FC Schalke 04
·18 Mei 2023
Herzsportgruppe auf Schalke: Es tut einfach der Seele gut

In partnership with
Yahoo sportsFC Schalke 04
·18 Mei 2023
Wenn es Menschen wie Angelika Wedwing nicht gäbe, man müsste sie erfinden. Sie ist eine, die – wie man so sagt – den Laden zusammenhält, und das seit drei Jahrzehnten. Fraglich, ob der FC Schalke 04 ohne sie in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum seiner Herzsportgruppen hätte feiern können.
Beim Herzsport landen die meisten Teilnehmer erst, wenn es ernst wird, das Herz aus dem Takt geraten ist. Für viele bedeutet dies einen gravierenden Einschnitt im Leben, nicht nur körperlich, auch seelisch. Diese Erfahrung macht Wedwing selbst recht früh und besonders überraschend, weil sie beim S04 Leichtathletik im Leistungsbereich betreibt. Noch heute findet man ihren Namen in den Listen der Vereinsrekorde. Doch mit 35, nach einem mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt und den folgenden gesundheitlichen Problemen ändert sich alles.
„Ich habe mich damals gefragt, wie es dann wohl erst anderen in so einer Lage ergehen muss, wenn es mir schon so schwerfällt, mich wieder aufzurappeln“, erinnert sie sich an die Situation, die dem S04-Herzsport den Anstoß gibt. Ihre Vereinskameradin Christiane Borawsky macht eine ähnliche Erfahrung, weshalb die beiden Frauen ihre persönliche Misere in etwas Gutes verwandeln möchten, um anderen Betroffenen zu helfen. So entsteht vor 30 Jahren die erste Schalker Herzsportgruppe.
Ganz klein fängt alles an, peu à peu tasten sie sich heran, welche Anforderungen zu erfüllen sind. Denn beim Herzsport kann man nicht einfach so „drauflosturnen“. Jeder Teilnehmer verfügt über eine eigene Akte mit allen wesentlichen Gesundheitsdaten, regelmäßig muss während der Einheit der Puls überprüft und protokolliert werden; und spätestens die notwendige Anwesenheit eines Arztes samt Notfallkoffer macht klar, dass die Teilnehmer eine Vorgeschichte haben. Trainingsmaterialien bauen sie anfänglich selbst, erinnert sich die 71-jährige Wedwing lachend: „Wir haben sogar Frühstücksbrettchen und Joghurtbecher umfunktioniert.“ Sie wissen sich zu helfen.
Von Beginn an dabei ist Ewald Meckenstock (73). „In der Nacht zum 17. Mai 1993 bin ich aufgewacht, das weiß ich so genau, weil mein Sohn an diesem Tag 18 Jahre alt wurde.“ Kalter Schweiß, Brustschmerz, Durchfall – die Symptome sind dem damals 43-Jährigen Warnung genug: „Ich wusste sofort, was los ist.“ Seine Frau wählt den Notruf, zehn Minuten später ist er im Marienhospital. Diagnose: Hinterwandinfarkt. Im Krankenhaus beginnt auch das Kopfkino: „Dann liegst du da und denkst: Was habe ich bloß falsch gemacht?“ Noch im Krankenbett durchforstet er alle wichtigen Versicherungsunterlagen, damit seine Familie für den Ernstfall nicht im Regen steht.
Doch er berappelt sich und nach Operation, sechs Wochen Krankenhaus und zwei Wochen Teneriffa spaziert er in die Sporthalle an der Grenzstraße. „Den Aushang von Angelika hatte ich auf dem Krankenhausflur entdeckt“, erinnert sich der Dienstälteste der Gruppe. Es ist wohl der Stress, dem er als Selbstständiger mit einem Textilgeschäft in Gelsenkirchen-Rotthausen ausgesetzt war. Daran ändert sich auch nach der gesundheitlichen Katastrophe nicht allzu viel, aber er lernt, auf sein Herz zu hören, und bleibt der Gruppe treu. 2018 machen Rhythmusstörungen zwei Stents nötig, doch ansonsten sei „alles super“. Es ist auch die Gemeinschaft, die ein großes Pfund darstellt: „Man kennt die Geschichten der anderen und hat Spaß zusammen. Und beim Indiaca-Spielen geht hier auch schon mal richtig die Post ab.“ Das glaubt man dem großgewachsenen, dynamischen 73-Jährigen aufs Wort. Spaß ist ohnehin ein wichtiger Faktor. Und Schalke. Und wenn der S04 mal wieder nicht so richtig Spaß macht? „Dann gönn ich mir zur Belohnung nach dem Spiel ein Bierchen.“
In drei Jahrzehnten ist eine Menge geschehen. Aus einer Handvoll Menschen, die sich im Frühjahr 1993 im Sportzentrum Schürenkamp versammelt, sind mittlerweile mehr als 100 Teilnehmer geworden. Neben vier Herzsportgruppen entstanden eine Reha-Orthopädie und eine Breitensportgruppe, ein Wassergymnastikkurs sowie saisonale Angebote wie Nordic Walking und Rückenfitness. Doch auch die Anforderungen durch den Landessportbund und die Krankenkassen sind extrem gestiegen, die Verwaltungsarbeit ist enorm.
