Holstein Kiel vs. FC St. Pauli 3:4 – King of The Chaos | OneFootball

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·24. Februar 2024

Holstein Kiel vs. FC St. Pauli 3:4 – King of The Chaos

Artikelbild:Holstein Kiel vs. FC St. Pauli 3:4 – King of The Chaos

Der FC St. Pauli gewinnt ein überragendes Fußballspiel gegen Holstein Kiel mit 4:3, spielte im ersten Abschnitt bundesligareif, musste am Ende aber gegen starke Kieler zittern.(Titelbild: Peter Boehmer)

Seien wir mal ehrlich: Spitzenspiele sind zwar oft auf dem Tableau Spitzenspiele, aber das Spiel selbst und der Spielverlauf sind dann leider viel zu oft genau das nicht. Weil sich beide Teams der Stärken des Gegners bewusst sind und primär darauf achten, diese in den Griff zu bekommen. Was aber am Freitagabend bei der Partie zwischen Holstein Kiel und dem FC St. Pauli zu sehen war, verdient diesen Titel auf fast allen Ebenen. Es war ein Fußballfest. Und die Party danach war umso größer, weil der FCSP es gewonnen hat.


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Die Aufstellung

Zwei Veränderungen gab es in der Startaufstellung des FC St. Pauli, eine davon darf als Überraschung bezeichnet werden. Erwartet wurde, dass Connor Metcalfe den gesperrten Elias Saad ersetzen wird. Metcalfe startete auf der rechten Offensivseite. Dapo Afolayan rückte dafür auf die Stammposition von Saad, die linke Seite.

Kemlein ersetzt Eggestein

Überraschend war die Aufstellung von Aljoscha Kemlein anstelle von Johannes Eggestein. Kemlein spielte aber nicht im Sturmzentrum, sondern auf der Doppelsechs neben Jackson Irvine. Im Angriffszentrum startete Marcel Hartel. Fabian Hürzeler erklärte die Veränderung in der Offensive auch damit, dass er das Gefühl hatte, Eggestein würde mal eine Pause benötigen. Wichtiger waren aber die etwas andere Spielweise und Positionierung von Hartel.

Bei Holstein Kiel gab es keine Veränderungen in der Startelf im Vergleich zum 4:0-Auswärtserfolg beim SC Paderborn. Finn Porath hatte also seine leichte Blessur überwunden und startete von Beginn an. Angreifer Alexander Bernhardsson stand nach überstandener Infektion wieder im Kader und auch Kapitän Philipp Sander war wieder mit an Bord, saß aber erst einmal auf der Bank.

Artikelbild:Holstein Kiel vs. FC St. Pauli 3:4 – King of The Chaos

Aufstellung beim Spiel Holstein Kiel gegen FC St. Pauli.

KSV: Weiner – Erras, Becker, Kleine-Bekel – Porath, Remberg, Schulz, Rothe – Holtby – Skrzybski, Machino

FCSP: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas, Kemlein, Irvine, Treu – Metcalfe, Hartel, Afolayan

Erste Halbzeit im Rausch

Beim FC St. Pauli positionierte sich Kemlein auf der rechten Defensivseite, Irvine spielte ungewohnt auf links. Diese Doppelsechs sollte einiges zu tun bekommen während des Spiels. Sofort mit Anpfiff wurde deutlich, mit welch unterschiedlichen Spielkonzepten beide Teams unterwegs waren. Der FCSP versuchte sich im kontrollierten Spielaufbau. Das funktionierte in den ersten Spielminuten gar nicht mal so gut.

Holstein Kiel stellte sich dem FC St. Pauli in einem 4-3-3 entgegen. Je nachdem, wie man die Rolle von Lewis Holtby interpretiert, kann man auch eine Mittelfeldraute draus machen. Da das Trio Porath-Schulz-Remberg aber klar auf einer Linie gegen den Ball agierte und Holtby oft zwischen den beiden Kieler Angreifern, bleibe ich beim 4-3-3. Diese Formation ist sehr stark auf das Zentrum fokussiert. Gegen den FCSP, der gerne über das Zentrum aufbaut, alles andere als eine blöde Idee.

