dieblaue24
·28 janvier 2025
In partnership with
Yahoo sportsdieblaue24
·28 janvier 2025
Dass Münchens Stadtoberhaupt Dieter Reiter für die Löwen keine Zeit hätte, das hat er allein mit einem rund einstündigen exklusiven Treffen mit db24 im Rathaus widerlegt: Der sympathische SPD-Politiker ist ein bekennender Fußball-Fan - und nein, es ist ihm keineswegs egal, was beim TSV 1860 München passiert. Im Gegenteil. Er leidet mit. Erneut hat der 66-Jährige seine Bereitschaft signalisiert, den abgestürzten Löwen helfen zu wollen - und das sind keine leeren Worte. Das db24-Interview:
db24: Herr Reiter, München ist nicht nur eine Weltmetropole, sondern auch eine tolle und attraktive Sportstadt: Hand aufs Herz, machen Sie sich als langjähriger Oberbürgermeister Sorgen um den Traditionsverein 1860 München, der nicht nur sportlich nicht vorankommt, sondern nahezu in jedes Fettnäpfchen zu treten scheint?
DIETER REITER: Sorgen macht man sich als Oberbürgermeister nicht wirklich, vor allem deswegen, weil ich überzeugter Fußball-Fan bin. Zugegebenermaßen bin ich schon seit Jahrzehnten Bayern-Fan. Aber ich bin in einem familiären Umfeld aufgewachsen, in dem es ganz viele Sechzger-Fans gibt. Und wenn ich hier ins Rathaus gehe, werde ich in der Regel immer von Löwen-Fans angesprochen. Auch unser Pförtner ist ein Blauer, an meinem Stammtisch bin ich umzingelt von Sechzgern. Mein Schwiegersohn ist Sechzger, mein jüngster Enkelsohn auch. Er ist mit null Jahren Mitglied geworden. Das heißt: Es gibt wahnsinnig tolle und treue Fans der Löwen und deswegen leidet man schon ein bisschen mit. Ich kann mich noch gut an die Lokalderbys erinnern, die ich zusammen mit meinen beiden Brüdern, die beide bekennende Sechzger sind, angesehen habe und ich oft der war, der mit einem Lachen herausgegangen ist. Da gab´s noch diese Lokalderbys, über die ganz München gesprochen hat und man sich auf Augenhöhe begegnet ist. Dass das alles nicht mehr ist, das macht einen schon ein bisschen traurig. So ein Traditionsverein, der den Namen der Stadt trägt, dem sollte es, und das sage ich ganz deutlich, besser gehen…
db24: Auch Sie als Stadtoberhaupt sollten trotz Ihres Faibles für den FC Bayern ein Interesse daran haben, dass die Löwen auch wieder auf die Beine kommen. Können Sie irgendwie helfen?
Ich helfe immer gerne. Die Roten brauchen in der Regel nichts von mir. Die sind ein Selbstläufer und unser Aushängeschild in der Welt. Egal ob in Tokio oder New York. Wenn du nach einem Mitbringsel gefragt wirst, heißt es sofort: “Hast du ein Bayern-Trikot dabei?” Das ist tatsächlich überall so. Insoweit ist die Situation bei 1860 für München als Sportstadt nicht ganz so kritisch, aber es wäre schön, wenn es zumindest wieder einen zweiten erfolgreichen Fußballverein in der Stadt geben würde. Ich tue für die Sechzger immer was, wenn ich für sie was tun kann, aber es sind so viele Dinge ungeklärt und irgendwelche durchdachten mehrheitsfähigen Lösungsansätze seitens der Löwen gibt es offensichtlich auch nicht.
db24: Hinter vorgehaltener Hand heißt es immer mal wieder, die Stadt würde 1860 im Schatten des FC Bayern stiefmütterlich behandeln…
Das stimmt nicht! Ich glaube, dass ich nicht mal ein Zehntel der Aufmerksamkeit, die ich den Sechzgern widme, für den FC Bayern verwendet habe. Es gibt keinen Sportverein in München, mit dem ich mich öfter beschäftige. Ich will nicht so weit zurückgehen, aber die Stadionerweiterung von 12.500 auf 15.000 Zuschauer für das Grünwalder Stadion, die entstand vor Ort bei einem Löwen-Spiel, als man mir erklärt hatte, dass man das gesperrte Viertel in der Westkurve aus statischen Gründen nicht nutzen dürfe. Meinem Logikverständnis hatte dies aber nicht standgehalten und schwuppdiwupp konnten die Löwen wenige Wochen später 2.500 Plätze mehr verkaufen. Das ging einfach. Aber alles, was weit darüber hinaus diskutiert wird, funktioniert einfach nicht. Ich weiß auch, dass in den 60er Jahren 35.000 oder 40.000 Zuschauer im Grünwalder Stadion waren. Aber die Zeiten werden aufgrund der Vorschriftenlage nicht mehr kommen. Und was man nicht verschweigen darf…
Reisinger hat aus meiner Sicht Fakten ignoriert und die Rollenverteilung nicht so richtig verstanden
db24: Ja bitte?
