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·15. Juli 2024
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Dass sich Lamine Yamal nur einen Tag nach seinem 17. Geburtstag zum Europameister krönen darf, liegt zu einem nicht ganz unwesentlichen Teil auch an ihm selbst. 90PLUS-Redakteur Michael Bojkov hat das spanische Juwel beim Finale gegen England (2:1) im Berliner Olympiastadion unter die Lupe genommen – und zeichnet ein Stück der Erfolgssträhne nach.
„The best young player of the EURO 2024 iiis …“ – während die über 10.000 spanischen Anhänger im Berliner Olympiastadion tosend applaudieren, übt sich Lamine Yamal noch in Zurückhaltung und Bescheidenheit. Doch als der Stadionsprecher dann seinen Namen sagt und ihn zur „kleinen“ Pokalübergabe auf die Bühne bittet, siegt ein breites Zahnspangenlächeln über den frisch gebackenen 17-Jährigen. Dass die persönliche Auszeichnung auch für ihn selbst an diesem Abend zur Randnotiz wurde, ist selbsterklärend. Yamal ist Europameister! Nicht mit der U19 oder U21, sondern mit der A-Nationalmannschaft Spaniens. Der jüngste Europameister der Geschichte. Dazu beigetragen hatte zu einem großen Teil auch er selbst. Denn beim 2:1-Sieg im Finale gegen England – das er ebenfalls als jüngster Startelf-Spieler aller Zeiten bei einem großen Turnier (EM und WM) bestritt –, legte er unter anderem den Führungstreffer auf. Doch von vorne …
2. Minute: Ein erstes Laufduell mit seinem heutigen Gegenspieler Luke Shaw, das der Engländer aber für sich entscheidet.
5. Minute: Seine erste auffällige Aktion der Partie gilt der Defensive. Auf der „falschen“ linken Seite erobert Yamal gegen Bukayo Saka den Ball.
10. Minute: Ansonsten orientiert sich der Ausnahmekönner vom FC Barcelona wie immer am rechten Flügel, wobei er bei gegnerischem Ballbesitz mit Dani Carvajal zusammen doppelt.
23. Minute: Eine Flanke von Yamal wird erst von Pickford abgefangen, ehe die Kugel schnell erneut beim Flügelspieler landet, diesmal aber in der englischen Abwehr endet.
30 Minute: So richtig zur Geltung kommt Yamal bislang noch nicht, was aber weniger an ihm selbst als an der grundsätzlichen Herangehensweise der Spanier liegt: Risiken vermeiden ist hier oberstes Gebot, entsprechend selten treten die Offensivspieler in Aktion.
34. Minute: Dass sich der 17-Jährige noch nicht ganz entfalten kann, liegt auch an seinem starken Widersacher: Yamal tritt stark über die rechte Seite an und zieht bis in den Strafraum, wird dort auf Höhe der Grundlinie aber fair von Shaw gestoppt. Am englischen Linksverteidiger ist bislang kein Vorbeikommen.
41. Minute: Mit dem Kopf durch die Wand? Klappt auch nicht, diesmal bleibt Yamal an Declan Rice hängen.
Dass die erste Final-Halbzeit auch für Yamal eine der weniger herausragenden in diesem Turnier war, zeigt auch die Statistik: Zur Pause hat der Offensivmann bei 28 Ballberührung erst acht Pässe an den Mann gebracht, dazu noch keinen Torschuss vorzuweisen. Da ist noch Luft nach oben …
Lamine Yamal im Duell mit Luke Shaw. (Photo by Dan Mullan/Getty Images)
47. Minute: Und wie! Nach dem Seitenwechsel sind keine zwei Minuten von der Uhr, als Yamal die Kugel im rechten Halbraum mitnimmt, mit seinem Lauf in Richtung Sechzehner sowohl Shaw als auch Innenverteidiger Marc Guehi bindet, um dann im perfekten Moment mit einem maßgeschneiderten Zuspiel links im Strafraum Nico Williams in Szene setzt, der Jordan Pickford zum 1:0 für Spanien überwindet.
