MillernTon
·10 April 2025
Auswärts in Kiel – Into the Wild

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·10 April 2025
Wenn der FC St. Pauli in den letzten Jahren bei Holstein Kiel zu Gast gewesen ist, dann waren das immer denkwürdige Spiele. Ein Blick zurück vor dem Duell am Samstag.(Titelfoto: Peter Boehmer)
Es ist die achte Spielzeit in Serie, in der sich der FC St. Pauli und Holstein Kiel als Konkurrenten auf dem Platz gegenüber stehen. Sieben Jahre lang traf man in der 2. Liga aufeinander, ehe man letzte Saison gemeinsam in die Bundesliga aufstieg. Die Bilanz dieser Spiele ist dabei relativ ausgeglichen: Acht FCSP-Siege, zwei Unentschieden, fünf Erfolge für Kiel. Die letzten vier Begegnungen konnte der FC St. Pauli für sich entscheiden. Zwei dieser jüngsten Erfolge gab es in Kiel – und sie waren wild. So wie auch die anderen fünf Auswärtsspiele des FCSP in Kiel. Kommt mit, wird ’ne nette kleine Zeitreise von Bannerklau über Rautenschweine (und auch noch Tim Walter) zu Fin Bartels und Dapo Afolayan.
Der Gästeblock in Kiel ist umgezogen auf eine neue Tribüne. Vorbei ist hoffentlich die Zeit einer brutal schlechten Sicht auf das Spielfeld. Was bei all der berechtigten Kritik am Gästeblock der letzten Auswärtsspiele in Kiel aber nicht vergessen werden darf: Es war vorher sogar noch schlimmer. Eine Kurve, die gefühlte 1910 Meter vom Spielfeld entfernt positioniert war, zusätzlich nahezu blickdicht abgeschottet durch einen Gerüstbau zur Positionierung der Fernsehkameras – um das Spiel im September 2017 wirklich zu sehen, war definitiv das TV-Bild notwendig. Dort sah man, wie Johannes Flum in der 44. Minute das 1:0 für Braun-Weiß erzielte. Ansonsten passierte nicht viel, es gab mehr Karten (zehn) als Torschüsse (acht). Das Spiel ist also unspannend gewesen! Nix wildes also?! Hallo?! Was für ein Scheiß-Clickbait ist denn der Titel dieses Artikels?!?!?!?! Ja, aber…
… das Spiel mag kein Highlight gewesen sein, wild war aber auf jeden Fall das, was vor dem Spiel passierte. Im Gästeblock konnte man aus nächster Nähe verfolgen, wie sich vor Anpfiff einige Personen aus dem Heimbereich quer über den Platz gen Gästekurve aufmachten. Der Großteil dieser Personen entschied auf Höhe der Mittellinie, dass der Weg zu weit ist. Der restliche Teil entwendete kleine Banner aus dem noch eher leeren Gästebereich, die aber von Sami Allagui, sowie den damaligen Co-Trainern Mathias Hain und Patrick Glöckner noch auf dem Rasen wieder zurückerobert wurden. Alles ausführlich nachzulesen im Übersteiger-Blog.
Mehr als 18 Monate nach diesem Erfolg des FC St. Pauli in Kiel war man erneut zu Gast im Holstein-Stadion. Das Team der Kieler wurde damals von Tim Walter trainiert, der einen recht radikalen Fußball spielen ließ. Unter anderem definierte er die Rolle der Innenverteidiger neu, die Saison 18/19 sollte den endgültigen Durchbruch von Hauke Wahl bedeuten, der auch damals mit auf dem Platz stand. Mit Atakan Karazor, Mathias Honsak und Jae-Sung Lee fanden sich zudem noch drei weitere aktuelle Bundesligaspieler auf Kieler Seite ein, der junge Yann Bisseck wurde eingewechselt (vom damaligen FCSP-Kader spielte heute übrigens niemand in den Top-Ligen).
Nur 41 Minuten stand Wahls Innenverteidiger-Kollege Thesker neben ihm, danach musste er aufgrund eines Platzverweises das Feld verlassen. Der FC St. Pauli erzielte in Person von Alex Meier wenige Minuten nach dem Platzverweis die Führung. Alles schien geregelt. Doch Tim Walter entschied sich dafür, zu ignorieren, dass ein Innenverteidiger auf dem Rasen fehlte, ließ sein Team einfach so weiterspielen wie bisher und hatte damit gegen perplexe FCSP-Spieler Erfolg (das probierte er übrigens auch mit dem HSV mal – hier ab 3:25). Eduard Schmidt, heute Spielanalyst beim SC Paderborn, schrieb damals eine spannende Analyse des Spiels.
