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·8. Oktober 2024

(Un)vermeidbare Fehler?

Artikelbild:(Un)vermeidbare Fehler?

Die Niederlage gegen Mainz hat beim FC St. Pauli Spuren hinterlassen. Weil sie klar aufzeigte, wo aktuell die Grenzen des Teams liegen – und wo man hinmuss, um die Klasse zu halten.(Titelfoto: Stefan Groenveld)

Nach dem Hoch des FC St. Pauli mit dem überzeugenden Punktgewinn gegen Leipzig und dem effizienten Sieg in Freiburg, war das 0:3 am Millerntor gegen Mainz ein ganz schön harter Aufprall. Nach sechs Spielen in der Bundesliga steht der FC St. Pauli mit vier Punkten da, knapp über dem Strich. Doch das ist aus vielerlei Hinsicht zu wenig. Zu wenig angesichts der Gegner. Zu wenig angesichts der eigenen Leistungen. Zu wenig für den Klassenerhalt.


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St. Pauli kontrolliert Spiele, kann sie aber nicht gewinnen

Besonders schmerzhaft ist, dass der FC St. Pauli eigentlich in allen Spielen die Dinge höchstselbst in der Hand hatte. Klar, Fußball ist ein Fehlerspiel und entsprechend sind die Gegentore auch immer auf Fehler zurückzuführen. Gegen Mainz waren es zwei individuelle Aussetzer, die früh zum 0:2-Rückstand führten. Auch bei der Situation vor dem 0:3 lief es nicht so, wie es sollte oder besser gesagt so, wie man eben in gewissen Situation agieren muss, um in der Bundesliga mithalten zu können.

St. Pauli muss noch „ekliger“ werden

Dapo Afolayan hatte nämlich vor dem 0:3 die Möglichkeit Nadiem Amiri an seinem Pass zu hindern. Sicher wäre das nur mit einem gelbwürdigen Vergehen möglich gewesen. Aber genau das gehört eben auch zu der „ekligen Spielweise“, die Blessin von seinem Team sehen möchte. Das Thema „Foul ziehen“ gab es auch bereits im ersten Saisonspiel. Damals war es Connor Metcalfe, der den Moment der regelwidrigen Konterunterbindung verpasste, ehe Heidenheim diesen zur Führung abschloss. In solchen Situation muss der FCSP smarter werden, lieber ne gelbe Karte in Kauf nehmen, als den Konter durchlaufen zu lassen.

Wie man dem Gegner mit einer „ekligen Spielweise“ den Zahn zieht, hat ausgerechnet Mainz am Samstag gezeigt und dies besonders Elias Saad spüren lassen. Unter gütiger Mithilfe des Schiedsrichters wurde Saad ein ums andere Mal am Rande der Legalität, oft auch darüber hinaus, gestoppt. Genau das hätte ich mir als Gegner des FC St. Pauli übrigens auch vorgenommen, wenn ich mit limiterten Mitteln unterwegs bin (natürlich nicht so unfair, wie es Dominik Kohr umgesetzt hat). Das sieht auch Alexander Blessin so, der erklärte: „Manchmal sind wir schon ein bisschen zu brav.“ Hier muss der FCSP also smarter werden.

Erfolgreicher Ballbesitzfußball? Ein seltenes gut!

Limitiert ist auch das richtige Wort, wenn es darum geht, was der FC St. Pauli mit viel Ballbesitz zu tun imstande ist. In vier der sechs Partien hatte man mehr Ballbesitz als der Gegner – alle diese vier Partien gingen verloren, nur gegen Augsburg erzielte man überhaupt ein Tor. Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber der FC St. Pauli hat dieses Problem alles andere als exklusiv.

Seit dem zweiten Halbjahr unter der Leitung von Timo Schultz, also seit Anfang 2021 gibt es beim FC St. Pauli etwas, was man zuvor nur ganz selten zu sehen bekam: Das Team des FC St. Pauli hatte eine Idee, wie der Gegner bespielt werden kann, auch wenn dieser auf Fehler lauert. Es gab Lösungen, wie man gegen tiefstehende Gegner zu Torchancen kommt. Es gab Mut, diese Dinge auch so umzusetzen. Und es gab die dafür notwendige Qualität im Kader.

