
Miasanrot
·25. Mai 2025
Wirtz-Absage an den FC Bayern und der Mythos der Strahlkraft von früher

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·25. Mai 2025
Florian Wirtz kommt nicht. Hat der FC Bayern auf dem Transfermarkt an Strahlkraft eingebüßt? Nein, wie eine nähere Betrachtung zeigt.
Florian Wirtz wird aller Voraussicht nach nicht zum FC Bayern wechseln. Während sich der Verein intern neu aufstellt, ist die ein Aspekt der Reaktionen bei Fans und Experten erwartbar reflexhaft: Der FC Bayern bekomme seine Wunschspieler nicht mehr und habe Strahlkraft auf dem Transfermarkt verloren. Einmal mehr wird die Erzählung bemüht, die Zeiten des selbstverständlichen Bayern-Zugriffs vor allem auf nationale Topspieler seien vorbei.
Doch wann genau war dieses Früher? Wann war der FC Bayern tatsächlich der Club, der alle Wunschspieler bekam, der sämtliche Bundesliga-Stars nach München holte? Auf diese Frage erhält man meist anekdotische Einzelfälle als Antwort – Michael Ballack, Manuel Neuer, Robert Lewandowski. Eine systemische Analyse dieser vermeintlich goldenen Ära? Fehlanzeige.
Dabei zeigt ein nüchterner Blick in die Geschichte: Der Mythos vom allmächtigen FC Bayern auf dem Transfermarkt war nie mehr als ein kollektives Gefühl im Rückspiegel – gespeist aus sportlichem Erfolg, selektiver Erinnerung und medialem Nachhall. Zeit, diese gefühlte Wahrheit einzuordnen.
Die ganz großen internationalen Namen? Die gingen fast immer woanders hin. Michel Platini, Diego Maradona, Romário, Zinédine Zidane, Ronaldinho, David Beckham, Ronaldo Fenômeno, Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Neymar und viele andere – bei Transfers dieser Größenordnung spielte der FC Bayern fast nie mit.
Entweder fehlten die finanziellen Mittel oder der FC Bayern war schlicht nicht bereit, sie einzusetzen (Stichwort “Festgeldkonto”). In anderen Fällen entschieden sich die Spieler für glamourösere Ligen oder Märkte.
Die größten Transfers der Bayern-Vereinsgeschichte waren international eher Verpflichtungen aus der zweiten Reihe. Brian Laudrup, Giovane Elber oder Roy Makaay gehörten in den 1990er- und 2000er-Jahren zu den teuersten Verpflichtungen des Rekordmeisters – international fanden sie kaum Beachtung.
Selbst die Helden aus dem Bayern-Olymp, Franck Ribéry und Arjen Robben, waren keine “Galácticos”. Als Robben 2009 für 25 Millionen Euro nach München kam, hatte Real Madrid im selben Sommer Cristiano Ronaldo, Kaká und Karim Benzema verpflichtet – für zusammen 196 Millionen Euro.
Wenn man so will, ist Harry Kane 2023 der große Ausnahmefall. Doch selbst er war trotz Weltklasseformat altersbedingt kein Transfer der typischen “Next Superstar“-Kategorie. Und gerade dieser Wechsel zeigt: Die Erzählung vom Bedeutungsverlust auf dem Transfermarkt trägt nicht. Wenn, spräche Kane fürs Gegenteil.
Als führender Klub Deutschlands hatte der FC Bayern immer wieder große Namen der Nationalmannschaft in seinen Reihen – besonders in der Zeit vor dem Bosman-Urteil, als die Anzahl ausländischer Spieler im Kader begrenzt war. Doch auch hier: nie alle, nie exklusiv.
In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren zog es viele deutsche Topspieler ins Ausland, vor allem nach Italien: Rudi Völler, Thomas Häßler, Andreas Möller, Karl-Heinz Riedle – alle gingen an Bayern vorbei.
Später scheiterte der Verein an Spielern wie Sebastian Kehl, der sich 2001 trotz weit fortgeschrittener Gespräche und mündlicher Zusage an den FC Bayern in letzter Minute für Borussia Dortmund entschied. Retrospektiv wirkt die Kehl-Absage nach einer Randnotiz der Geschichte. Mit Blick auf die Rivalität zwischen Bayern und Dortmund, die von 1995 bis 2002 dreimal Deutscher Meister wurden, war es damals eine empfindliche Transferschlappe für den FC Bayern. Zumals sich auch 2000 und 2002 die vom FC Bayern umworbenen Tomas Rosicky und Torsten Frings für Schwarz-Gelb entschieden.
Die Liste der gehandelten, aber nicht verpflichteten deutschen Nationalspieler reicht über Per Mertesacker und Bernd Schneider in die 2010er-Jahre hinein – mit Namen wie Mesut Özil, Marco Reus, Sami Khedira, İlkay Gündoğan. 2020 reihte sich Kai Havertz ein. Selbst wenn der FC Bayern regelmäßig zum Kreis der Interessenten gehörte, blieb der Zuschlag aus.
Und dennoch: Mit Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Leroy Sané und Leon Goretzka stehen heute mehrere deutsche Nationalspieler im Bayern-Kader. Jonathan Tah oder Tom Bischof könnten im Sommer folgen. Wer in dieser Lage einen Bedeutungsverlust konstruiert, misst mit zweierlei Maß.
