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·1 February 2025

Kommentar: Ablösesummen im Frauenfußball - Das Zeitalter der Verteidigerinnen

Article image:Kommentar: Ablösesummen im Frauenfußball - Das Zeitalter der Verteidigerinnen

Ein Königreich für eine Verteidigerin. Naja, nicht ganz, denn für den FC Chelsea, für den das Geldausgeben ein Hobby scheint wie für andere das Darts-Spielen oder Seilchenspringen, sind eine Million Euro wohl nur Peanuts.

In den letzten Jahren fielen die Blues, die sich vielleicht passend in "Goldens" umbenennen sollten, schon im Männerfußball mit horrenden Ablösesummen auf. 97,5 Millionen Pfund war Romelu Lukaku dem Klub des schwerreichen Amerikaners Todd Boehly wert, 60 Millionen wurden für Marc Cucurella auf den Tisch gelegt.


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Jetzt also eine Million für Naomi Girma, welch bescheidene Summe im Vergleich, und doch ein Meilenstein im Frauenfußball. Nie zuvor wurde für eine Fußballerin ein siebenstelliger Betrag gezahlt, und erst recht war keine Verteidigerin in solch schwindelerregende Sphären vorgestoßen. Die Liste der teuersten Spielerinnen wurde dominiert von Stürmerinnen wie Racheal Kundananji, Barbra Banda oder Ewa Pajor.

Walsh, Bronze, Girma: Verteidigerinnen sind gefragt

Doch das Tore-Verhindern ist inzwischen genauso in Mode wie die Kunst, das runde Leder im Rechteck zu versenken. 2022 wurde das zum ersten Mal klar, als Keira Walsh mit ihrem Wechsel zum FC Barcelona zur damals teuersten Spielerin der Welt wurde - ein Titel, der in der rasanten Welt von heute etwa genauso lange gehalten wird wie das Amt eines durchschnittlichen Schalketrainers.

Walsh jedenfalls wirkte wie eine ungewöhnliche Kandidatin für den ersten bahnbrechenden Transfer nach der bahnbrechenden EM 2022: Defensive Mittelfeldspielerin, unauffällige Art, nicht mal spektakuläre Monstergrätschen, sondern ruhiges Ballverteilen. Walsh wechselte nun erneut für eine hohe Summe, Barcelona hat sie Berichten zufolge für 550 000 bis 800 000 Pfund verkauft.

Ihr neuer Verein, Überraschung: der FC Chelsea. Der Klub aus London sollte schon jetzt in die Ehrengilde der Verteidigerinnen aufgenommen werden, zeigen die zwei Transfers doch, wie sehr der Wert der Defensivspezialistinnen gestiegen ist. Schon im letzten Sommer verpflichtete der Londoner Verein die Außenverteidigerin Lucy Bronze, wofür zwar keine saftige Ablösesumme fällig wurde, aber sicherlich ein nicht ganz bescheidenes Gehalt.

Mit Defensivspiel zu den großen Erfolgen?

Aus reinem Altruismus oder Sympathien für die zu lange ignorierten Verteidigerinnen handelt der Klub dabei natürlich nicht, stattdessen hofft Chelsea, mit vereinter Defensivpower endlich zum ersehnten ersten Pokal in der Champions League zu kommen. Mauern, bis der Arzt - äh, Titel - kommt. Zuvor machte der Klub mit den kostspieligen Verpflichtungen der Offensivspielerinnen Pernille Harder oder Mayra Ramirez aufmerksam, nun steht die Defensive im Fokus.

Eine Veränderung, die zu den aktuellen Zeiten passt: Nicht nur in der Innen- oder Geopolitik herrscht der Drang zu erhöhten Verteidigungsausgaben und ein Trend zum Einigeln, sondern auch im Fußball. Längst vorbei die Ära des "Totaal voetbal" von Johan Cruyff, stattdessen kommt es immer mehr auf die Abstände und Abstimmung der letzten Ketten an.

Auch das Frauenteam des FC Barcelona ist mit seinem Tiki-Taka erfolgreich und Offensivspielerin Aitana Bonmatí der Star des Teams, aber die Basis für den Erfolg der Katalaninnen bildet die Defensive: Nur wegen der herausragenden Passqualitäten von Mapi Leon oder Ona Batlle kommt der Ball überhaupt in die wichtigen Zonen des Platzes.

Der Niedergang des schönen Offensivfußballs? Für Kulturpessimismus ist hier kein Platz, denn auch Verteidigen kann großes Kunst und großes Spektakel sein. Wer das bestreitet, hat wohl noch nie Mapi Leon so in einen Ball reingrätschen sehen, dass die Grashalme vom Rasen fliegen, oder Keira Walsh beobachtet, wenn sie die Lücke entdeckt hat, den langen Ball anbringt und ihm nicht mal nachschaut, denn er kommt ja sowieso an. Oder die Ruhe von Naomi Girma bewundert, wenn eine Gegenspielerin auf sie zustürmt.

Hohe Nachfrage nach Top-Verteidigerinnen, wenig Angebot

Vielleicht ist der Trend zum Verteidigerinnen-Shoppen ja ein willkommener Gegensatz zur generellen Aufgeregtheit und Hektik unserer Zeiten. Ein bisschen Ruhe, bitte! Und in fragile Stürmer-Egos wurde schon genug investiert - Neymar winkt.

In Zeiten des durchanalysierten Fußballs, mit Statistiken an allen Ecken und Enden, macht es zudem nur Sinn, auf Verteidigerinnen zu setzen. Ziel von alldem ist es schließlich vor allem, Fehler zu minimieren - und die haben in der Defensive nunmal die schwersten Folgen.

Angekurbelt werden die neuen Rekordsummen für Verteidigerinnen durch den Mangel an guten Fachkräften: die einfache Angebots-Nachfrage-Logik, wie jeder BWL-Student berichten könnte. Alle Topklubs wollen sich sportlich weiterentwickeln und sind bereit, dafür Geld in die Hand zu nehmen - das ist eine relativ neue Entwicklung, während die Spielerinnen von heute schon vor fünfzehn Jahren ausgebildet wurden, und die Zahl der Hochtalentierten daher nicht mit der neuen Kauflust Schritt hält.

Besonders gravierend ist das natürlich bei den Defensivspielerinnen, denn die großen Verteidigerinnen-Stars fehlten bisher, und das Toreschießen ist als achtjährige Fußball-Anfängerin einfach lustiger. Aber vielleicht ändert sich ja auch das mit der neuen Wertschätzung für Defensivspezialistinnen. Das Zeitalter der Verteidigerinnen bricht an. Ein Königreich für eine Verteidigerin!

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