In der Bundesliga wird noch mehr auf Fehler gelauert

Was man angesichts dieser fast vier Jahre andauernden Phase von kultiviertem Ballbesitzfußball beim FC St. Pauli nicht vergessen darf, aber wohl etwas vergessen hat: In den obersten deutschen Fußballligen hat man aus der Angst ein System gemacht. Es gibt viele Teams, deren einziger Matchplan darin besteht darauf zu lauern, dass der Gegner Fehler macht. Das hat Erfolg und führt in der Folge dazu, dass viele Teams nur sehr wenig Risiko bei eigenem Ballbesitz eingehen. In der Bundesliga ist dieses Phänomen sogar noch ausgeprägter als in der zweiten Liga (was auch für mich eine neue Erkenntnis ist) und insgesamt ist das viel ausgeprägter als in anderen Ländern. Wenn überhaupt, dann gibt es in der Bundesliga ein halbes Dutzend Teams, die wirklich etwas mit viel Ballbesitz anfangen möchten und können. Alle anderen Teams haben oft große Probleme, wenn der Gegner tief steht.

Es ist also völlig normal, dass der FC St. Pauli Probleme hat, wenn der Gegner tief steht. Diese Probleme haben rund zwei Drittel aller Clubs der Bundesliga. Übrigens haben auch viele Zweitligisten dieses Problem. Nur der FC St. Pauli in den letzten vier Jahren nicht, wir bewohnten gewissermaßen eine kleine Insel der Glückseligkeit. Aber erinnert ihr noch den Horror unter Kauczinski, als wir gar aufgehört haben zu versuchen mit dem Ball etwas auf die Beine zu stellen?

Weniger Risiko = Mehr Erfolg?

Gegen vier dieser Clubs mit Problemen bei Ballbesitz hat der FCSP bereits gespielt: Heidenheim, Union, Augsburg, Mainz – und leider alle Spiele verloren. Das ist besonders bitter, weil es sich dabei um direkte Konkurrenten im Abstiegskampf handeln könnte. Diese Konkurrenz macht aber gewisse Dinge besser als der FC St. Pauli, denn es gibt ein generelles Merkmal dieser Clubs, erklärt Blessin: „Diese Gegner gehen in bestimmten Situationen gar kein Risiko ein.“ So wird der Ball zum Beispiel in Drucksituationen viel konsequenter über die Pressinglinie gespielt – nicht so, wie vor dem 0:2 der Mainzer am Wochenende. Auch hier muss der FC St. Pauli also etwas smarter werden.

Aber nein, wir wandeln nicht auf Pfaden, die uns dunkle „Langer Ball und dann mal schauen“-Zeiten zurückbringen, auch wenn der FCSP zukünftig noch weniger Risiko geht. Denn angesichts der sehr destruktiven Herangehensweise der Gegner, ist es bemerkenswert, wie gut es dem FC St. Pauli gelang sich Torgelegenheiten zu erspielen. Doch all die Torgelegenheiten bringen wenig, wenn keine Tore dabei herausspringen. Summiert man die drei Heimspiele, dann beträgt das Torschussverhältnis 47 zu 23 für den FCSP, das Torverhältnis aber 0:5. Die fehlende Effizienz ist ein riesengroßes Thema. Ob man da smarter werden kann? Keine Ahnung. Aber es muss unbedingt mehr Zählbares aus den eigenen Torchancen geholt werden.

Kommen wir damit zur wichtigsten Frage. Denn eine Aufzählung, welche Bereiche verbessert werden können, ist einfach: Aber wie kann der FC St. Pauli denn offensiv effizienter, in der Spielweise smarter und damit defensiv unanfälliger werden?

Fehler? Eine Frage der Qualität!

Das ist natürlich (auch) eine Frage der Qualität. Denn wenn Fußball ein Fehlersport ist, dann geht es darum so wenige Fehler wie möglich zu machen. Und dabei ist es auch ein Fehler, wenn man aus guter Position den Ball nicht gut trifft, die Chance vergibt. Ich muss dabei immer an einen hier nicht näher genannten ehemaligen Profi des FC St. Pauli denken, der mir vor Jahren sagte, dass Bundesliga-Spieler nicht deshalb Bundesliga-Spieler sind, weil sie besser laufen können oder technisch viel mehr draufhaben. Sie machen das gleiche, was die Spieler in der dritten Liga auch alle können. Aber das machen sie mit viel weniger Fehlern.

