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·19. März 2020
Stephan Schell: „Die hässliche Fratze des Fußballs steht nicht in der Kurve“

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·19. März 2020
Durch die Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie ruht in Deutschland aktuell der Spielbetrieb. Die Südkurve in Köln ist verwaist, am Geißbockheim ist ebenfalls nichts los. Bis vor einigen Wochen noch waren die Diskussionen um die Beleidigungen gegen Dietmar Hopp das bedeutende Thema, mit dem sich Fußballinteressierte in Deutschland auseinandersetzten. Daran wurde deutlich, welche tiefen Gräben zwischen engagierten Fans auf der einen und den hart durchgreifenden Fußballfunktionären auf der anderen Seite verlaufen.
Mittlerweile ist das Thema in den Hintergrund gerückt, weil die Ausnahmesituation unser Leben bestimmt. Wir haben aber trotzdem mit Stephan Schell, aktiv bei der Wilden Horde, der „Südkurve Köln“ und in verschiedenen Fanorganisationen, über die Streitpunkte und Protestformen gesprochen. Den ersten Teil des Interviews, das sich eher mit dem 1. FC Köln beschäftigt, findet ihr hier.
Der deutsche Profifußball ist bis mindestens Anfang April auf Eis gelegt, auch danach ist noch nicht ganz klar, wie es weitergeht. Was plant die Kölner Kurve für diese Zeit? Welche Aktionen möchtet ihr vorantreiben?
Die Meisten bleiben zurzeit so gut es geht zuhause. Es gibt zwar Ideen, aber ob wir diese in die Tat umsetzen, hängt davon ab, wie sich das Ganze entwickelt. Wir helfen ja niemandem, wenn sich noch mehr Leute anstecken – ein bisschen soziale Verantwortung muss da schon sein, auch wenn ich nicht denke, dass jeder, der draußen rumläuft, egoistisch handelt. Die Supermärkte leer zu kaufen und sich um die Bedürfnisse anderer einen Scheiß zu kümmern ist da leider ein wesentlich deutlicheres Abbild unserer Gesellschaft. Über allem steht die Gesundheit, das ist keine Frage, jedoch sollte man gerade aktuell auch kritisch bleiben. Auch wenn es sicherlich erforderlich ist, habe ich einen derartigen Eingriff in die Freiheit in dieser Form beispielsweise noch nicht erlebt.
Die DFL hat sich in den letzten Tagen nicht überall beliebt gemacht. Erst sollte der 26. Spieltag unbedingt durchgedrückt werden, dann wurde er doch abgesagt. Am Montag beschwor Christian Seifert nun das Untergangsszenario, das dem deutschen Fußball drohe, wenn nicht weitergespielt werden könne. Wie beurteilst du das jüngste Vorgehen der DFL?
Die Welt geht nicht unter, wenn kein Fußball gespielt wird. Es kommt nur weniger Kohle rein und davor haben die Verantwortlichen Angst. Mit der zögerlichen Absage des Spieltags und Äußerungen, dass es „um Finanzen“ geht, hat man sich verraten und einige Vereine, die aufgrund der aktuellen Situation offenbar auf die Hilfe von den „Big Playern“ der Branche angewiesen sind, müssen sich wahrscheinlich bald umgucken. Das derzeitige Problem wurde von vielen vorausgesagt: Jahrelang wurde der Fußball kommerziell überstrapaziert und dabei insbesondere die Gehälter einiger Spieler immer weiter nach oben geschraubt. Das steht doch alles schon lange nicht mehr im Verhältnis zur Normalität.
Diejenigen, die dafür die Verantwortung tragen, haben völlig zu Recht Angst davor, dass ihnen dieser ganze Mist bald auf die Füße fällt. Wenn da mal ein paar Wochen so gut wie nichts reinkommt, wird’s hektisch. Der Profifußball müsste sich nun mehr denn je seiner Verantwortung bewusst werden. Nicht nur gegenüber den Fans, sondern auch gegenüber seinen normalverdienenden Arbeitnehmern. Stattdessen hat man derzeit das Gefühl, dass noch Uneinigkeit herrscht. Ideen wie Gehaltsverzicht der Spitzenverdiener und Solidaritätsfonds sind vielleicht gar keine schlechten Ansätze. Die ersten haben ja schon etwas dazu veröffentlicht.
„Im Fall des 1. FC Köln sind wir Gott sei Dank gut aufgestellt. Dieser Verein benötigt keinen Investor!“
Währenddessen pocht die DFL immer noch darauf, die Spiele zeitnah ohne Zuschauer austragen zu können, um die Einnahmen aus TV-Geldern und Sponsoren nicht zu verlieren. Spannend wird die Situation auch im Hinblick auf die beginnende Transferperiode, sofern sie denn in der üblichen Form stattfindet. Der Fußball befindet sich also definitiv auf dem Prüfstand. Ich habe die Befürchtung, dass die Befürworter von Investoren-Einstiegen diese Gelegenheit ausnutzen wollen. Doch den Ausverkauf weiter voranzutreiben ist genau der Weg, der uns weiter in die Sackgasse führt. Die Fußballfans, die das nicht wollen, sollten wachsam sein und derartige Bestrebungen im Keim ersticken. Im Fall des 1. FC Köln sind wir Gott sei Dank gut aufgestellt. Dieser Verein benötigt keinen Investor! Wir haben eine Satzung, die Grenzen festlegt, und Gremien, deren Mitglieder auch mein Vertrauen genießen, in diesem Zusammenhang die richtige Entscheidung zu treffen.