Auch abseits deutscher Nationalspieler galt: Nicht jeder Bundesliga-Star landete in München.
Jorginho, Lucio und Zé Roberto kamen aus Leverkusen. Arturo Vidal, Emerson und Dimitar Berbatov wechselten von Leverkusen ins Ausland. Robert Lewandowski kam aus Dortmund, Erling Haaland nicht.
Viele der auffälligsten Bundesligaspieler – von Márcio Amoroso über Rosicky, Johan Micoud und Diego bis zu Kevin de Bruyne, Ousmane Dembélé, Christopher Nkunku und Dominik Szoboszlai – wechselten ins Ausland.
Der FC Bayern hatte auch hier in der Vergangenheit nie die dominante Stellung, zu der sie rückblickend verklärt wird. Gleichzeitig bleibt der FC Bayern auch in jüngerer Vergangenheit relevant für interessante ausländische Bundesligaspieler, wie die Wechsel von Dayot Upamecano, Konrad Laimer, Yann Sommer oder Hiroki Ito zeigen.
Viele retrospektiv als „große Transfers“ gefeierte Spieler kamen als Talente: Joshua Kimmich war ein ambitionierter Zweitligaspieler. Leon Goretzka war ein junges Talent auf Schalke. Selbst Robert Lewandowski hatte die Weltbühne erst kurz betreten, als der FC Bayern zuschnappte. 2011/12 gelang ihm ein Tor in der Champions League. Als er in der Saison 2012/13 seinen großen internationalen Durchbruch hatte, stand der Wechsel zum FC Bayern schon so gut wie fest.
Rückblickend wirken diese Verpflichtungen wie Beweise der bayerischen Strahlkraft – obwohl sie das zum Zeitpunkt des Wechsels nur bedingt waren. Umgekehrt verblassen gescheiterte Transfers wie der von Sebastian Kehl, weil sie sich nicht in Titeln oder Spielen manifestieren.
Wahrscheinlich wird es in zehn Jahren die gleiche Diskussion geben, dann mit Tom Bischof als Positivbeispiel dafür, dass der FC Bayern 2025 noch die Anziehungskraft hatte, die dann 2035 scheinbar verblasst sei.
Transfers sind konkret. Sie sind dokumentiert, nachvollziehbar, bewertbar. Gescheiterte Wechsel hingegen bleiben im Dunkeln: Wie ernsthaft war das Interesse? Lag ein Angebot vor? Gab es Gespräche?
Transfergerüchte sind das: Gerüchte. Trotz des allgegenwärtigen Transferjournalismus fehlt hier eine belastbare und ex-post nachvollziehbare Datenbasis. Es gibt viele Webseiten und Datenbank mit tatsächlichen Transfers. Es gibt keine offizielle Datenbank mit “Transfers, die der FC Bayern tätigen wollte, aber nicht über die Ziellinie bekam”.
Das schafft eine “False Balance”: Aus der Vergangenheit sind in erster Linie erfolgreiche Transfers sichtbar. Transfergerüchte sind tief verborgen und nur bruchstückhaft im kollektiven Gedächtnis. In der Gegenwart ist es umgekehrt: Auf jeden tatsächlichen Transfer kommen unzählige Gerüchte, die nicht zur Unterschrift gebracht werden. In der Gegenwart übersteigen diese Gerüchte zahlenmäßig die tatsächlichen Transfers.
Der Frust über Wirtz ist heute präsent – wie es der über Kehl 2002 war. Doch in wenigen Jahren wird auch dieser Fall verblassen. So wie die Kehl-Absage heute als Randnotiz der Geschichte eingeordnet wird.
Erfolgreiche Transfers hingegen wirken über Jahre. Lewandowski prägte den Club acht Spielzeiten lang. Kimmich gar zehn. Diese Spieler zahlen über viele Jahre auf das Wahrnehmungskonto der geglückten Transfers ein.
Diese Dauerwirkung verzerrt das Verhältnis zwischen „geglückt“ und „verpasst“ fundamental. Selbst eine so gravierende Absage wie die von Wirtz dürfte in ein, zwei Jahren verblassen. Über Nicht-Transfers von Berbatov und Özil redete in den 2010ern kaum jemand. Auch dies führt zu einer falschen Wahrnehmung, in der die Vergangenheit positiver aussieht als sie es war und die Gegenwart negativer.
Die Absage von Florian Wirtz ist sportlich schmerzhaft für den FC Bayern. Doch sie ist kein Beweis für eine neue Schwäche des FC Bayern, sondern Teil einer lange bestehenden Realität: Der FC Bayern bekam nie alle Wunschspieler. Er kaufte fast nie im obersten Regal, sondern fand seine Stars oft im mittleren – und machte sie im eigenen Trikot groß.
Was sich durchzieht, ist nicht die Allmacht auf dem Transfermarkt, sondern die Fähigkeit, aus gegebenen Möglichkeiten das Maximum herauszuholen. Hier gilt es für den FC Bayern wieder smarter zu werden und den nächsten Wirtz zwei Jahre früher zu verpflichten, wenn vielleicht noch nicht die ganze Fußballwelt hinter ihm her jagt.