Viel Umschaltgefahr

Das Pressing der Kieler im Zentrum war sehr druckvoll und gut abgestimmt. Einfache Bälle aus der Innenverteidigung oder von der Außenbahn ins Offensivzentrum gab es für den FC St. Pauli nicht. Das Team verlor zu Spielbeginn eine Reihe von Bällen. Wenn die Kieler dann im Ballbesitz waren, ging es in höchstem Tempo nach vorne und das sorgte für einige Probleme beim FCSP. Denn die teilweise hohe Positionierung von Kemlein und Irvine, die beide in den offensiven Halbräumen auf Zuspiele warteten, war nicht so vorteilhaft, wenn der Ball verloren wurde. Auffällig war dabei aber, welche Absicherung es für diese hohe Positionierung gab: Direkt nach Ballverlust sprintete Philipp Treu immer erstmal ins Zentrum, sicherte den Sechserraum damit ab. So konnte der FCSP dem Kieler Umschaltspiel etwas den Wind aus den Segeln nehmen.

Der FCSP brauchte ein wenig, um sich an diese Spielweise zu gewöhnen, kam dann aber im Verlauf der ersten Halbzeit immer besser damit zurecht. Man habe die Kieler in genau dieser Formation und diesem Spielansatz erwartet, erklärte Fabian Hürzeler nach Spielende. Vielmehr schien sich das Team auf die Wucht des Kieler Spiels einstellen zu müssen. Und auch eine kleine taktische Anpassung nahmen sie nach den ersten druckvollen Minuten von Holstein Kiel vor.

Fokus auf die Außenbahn

Wie man gegen eine Mittelfeldraute spielt, weiß Fabian Hürzeler ziemlich genau. Die hohe Positionierung der Achter ist dabei von zentraler Bedeutung, weil man damit Entscheidungsdruck auf die Achter des Gegners erzeugt. Die müssen dann nämlich eigentlich tiefer fallen, weil ihre Gegenspieler in ihrem Rücken positioniert sind. Eine weitere taktische Anpassung beim FCSP wurde im Spielverlauf deutlich: Es wurde viel häufiger versucht, direkt die Linie runterzuspielen. Durch den Zentrumsfokus der Kieler ist etwas mehr Platz auf der Außenbahn. Die Kieler mussten entsprechend viel investieren, viel verschieben, um die Lücken zu schließen. Dadurch boten sich dann aber wieder Verlagerungen an. Der FC St. Pauli zeigte beides, Verlagerungen und tiefe Zuspiele auf der Außenbahn.

Je länger die erste Halbzeit dauerte, umso besser fand das Team von Fabian Hürzeler in die Partie. Das 1:0 durch Afolayan kam zwar noch etwas überraschend und Kiel hätte danach durch einen Standard eigentlich ausgleichen müssen, aber die Führung tat dem FCSP spürbar gut. Und was dieses Mal richtig, richtig gut funktionierte, war das Locken der Gegenspieler durch das Abwarten der Innenverteidiger. Immer wieder traten Wahl und Mets auf den Ball, die Kieler ließen sich aber oft nicht locken, verharrten im 4-3-3, wenn es keinen Pressingauslöser gab.

Kiel wird in die Falle gelockt

Das bedeutet nicht, dass Holstein Kiel seine Gegenspieler nicht hoch anlief. Vor dem 1:0 zum Beispiel versuchten sie das. Der FCSP befreite sich aus dem hohen Pressing richtig stark, sodass eine Flanke von Kemlein in den Kieler Strafraum segelte, der zweite Ball über Umwege bei Afolayan landete und dieser sich nicht lange bitten ließ. Aber wie wichtig es ist, dass es sich beim Verhalten im Pressing um eine gemeinsame Aktion handeln muss, zeigte sich in der 34. Minute.