In der besten Liga des Landes spielen also jene Spieler, die am wenigsten Fehler machen. In Sachen Technik, Taktik und Athletik sind die Spieler runter bis zur dritten Liga fast alle identisch ausgebildet (Ausnahmen wie Elias Saad sind auch genau deshalb so gut). Der große Qualitätsunterschied ist die möglichst unterbrechungsfreie Abrufbarkeit der maximalen Leistungsfähigkeit, das fehlerlose Spiel. Entsprechend sind personelle Fehler, vor allem ab einer gewissen Häufigkeit, auch dann noch auf fehlende Qualität zurückzuführen, wenn andere Spielphasen das notwendige Level erreichen.

Artikelbild:(Un)vermeidbare Fehler?

Fußballgötter allesamt, keine Frage. Aber ab wann sind es Bundesliga-Spieler? // (c) Stefan Groenveld

Zugänge oder Entwicklung aus sich selbst heraus?

Das war jetzt ein etwas umständlicher Ansatz, um zu erklären, dass dem FC St. Pauli natürlich Qualität fehlt. Wäre ja auch bemerkenswert, wenn das als Aufsteiger anders aussehen würde. Andreas Bornemann hatte es kürzlich passend beschrieben: „Der FC St. Pauli ist ein Aufsteiger und möchte Bundesligist werden.“ Die Frage ist, wie diese Qualitätslücke geschlossen werden kann. Indem die Spieler des FC St. Pauli mit zunehmender Erfahrung das entsprechende Niveau erreichen? Oder indem Spieler mit entsprechendem Niveau den FC St. Pauli erreichen?

Viele Aufsteiger entscheiden sich für einen Mittelweg: Stützen im Kader behalten, verstärkt durch einige Soforthilfen. Beim FC St. Pauli hat mit Marcel Hartel eine torgefährliche Stütze den Verein verlassen. Und es muss sich, auch aufgrund von Verletzungen/Erkrankungen, noch zeigen, ob es sich bei den Neuzugängen um Soforthilfen handelt. Bisher war das noch nicht so richtig der Fall. Somit dürfte der Ansatz klar sein: Es wird damit gerechnet, dass die Spieler mit zunehmender Erfahrung das Niveau der Bundesliga adaptieren, weniger Fehler machen und damit auch effizienter werden. Ist das der richtige Ansatz? Keine Ahnung. Manchmal bin ich einfach froh, dass ich sowas nicht entscheiden muss, sondern später darüber schreiben kann, ob es funktioniert hat oder nicht.

Grundausstattung und mehr nötig

Sicher ist aber: Es braucht nicht nur 100% an Einsatz, welches ein gewisses Level an Intensität auf den Platz bringt. Das gehört zur Grundausstattung. Vielmehr braucht es auch eine gewisse Qualität, offensiv wie defensiv, um die Spiele so zu gestalten, wie wir das alle gerne hätten. Die fehlt (noch). Das bedeutet nicht, dass der FC St. Pauli nun alle Spiele verlieren wird. Es bedeutet nur, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Spiel wie gegen Mainz trotz großem Einsatz mit 0:3 verliert eben auch zum Alltag in der Bundesliga gehört.

So gerne wir es hätten, so wenig wird die Saison geradlinig und ohne Abstiegssorgen verlaufen. Es wird immer wieder herbe Rückschläge geben. Spiele, bei denen nichts zusammenläuft, die verloren werden. Es wird sogar Spiele geben (und die gab es schon), bei denen vieles zusammenläuft, die aber trotzdem verloren werden. Was es nicht geben wird sind Spiele, bei denen nichts zusammenläuft, die aber trotzdem gewonnen werden. Die Voraussetzungen dafür muss sich der FC St. Pauli nämlich erst einmal erarbeiten. Es ist also Leidensfähigkeit gefragt.

// Tim

p.s. Angesichts des Wissens, dass es auch weiterhin schmerzhafte Niederlagen geben wird, möchte ich mal eine Sache erwähnen: Ich finde es sehr positiv, wie viel sich vor und nach den Spielen über Fußball unterhalten wird (hier in den Kommentaren und sonstwo). Das war sicher nicht immer so. Ich finde es positiv, wie viele sich damit befassen, wo die Probleme liegen könnten, sich fragen, wie man es besser machen könnte und das es dabei viele verschiedene Ansichten gibt. Denn geteiltes Leid ist halbes Leid.

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