90min
·4 August 2025
Im Schacht, da wächst ein Pflänzchen - ganz königsblau und zart

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·4 August 2025
Sind wir doch mal ehrlich: Nach der katastrophalen Saison 2024/25 hätten wohl nur noch wenige damit gerechnet, dass es für den FC Schalke 04 irgendwie wieder bergauf gehen könnte. Zwar wurde am Ende der Abstieg in die Drittklassigkeit verhindert, dennoch spielten die Knappen die schlechteste Saison ihrer Vereinsgeschichte und ließen vieles vermissen, was diesen Klub einst ausmachte: Überzeugung, Mentalität, Identifikation und echte Maloche. Es wirkte beinahe, als sei Schalke in einen dunklen Kohleschacht hinabgestiegen und würde auf lange Zeit kein Tageslicht mehr sehen. Nach Spieltag eins in der 2. Bundesliga stellt sich die Lage nun aber ganz anders dar. Zumindest vorerst.
Mit Miron Muslic holte man erneut einen in Deutschland eher unbekannten Namen auf die Trainerbank, doch der 42-jährige Österreicher scheint auf Schalke zu passen. Zumindest lassen das die ersten Eindrücke nach der Saisonvorbereitung und dem erfolgreichen Saisonstart am Freitag so annehmen. Die Testspielergebnisse in der Vorbereitung haben in der Regel eigentlich wenig Aussagekraft - was zählt ist im Ligaalltag und da muss sich der S04 noch auf Dauer bewiesen. Doch drei Dinge fielen bisher auf, die sich auch im Heimspiel zum Saisonauftakt gegen Hertha BSC bestätigten und hoffentlich durch den Saisonverlauf ziehen werden.
Zusammenhalt und Arbeitsmoral / Lars Baron/GettyImages
Muslic lässt die Schalker wieder malochen. Und zwar sowohl auf dem Trainingsplatz als auch, sobald die Pfeife des Schiedsrichters zum Spielstart erklingt. Im Training gibt der neue Coach den Gradmesser und lebt seinen Spielern vor, welche Intensität er sich wünscht und was er von ihnen erwartet. Diese Einsatzbereitschaft wird auch mit Startelfeinsätzen belohnt - siehe Peter Remmert gegen Hertha. "Er hat sich das in der Vorbereitung absolut verdient. Ich hab jetzt sechs Wochen jedem einzelnen Spieler eine faire Chance gegeben und auch jedem einzelnen die gleichen Minuten auf dem Spielfeld und der Peter hat das auch genutzt", erklärte Muslic noch am Freitag vor dem Spiel. Die Schalker Mannschaft lief gegen Hertha ganze drei Kilometer mehr, hatte mehr Sprints als der große Favorit. Das hatte vor allem auch viel mit Mittelfeldmotor Soufiane El-Faouzi zu tun, der sein Herz wie viele seiner Mitspieler auf dem Platz ließ und sicherlich schon bald zum Fan-Liebling aufsteigen dürfte, wenn er diese Leistungen bestätigen kann. Solche Spieler sind es, die den Karren am Ende aus dem Dreck ziehen können und Muslic lässt sie von der Leine.
Schalkes neuer Abwehrchef Nikola Katic / Sebastian El-Saqqa - firo sportphoto/GettyImages
Muslic hat die anfällige Schalker Defensive gefestigt und zum aktuellen Aushängeschild des Teams geformt. Bislang war es nämlich insbesondere die Abwehr, die für großen Zuspruch seitens der Fans sorgte, und auch gegen Hertha BSC war die gute Defensivarbeit der Grund für den letztlich überraschenden Erfolg. Die Schalker ließen nur zwei Torschüsse der eigentlich offensivstarken Berliner zu. Dass die Schalker Defensive so stabil wirkt, liegt jedoch nicht nur an der Abwehr um den neuen Abwehrchef Nikola Katic, sondern vielmehr daran, dass die Knappen als Ganzes funktionieren und geschlossen gegen den Ball arbeiten. In der vergangenen Saison ließen sie genau diesen Punkt häufig vermissen. Dass Muslic-Wunschspieler Katic eine echte Abwehrkante ist und dann auch noch direkt trifft untermauert die Geschichte und gibt zusätzlich Schub.Auch Katics Nebenleute, Felipe Sanchez, Ersatz-Kapitän Timo Becker und Torwart Loris Karius, gehören zu einer soliden Basis, die am Ende das Gesicht des Schalker Erfolgs sein könnte. Natürlich möchte man einwenden, dass man nur mit guter Abwehrarbeit keinen Blumentopf gewinnt, doch erinnern wir uns an die Anfänge von Xabi Alonso bei Bayer 04 Leverkusen. Die erste Stellschraube des Spaniers war es damals auch bei der Werkself die Abwehr zu stabilisieren – der Rest ist Geschichte. Das soll nicht heißen, dass Schalke in zwei Jahren deutscher Meister wird, aber selbst ein sicherer Klassenerhalt wäre unter den gegebenen Umständen bereits ein großer Erfolg und erster Schritt in die richtige Richtung – und den könnte es dank einer soliden Defensive in dieser Saison sogar vorzeitig geben.
