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Antonia Hennigs·12. Juli 2020
🔮 Was wäre eigentlich, wenn es die Relegation nicht gäbe?

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Antonia Hennigs·12. Juli 2020
In Bremen dürfte man – aus einer durchaus nachvollziehbar befangenen Sichtweise heraus – gerade recht dankbar für die Relegation sein, allgemein erfreut sie sich allerdings nicht der größten Beliebtheit. Seit der Saison 2008/09 finden am Ende der Saison (wieder) zwei Spiele zwischen dem Drittletzten der Bundesliga und dem Drittplatzierten der 2. Bundesliga statt, in denen im direkten Vergleich bestimmt wird, welche der beiden Mannschaften in der folgenden Saison erstklassig spielt.
Am häufigsten in der Relegation angetroffen hat man seit 2009 den 1. FC Nürnberg, der gleich in drei Spielzeiten den Nervenkitzel suchte. Jeweils zwei Teilnahmen können der HSV und der VfL Wolfsburg verbuchen, die beide am Ende der Duelle aber immer als lachender Sieger hervorgingen und über die Relegation nie den Weg in die 2. Liga antreten mussten.
Neun der letzten zwölf Relegationsrunden fielen zugunsten des Erstligisten aus, nur drei mal gewann der Zweitligist. Also was wäre eigentlich, wenn es die Relegation gar nicht gäbe und die letzten drei der Bundesliga mit den ersten drei der 2. Liga ohne zwischengeschaltete Regelung die Plätze tauschen würden?
Wir springen in den Mai 2011. Borussia Dortmund sicherte sich den Meistertitel, die Borussia aus Gladbach wiederum spielte eine Saison zum Vergessen. Knapp die Hälfte der Spielzeit schmückten die Fohlen den letzten Tabellenplatz. Im Februar zog man dann die Reißleine, feuerte Trainer Michael Frontzeck und ersetzte ihn mit einem gewissen Lucien Favre, der zuvor seine Brötchen bei der Berliner Hertha verdient hatte.
Favre fand eine Mannschaft vor, die die Hoffnung schon lange aufgegeben hatte und sich in einen Negativstrudel gespielt hatte, den Favre so bisher nur aus Erzählungen kannte. Marc-André ter Stegen im Tor war die Verunsicherung in Person, nicht einmal der linke Fuß von Juan Arango machte noch was er sollte und der 21-jährige Marco Reus war zwar hochtalentiert, Favre attestierte ihm aber das schwerwiegendste Mentalitätsproblem der ganzen Mannschaft.
Trotz eines bockstarken Endspurts mit drei Siegen in Folge konnte Gladbach sich nicht mehr auf Platz 15 retten und stieg in dieser Saison als Drittletzter der Bundesliga ab. Während Favres Ex-Klub Hertha zusammen mit Augsburg und dem VfL Bochum zurück in die höchste Spielklasse aufstieg, ging es für den Schweizer und die Borussia in die 2. Liga.
Das Ziel für die nächste Saison war selbstverständlich der direkte Wiederaufstieg, was sich in der Realität als schwieriger als erwartet herausstellte. Favre gelang es nicht, ein homogenes Team zu formen, das als Mannschaft zu Großem fähig war. Marco Reus‘ fußballerisches Niveau stagnierte und vor allem die Ansprüche des Klubs und der Spieler sanken immer weiter, was nach einem Sieg gegen den FSV Frankfurt, der die Fohlen am Ende der Saison noch einmal Richtung Aufstiegsplätze brachte, fast tragisch deutlich wurde.
Bei Dante und Mike Hanke platzten – nach einem „normalen“ Sieg in der Liga – alle Dämme. Die Haare des Brasilianers mussten inmitten des Feierwahnsinns dran glauben, woraufhin Hanke sich die abrasierte Haarpracht schnappte und damit eine Ehrenrunde im Stadion drehte. Skurrile Szenen, die um die Welt gingen und die den einstigen Anspruch eines Klubs wie Borussia Mönchengladbach ad absurdum führten.
Lucien Favre hatte keinen Zugriff auf diese Mannschaft und verließ Gladbach nach der gemeinsamen Zweitligasaison in Richtung Bochum, denen der Klassenerhalt in der Bundesliga gelungen war. Dauerhaft konnte sich Favre aber auch dort nicht durchsetzen. Deutschlands Fußballer des Jahres 2012 wurde übrigens Stefan Kießling, der angesprochen auf den in der Gladbacher Versenkung verschwundenen Marco Reus nur unwissend mit den Schultern zuckte.
Ein Jahr später, am Ende der Saison 2012/13 musste die TSG Hoffenheim den Gang in die 2. Liga antreten, nachdem sie im letzten Saisonspiel vom Hamburger SV aus der Arena gefegt wurden und dadurch auf Platz 16 abrutschten. Einer der glücklichen Aufsteiger aus der 2. Bundesliga war der FC Kaiserslautern, die in der Sommerpause ein unglaubliches Transfer-Geschick bewiesen und einen spannenden Erstligakader zusammenstellten.
Clevere ablösefreie Transfers erfahrener Profis genau wie junge, günstige Talente aus der französischen Ligue 1 standen im Fokus des FCK und der Plan ging auf. Mo Idrissou führte die Roten Teufel in einer Saison an, in der alles stimmte und die Grundlage dafür geschaffen wurde, die nächsten Jahre wieder ein fester Bestandteil der Bundesliga zu werden.
