
Rund um den Brustring
·2 May 2025
Rafft Euch mal!

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·2 May 2025
Eine Europapokal-Platzierung ist futsch, der nächste Gegner kann zur nächsten Blaupause für den Pokalfinalgegner werden und überhaupt ist die Stimmung rund um den VfB drei Wochen vor der ersten reellen Titelchance seit 18 Jahren ziemlich beschissen. Schluss damit!
Schon wieder ein Gegentor in letzter Minute, schon wieder die Fassungslosigkeit darüber bei Spielern und Verantwortlichen, schon wieder die Durchhalteparolen auf dem Weg ins sportlich jetzt bedeutungslose Saisonfinale und schon wieder die große Weltuntergangsstimmung vor dem Pokalfinale am 24. Mai. Ich nehme mich dabei nicht ganz aus: Dass sich unsere Mannschaft jede Woche auf andere Weise ein Bein stellt und damit die Selbstverständlichkeit aus der letzten Saison mehr und mehr verliert, geht mir auch auf die Nerven. Das 4:4 mit drei kreuzdummen Standard-Gegentoren nervte, das 1:2 gegen Bremen nervte und das nicht nur wegen Schiedsrichterdarsteller Schlager. Die Spiele in Frankfurt und gegen Leverkusen nervten, gegen Kiel, Bayern, Hoffenheim, Wolfsburg, Gladbach, Mainz. Alles Punktverluste, die nicht hätten sein müssen, vor allem nicht in der Serie. Mal war es die falsche Haltung zum Gegner, mal der Schock, dass die Erwartungshaltung an das Champions-League-Spiel in Paris nicht mit der Realiät in Einklang stand. Mal war es auch Pech oder ein schlechter Schiedsrichter. So richtig lässt sich die Stand jetzt schlechteste Rückrunde seit über zehn Jahren nicht erklären, was allerlei Raum für Interpretation in beide Richtungen lässt.
Folgt man der Argumentation von Sebastian Hoeneß, der seiner Mannschaft seit Wochen den Rücken stärkt, dann erzählt jeder Punktverlust seine eigene Geschichte, dann hatte die Mannschaft immer gute Phasen, dann müsse man nur bei sich bleiben, um “den Bock umzustoßen”, wie er jetzt schon mehrfach betont hat. Natürlich ist es gerade jetzt, wenn es aufs Pokalfinale zugeht, sinnvoll, seine Spieler stark zu reden und mit Sicherheit wird Hoeneß intern auch anders kommunizieren als extern. Nur: Es macht auf dem Platz scheinbar keinen Unterschied. Die Mannschaft, seit Wochen mit trainingsfreien Tagen und gleichzeitig genügend Trainingseinheiten gesegnet, schafft es nicht, die entscheidenden Prozente auf den Platz zu bringen, um tiefstehende Gegner zu überwinden und stärkere Gegner in Schach zu halten. Das Neckarstadion ist seit Monaten sein Selbstbedienungsladen, auswärts läuft es zwar etwas besser, aber auch da reichen die Leistungen nicht für ausreichend Punkte. Entweder weil der 50 Millionen-Sturm sich Auszeiten nimmt oder weil hinten wieder einer nicht bei der Sache ist oder die Anweisungen des Trainerteams vergessen hat.
Dass die Mannschaft es besser kann, hat sie in der Hinrunde bewiesen: 17 Bundesliga-Spiele, ein Supercup-Spiel, drei Pokalspiele und sechs Champions-League-Spiele macht in Summe 27 Partien, so viele wie wir in manchen Spielzeiten erst Mitte April absolviert haben. Und trotzdem erreichte der VfB so viele Punkte wie nie in den letzten zehn Jahren, die Vizemeistersaison ausgenommen. Hat dieser Kader die Qualität der Vorsaison? Nein. Hat er zu viel Qualität für Platz 11? Ich meine ja. Dafür ist es aber auch notwendig, die nächsten Spiele endlich so anzugehen, als wolle man sich für den Titelgewinn am 24. Mai empfehlen. Keine billigen Standardgegentore mehr? Keine durchschaubaren Ecken mehr, die der gegnerische Torwart nur noch runterpflücken muss. Kein Alibi-Langholz mehr. Seid auf Zack, sucht die Lösungen und findet sie. Gebt Euch nicht damit zufrieden, dass es 0:0 steht. Rafft euch endlich mal!
