Der FC St. Pauli unter Blessin: Defensives Bollwerk und offensive Flaute | OneFootball

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·13 November 2024

Der FC St. Pauli unter Blessin: Defensives Bollwerk und offensive Flaute

Article image:Der FC St. Pauli unter Blessin: Defensives Bollwerk und offensive Flaute

Zwei Siege, acht Punkte und Tabellenplatz 16 nach zehn Spieltagen – der Start des FC St. Pauli in die Bundesliga-Saison liest sich auf dem Papier eher durchwachsen. Doch wie ist die Lage beim Aufsteiger, wenn man hinter die nackten Zahlen schaut? Wo steht der FC St. Pauli gut vier Monate nach Alexander Blessins Amtsantritt? Und was hat sich im Vergleich zur Vorsaison verändert?

Das Erbe, dass Alexander Blessin beim FC St. Pauli anzutreten hatte, hätte schwerer kaum sein können. Vorgänger Fabian Hürzeler verließ den Kiezklub mit dem besten Punkteschnitt aller Trainer in der Geschichte der 2. Bundesliga (mind. 50 Spiele, Daten von Transfermarkt.de). Das erste Mal seit langem spielte St. Pauli über mehrere Halbserien hinweg attraktiven und gleichzeitig erfolgreichen Fußball. Am Ende der Saison 2023/24 stand der hochverdiente Aufstieg in die 1. Bundesliga nach 13 Jahren im Unterhaus. Zudem ließ man erstmals den Stadtrivalen Hamburger SV hinter sich. Die Freude über Hürzelers Vertragsverlängerung nach langen, zähen Verhandlungen währte allerdings nur kurz. Die Nachricht von seinem Abgang zu Brighton & Hove Albion überraschte und enttäuschte viele Fans der Kiezkicker, die Aufstiegseuphorie war merklich gedämpft.


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FC St. Pauli nach Hürzeler – alles neu oder Aufbau auf Bewährtem?

Als Nachfolger von Hürzeler hätte der Start für Blessin also leichter sein können. Mit Marcel Hartel verlor der Zweitligameister zudem seinen Topscorer der Aufstiegssaison. Blessins Verpflichtung wurde von Vielen aufgrund seiner vorherigen Erfolge durchaus positiv gesehen. Gerade erst hatte er Union Saint-Gilloise in Belgien auf Platz zwei geführt und den belgischen Pokal gewonnen.

Aufgrund seiner Anfänge als Trainer bei RasenBallsport Leipzig erwarteten viele, dass Blessin auch beim FC St. Pauli den sogenannten RB-Fußball einführen würde. Diese Art zu spielen definiert sich vor allem durch hohes Pressing, intensives Gegenpressing und direktes Spiel nach vorne aus. Gänzlich anders als, der unter Hürzeler gespielte Ballbesitzfußball mit viel Fokus auf Ball- und Spielkontrolle. Zudem favorisierte Blessin bei Saint-Gilloise zwar ebenso wie Hürzeler eine Dreierkette, allerdings nicht das 3-4-3, sondern ein 3-5-2 ohne offensive Flügelspieler.

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Wie dies zum vorhandenen Kader passen würde, schien unklar. Zwei der wichtigsten Offensivspieler der Vorsaison, Oladapo Afolayan und Elias Saad sind klare Außenspieler. Sie auf die Bank zu setzen oder auf ungewohnten Positionen einzusetzen, erschien mindestens fragwürdig. Die ersten vier Pflichtspiele unterstrichen die Sorge vieler, dass Blessins neues 3-5-2-System nicht zum Kader passt. Stets spielte St. Pauli erst besser, wenn in der 2. Halbzeit durch personelle Wechsel auf das Aufstiegssystem umgestellt wurde. In der Bundesliga setzte es zum Start drei Niederlagen und im Pokal kam man erst in der Verlängerung gegen den Drittligisten Halle weiter.

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St. Pauli-Keeper Nikola Vasilj kassierte erst zwölf Gegentore und spielte bereits viermal zu Null. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Starke Defensive als Fundament für die Trendwende

Die kritische Stimmen wurden lauter und am 4. Spieltag reagierte Blessin. Gegen RB Leipzig setzte er erstmals von Beginn an auf ein 3-4-3 mit Saad und Afolayan in der Startelf. Die Umstellungen zahlten sich aus, ein verdientes 0:0 gegen eines der Topteams der Liga läutete die Stimmungswende ein. Am nächsten Spieltag feierte man mit einem 3:0 in Freiburg den ersten Bundesliga-Sieg seit dem 16. Februar 2011. Seitdem gab es zwar auch Niederlagen gegen Mainz 05, Borussia Dortmund und Bayern München. Ein Sieg gegen die TSG Hoffenheim und ein 0:0 gegen den VfL Wolfsburg sorgt aber dafür, dass St. Pauli nach 10 Spieltagen solide dasteht.

