Rathenow zu trainieren. Zusätzlich eröffnet er in Berlin und Rathenow zwei Sportgeschäfte. „Wenn man sich plötzlich nicht mehr um zehn Uhr morgens in der Kabine umziehen muss, kann ein Tag schon mal lang werden. Da kam mir die Idee mit den Sportgeschäften.“ Viel Zeit, um die Kunden im Laden selbst zu beraten, bleibt aber nicht mehr. In der Saison 2017/18 ist Heinrich an der Seite von Peter Stöger für ein halbes Jahr Co-Trainer der BVB-Profis. Noch heute ist er für Dortmund als Markenbotschafter tätig. Doch auch den FC und Union verfolgt er weiter intensiv. „Für den FC geht es darum, drin zu bleiben. Ich hoffe, dass das Publikum irgendwann wieder helfen kann. Ich drücke jedenfalls die Daumen.“

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