56. Minute: Yamal schickt Álvaro Morata mit einem herausragenden Steilpass in die Gasse, der Angriff versandet jedoch.
61. Minute: Hat England den Ball, bewegt sich Yamal häufig im Dunstkreis seines eigenen Manndeckers Shaw. Damit sollen die offensive Läufe des Engländers und seine gefährlichen Flanken unterbunden werden.
66. Minute: Auffällig im zweiten Durchgang: Hat sich Yamal vor der Pause hauptsächlich als Breitengeber auf dem rechten Flügel aufgehalten, attackiert er nun häufig die Schnittstelle zwischen Shaw und Guehi. So gesehen beim Führungstreffer und auch nach 66 Minuten, als der Youngster stark geschickt wird, seinen Gegenspieler ins Leere laufen lässt, sich die Kugel auf den starken linken Fuß legt und beinahe Pickford überwindet, der die Kugel mit einer starken Parade um den Pfosten wischen kann.
69. Minute: Die Ecken von der rechten Seite tritt Yamal – und das auch nicht so schlecht. Hin und wieder wird es im Strafraum gefährlich, auch wenn kein Torerfolg dabei herumkommt.
73. Minute: Bitter für La Roja: England gleicht durch eine traumhafte Aktion von Jude Bellingham und einen satten, präzisen Abschluss von Joker Cole Palmer aus. Yamal ist in der Szene nicht involviert.
81. Minute: Nach starker Kombination zieht Yamal rechts im Strafraum direkt ab, findet seinen Meister aber ein zweites Mal in an diesem Abend in Pickford.
85. Minute: Der 17-Jährige erläuft einen langen Ball von Dani Olmo und bringt mit einer Flanke von rechts Pickford erneut in die Bredouille, der die Kugel aber im Nachfassen sicher hat.
86. Minute: Kurz darauf geht Spanien erneut in Führung: Auf Vorlage von Marc Cucurella trifft der eingewechselte Mikel Oyarzabal zum späten 2:1. Diesmal hat Yamal seine Füße – man ist geneigt, ausnahmsweise zu sagen – nicht im Spiel.
88. Minute: Kurz darauf ist für den Jungspund Schluss, er wird durch Mikel Merino ersetzt. Logisch, wenige Minuten vor Schluss und mit der Führung im Rücken hat die defensive Stabilität oberste Priorität.
Lang musste Yamal ohnehin nicht auf der Bank ausharren, denn nach einer dreiminütigen Nachspielzeit war Schluss – und Spanien Europameister! Für den 17-Jährigen müssen die Minuten nach Abpfiff auch mit einer gewissen Überforderung verbunden gewesen sein. Nicht nur, weil es in dem jungen Alter wohl ein erst recht überwältigendes Gefühl ist, einen der wichtigsten Titel im internationalen Fußball zu gewinnen, sondern auch, weil der Angreifer ja gleich zwei Pokale entgegennehmen musste. Wobei die EM-Trophäe natürlich nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes deutlich schwerer wiegt, sondern diese genau genommen auch von Kapitän Álvaro Morata als erstes in die Höhe gestemmt wurde.
Was ein Abend für Lamine Yamal Nasraoui Ebana, wie der Sohn eines marokkanischen Vaters mit vollem Namen heißt. Wie signifikant sein Einfluss nach den vorherigen K.o-Spielen mitsamt Traumtor auch im Endspiel gegen England war, zeigt auch ein Blick auf die Statistiken. Die hatte es zur Pause zugegebenermaßen noch auszubessern gegolten, aber genau das tat Yamal. Der Youngster spielte nach dem Seitenwechsel zwei wichtige Pässe und zudem zwei Großchancen heraus, darunter die Traumvorlage zum Führungstreffer, probierte es außerdem zweimal selbst. Mit dieser abermals starken Leistung ebnete er den Weg zum fünften EM-Titel für seine Nation. „Es gibt kein schöneres Geburtstagsgeschenk“, sagte Yamal nach der Partie, „ein Traum ist in Erfüllung gegangen”. Es wird nicht der letzte gewesen sein, den sich der Ausnahmekönner erfüllen können wird. Lamine Yamal steht sinnbildlich für den Beginn einer neuen goldenen Ära im spanischen Fußball.
(Photo by Dan Mullan/Getty Images)