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·4. August 2023
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Martina Voss-Tecklenburg sagte nach dem Spiel gegen Südkorea, auch sie müsse sich jetzt hinterfragen. Das muss sie, auch in Bezug auf ihre personellen Entscheidungen. Voss-Tecklenburg wollte Kontinuität, aber sie zeigte Sturheit. Sie wollte eine feste Achse, aber hielt zu lange an einigen Spielerinnen fest. Sie wollte Innovation, aber ihr fehlte der Mut, die Experimente abzubrechen, wenn sie nicht funktionierten.
Colin Bell, der Trainer von Südkorea, sagte nach dem Spiel: "Svenja Huth ist eine Weltklasse-Spielerin, ich bin auch ein großer Fan von Chantal Hagel. Aber sie sind keine Außenverteidigerinnen." Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Huth konnte im ersten Spiel gegen Marokko noch ihre Offensiv-Fähigkeiten unter Beweis stellen, danach überhaupt nicht mehr. Dabei hätten ihre präzisen Flanken und ihre Tiefenläufe dem deutschen Angriff gutgetan. Hagel und sie hatten beide defensiv Probleme, und dass Südkorea dies als Schwachstelle ausmachen würde, war bereits zu erwarten gewesen.
Sophia Kleinherne, die eine solide Außenverteidigerin ist, spielte in dem ganzen Turnier keine einzige Minute. Hatte Voss-Tecklenburg wirklich so wenig Vertrauen in sie, oder hat sie zu sehr an ihre eigene Idee geglaubt? In jedem Fall ist es bizarr, dass Voss-Tecklenburg die Frankfurterin nicht einmal als Option anzusehen schien. Das wirft auch ein anderes Licht auf die Kader-Nominierung. Ja, Deutschland hatte Verletzungsprobleme, aber gegen Südkorea fielen nur zwei Spielerinnen aus. Das müsste zu kompensieren sein. Wenn Voss-Tecklenburg Kleinherne nicht vertraut, wäre die offensivere Variante mit Maximiliane Rall eine Möglichkeit gewesen.
Ein ähnliches Spiel gab es im Mittelfeld. In den letzten Minuten gab es eigentlich nur eine Spielerin, die wirklich Gefahr ausstrahlte und in Abschlusssituationen kam: Sydney Lohmann. Sie war laut Colin Bell "die einzige Spielerin, die uns vor Probleme gestellt hat". Lohmann kam in der 64. Minute ins Spiel, sie ersetzte Sara Däbritz. Auch für das Kolumbien-Spiel wäre das bereits eine Möglichkeit gewesen.
Eine Flanke vor das gegnerische Tor schlagen und darauf hoffen, dass Alexandra Popp den Kopf hinhält, um einen weiteren Treffer auf ihr Konto zu verbuchen. Viel zu häufig beschränkte sich die Offensiv-Taktik des DFB-Teams auf ebendiese Aktion. Gerade wenn man die letzten zwei Gruppenspiele gegen Kolumbien und Südkorea näher analysiert, fällt auf, dass die deutsche Mannschaft viel zu wenig Varianz im Herausspielen von Chancen gezeigt hat. Gegen manche Gegner mag der oben genannte Spielzug zum Erfolg führen, doch zu viele sind mittlerweile bestens bekannt mit der Stürmerin und deren Qualitäten.
Gegen Südkorea startete Voss-Tecklenburg mit einer veränderten Startaufstellung: Lea Schüller rückte ins Sturmzentrum, während Popp sich mehr im offensiven Mittelfeld aufhielt. Durch diese Umstellung erhoffte sich die Bundestrainerin womöglich mehr Torgefahr, erzielte aber eher einen more-of-the-same-Effekt. Ähnlich wie Popp ist auch die groß gewachsene Schüller kopfballstark und erzielt Tore gerne nach Hereingaben. Der spielerische Aspekt durch präzises und schnelles Flachpassspiel durch die Mitte oder über die Außen ging damit fast gänzlich verloren. Damit verzichtete man bewusst auf eine alternative spielerische Lösung und entschied sich für ein unkreatives Gewirr an hohen Bällen in den Sechzehner, wenn sonst kein anderer Einfall in den Sinn kam – was meistens der Fall war.