Der FCK war natürlich nicht ganz oben dabei, aber er war unerschütterlich, was Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp dazu veranlasste, auch in den Traditionsverein zu investieren, um sein Klub-Portfolio zu vergrößern und Diversity auf Mäzen-Art vorzuleben. Kann man von halten was man will, aber um Geld musste man sich auf’m Betze seitdem wenigstens keine Sorgen mehr machen.
2014 stoppte dann die Stadionuhr im Hamburger Volksparkstadion. Der Bundesligadino stieg ab und wurde von Experten in den Ruin geschrieben. Niemand rechnete mit einer kompetenten Führung der Vereinsbosse in dieser ungewohnten Situation des Klubs, doch der HSV strafte sie alle Lügen.
Die erste Saison in der 2. Liga beendeten die Rothosen auf Platz sechs, was die Anhänger nicht gerade frohlocken ließ. Doch diese Saison war eingeplant, die Vereinsführung arbeitete vorausschauend und kommunizierte alle Details mit Trainer Markus Gidol, der das Team nach dem Abstieg übernahm und sich still und heimlich zur Vereinslegende coachte.
Die zweite Saison in der 2. Liga, in der die stärksten Konkurrenten um den Aufstieg Borussia Mönchengladbach und TSG Hoffenheim hießen, wurde dann zur geschichtsträchtigen Spielzeit für den HSV. Gegen RB Leipzig und im Derby gegen St. Pauli ging der HSV als Verlierer vom Platz, dabei blieb es aber auch über die ganze Saison hinweg. Mit nur zwei Niederlagen stiegen Markus Gisdol und sein Team als Tabellenerster wieder in die Bundesliga auf, Hamburg war im Ausnahmezustand.
Pierre-Michel Lasogga wurde nachts zusammen mit Nicolai Müller in einer Bar gesichtet, wo er den anwesenden Gästen erzählte, dass Markus Gisdol ihn adoptieren wolle. Gisdol selbst äußerte sich Tage später zu dieser Situation nur mit den Worten: „Dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht, können Sie sich ja selbst denken. Aber wir haben ein tolles Verhältnis und für mich zählt nur, Hauptsache Pierre-Michel geht’s gut.“
Springen wir in die Saison 2015/16, die Eintracht Frankfurt womöglich gerne streichen würde. In der Sommerpause beerbte Armin Veh Thomas Schaaf als Trainer der SGE. Frei nach dem Motto, beim zweiten mal funktioniert’s bestimmt. Hat es natürlich nicht. Nach 25 gespielten Spieltagen stand die Eintracht auf Platz 16 und griff durch. Veh ging mal wieder und ein vergleichsweise neues Gesicht betrat die Bundesligabühne.
Niko Kovač war zuvor Trainer der Kroatischen Nationalmannschaft gewesen und kam jetzt nach Frankfurt, um den Abstieg noch zu verhindern. Dem jungen Coach fehlte es aber noch an Kaltschnäuzigkeit und Erfahrung. Mit einem Eigentor am letzten Spieltag besiegelte Carlos Zambrano den Abstieg der Frankfurter Eintracht in die 2. Liga.
Dort lernte Kovač Lucien Favre kennen, der mittlerweile den 1. FC Nürnberg trainierte und es sich im Tabellenmittelfeld gemütlich gemacht hatte. Kovač, der als junger, motivierter Coach startete und große Ambitionen mit der Eintracht hatte, wurde schnell von der Realität eingeholt und stand an einem Scheideweg. Weiter alles für den Verein und eine mittelmäßige Truppe an Kickern, von der er wusste, dass sie auf Dauer nichts reißen werden, investieren, oder ein selbstbestimmteres Leben führen.
Kovač beendete die Saison mit der SGE auf Platz 9, woraufhin sich beide Parteien trennten. Er führt mittlerweile ein Hotel in Südtirol, zusammen mit seinem halb Freund, halb Ziehvater Favre. Dem Fußball haben sie aber nicht ganz den Rücken zugewandt, die traumhafte Hotelanlage lockt Jahr für Jahr zahlreiche Bundesligaprofis an, um sich dort nach einer kräftezehrenden Saison zu erholen.
Nachdem Werder Bremen 2018 überraschend den DFB-Pokal gegen Bayern München gewann, empfingen Kovač und Favre das gesamte Team an ihrem Ort der Entspannung.
Pokalheld Philipp Bargfrede schwärmte daraufhin in einem Interview von den Wochen. „Bei Niko und Lucien herrscht eine ganz besondere Stimmung. Wo du sonst zwei Wochen zum Erholen brauchst nach solch einer Saison, reichen hier gefühlt drei Tage.“
Kollege Max Kruse wiederum wollte sich dazu nicht äußern. Gerüchten zufolge habe er mit dem „weirden vibe“ dort nichts anfangen können. Bei Werder blieb er allerdings noch mehrere Jahre. Dass er nach dieser desaströsen Saison 2019/20 und dem daraus resultierenden Abstieg in die 2. Liga aber noch einmal eine neue Herausforderung sucht, ist anzunehmen. Der VfL Bochum, dem als Überraschungsteam des Jahres die Champions-League-Qualifikation gelang, könnte einen Spielertyp wie ihn zum Beispiel gut gebrauchen.
Dieses Format soll dich in regelmäßigen Abständen in ein Paralleluniversum der Fußballwelt entführen. Du darfst dich also auf weitere Teile einer Serie von unterhaltsamen, lustigen oder sogar absurden Texten freuen.