Mut macht außerdem, dass man in kaum einem Spiel deutlich unterlegen war. Dafür verantwortlich ist vor allem die starke Defensive. Mit nur zwölf Gegentreffern stellen die Braun-Weißen die fünftbeste Abwehr der Liga. Keeper Nikola Vasilj konnte bereits viermal zu Null spielen. Die starke Abwehr ist auch ein Verdienst von Alexander Blessin. In beeindruckender Art und Weise gelingt es St. Pauli das Zentrum zu schließen, sodass die gegnerischen Teams auf die Außenbahn gedrängt werden. Diese sind im tiefen 5-4-1-Block immer doppelt besetzt. Oft wissen sich die Gegner deshalb nur mit Flanken zu helfen. So schlug Hoffenheim beim 2:0-Auswärtserfolg des FC St. Pauli im Kraichgau beispielsweise 41 Flanken, von denen nur sieben einen Abnehmer fanden (Daten von FBref.com).

Selbst Topteams, wie die Bayern oder Leipzig taten sich extrem schwer Lücken in St. Paulis massivem Defensivblock zu finden. Im jüngsten Heimspiel gegen die Münchener konnte nur Jamal Musiala mit einem Traumtor Vasilj überwinden. Insgesamt ließ St. Pauli nur 0,8 Expected Goals gegen die Münchener zu. Der bisherige Tiefstwert in der Liga für Vincent Kompanys Team waren 1,38 xG gegen den amtierenden Meister Bayer Leverkusen (Daten von fotmob.com). Die Mannschaft wird von Blessin defensiv sehr gut eingestellt, die Abstände zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen werden stets kompakt gehalten. Die Fünferkette erlaubt es den Abwehrspielern zudem, immer wieder vorwärts zu verteidigen, die entstehenden Räume werden von den Mannschaftskollegen diszipliniert geschlossen.

Eine signifikante Veränderung, die Blessin, im Vergleich zur Vorsaison unter Hürzeler, in der Defensive vorgenommen hat, ist die tiefere Abwehrkette und eine abwartendere Spielweise. Dies war aufgrund seiner RB-Ausbildung nicht unbedingt zu erwarten, führt aber bisher dazu, dass St. Pauli dem Gegner wenig Raum hinter der eigenen Fünferkette anbietet. Dies war letzte Saison häufiger ein Problem, insbesondere aufgrund der Tempodefizite im Abwehrzentrum. Weder Hauke Wahl, noch Eric Smith oder Karol Mets verfügen über sonderlich viel Geschwindigkeit. Das Verteidigen in einer tieferen Kette zwingt sie seltener in Laufduelle gegen schnelle Offensivspieler. Zugleich ermöglicht es ihre Stärken in Antizipation und Stellungsspiel optimal einzubringen.

Ein weiterer Faktor ist St. Paulis Fitness und die damit verbundene Fähigkeit über 90 Minuten dagegen halten zu können. Mit 1213,7 Kilometern ist Blessins Team das Laufstärkste der Liga. Auch bei den intensiven Läufen liegt man ligaweit auf Platz fünf. Sinnbildlich für St. Paulis Intensität steht Kapitän Jackson Irvine, er steht bei der Gesamtdistanz auf Platz eins und bei den intensivem Läufen auf Platz acht (Daten von Bundesliga.de). Irvine zeichnet sich nicht durch seine Laufstärke aus, sondern liegt auch in den Kategorien gewonnene Zweikämpfe auf dem Boden und in der Luft auf seiner Position ganz vorn. Zusammen mit Robert Wagner oder Carlo Boukhalfa schließt Irvine im zentralen Mittelfeld enorm viele Räume und trägt zur defensiven Stabilität bei.

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Elias Saad ist St. Paulis Topscorer, sein Ausfall wiegt schwer. (Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Nur sieben Tore – die Offensive bereitet Probleme

Im Gegensatz zur starken Defensive bereitet die Offensive weiterhin Sorgen. In sechs Ligaspielen blieb der FC St. Pauli ohne eigenes Tor und sieben erzielte Tore sind Ligatiefstwert. Mit zwei Toren und zwei Vorlagen ist Elias Saad St. Paulis Topscorer, der Flügelspieler fällt aber mit einer Knöchelverletzung wohl noch mindestens bis zur Winterpause aus. Die nominellen Stürmer Morgan Guilavogui und Johannes Eggestein sind noch gänzlich ohne Torerfolg und auch aus dem Mittelfeld kommt zu wenig Torgefahr. In der Vorsaison war dies ein wichtiger Faktor. Irvine mit sechs Toren und neun Assists, sowie der schmerzlich vermisste Hartel mit 17 Toren und 13 Vorlagen, waren zwei der größten offensiven Gefahrenherde im Spiel von St. Pauli.