Mit dem WM-Aus stellt sich nun natürlich auch die Frage, ob Popp noch weiter im National-Trikot auflaufen wird oder ihre internationale Karriere mit einem Tiefpunkt beendet. Bereits vor dem Turnier hatte die 32-Jährige anklingen lassen, dass es sich um das letzte große Turnier für sie handeln könnte. Egal, ob dieses Szenario eintritt oder nicht, die deutsche Mannschaft muss grundlegend an einer neuen Angriffstaktik samt Popp-Ersatz basteln. Denn eines ist sicher: die Wolfsburger Stürmerin mit ihrer Torgarantie und dem Kämpferwillen zu ersetzen, wird eine schwere Aufgabe.
Der Plan der Umstellung mit Schüller und Popp war simpel: Flanken auf die beiden Angreiferinnen, Überlegenheit in der Luft ausspielen, Tore schießen. Im Prinzip logisch, und Flanken können ein valider Plan sein, wenn der gut ausgespielt wird. Aber selbst die besten Kopfballspielerinnen sind einfach zu verteidigen, wenn kein Tempo im Spiel ist. Wenn Deutschland mal zum Flanken kam, war der Strafraum immer schon gut besetzt.
Vor dem 1:1 durch Alexandra Popp ging es endlich mal schneller, dynamischer. Aber das war zu selten. Deutschlands Flügelspiel war langsam und unpräzise, es gelang ihnen wie schon gegen Kolumbien nicht, Räume zu schaffen. Fast nie schaffte es das DFB-Team, in die Tiefe zu spielen und dann zurückzulegen, mit Dreiecken eine Überzahl zu schaffen oder zu verlagern.
Und wenn es mit den Flanken schon nicht funktioniert, warum nicht einen anderen Ansatz versuchen, statt den Ball wieder und wieder in die Box zu kloppen? Martina Voss-Tecklenburg und ihr Team werden sicherlich die anderen WM-Spiele von Südkorea gesehen haben. Beide verlor das Team von Colin Bell, ohne ein Tor zu schießen. Gegen Marokko spielte Südkorea lustigerweise ähnlich wie Deutschland nun gegen sie selbst: Flankenlastig, ideenlos, langsam. Bei Marokkos Kontern waren sie dagegen anfällig. Südkorea hat Schwachstellen, die auch Kolumbien aufgezeigt hat, aber Deutschland machte es ihnen zu leicht und reagierte nicht. Voss-Tecklenburg sagte nach der Niederlage gegen Kolumbien, ihr Team müsse "etwas mutiger, klarer, ruhiger spielen", davon war nichts zu sehen.
Seit langer Zeit ist der deutsche Spielstil der Gleiche: Fußball mit langen Ballbesitzphasen, Dominanz und das Abwarten auf die Lücke in der gegnerischen Abwehr. Über viele Jahre hinweg war das DFB-Team damit auch erfolgreich, doch im Frauenfußball holen aktuell eine große Anzahl an kleineren Teams extrem schnell auf die größeren Nationen auf. Die WM-Gruppenphase ist hier das beste Beispiel, sowohl mit Turnier-Neuling Marokko, der es gleich in das Achtelfinale schaffte, als auch mit Teams wie Südafrika und Jamaika, die sich gegen vermeintlich stärkere Gegner durchsetzen konnten.