Schalke-Youngster Peter Remmert wirft sich voll rein / Lars Baron/GettyImages
Muslic setzt wieder auf die Knappenschmiede und scheut sich nicht, die blutjungen Eigengewächse und No-Names ins kalte Wasser zu werfen. Das erhöht den Identifikationsfaktor auf dem Platz und verbindet das Team mit den Fans. "Ich bin ja gewohnt mit jungen Spielern zu arbeiten, junge Spieler zu entwickeln aber auch um junge Spieler ins kalte Wasser zu werfen", sagte Miron Muslic am Freitagabend und ließ Taten folgen. Der Coach überraschte mit Peter Remmert in der Startelf und der Youngster präsentierte sich bis in die Haarspitzen motiviert. Der 20-Jährige überzeugte über eine Stunde mit vollem Einsatz und gab sogar eine Torvorlage. Damit zahlte er das große Vertrauen des Trainers gleich doppelt zurück und bewies, dass es weitwichtiger ist sich auf dem Rasen zu zerreißen als einen deutlich bekannteren Namen zu haben. Auch das Eigengewächs Vitalie Becker (20) überzeugte und steckte Herthas großen Offensivstar Fabian Reese in die Tasche. Er ist eines von vielen neuen Gesichtern, die für Schalke wieder an und über Grenzen gehen. Muslic hat den Königsblauen praktisch eine Eigenbluttherapie verpasst, die allmählich zu ersten Heilungserfolgen führt. Auch Top-Talent Mertcan Aydin gehört zu diesem Schlag. Dieses Identifikationsgefüge wird durch die Rückkehr von Timo Becker deutlich verstärkt, der als echter Leader vorangeht und auch intern klar vermittelt, was es heißt, für Schalke 04 zu spielen. Schalke scheint endlich über eine gesunde Struktur aus Anführern wie Becker, Karaman oder Karius zu verfügen, die die jungen Talente an die Hand nehmen. Das ist ein erfrischender Anblick der sich bis zum Ende des Transferfensters in gut vier Wochen verutlich noch festigen wird. Wenn Schalke diesen Weg über die Saison fortsetzt, dürfte man noch viel Freude am Kult-Klub aus Gelsenkirchen haben. Was den Schalkern am Ende vielleicht an spielerischer Qualität fehlt, kann durch bedingungslose Hingabe und echte Aufopferung wettgemacht werden. Schalke arbeitet wieder Fußball, und genau diese Eigenschaft ist es, die den Verein in der 2. Bundesliga über Wasser hält – ganz egal, wie voll der Schacht läuft.
Für mich war es ein wunderbarer Anblick, als der Coach nach Abpfiff in die Schalker Kurve lief und sich voller Stolz auf die Brust schlug. Das ist für mich kein Grund zur Kritik. Muslic wollte sich sicherlich nicht alleine und exklusiv feiern lassen. Vielmehr wirkte es so, als wolle sich der neue Cheftrainer beim lautstarken Anhang für die Unterstützung bedanken. Diese Geste des Coaches schwappte als emotionales Echo mit viel Gegenliebe aus der Kurve zurück. Der Heimsieg gegen Hertha BSC hat gezeigt, welche große Power in diesem Verein steckt und wozu Schalke als Einheit aus Mannschaft und Fans fähig ist.
Und selbst wenn sich Muslic in diesem Moment auch ein bisschen selbst hat feiern lassen, dann ist daran nichts Verwerfliches. Man bedenke einfach, welch große Last es sein muss, zu einem kriselnden Giganten des deutschen Fußballs zu kommen, der seit Jahren versucht, sich selbst zu finden. Einen Kaderumbruch zu managen, bei dem einem in vielen Punkten der Transferpolitik die Hände auf dem Rücken gebunden sind, und man sich dennoch durch den hart umkämpften Alltag des Fußballgeschäfts prügeln muss. Muslic hat das ohne Murren und Knurren getan. Dann kommt der Spielplan heraus und man sieht, dass man als ausgewiesener Katastrophenverein der Vergangenheit an den keiner mehr glaubt im allerersten Spiel der neuen Saison, nach wochenlanger Auszehrung der deutschen Fußballfans, dem großen Aufstiegsfavoriten auf dem Präsentierteller zum Fraß vorgeworfen wird. Gefühlt das ganze Land schaut auf dich und man weigert sich einfach, das so hinzunehmen, schlägt diesen vermeintlichen Riesen mit ehrlicher Arbeit auf dem Platz, ohne Schicki-Micki und große Transfers. Ist das nicht ein wenig Anerkennung würdig? Ich sage: Hut ab, Miron Muslic!
Der Auftaktsieg gegen Hertha darf keinesfalls an die große Glocke gehängt werden und sollte auch noch nicht überbewertet werden, aber er gibt dennoch viele Gründe, mit etwas mehr Optimismus in die nächsten Wochen zu gehen. Schalke wird auch in dieser Saison nicht jedes Spiel gewinnen und garantiert tiefe Täler durchlaufen müssen, aber mit Auftritten wie dem am Freitag wird eines garantiert nicht passieren: dass Schalke in dieser Saison erneut sein Gesicht verliert. Dieser Auftritt muss nun als Maßstab und Messlatte herhalten. Am kommenden Samstagabend beim Auswärtsspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern auf dem ehrwürdigen und ebenfalls stimmungsvollen Betzenberg wird Schalke diese Leistung bestätigen müssen.Der steile Weg aus dem dunklen Kohleschacht zurück nach oben ist noch weit und mühsam, aber die Schalker steigen aktuell mit einem zarten Pflänzchen in der Hand dem Tageslicht entgegen. Vielleicht gelingt es mit Miron Muslic endlich einem Trainer, dieses königsblaue Pflänzchen bis zum Schluss zu behüten, damit es gedeiht und blüht und neue, starke Wurzeln schlägt. Glück auf, lieber Schalker!
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