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Jan Schultz·28. Januar 2022

Virtuose im falschen Körper: Der unterschätzteste Spieler der Bundesliga

Artikelbild:Virtuose im falschen Körper: Der unterschätzteste Spieler der Bundesliga

Wie sehr wir uns auch wehren, als Menschen denken wir doch immer in gewissen Schubladen. Festgelegte Denkweisen sollen uns mental entlasten, können den Blick aber auch versperren. Das betrifft große Themen wie Geschlechterrollen und -identitäten, aber auch eher banale Bereiche wie Kleidung oder Frisuren. Und das gilt auch für den Fußball, in dem große, kantige Typen gefälligst Innenverteidiger oder Mittelstürmer zu sein haben.

Ishak Belfodil ist genau diese Art von Mensch gewordener Brechstange. Der Algerier kombiniert schließlich 1,92 Meter Körpergröße mit einem Kampfgewicht von 86 Kilogramm. Da er sich für die offensive Seite des Fußballs entschieden hat, heißt die logische Schlussfolgerung natürlich Mittelstürmer. Das liegt doch auf der Hand, oder?


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So will es uns zumindest die Schublade in unserem Kopf wissen lassen, wenn wir den 30-Jährigen erblicken. „Die Leute, die mich nicht kennen, denken, ich bin groß und robust, ich muss ein Neuner sein und Tore machen. Aber das bin ich nicht. Eigentlich bin ich ja Zehner“, klärte Belfodil schon 2017, damals noch im Dress von Werder Bremen, auf. Viereinhalb Jahre später wird deutlich, dass unsere mentale Kommode stockt.

Denn der Algerier steckt auch heute noch in der Schublade, auf der groß und fett „Mittelstürmer“ geschrieben steht. Einem breiten Publikum dürfte diese Fehleinschätzung etwa zuletzt beim Berliner Pokalderby klargeworden sein. Herthas Angreifer schoss sich zur besten Sendezeit zwar nicht auf die Anzeigetafel, dribbelte sich dafür aber in das eine oder andere Fanherz.

Immer wieder setzte der 30-Jährige zu Sololäufen an, ließ mit einer geschickten Kombination aus Ballführung, Antritt und der richtigen Körperbeherrschung Gegner stehen oder behauptete zumindest Bälle gegen sie. Wie ein klassischer Zehner setzte er so vor allem Mitspieler ein. Wider allen Erwartungen, die sein mächtiges Erscheinungsbild schürt. Und doch keine Überraschung, wenn man ihm angemessen zuhört.

„Mir bedeutet Technik viel. Ich bin gerne am Ball, das Dribbling ist eine meiner Stärken“, verriet der Hüne einst während seiner Bremer Zeit gegenüber der ‚Deichstube‘. Kurz nach seiner Ankunft in Berlin fand er im Gespräch mit ‚herthabsc.de‘ ähnliche Worte: „Ich liebe den Fußball, ich möchte technisch stark spielen und immer versuchen, einen guten Mix aus Kraft und Technik zu zeigen.“

Großes Lob von Nagelsmann

Es sind Dinge, die der Mann mit den kräftigen Oberschenkeln immer wieder betonen muss. Weil er von Fans und auch Trainern seiner persönlichen Einordnung entgegen doch immer wieder als klassische Sturmkante betrachtet wird, die in erster Linie Tore zu erzielen hat. Das war in Bremen so, eine Zeitlang in Hoffenheim und in Berlin unter Pál Dárdai. Die Schubladen klemmten immer wieder. Es gab und gibt aber auch Übungsleiter, deren Mobiliar besser geölt ist.

Julian Nagelsmann fällt in diese Kategorie. „Er ist für mich einer der unterschätztesten Spieler überhaupt. Er ist sehr schnell, arbeitet stark mit dem Körper und ist technisch stark. Das sieht bei ihm nur nicht so aus“, überraschte der aktuelle Bayern-Coach zuletzt vor dem Duell mit der Hertha mit einer Lobeshymne. Eine solche hatte er auch schon vor dem Hinrundenduell angestimmt: „Der hat eine sehr gute Qualität und war bei mir ein sehr wichtiger Spieler, hat viele Tore gemacht. Ich mag ihn als Typen, ich mag ihn als Spieler. Er ist sehr unangenehm zu verteidigen.“

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Tatsächlich erlebte Belfodil in der Saison 2018/19 unter Nagelsmann seine bis dato erfolgreichste Zeit. Im offensiven System Hoffenheims hatte der Algerier viel Bewegungsfreiheit und oftmals einen klassischen Neuner an seiner Seite. Er zahlte das Vertrauen mit 21 Torbeteiligungen zurück. Von solchen Zahlen ist er in der laufenden Spielzeit noch ein gutes Stückchen entfernt, seit Tayfun Korkuts Ankunft fühlt er sich aber sichtlich wohler.

Hertha agiert seither zumeist mit einer Doppelspitze, die dem 30-Jährigen häufigeres Fallenlassen und das Ausweichen auf die Flügel erlaubt. Tore dürfen und sollen so auch andere erzielen. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Angreifer in den ersten vier Partien nach dem Trainerwechsel an drei Treffern beteiligt war.

Er ist ein witziger Zeitgenosse mit einem furztrockenen Humor.

Und auch seine für viele so überraschende Art, Fußball zu spielen, kommt im Übrigen nicht von ungefähr. „Ich bin in einem Vorort von Paris aufgewachsen, da habe ich ganz, ganz viel auf der Straße gekickt. Gut, ich bin dann auch zu Vereinen gegangen. Aber meine Wurzeln sind in den Vororten von Paris auf der Straße“, klärte Belfodil einst gegenüber der ‚Deichstube‘ auf.

Ähnlich überraschend wie die Spielweise kann indes auch die zwischenmenschliche Art des Mannes mit der einschüchternden Statur sein. „Er ist ein witziger Zeitgenosse mit einem furztrockenen Humor. Würde man nicht immer so einschätzen, aber im Training war er unglaublich witzig“, so Nagelsmann. Belfodil selbst kann diesen Eindruck bestätigen. „Wieder Freude am Fußball zu haben“, war sein Hauptargument für einen Wechsel nach Berlin. Sowieso ist Spaß ein ganz zentraler Begriff in seinem Leben: „Ich habe gerne Spaß und lache gerne.“

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In Berlin hat er dieses Lachen in den letzten Monaten etwas wiedergefunden, wenngleich es für das Team auf und ab geht. Dabei muss der Stürmer, anders als auf seinen vorherigen Stationen, auf etwas ganz Wichtiges verzichten. In Lüttich lief er mit der 99 auf dem Rücken auf, in Bremen mit der 29, in Hoffenheim mit der 19 – in Berlin nun mit der 14. „Die Zahl neun mag ich schon sehr gerne“, gestand der Algerier. Ein bisschen Neuner steckt eben doch im Zehner. Eine Kommode besteht schließlich auch aus mehreren Schubladen.