Denn da liefen die Kieler eigentlich nicht hoch an. Steven Skrzybski ließ sich aber von Hauke Wahl locken, lief auch zu Nikola Vasilj durch, der den Rückpass von Wahl direkt wieder zum Ex-Kieler spielte. Und da außer Skrzybski niemand sonst im Kieler Trikot hoch anlaufen wollte, hatte Wahl nun Platz, richtig viel. Er dribbelte an, spielte die Linie runter zu Metcalfe (eben nicht durch das Zentrum). Nach einem Doppelpass mit Saliakas flankte Metcalfe dann ins Zentrum, wo Hartel in allerbester Mittelstürmer-Manier verwertete. Ein wunderschönes Tor.

Noch wunderschöner wurde es dann nichtmal 120 Sekunden später: Holtby spielte einen fatalen Pass in Richtung Innenverteidiger Erras. Der klärte unglücklich in Richtung Hartel, der mit einem Kontakt Afolayan auf die Reise schickte – 3:0! Der FC St. Pauli hatte sich in dieses Spiel nicht nur hereingearbeitet, er hatte Holstein Kiel auch schon früh einen heftigen Niederschlag zugefügt. Denn wie soll man bitte gegen diesen FCSP, die stärkste Defensive der Liga drei Tore erzielen? Das ist ewig nicht mehr passiert, nämlich seit… seit… Moment! Seit dem letzten Auftritt des FC St. Pauli in Kiel. Kommt mit in eine aufregende zweite Halbzeit.

Artikelbild:Holstein Kiel vs. FC St. Pauli 3:4 – King of The Chaos

Dapo Afolayan erzielte im Spiel gegen Holstein Kiel seinen ersten Doppelpack im Trikot des FC St. Pauli.

(c) Peter Boehmer

Kiel will Chaos, Kiel bekommt Chaos

KSV-Trainer Marcel Rapp war nach Abpfiff anzumerken, dass er Probleme hatte, diese Partie richtig einzuordnen. Klar, da war der Ärger über die Fehler vor den Gegentoren. Aber in seinen Worten auf der Pressekonferenz schwang auch eine gehörige Portion Stolz mit. Stolz, dass man in so einem Spiel noch einmal so zurückkommen konnte. Stolz, dass das Team so eine große Moral zeigte und fast noch zum, ehrlich gesagt verdienten, Ausgleich gekommen wäre.

Dabei muss Marcel Rapp nicht nur stolz auf sein Team sein, sondern auch auf alle, die diesen Matchplan der Kieler entworfen haben. Denn das 4-3-3 hat zwar seine Schwächen, die der FCSP im ersten Abschnitt auch stark offenlegte. Aber eine zentrumslastige Formation hat auch den Vorteil, dass es viele eigene Spieler im Zentrum gibt. Und genau diese Vielzahl an Spielern konnten die Kieler für sich nutzen. Womit wir wieder bei der Doppelsechs des FC St. Pauli wären.

Mutige Rotation

Die wurde nämlich in der zweiten Halbzeit vor etliche Entscheidungen gestellt. Konstant. Stakkatoartig. Zur Halbzeit brachte Kiel mit Philipp Sander den etatmäßigen Kapitän im Zentrum. Der machte dann zusammen mit Remberg, Holtby und Porath im Zentrum das, wovor Fabian Hürzeler vor der Partie warnte: Sie erzeugten Chaos durch stete Rotation und zerrissen damit die Kompaktheit der FCSP-Defensive. Ich kann gar nicht genau sagen, wer dieser vier Spieler nun auf welcher Positon zu verorten war. Remberg vielleicht als der defensivste von allen. Aber auch er war oft auf Abwegen. Sander turnte auch mal rechts vorne herum. Holtby links hinten oder als Libero. Porath war vorne ebenfalls auf vielen Positionen zu finden. Dem FC St. Pauli blieb also nichts anderes übrig, als ausschließlich im Raum zu verteidigen. Und das, wo die eigene Doppelsechs eigentlich im Pressing auch gerne mal mannorientiert agiert.