Es gibt nicht DEN Ansprechpartner, der für die Sechzger spricht. Es gibt den Präsidenten, immer wieder wechselnde Geschäftsführer, einen Investor und dann als Zugabe noch die Fans, die alle unterschiedliche Gedankengänge im Kopf haben. Vorsichtig gesagt: Reisinger war in dieser Sache ein schwieriger Ansprechpartner, weil aus meiner Sicht bei ihm Fakten ignoriert wurden und er die Rollenverteilung nicht so richtig verstanden hat. Das hat den Dialog mit 1860 in den letzten Jahren nicht einfacher gemacht. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Herr Pfeifer war ein Ansprechpartner, bei dem man das Gefühl hatte, dass er von seinem Geschäft etwas versteht
db24: Wer war der letzte offizielle 1860-Kontakt, bei dem Sie ein gutes Gefühl hatten?
Der letzte Ansprechpartner, den ich persönlich gesprochen habe und der auf mich einen guten Eindruck gemacht hat, war zweifelsfrei Herr Pfeifer. Mit ihm konnte man vernünftig reden. Er war einige Male bei mir. Ich habe mit ihm auch Lösungen für 1860 gefunden, zum Beispiel die Geschichte mit dem MVV-Ticket, dass dieser Anteil zu Gunsten des Vereins wegfällt. Herr Pfeifer war ein Ansprechpartner, bei dem man das Gefühl hatte, dass er von seinem Geschäft etwas versteht. Ich würde mir so ein Verhältnis wieder wünschen. Es wäre schön, wenn’s mal wieder einen Ansprechpartner gäbe, das muss ja nicht unbedingt der Präsident sein. Wir reden ja über Business, über den Stadion-Ausbau. Deswegen befasse ich mich nur noch mit Schreiben von 1860, auf dem alle unterschrieben haben: Präsident, Geschäftsführung und Investor. Es muss EINE Stimme geben.
Ich erwarte mir jetzt ein Signal von 1860, wir können nicht darauf warten, bis der Verein zur Mitgliederversammlung lädt und einen Präsidenten wählt
db24: Es kommt schon das nächste Problem auf die Beziehung zwischen Stadt und Verein zu: Präsident Robert Reisinger wird möglicherweise im Sommer Vergangenheit sein - man verliert also weiter Zeit…
So sehe ich das auch. Ich höre auch immer ein bisschen in die Vereine rein. Ich weiß nicht, wie es weitergeht mit Präsident Reisinger. Wenn man diese Entscheidung auch wieder abwartet, dann könnten wir unter Zeitdruck geraten. Ich erwarte mir jetzt ein Signal von 1860, wir können nicht darauf warten, bis der Verein zur Mitgliederversammlung lädt und einen Präsidenten wählt. Wir müssen im Jahr 2025 einen Beschluss fassen und dazu stehe ich.
db24: Wann war Ihr letzter Kontakt zu 1860?
Bei meinem Oktoberfest-Besuch mit Präsident Reisinger - da hatten wir ja darüber gesprochen, dass wir uns treffen sollten. Aber es kam keinerlei Reaktion auf mein Angebot. Für mich ist der Wiesn-Besuch immer spannend, weil es jedes Jahr neue Leute gibt. Das zeigt aber leider auch, dass es keine Kontinuität gibt. Zudem erhalte ich aber von allen möglichen Seiten Post und jeder hat eine andere Idee, wenn’s um die Stadionlösung geht. Und genau das macht es für mich nicht einfach, einen Weg zu unterstützen. Wir haben auch in der Stadtspitze viele Löwen: Mein Vorgänger (Christian Ude war 1860-Aufsichtsratsboss, d. Red.), jetzt Verena Dietl - klassische Löwen-Fans der besten Güte und auch die sagen: “Wir wissen gar nicht, wie wir helfen sollen, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen.” Wir würden den Löwen schon helfen, was das Stadion betrifft. Als Spieler oder Spielertrainer kann ich den Löwen leider nicht helfen, dafür bin ich jetzt auch schon zu alt (lacht).