Spätestens seit der EM im letzten Jahr ist die Herangehensweise der Deutschen international bestens bekannt. Gegen Mannschaften wie Marokko mag das noch klappen, doch Kolumbien und Südkorea hatten Antworten parat. Die Südamerikanerinnen liefen das Team von Martina Voss-Tecklenburg von der ersten Minute extrem hoch an und machten Druck, indem sie sich vor allem körperlich präsent zeigten. Diese Taktik ging für Kolumbien erfolgreich auf, demnach kopierte Südkorea das im letzten Gruppenspiel. Wie im vorigen Spiel fand das DFB-Team jedoch wiederum keine klaren Antworten auf diese Taktik. Hier stellt sich die Frage, ob bei der Spielanalyse genug Arbeit betrieben worden ist, um Fehler zu erkennen und an Lösungen zu arbeiten.
Genau wie mit dem Spielstil hielt die Bundestrainerin auch an Spielerinnen fest, die zuletzt keine überzeugende Leistung gezeigt hatten. Svenja Huth auf die Position hinten rechts in die Abwehr zu stellen, mag gegen offensiv schwache Gegner noch möglich sein, doch mehrfach zeigte sich im Spielverlauf, dass ihre Qualitäten im Angriffsspiel benötigt werden. Gleiches gilt für das deutsche zentrale Mittelfeld, das normalerweise mit kreativen Einfällen aufwarten soll – genau das Gegenteil war der Fall. Anstatt Sicherheit und Struktur in das Spiel zu bringen, schlichen sich immer wieder Fehlpässe und Ballverluste ein – klare Aktionen nach vorne waren Mangelware. Dadurch schlich sich immer mehr Unsicherheit in die Mannschaft, auch von Selbstbewusstsein war nicht viel zu sehen.
Um auf der internationalen Bühne wieder zu alter Stärke zu finden, muss ein Umdenken beim DFB stattfinden. Nicht nur der Ballbesitzfußball sollte an aktuelle Standards angepasst werden, auch die Flexibilität und Einstellungsfähigkeit auf verschiedene Gegner muss deutlich verbessert werden. Nur durch mehr Mut zum Ausprobieren und das häufigere Eingehen von Risiken können Lösungen für die Zukunft erarbeitet werden.
Das muss man Martina Voss-Tecklenburg ankreiden, aber auch die Spielerinnen brachten nicht das auf den Rasen, was sie können. Individuell kann Deutschland es mit jedem Team im Turnier aufnehmen, gegen Südkorea ließ sich das DFB-Team selbst durchschnittlich aussehen. Deutschland war abhängig von Einzelaktionen, und noch dazu waren die Einzelaktionen zu schlecht.
Haarsträubende Fehlpässe, schlechte Ballannahmen - wenn ein Team von individueller Klasse abhängt, nennt man das Heldenfußball. Waren die letzten beiden Spiele dann Anti-Heldinnenfußball? Dass es Deutschland an mutigen Einzelaktionen gemangelt hätte, weil es keine "Straßenfußballerinnen" mehr gibt, ist zu bezweifeln. Jule Brand und Klara Bühl versuchten es immer wieder, blieben aber ebenso oft hängen. Gerade den beiden jungen Flügelspielerinnen schien es an einem festen Plan zu mangeln, an dem sie sich festhalten konnten. So verrannten sie sich in aussichtslosen Dribblings und waren wenig zielstrebig.
Vielleicht gab es zu viel Hoffnung in Alexandra Popp, die das Team schon so oft gerettet hat. Der Tenor war nach der Niederlage gegen Kolumbien noch, dass Deutschland im Prinzip kein schlechtes Spiel gemacht habe, aber eben durch ein Tor in letzter Minute verloren habe. Das war schon eine sehr optimistische Deutung einer verdienten Niederlage.
Die Mentalitäts-Debatten können nach dem WM-Aus in der Schublade bleiben, natürlich wollten die deutschen Spielerinnen unbedingt weiterkommen. Aber es braucht jetzt eine kritische Einordnung von allen Seiten. Auch das Argument, Kolumbiens überharte Spielweise sei das Problem gewesen, ist nun enttarnt. Südkorea steht keineswegs im Verdacht, unfair gespielt zu haben. Sie zogen aber genauso wie Kolumbien ein intensives Mittelfeld-Pressing auf und bereiteten Deutschland so Probleme.