Durch die steten Rotationen entstand ein ziemliches Chaos auf dem Spielfeld. Für Kiel nicht ohne Risiko bei Ballverlusten, aber wenn Du schon 0:3 oder 1:4 hinten liegst, dann ist das auch fast egal. Der Mut des Teams und das Vertrauen in diese Abläufe war auf jeden Fall bemerkenswert. Ich muss zugeben, dass ich Holstein Kiel in dieser Saison hauptsächlich als umschaltstarkes Team wahrgenommen habe. Dass sie im Spielaufbau so einen Tanz aufs Parkett legen können (sie spielten über 700 Pässe), fand ich sehr beeindruckend. Das war richtig guter, chaotischer Fußball.

FC St. Pauli entlastet nur einmal – zum 4:1

Beeindruckt waren auch die Spieler des FC St. Pauli, die nun fast gar nicht mehr zu eigenen Ballbesitzphasen von mehr als ein paar Sekunden kamen. Es gab folglich keine Entlastung mehr, die risikoreiche Kieler Spielweise konnten sie nur ein einziges Mal ausnutzen, zum 4:1 nämlich. Sonst war nur noch Stress auf dem Platz für den FCSP. Die Kieler mussten nicht mehr gelockt werden von den Innenverteidigern, sie waren da. Und in diesem Stress war da dann auch noch ein Gegner, der ständig Chaos stiftete. Das gewünschte wilde Spiel, 45 Minuten lang Züngeln an der Starkstromleitung, haben die Kieler auf jeden Fall bekommen.

Artikelbild:Holstein Kiel vs. FC St. Pauli 3:4 – King of The Chaos

Immer weiter Spitzenreiter – die Spieler des FC St. Pauli feiern die drei Punkte in Kiel ausgiebig vor der Gästekurve.

(c) Peter Boehmer

Und dann ist es in so einem Spiel auch egal, wer da gegen wen spielt und wie es eigentlich gerade steht. Alles war möglich. Kiel kam verdient bis auf das 3:4 ran, weil der FC St. Pauli viele zweite Bälle abgab und kaum mehr entlasten konnte (und weil Nikola Vasilj 1,5 Mal nicht gut aussah). Erst kurz vor Ende gab es wieder eigene Torchancen, der Lattentreffer von Carlo Boukhalfa dürfte wohl den Preis für das schönste Fast-Tor der Saison erhalten. Zu diesem Zeitpunkt hätte Kiel aber auch bereits den Ausgleich erzielt haben können. Der Abpfiff nach 96 hochintensiven Minuten fühlte sich in jedem Fall wie eine Erlösung an.

Oberhand im Spitzenspiel

Dieses Spitzenspiel hat den Titel Spitzenspiel auf jeden Fall verdient. Und beide Teams haben zeigen können, warum sie aktuell auf den ersten beiden Plätzen der Liga stehen. Neutrale Beobachter*innen dürften voller Freude zugeschaut haben. Ich persönlich habe ziemlich gelitten.Der FC St. Pauli spielte nach leichten Anlaufschwierigkeiten eine ganz starke erste Halbzeit. Kiel wiederum drückte im zweiten Abschnitt mit Mut und Selbstvertrauen das Chaos durch. Der FCSP behielt am Ende aber die Oberhand, weil das Team alles reinschmiss, was die Körper hergaben, lief sagenhafte 133 Kilometer an diesem Abend. Und konnte am Ende, unter größtem Einsatz, drei Punkte aus Kiel mitnehmen.

Somit holte der FC St. Pauli richtige Big Points im Aufstiegskampf. Kiel ist jetzt sechs Punkte weg, der Rest kann auf maximal sieben Punkte rankommen. Da gibt es aktuell nur eine Richtung, in die es geht. Der FCSP setzt sich weiter von der Konkurrenz ab. Und trotzdem muss ganz genau darauf geschaut werden, warum man in den letzten Partien (Magdeburg, Braunschweig, Kiel) immer wieder Probleme hatte. Gerade jetzt, bei dieser Ausgangslage, darf nicht nachgelassen werden. Kein bisschen.Immer weiter vor!// Tim

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