Rund um den Brustring
·25. Juli 2024
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·25. Juli 2024
Auf der Mitgliederversammlung am Sonntag stehen wichtige Entscheidungen an — sowohl über die Satzung, als auch über das führende Personal des eingetragenen Vereins. Warum ein kompletter Neuanfang unvermeidbar ist und welche Rolle dem neu gewählten Präsidiumsmitglied zukommt.
“Ich kandidiere als Präsident. Und wenn ich gewählt werde, schmeiße ich euch raus.” Der Satz könnte so beim VfB gefallen sein, angeblich hat ihn aber Pal Dardai gegenüber der Führungsriege von Hertha BSC geäußert. Dass man sich solche Äußerungen allerdings auch in Bad Cannstatt vorstellen kann, lässt tief blicken. Schließlich war es auch in der ersten Hälfte dieses Jahres gute Tradition, sich gegenseitig öffentlich zu verunglimpfen, zu beschimpfen und sich selber in das beste Licht zu rücken. Ganz vorne mit dabei: Präsident und Ex-Aufsichtsratschef Claus Vogt sowie die Vorstände Alexander Wehrle und Rouven Kasper. Rainer Adrion war bei nichts dabei und konnte sich an nichts so richtig erinnern — nicht mal an die Worte seines Vorgängers Bernd Gaiser zum Thema Aufsichtsratsvorsitz. Und Neu-Investor Porsche bevorzugte, wenn man dem neuesten Bericht des Business Insider Glauben schenken darf, die Hinterzimmer in Bad Cannstatt und Zuffenhausen als Bühne für den Kampf um die Macht beim VfB. Auch in diesem Konflikt durfte ein Rücktritt nicht fehlen, diesmal war es Christian Riethmüller, der selbstlos und nur zum Wohle des VfB sein Amt als Präsidiumsmitglied zur Verfügung stellte — stilecht auf Facebook mit einem Roundhouse-Kick als Nachtritt.
Womit wir zu einer weiteren wichtigen Entscheidung kommen, die wir Mitglieder am Sonntag zu treffen haben. Am Mittwoch habe ich ja schon dargelegt, wie elementar wichtig die Einführung eines Wahlausschusses für die strukturelle Stabilität des VfB ist, heute soll es um Personen gehen — aber auch ein wenig um Strukturen. Als letzter von 14 Tagesordnungspunkten steht die Neuwahl eines Präsidiumsmitglieds an. Die Mitglieder haben die Wahl zwischen Berti Sugg und Andreas Grupp. Beide konnten sich das erste Mal kurz beim Dunkelroten Tisch am 11. Juni vorstellen, ausführlicher dann im Vereinspodcast VfB STR, in Fragebögen der Stuttgarter Zeitung/Nachrichten sowie des Zeitungsverlag Waiblingen sowie natürlich auf der Webseite des VfB in Form von Videos. Wie schon beim Wahlausschuss finde ich es auch hier bemerkenswert, dass es noch Menschen gibt, die genug Energie aufbringen, sich für Ämter beim VfB zu bewerben, das gilt auch für die Bewerber, die bei der Nominierung keine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen konnten. An dieser Stelle muss man übrigens nochmal Rainer Weninger und André Bühler für die nachvollziehbare Erklärung dieses Prozesses beim Dunkelroten Tisch loben — wie immer wäre das vermutlich auch schon möglich gewesen, bevor sich jeder fragt, warum der Vereinsbeirat nicht die Möglichkeit, drei Kandidat*innen zu nominieren ausreizt. Aber sei es drum.
Was Berti Sugg und Andreas Grupp angeht, will ich auch hier gar keine Wahlempfehlung aussprechen — mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass sich jemand daran orientieren würde. Was mir jedoch bei beiden auffällt ist eine klare Abgrenzung zum aktuell noch existierenden Präsidium, welches möglicherweise zum Zeitpunkt ihrer Wahl schon nicht mehr in Amt und Würden ist. Das ist natürlich Wahlkampf, auch wenn beide betonen, sie könnten auch bis zur nächsten regulären Mitgliederversammlung Anfang 2025 und den dann stattfindenden Neuwahlen aller Gremien gut mit den Amtsinhabern zusammenarbeiten. Beide betonen, wie wichtig gute Kommunikation, Transparenz und Geschlossenheit sind, Berti Sugg bezieht sich zudem auf das von ihm als Aufsichtsratsmitglied mitunterzeichnete Leitbild (PDF). Wie wichtig transparente Kommunikation und konstruktive Zusammenarbeit in den e.V.-Gremien sind, darauf will ich gleich noch eingehen. Natürlich ist die Amtszeit, für die einer von beiden gewählt wird, recht kurz und sie muss gegebenenfalls mit einem oder zwei der aktuellen Amtsinhaber gemeinsam abgeleistet werden. Trotzdem hätte ich mir an dieser Stelle noch mehr Gestaltungswille gewünscht — denn die angesprochenen Ziele sollten im größten Verein Baden-Württembergs eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Beide bringen damit vor allem eines zum Ausdruck: Dass sie nicht Claus Vogt und für einen Neuanfang stehen.