Aber diese Partie war auch neben dem Platz alles andere als ein Langweiler: Zum einen sollte es die letzte von Markus Kauczinski als Cheftrainer des FC St. Pauli gewesen sein. Eine Woche später saß bereits Jos Luhukay auf der Bank. Für viele Diskussionen sorgte vor allem ein Banner, welches im Gästeblock des Holstein-Stadions gezeigt wurde: „JD8: Traurig sieht die Mutti ein – ihr Sohn ist jetzt ein Rautenschwein“ stand dort geschrieben. Gemeint war Jeremy Dudziak, dessen Wechsel zum HSV kurz zuvor bekannt wurde und dessen Mutter Anhängerin des FCSP (gewesen) sein soll. Die Hamburger Medien überschlugen sich anschließend von „Verrat der eigenen Werte“ über „St. Pauli kuscht vor eigenen Fans“ hin zu „Protest unter aller Sau“. Ja, die Apokalypse stand kurz bevor… Der MillernTon hatte sich dazu auch geäußert: „Jeremy Dudziak, Du Sohn einer St. Pauli-Fanin“
„Sabine“ hieß das Sturmtief, das im Februar 2020 den Norden erwischte und dafür sorgte, dass lange Zeit gar nicht klar war, ob die Partie zwischen Holstein Kiel und dem FC St. Pauli stattfinden kann. Auch wenn die Anreise per Bahn teils massive Verspätungen beinhaltete, konnte sie stattfinden. Aus sportlicher Sicht war es für den FCSP eine durchaus wichtige Partie an diesem Montagabend. Denn das Team von Luhukay stand auf Rang 15, war schlecht ins Jahr 2020 gestartet.
Und schlecht lief auch die Partie, der Titel des MillernTon-Artikels lautet „Das goldene Stück Scheiße gehört uns!“ Denn der FCSP konnte den 0:1-Rückstand zwar noch ausgleichen, doch kurz vor Schluss griff das Team dann gleich mehrfach in den Topf mit Scheiße: Erst bekam der FC St. Pauli einen Handelfmeter, den Henk Veerman vergab. Es folgte ein indirekter Freistoß aus fünf Metern, den Viktor Gyökeres aber nicht im Tor unterbringen konnte, sodass man am Ende erneut mit 1:2 verlor. Für den FC St. Pauli folgte dann eine erfolgreiche Phase samt Derbysieg, ehe die Pandemie den Fußball, und auch sonst alles, zum Erliegen brachte.
Zwar traf Henk Veerman im Februar 2020 gegen Holstein Kiel zum zwischenteilichen Ausgleich, doch in der 90. Minute fand sein Elfmeter nicht den Weg ins Kieler Tor. // (c) Peter Boehmer
Die Saison 20/21 war für den FC St. Pauli nicht weniger als eine Achterbahnfahrt. Auf eine gruselige Hin- folgte eine großartige Rückrunde. Doch nachdem es der FCSP in sichere Fahrwasser geschafft hatte, war ein gewisser Druckabfall in den Leistungen unübersehbar, besonders beim Auswärtsspiel in Kiel (wenngleich das Heimteam erst nach dem zweiten Tor deutlich besser als der FC St. Pauli war). Denn das ging mit 4:0 ziemlich deutlich an die Kieler, die sich dadurch weiter in einer exzellenten Ausgangsposition im Aufstiegskampf befanden. Fin Bartels, damals in Top-Form, erzielte zwei Treffer für das Team von Ole Werner.
Für den FCSP bedeutete diese Niederlage das Ende aller theoretischen Szenarien, die 2. Bundesliga am Saisonende noch zu verlassen, man erlangte endgültige Planungssicherheit (zwei Jahre später wiederholte sich diese Szenario). Für Holstein Kiel war das Spiel Teil eines sehr heftigen Marathons. Aufgrund einer Corona-Quarantäne musste das Team am 01., 04., 07., 10., 13. und 16. Mai zu Pflichtspielen antreten. Zuerst rauschte man auf einen Aufstiegsplatz, dann ging den Kielern aber die Puste aus. Es folgte noch das Abrutschen auf den Relegationsrang und in der verlor man dann gegen den 1. FC Köln.
So spielten Holstein Kiel und der FC St. Pauli also auch in der Folgesaison gegeneinander. Nach einem deutlichen FCSP-Erfolg im Hinspiel, traf man zum Rückrundenauftakt im Dezember 2021 in Kiel aufeinander. Und auch wenn es im Ergebnis, 0:3 statt 0:4, nicht ganz so heftig wurde wie in der Vorsaison, so war diese Niederlage für den FCSP sicher schmerzhafter. Weil man damals bereits eine Blaupause dafür bekam, was in der Rückrunde alles schieflaufen kann. Weil sie den Anfang vom Ende darstellte.
Denn der FC St. Pauli reiste als frischgebackener Herbstmeister nach Kiel, spielte in der Hinrunde nahezu alles in Grund und Boden. Dann stand es aus FCSP-Sicht bereits zur Halbzeit 0:3 und der FCSP darf sich bei den Kielern bedanken, in der zweiten Halbzeit nicht komplett auseinandergenommen worden zu sein. Gegnerische Teams fanden in der Folge mehr und mehr ein Mittel, um gegen die Mittelfeldraute des FC St. Pauli bestehen zu können. Holstein Kiel stellte extra für diese Partie eine Dreierkette auf, eine Formation, mit der man beim FC St. Pauli in der Saison noch öfter schmerzhafte Bekanntschaft machen sollte. „3-5-2 = Kryptonit?“ lautete dann auch eine Zwischenüberschrift im Spielbericht zu der Partie.
