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·13. September 2022

Die drei ??? und das Diamantenauge

Artikelbild:Die drei ??? und das Diamantenauge

Nicht das übliche Pressegespräch hinter verschlossenen Türen, keine aufgezeichnete Pressekonferenz, sondern ein Livestream: Es war eine große Show, in der die zwei Ex-Weltmeister Sami Khedira und Philipp Lahm sowie der ehemalige Meisterspieler Christian Gentner vorgestellt wurden. Die Personalien machen die besseren Zeiten des VfB sofort wieder lebendig. Wer jetzt nicht Manchester United und Cottbus vor sich sieht, dem ist nicht zu helfen. Aber was genau dieser Nostalgie-Move soll, was genau dahinter steckt und was genau die drei konkret zum zukünftigen Erfolg beitragen sollen, ist weiterhin unklar. Letztlich blieben nach dieser Veranstaltung in erster Linie Fragezeichen – mehr als nur drei:

Braucht der erfahrene Vorstandsvorsitzende wirklich gleich zwei Berater? Wird der VfB Stuttgart zum Ausbildungsverein für Managementkräfte? Warum investiert man offenbar viel Zeit und Energie in diese Personalien, während andere Entscheidungen dringender sind? Warum erweitert man ohne offensichtlichen Grund ein offenbar gut funktionierendes Team? Welchen Einfluss hat die Verpflichtung der Legenden auf Mislintat?


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Stellvertretend für manch gut klingende, aber dann doch substanzlose Aussage während der Show, hier ein Statement von Philipp Lahm: “Was wir verbessern und entwickeln können, werden wir hier im Gespräch führen. Wir treffen keine Entscheidungen, sondern stellen unsere Kompetenz zur Verfügung. Dann muss der VfB schauen, was er daraus macht.“

Ja, was macht der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle daraus? Was bezweckt er mit dieser öffentlichkeitswirksamen Maßnahme? Was ist sein Motiv? Natürlich haben insbesondere Khedira und Lahm Erfahrungen gemacht, die kaum jemand sonst vorweisen kann. Dennoch ist zu hoffen, dass die Beratungen keine munteren Anekdoten aus vergangenen Tagen sind.  Wie das José Mourinho angegangen wäre, wann Jogi Löw högschde Konzentration forderte, und wie es sich anfühlt, die Champions League zu gewinnen. Und hoffentlich argumentiert dann Wehrle nicht in Aufsichtsratssitzungen „aber der Sami hat gesagt …“ und „Philipp meint, …“. Es wirkt jedenfalls alles ziemlich eitel, in erster Linie jedoch unausgegoren, unkonkret und unergiebig. Die beiden Weltmeister sollen weniger operativ arbeiten, sondern strategisch beraten. Aber in die kommende Transferperiode sollen sie sich einbringen. Lahm möchte gar dafür sorgen, dass der VfB wieder mehr Spiele gewinnt als verliert. Ja, was jetzt? Bringt er sich am Ende gar als Sosa-Nachfolger ins Spiel?

Natürlich ist es clever und sinnvoll, die Strahlkraft der beiden Ex-Weltmeister für den VfB zu nutzen. Khedira und Lahm haben ein überragendes Standing und ziemlich sicher ebenso gute Kontakte. Das öffnet Türen und womöglich auch Wehrle persönlich Horizonte. Eine Einbindung der beiden macht Sinn. Die entscheidende Frage ist also nicht ob, sondern wie. Und so wie es auf der PK präsentiert wurde, wirkte es leider wenig durchdacht, leider fast schon amateurhaft.

Wahrscheinlich wäre jeder andere Club froh, solche Legenden einbinden zu können. Wehrle hätte auch Armin Veh und Horst Heldt zurück holen können (so unrealistisch ist das nicht!). Aber das Aufgabenfeld der drei ehemaligen Spieler besteht letztlich aus drei Fragezeichen, vor allem bei Christian Gentner.

Die drei Personalien haben zwangsläufig auch Einfluss auf die Zukunft von Sven Mislintat beim VfB. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Sportdirektor intern kritisch gesehen wird. Weil er zu eigenwillig, zu schwierig, zu fordernd ist? Offensichtlich wurde er im Vorfeld nicht eingebunden, was besonders bei der Personalie Gentner irritierend ist, der als Leiter Lizenzspielerabteilung unter Mislintat und mit Markus Rüdt und Pellegrino Matarazzo arbeiten soll. Diese Vorgehensweise ist je nach Sichtweise provokant, unsensibel oder gedankenlos.

Zudem wurde Gentner ohne exakte Jobbeschreibung eingestellt: “Die Rollenverteilung müssen wir noch genauer definieren.“ So werden also in der Mercedesstraße Positionen besetzt? Nüchtern betrachtet würde Gentner bei allen anderen Vereinen maximal einen Praktikantenjob bekommen, oder? Aber immerhin hat man noch bis Januar Zeit, Gentners Profil “nachzuschärfen”, wie Jan Schindelmeiser damals so schön sagte, als Thomas Hitzlsperger als “Beauftragter des Vorstands in der Schnittstelle zwischen dem Lizenzspielerbereich und der Vereinsführung” vorgestellt wurde – und auch niemand wusste, was er eigentlich machen soll.

Es scheint fast, als wolle Alexander Wehrle mit Tradition und großen Namen ein Gegengewicht schaffen zu der Expertise, den Daten und der Impulsivität Mislintats. Ist das zeitgemäß? Ist das die gerne zitierte Einigkeit im Club? Dass man eine Fußball-AG nicht rund um einen Sportdirektor bauen kann, ist klar. Dass Mislintat längst nicht alles richtig macht, ist offensichtlich. Dass er einen Hang zu französisch-sprachigen Spielern hat und nach der Meinung von Rainer Adrion VfB-Jugendspieler links liegen lässt. Ja, und nicht alle seiner Transferideen sind aufgegangen. Seine Trefferquote kann sich jedoch sehen lassen. Klar ist aber auch: Er hat dem VfB teilweise den Arsch gerettet mit seinen Transferüberschüssen. Er hat dem VfB eine Identität zurückgegeben und ist auch zum Gesicht, Herz (und Bauch) des VfB geworden. Ist genau das womöglich ein Problem für manche beim VfB?

Jetzt schien es offensichtlich wichtiger zu sein, sich mit drei ehemaligen VfB-Spielern mit undefiniertem Aufgabenfeld zu schmücken, als mit Mislintat über die Verlängerung seines Vertrages zu sprechen. Die gewählten Prioritäten sagen etwas aus über das Standing von Mislintat innerhalb des VfB.

Gerade mal vier Monate nachdem sich alle in den Armen lagen, um den Klassenerhalt zu feiern, ist es also wieder turbulent in Stuttgart. Und wer die VfB-Fans kennt, der weiß: Sie werden vieles tun, aber eines nicht – sich nach dieser skurillen Pressekonferenz entspannen.

Martin vom Brustringtalk hat endlich wieder Bauchschmerzen.

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