Der ist auch dringend nötig. Ich habe jetzt schon in mehreren Artikeln dargelegt, warum der Bruch des Ausgliederungsversprechens und die Trennung von Aufsichtsratsvorsitz und Präsidentschaft für mich den letzten, ultimativen Vertrauensverlust darstellen — von den seit knapp vier Jahren ständig wabernden, aber selten unabhängig belegbaren Gerüchten mal abgesehen, die in der Anzahl und Vielfalt zu viele sind, als dass ich sie guten Gewissens ignorieren könnte. Christian Riethmüller ist einer Abwahl zuvorgekommen, Rainer Adrion stellt eine in der Satzung gar nicht vorgesehen Vertrauensfrage und versteht deshalb die Abwahlanträge gegen seine Person gar nicht — als wäre ein freiwilliger Rückzug das Gleiche wie eine bindende Abwahl. Und Claus Vogt hält sich an die Satzung und will nicht ausschließen, auch bei Zustimmungswerten knapp oberhalb von 25 Prozent im Amt zu bleiben. Was allen dreien, ebenso wie den von uns nicht kontrollierbaren weiteren Aufsichtsräten und dem Vorstand der AG in dem ganzen Prozess abging, waren Rückgrat und Respekt für die Mitglieder. Wie ich schon mehrfach geschrieben habe, war allen die Brisanz der Porsche-Forderung klar, ansonsten hätte man sie auch nicht im Verborgenen und unter großem Zeitdruck ausgehandelt. Aus Sicht der Mitglieder, denen nicht nur Bernd Gaiser 2019 versprach, dass der Präsident immer Aufsichtsratsvorsitzender der AG ist, sondern denen auch zu keinem Zeitpunkt eine Abkehr von dieser Praxis suggeriert wurde, gab es in dieser Situation eigentlich nur eine Option. Und die lautet weder, die Mitglieder auf einer Versammlung vor die Wahl zwischen Geld und Mitbestimmung zu stellen, noch dass man Absichtserklärungen unterschreibt, an die man sich nicht zu halten gedenkt.
Nein, in diesem Moment wäre es richtig gewesen, die brüske Forderung von Porsche zurückzuweisen, so wie man es wohl letztendlich mit der Forderung des Investors (!) nach einem Rücktritt des e.V.-Präsidenten (!!) getan hat. Stattdessen versuchte man, diesen Vertrauensbruch mit einer schicken Pressekonferenz und großen Ankündigungen zu kaschieren und in der Folge auszusitzen. So lange, bis die Wahrheit — oder verschiedene Versionen davon — sich den Weg ans Licht suchte. Aber erstmal nicht etwa aus dem Mund der Beteiligten selbst, sondern durch gezielt durchgesteckte Informationen an die lokale und die überregionale Presse. Als die Beteiligten dann redeten, glich das einer Schlammschlacht (siehe oben), aus der die Mitglieder auch nicht wirklich schlauer wurden. Bis heute klaffen in der Erklärung für die Vorgänge große Lücken, meine Anfang Juni gestellten Fragen harren weiterhin einer öffentlichen Antwort. Stattdessen versucht man jetzt, durch einen entsprechenden Antrag, eine verwässerte Version des Ausgliederungsversprechens — es wird nur noch von einem Präsidiumsmitglied als möglichem Aufsichtsratsvorsitzenden gesprochen, nicht dem Präsident als höchsten Repräsentanten des Vereins — in der Satzung festzuschreiben. Ein Narrativ, das alle Beteiligten nicht müde werden zu wiederholen: Man wisse ja gar nicht mehr so genau, was da vor über sieben Jahren so versprochen worden sei, deswegen schreibe man jetzt mal etwas in die Satzung, was so ähnlich klingt. Dabei ist dieser Passus in Wirklichkeit nur eine Kompromisslösung im vom AG-Vorstand initiierten Arbeitskreis. Auf der Strecke bleiben, wie die ganze Zeit schon: die Rechte der Mitglieder. Um das Commando Cannstatt in seiner sehr guten Stellungnahme zu zitieren mich dem anzuschließen:
Die vorgeschlagene Satzungsänderung der vom Vorstand initiierten „AG Strukturfrage“ lehnen wir ab!