Die Ansätze der Kiezkicker sind indes nichtsdestotrotz vielversprechend. Zwar gab es unter Blessin eine Abkehr vom langsamen und geduldigen Ballbesitzfußball der Vorjahre, St. Pauli ist aber keineswegs ideenlos oder eindimensional im eigenen Spielaufbau. Ein häufiges Muster sind Pässe, die vom Innenverteidiger durchs Zentrum auf einen der drei Offensivspieler gespielt werden. Dieser Offensivspieler versucht dann den Ball auf die nachrückenden Mittelfeldspieler abzulegen und anschließend selbst in die Tiefe zu starten. Dies sieht nicht zuletzt aufgrund der Fähigkeiten im Passspiel, die alle drei Innenverteidiger haben, meist gut aus. Insbesondere Eric Smith, der aus dem Abwehrzentrum zeitweise auch immer wieder in den Sechserraum vorrückt, ist auch unter Druck enorm ballsicher und passstark.

Gründe für die offensive Harmlosigkeit finden sich weiter vorne. Im letzten Drittel hat der FC St. Pauli große Probleme. Unter führt die fehlende individuelle Qualität immer wieder zu Ballverlusten. Johannes Eggestein, der bisher jedes Spiel in der Startelf stand, sammelt zwar viele Ballkontakte und ist stark im Passspiel. Körperlich ist er aber den meisten Bundesliga-Verteidigern weit unterlegen. Dies führt dazu, dass er nur 22% seiner Zweikämpfe am Boden und 15% aller Luftzweikämpfe gewinnt. Sturmpartner Morgan Guilavogui ist wiederum bei den Ballverlusten im Ligavergleich weit vorne zu finden (2,76 pro 90 Minuten).

Diese individuellen Schwächen der Einzelspieler verbinden sich im bisherigen Saisonverlauf mit einer mannschaftsübergreifenden Abschlussschwäche. St. Pauli gibt ligaweit die wenigsten Schüsse insgesamt und die wenigsten Schüsse aufs Tor ab. Außerdem benötigt man zeitgleich die meisten Schüsse um zum Torerfolg zu kommen, 16 Schüsse bracht St. Pauli im Durchschnitt pro Tor. Auch der xG-Wert pro Schuss ist der zweitschlechteste der Liga, dieser Wert veranschaulicht aus welchen Positionen die Schüsse abgegeben werden. Es gibt also auf der einen Seite Probleme, Chancen überhaupt zu kreieren und auf der anderen Seite, diese dann auch zu verwerten.

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Kapitän Jackson Irvine war letzte Saison einer der torgefährlichsten Spieler, diese Saison hakt es offensiv auch bei ihm noch. (Photo by Selim Sudheimer/Getty Images)

St. Pauli kann mithalten und ist schwer zu schlagen

Unterm Strich lässt sich sagen, dass Alexander Blessin in seiner bisherigen Amtszeit beim FC St. Pauli sicherlich keine Wunder bewirkt hat, es aber dennoch in die richtige Richtung geht. Nach einem holprigen Start hat er es, unter anderem durch einen Systemwechsel, geschafft die Mannschaft zu stabilisieren. Der gebürtige Stuttgarter hat den Aufsteiger zu einem Team geformt, das sehr schwer zu schlagen ist und auch Spitzenteams große Probleme bereiten kann. Insbesondere in der Defensive ist es Blessin gelungen, Elemente aus der Zeit unter Hürzeler zu übernehmen und mit eigenen Ideen zu ergänzen.

Dies alles geschieht mit einem Kader, der im Vergleich zur Vorsaison kaum besser einzuschätzen ist. Schlüsselspieler und Topscorer Marcel Hartel wurde nicht ersetzt und die Neuzugänge haben bisher noch nicht eingeschlagen. Dies erklärt zu großen Teilen die offensive Harmlosigkeit. Die Ideen, wie St. Pauli nach vorne spielen und zu Chancen kommen will, sehen weitestgehend vielversprechend aus. Deren Umsetzung scheitert zumeist an der individuellen Unterlegenheit. Die schwache Offensive ist kein taktisches, sondern vielmehr ein personelles Problem.

So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Blessin viel aus den Möglichkeiten des Kaders macht. St. Pauli spielt keinen Pressing-Fußball, wie es aufgrund von Blessins Vergangenheit vielleicht erwartet wurde. Vielmehr hat sich der 51-Jährige an der Fähigkeiten der, ihm zur Verfügung stehenden Spieler, orientiert. Gerade die starke Defensive kann im Abstiegskampf zum Faustpfand werden und sorgt dafür, dass mit St. Pauli in jedem Spiel zu rechnen ist. St. Pauli steht mit acht Punkten im Rennen um den Klassenerhalt voll im Soll und war bisher in keiner Partie komplett chancenlos. Gelingt es, durch die Rückkehr von Saad, einen Formanstieg anderer Offensivspieler oder personelle Nachjustierungen im Winter, auch offensiv gefährlicher zu werden, ist das Erreichen des Klassenerhalt auf jeden Fall möglich.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

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