Und mit Unvorhersehbarem muss Wedwing ebenso umgehen, wie sie sich schmunzelnd erinnert: „Zwischendurch wurde beispielsweise unsere Sporthalle renoviert, als Ausweichquartiere dienten uns sogar Flure öffentlicher Gebäude.“ Früher angedockt an die Leichtathletik-Abteilung, heute an Schalke hilft!, ist die Unterstützung nicht immer gleichbleibend gut gewesen, aber sie kämpft sich stets durch und lässt nicht nach, als ihre Sparringspartnerin Borawsky nach 23 Jahren ehrenamtlicher Arbeit ausscheidet. „Ich mache das alles – trotz vieler Probleme – immer noch gerne und möchte, dass es weitergeht.“
Das möchten ihre Teilnehmer auch, etwa Hildegard Dünnebake (84). 2008 bekommt sie plötzlich Sodbrennen: „Das hatte ich mein ganzes Leben nicht.“ Arzt, EKG, es muss ein Stent gesetzt werden. „Ich war noch nie in einer Kur und wollte so gerne.“ Doch ihr Arzt meint, das ginge auch vor Ort, und so landet Dünnebake beim Herzsport. Die versäumte Reha bereut sie heute nicht mehr, denn hier hat sie etwas viel Wertvolleres gefunden: „Wir halten ganz toll zusammen. Vor allem wenn man allein lebt, ist das sehr wichtig.“
Was die ebenfalls 84-jährige Theresia Galk, von allen nur „Resi“ genannt und von Beginn an dabei, bestätigt: „Man hat hier Freunde gefunden.“ Bereits mit 53 macht ihr das Herz Probleme: „Ich war mit dem Kirchenchor im Sauerland, als mir schrecklich schlecht wurde, ich dachte, es sei der Magen.“ Doch es kommt schlimmer: Herzinfarkt. Ihr Arzt macht sie auf Wedwings frisch gegründete Gruppe aufmerksam. „Die Arbeit, die sich Angelika macht, die kann sich keiner vorstellen“, meint sie und ist ein gutes Beispiel dafür, was Wedwings Engagement bewirkt: „Ich glaube nicht, dass ich ohne die Gruppe so alt geworden wäre.“
Die Gruppenleiter im Herzsport benötigen eine spezielle Ausbildung, doch der Aufwand lohnt sich. Die individuellen Erfolge fördern die Lebensqualität, wie Dünnebake weiß: „Mich hat der Sport einfach stärker gemacht.“ Er hat ihr auch durch die Pandemie geholfen, sie konnte sich aufraffen, ist rausgegangen, hat sich bewegt. Aber es sei nicht nur der Sport: „Es ist das gemeinsame Lachen, die Anteilnahme – es tut einfach der Seele gut.“
Zweimal im Jahr organisiert Wedwing zudem Gruppenreisen sowie Rad- und andere Sportfreizeiten mit umfangreichem Besichtigungsprogramm; Bad Wörishofen, Dangast, Malente, Rügen, Usedom und in diesem Jahr Carolinensiel sind nur einige der bisher angefahrenen Ziele. Dünnebake nimmt regelmäßig teil: „Angelika ist sehr engagiert und bietet ein tolles Programm für uns, Langeweile kommt da nicht auf. Selbst im Bus sind wir beschäftigt, dort muss dann der Kopf arbeiten.“
Einer ist bei jeder Reise mit von der Partie: Fritz Kowalski. Seine 90 Jahre sieht man dem ältesten Teilnehmer nicht an, er mischt sogar beim Rückenkurs und in der Nordic-Walking-Gruppe mit: „In unserem Alter muss man soziale Kontakte pflegen.“ Dabei hat der ehemalige Werkstattleiter früher keinen Sport betrieben, bis mit 72 sein Herz nicht mehr so recht will. Heute ist der Sport ein wichtiger Teil seines Alltags: „Ich fühle mich rundum wohl.“ Zudem zieht Wedwing aus Menschen wie Fritz Kowalski die Motivation für ihr Engagement: „Jemandem die Freude am Sport so nachhaltig zu vermitteln, das ist für mich einfach schön und dabei unterstützen mich unsere drei Übungsleiterinnen Christina Niedermayer, Julia Köster und Ayse Ünal fantastisch.“ Gut, dass man Angelika Wedwing nicht erst erfinden muss: Sie ist das Herz der Gruppe.
… war begeistert von den sympathischen Teilnehmern und hat sie gleich ins Herz geschlossen.