Die Abwahl von Claus Vogt und Rainer Adrion kann also nur der erste Schritt für einen Neuanfang sein. Ihre Nachfolger müssen es besser machen. Leider können sich weder Sugg noch Grupp so richtig darauf festlegen, wer denn nun optimalerweise Aufsichtsratsvorsitzender sein sollte. Dabei haben sie im besten Fall als Vertreter des e.V. in der AG erheblichen Einfluss darauf. Außer natürlich wenn Alexander Wehrles ehemaliger Chef und sein ehemaliger Kölner Vorstandskollege in den Aufsichtsrat einziehen, wie mitunter kolportiert wird.
Apropos Aufsichtsrat: In der Hoffnung, dass der Vereinsbeirat als Interimspräsident*in jemand beruft, der die Interessen der Mitglieder im Blick behält, gibt es auch dort genug zu tun in den kommenden Monaten. Um es (vermeintlich) mit Pal Dardai zu sagen: Ich schmeiß Euch alle raus. Alle Aufsichtsräte haben die Absichtserklärung initial unterschrieben, fast alle haben den e.V.-Präsidenten als Aufsichtsrat abgewählt. Aus diesem Grund muss der e.V. als Mehrheitseigner dieses Gremium auch radikal umbauen: Tanja Gönner, Beate Beck-Deharde und Alexander Kläger als explizit vom Verein entsandte Aufsichtsräte müssen abberufen werden. Ob Minimalanteilseigner Jako mit einem Aufsichtsrat belohnt werden muss — der angesichts der Stimmanteile formal auf dem e.V.-Ticket im Gremium sitzt — stelle ich auch mal in Frage. Vor allem aber muss der Aufsichtsrat verkleinert werden. Denn schließlich saß Mercedes lange Zeit nur deshalb mit zwei Personen im Aufsichtsrat, weil Franz Reiner den Haupt- und Trikotsponsor Mercedes Benz-Bank vertrat und Wilfried Porth und später Peter Schymon den Investor Mercedes Benz. Haupt- und Trikotsponsor ist aber mittlerweile Winamax. Es reicht also für beide Großinvestoren jeweils ein Sitz und schon hat man nicht nur die Sitzverteilung den Mehrheitsverhältnissen angepasst, sondern auch ein unnötig aufgeblasenes Gremium verschlankt. Begrüßenswert wäre dann noch eine Struktur, die eine demokratisch legitimierte Vertretung der Fans und Mitglieder im Aufsichtsgremium vorsieht. Zum Beispiel jemand aus einer Fanabteilung.
Ein neues Präsidium muss dann auch in der Lage sein, einem Vorstand gewisse Leitlinien des Handelns an die Hand zu geben, ohne sich dabei ins operative Geschäft einzumischen. Das ungezügelte Marketing mit sinnlosen Flügen nach Japan, Kunst-Trikots, Wettbuden und Briefkastenfirmen als Sponsoren kann ebensowenig im Sinne der vielbeschworenen Werte sein wie die Umgangsformen, die angeblich “strategische Partner” immer wieder gegenüber den Mitgliedern an den Tag legen — hofiert von Vorständen, denen die Rechte von Mitgliedern fast genauso egal sind. Mir ist natürlich bewusst, wie marginal unser Einfluss im Profifußball ist, erst Recht seit der Ausgliederung. Und es nervt, dass ich in den neun Jahren, die ich diesen Blog betreibe, auf vereinspolitischer Ebene den mittlerweile dritten Umbruch fordern muss und meine Hoffnung, dass es dadurch besser wird, immer weiter sinkt. Denn es braucht sich niemand der Illusion hingeben, dass insbesondere bei den Neuwahlen im kommenden Jahr nicht wieder die gleichen Leute auftauchen, die wir schon in den letzten Jahren nicht wählen wollten. Grüße aus Kitzbühel!
Aber es geht nicht anders. Der Versuch, es besser zu machen als Wolfgang Dietrich und seine Unterstützer, ist gescheitert. Präsident und Vize-Präsident müssen abgewählt werden. Der Aufsichtsrat muss neu besetzt und verkleinert werden und sich verpflichten, die Rechte der Mitglieder des größten Anteilseigners zu respektieren. Der Vorstand muss sein Handeln gleichermaßen zumindest in den für sie wichtigen Aspekten an den Interessen der Mitglieder ausrichten und nicht aktiv gegen diese arbeiten. Die Verwässerung des “Ausgliederungsversprechens” muss verhindert und umgekehrt werden. Die Vorgänge rund um das “Weltmarkenbündnis” müssen von allen Beteiligten transparent gemacht werden. Dann glaube ich Euch vielleicht irgendwann mal wieder, dass es “nur einen VfB” gibt. Aktuell könnte ich davon nicht weiter entfernt sein.
Titelbild: © THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images