Denn der 24. Mai bietet, ich wiederhole mich da gerne, die erste reelle Chance auf einen Titel seit 2007. Ja, ich weiß 2013, als wir Labbadia schon längst hätten entlassen müssen und in Berlin auf die Triple-Bayern trafen. Oder 2009, als wir wieder die Bayern hätten schlagen und auf einen Ausrutscher von VW hätten hoffen müssen. Und nein, die Zweitliga-Meisterschaft und der Supercup sind keine (ernstzunehmenden) Titel. Man muss nur einen Blick auf den Briefkopf des VfB zu werfen, um zu wissen, dass sich uns diese Chance nur etwa einmal alle zehn Jahre bietet, wenn überhaupt. Werden sich die Topmannschaften der Bundesliga nächste Saison wieder gegenseitig rauskegeln oder von einem Drittligisten aus dem Weg geräumt? Werden wir so bald wieder die Qualität haben ins Finale vorzustoßen? Vielleicht. Aber die Chance ist jetzt. Eine von wenigen Chancen, wenn man auf die ganzen 133,5 Jahre Vereinsgeschichte blickt. Also reißt Euch zusammen, seid heiß auf diese historische Chance. So wie im Halbfinale. So wie in Turin.
Genauso wie die Champions League-Reise nach Norditalien wird die Reise nach Berlin für die VfB-Fans die da sind, etwas Besonderes sein. Und für die vielen mehr, die (hoffentlich) auf dem Schlossplatz oder zu Hause vor dem Fernseher mitfiebern, wird dieses Spiel etwas Besonderes sein. Weil wir jetzt auch nicht so häufig im Finale stehen (1954, 1958, 1986, 1997, 2007, 2013, 2025), als dass das für irgendwen zur Gewohnheit werden könnte. Also hört auf so zu tun, als würde wegen einer, pardon, beschissenen Rückrunde hier schon wieder alles den Bach runter gehen und als wäre das ja eh klar gewesen, dass Sebastian Hoeneß mit seiner Mannschaft in der Rückrunde einbricht und dass Fabian Wohlgemuth nur zweitklassigen Ersatz verpflichtet hat. Ja, es gilt nachzubessern im Sommer, vor allem in Sachen Stabilität. Und ja, es wirkt, als würde der VfB mal wieder seinen Erfolg nicht konsolidieren können. Aber wir stehen im Pokalfinale verdammt noch mal und wir haben anders als 2013 eine Mannschaft, die nicht sportlich und finanziell vorm Ausbluten ist, sondern eine mit Perspektive. Und ja, Bielefeld stürmt gerade mit wehenden Fahnen in die zweite Liga. Das heißt aber nicht, dass man mit flauem Gefühl im Magen und Zynismus auf den Lippen auf dieses Pokalfinale blicken muss. Und auch wenn Sebastian Hoeneß mit seiner Generalkritik an “den sozialen Medien” vielleicht bewusst übers Ziel hinausgeschossen ist — denn Fans sind Fans, egal ob sie gerade einen Kommentar auf Instagram tippen oder in der Kurve stehe — dann sollten wir auch aufpassen, dass wir nicht komplett in Fatalismus verfallen, nur weil es sich jetzt gerade wieder anfühlt wie in den letzten zehn Jahren. Ganz ehrlich, rafft Euch mal und freut Euch auf Berlin. Wir haben die Chance und wir werden sie nutzen.
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Titelbild: © Gunnar Berning/Bongarts/Getty Images
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