Bei 1860 dreht sich aber alles immer ums Stadion, seit Jahrzehnten. Aber das Wichtigste ist das Team auf dem Platz
db24: Wann hatten Sie letztmals das Gefühl, dass es bei 1860 vorwärts geht?
Sportlich unter Daniel Bierofka und Michael Köllner. Bierofka war ein klassischer Sechzger, einer, den man auch kennt. Und Michael Köllner hat mich im Rathaus besucht, auf Vermittlung von Stefan Schneider - auch so eine historische Löwen-Figur und ein guter Freund von mir. Ich fand Köllner unglaublich passend zu diesem Verein. Er ist ein gestandener Bayer. Er hat den Fußball und Sechzig gelebt. Ich habe das nie verstanden, dass 1860 Köllner rausgeworfen hat. Sportlich sehe ich aktuell auch nicht, wie es bei den Löwen wieder aufwärts gehen soll. Schon mehrmals stand 1860 nach einer Vorrunde gut da und ist am Ende immer wieder eingebrochen, so dass man das Gefühl hatte, die wollen gar nicht aufsteigen. Seit ein paar Tagen haben sie ja wieder einen neuen Trainer (Patrick Glöckner, d. Red). Ich drücke den Löwen beide Daumen, aber man muss verstehen: Fußball ist inzwischen eben auch Business und leider nicht mehr nur Sport! Du wirst nie eine erfolgreiche Fußball-Mannschaft haben, wenn du kein Geld hast. Und wenn du keine Zuschauer hast, dann hast du kein Geld. Ich sage gerne das, was mir Fredi Heiß bei unseren Treffen immer wieder predigt: Das Wichtigste in einem Verein ist die 1. Mannschaft. Bei 1860 dreht sich aber alles immer ums Stadion, seit Jahrzehnten. Aber das Wichtigste ist das Team auf dem Platz. Und wenn sich der Erfolg einstellt, könnte man wieder auf einer anderen Basis miteinander reden. Wir haben uns als Stadt committet, dass wir das Stadion mit Blick auf die Sechzger herrichten. Mehr kann eine Stadt nicht tun. Das ist eh an der Grenze des Machbaren: Das machen wir, weil 1860 ein Traditionsverein ist, den sehr viele Leute mögen.
Es gibt für den Nachwuchs nur Bayern - und dann Real Madrid, Juventus Turin oder Paris St. Germain. Aber 1860? Kommt bei den Kindern kaum noch vor.
db24: In der quälenden Stadion-Frage vergisst 1860 offenbar seine eigene Zukunft…
Die Sechzger müssen aufpassen, dass sie ihren Nimbus, ihre Strahlkraft nicht verlieren. Ich habe regelmäßig Schulklassen im Rathaus. Wenn du vor 14, 15 Jahren die Kinder gefragt hast, für welchen Verein ihr Herz in der Stadt schlägt? Da hatten die Kinder Sechzig zumindest noch gekannt. Aber heute sieht das leider anders aus: Manche wissen gar nicht, dass es neben Bayern noch einen zweiten großen Verein in der Stadt gibt: Es gibt für den Nachwuchs nur Bayern - und dann Real Madrid, Juventus Turin oder Paris St. Germain. Aber 1860? Kommt bei den Kindern kaum noch vor. Und wenn der Sport nicht bald wieder erfolgreich bei den Löwen wird, dann wird das schwierig mit der Legende 1860. Das 0:4 in Saarbrücken, das ich mir im Fernsehen angesehen habe, war schon sehr nah an Arbeitsverweigerung. Da sagen selbst hartgesottene Löwen-Fans: “I ko nimmer hischauen”. Das ist das Zitat meines Schwiegersohns. Da fühle ich als Münchner mit. Bei der Wiesn sitze ich immer neben Jesper Verlaat und Marco Hiller. Das sind tolle und sympathische Kerle, das sage ich ganz ehrlich. Die Sechzger können froh sein, dass sie noch solche Köpfe haben, die man auf der Straße auch erkennt. Das sind die heutigen Aushängeschilder, die der Verein noch hat. Man kann nur hoffen, dass Verlaat und Hiller noch länger bei 1860 bleiben.
Im zweiten Teil des exklusiven Interviews mit OB Reiter lesen Sie, warum das Grünwalder Stadion für ein paar Jahre gesperrt wird, warum das Stadtoberhaupt ein Fan des Olympiastadions ist - und warum Löwen-Fans in den oberen Etagen Münchner Unternehmen auf einen Zukunftsplan von 1860 warten.