Rund 18 Monate später war der FC St. Pauli erneut in Kiel zu Gast. Am 33. Spieltag gab es für den FCSP nur noch theoretische Chancen, auf den Relegationsrang zu springen. Das Spiel selbst stand dann auf Kieler Seite ganz im Zeichen des Abschieds. Bereits vor Anpfiff war klar, dass sich der Verein von einigen langjährigen Leistungsträgern nach Saisonende trennen wird. Einer von ihnen: Hauke Wahl. Und Wahl war es auch, der dann kurz nach der Pause die Führung für den FC St. Pauli erzielte. Dieses Eigentor ist bis heute sein einziges Liga-Tor für den FCSP gewesen – er wollte wohl noch die theoretische Aufstiegschance am Leben halten…
Zuvor hatte Dapo Afolayan zum Ausgleich getroffen. Daschner und Paqarada sorgten für eine zwischenzeitlich komfortable 4:1-Führung, durch zwei Kieler Treffer am Ende wurde es aber nochmal eng. Für Afolayan war es das letzte Saisonspiel, denn er sah kurz vor Schluss noch die Gelb-Rote Karte. Er zeigte in Kiel aber bis dahin eine ganz fantastische Leistung, genauso wie der Rest des Teams. Kurz nach dem Platzverweis wurde das Spiel dann nebensächlich. Denn Fin Bartels verließ den Platz und feierte damit seinen Abschied (auch wenn er eine Woche später in Hannover noch doppelt treffen sollte) – da er auch einige Zeit im Trikot des FC St. Pauli verbrachte, ein absolut würdiger Rahmen.
Zwei Spiele in Kiel, drei Treffer – Dapo Afolayan hat gute Erinnerungen an Auswärtsreisen in den Norden mit dem FC St. Pauli. // (c) Peter Boehmer
Das mit dem starken Auftritt von Afolayan, der zwischenzeitlich komfortablen 4:1-Führung und dem 4:3-Erfolg für den FC St. Pauli wiederholte sich dann in der Folgesaison. Wenngleich dieses Spiel im Februar 2024 qualitativ nochmal eine andere (im wahrsten Sinne des Wortes!) Liga gewesen ist. Für viele war es das beste Spiel der gesamten Zweitligasaison 23/24. Der FC St. Pauli reiste an einem Freitagabend als Tabellenführer zum Herbstmeister und auf Platz zwei liegenden KSV Holstein – mehr geht auch einfach nicht.
Und mehr ging auch nicht in Bezug auf die Leistung des FC St. Pauli, vor allem in der ersten Halbzeit. Zwar fand auch Holstein Kiel immer wieder den Weg zum FCSP-Tor, doch der FCSP war richtig eiskalt, erzielte drei Tore (Afolayan zwei davon) und lag zur Pause entsprechend deutlich in Führung. Doch wie so oft bei Spielen des FCSP in Kiel wurde es richtig wild. Machino erzielte kurz nach Wiederanpfiff das 1:3, Metcalfe stellte wenig später den Drei-Tore-Abstand wieder her. Durch Tore von Mees und Bernhardsson kam Kiel dann nochmal richtig ran – und der FCSP wackelte bedenklich. Hürzeler und Saliakas verzögerten tief in der Nachspielzeit die Partie massiv (sahen beide Gelb), kurz zuvor trafen Hartel und Boukhalfa (per Lupfer!) jeweils die Latte. King of The Chaos!
Nach Abpfiff ärgerten sich viele Kieler Fans und neutrale Beobachter*innen, dass diese Partie nun vorbei ist. Auf Seiten des FC St. Pauli war hingegen deutliche Erleichterung zu spüren und das Wort „Vorentscheidung“ machte die Runde. Das war angesichts der Tabellensituation (sieben Punkte Vorsprung auf Platz drei, noch elf Spieltage) zwar viel zu optimistisch, aber so fühlte es sich nach diesem Spiel halt an.
Und genau so ein Gefühl wünscht man sich auf Seiten des FC St. Pauli auch jetzt wieder, wenn am Samstag das Spiel in Kiel abgepfiffen wird. Eine wirkliche Vorentscheidung im Kampf um den Klassenerhalt würde es natürlich noch nicht geben. aber sollte der FCSP in Kiel dreifach punkten, dann würde alles auf mindestens eine weitere Saison in der Bundesliga hindeuten. Für Holstein Kiel ist diese Partie sicher noch etwas bedeutender, weil Platz 15 bei einer Niederlage wohl unerreichbar weit weg wäre. Es darf also wieder mit einer höchst intensiven Partie im Holstein-Stadion gerechnet werden. Die Vorfreude ist riesig!// Tim
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