Der 1. FC Köln spielte letzte Woche Mittwoch in Mönchengladbach das erste Mal in der Bundesliga in einem „Geisterspiel“ – diese Form der Austragung könnte auch in den kommenden Monaten, sofern es das Corona-Virus zulässt, eine Option sein. Das heißt aber auch, dass viele Menschen, die für ihre Tickets bezahlt haben, nicht ins Stadion gehen können. Wie hat sich der Verein deiner Meinung nach in dieser Sache verhalten?
Ich sehe das bislang mit gemischten Gefühlen. Es gab ja eine Stellungnahme vom Fanprojekt, dass die Leute auf die Erstattung der Eintrittskarten verzichten sollten. Gegenüber den Mitarbeitern vom Fanprojekt, die wirklich gute Arbeit leisten, tut mir diese Aussage leid, aber das hatte schon einen faden Beigeschmack. Auf mich wirkte es zumindest so, als würde der Verein das Fanprojekt für eigene wirtschaftliche Interessen missbrauchen. Einige Zeit später versendete der FC eine E-Mail an alle Tageskartenbesitzer für das Heimspiel gegen Mainz. Dort wurde neben anderen Optionen ein Shirt mit dem Slogan „ich war dabei“ angeboten. Als Ausgleich dafür, dass man nicht dabei sein kann, auf die Rückerstattung verzichtet und auch nur dann, wenn man eine Tageskarte besitzt: Auf die Idee muss man erstmal kommen. Durch die Absage des Spieltags blieben dann alle davor verschont.
Jetzt sollte man die Zeit nutzen, es besser zu machen. Es wurde beispielsweise auch angeboten, der FC-Jugend etwas zu spenden. Das wäre in meinen Augen die bessere Variante. Darüber hinaus muss man noch positiv erwähnen, dass sich die FC-Vertreter für die Absage stark gemacht haben. Was aber bleibt, ist die Gewissheit, dass es offenbar auch beim 1. FC Köln einige Personen gibt, deren Denkweise und Handeln eindrucksvoll beweisen, wie schief es derzeit im Profifußball läuft. Sorry, aber dem normalen Fan, der sich ein Ticket eventuell zusammensparen und dafür auf andere Sachen verzichten muss, ist doch nur schwer vermittelbar, dass er kein Geld zurückbekommt, während woanders Millionen verdient werden. Hier läuft man Gefahr, einige Leute auf lange Zeit zu verprellen.
Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass man sich gerade in Köln immer massiv gegen einen Einstieg von Investoren gewehrt hat und irgendwoher muss der Verein ja sein Geld kriegen. Da sind Einnahmen aus Eintrittskartenverkäufen nun mal eine Basisgröße und mir wesentlich lieber, als dass sich der nächste „Gönner“ unserem Verein anbiedert. Ich für meinen Teil werde mein Geld für die Tickets daher nicht zurückverlangen und hoffe, dass ich nicht der einzige mit dieser Sichtweise bin. Außerdem sollten sich alle überlegen, in welchem Umfang man die Jugendmannschaften des 1. FC Köln am besten unterstützen kann. Es ist ja mittlerweile auch dem letzten klar, dass man dort am falschen Ende sparen würde. In einer idealen Welt würde man im Gegenzug dafür mal ausloten, wie man dieses ganze System wieder ein bisschen erden kann. „Gemeinsam gewinnen alle“ könnte in der aktuellen Lage vielleicht der richtige Lösungsweg für einige Probleme sein.
Zuletzt waren die Aktionen der Ultras und Fans in aller Munde, weil Ende Februar Spiele wegen Plakaten und Sprechchören gegen Dietmar Hopp unterbrochen wurden. Mittlerweile ist die Bundesliga wegen eines Virus ausgesetzt – das ging schon alles sehr schnell.
Erst standen die Fanszenen im Kreuzfeuer, aber dann wendete sich das Blatt und man diskutierte auch über den DFB. Jetzt haben wir alle durch das Corona-Virus selbstverständlich ganz andere Probleme. Fußball ist in solchen Momenten eben auch nur Nebensache. Wer weiß, wie das jetzt alles weiter geht. Wenn irgendwann wieder Fußball mit Zuschauern gespielt wird, kann man sich damit befassen, die Forderungen der aktiven Fanszenen argumentativ zu vermitteln und inhaltlich auf eine strategischere Stufe zu stellen.
Was würdet ihr euch davon versprechen?
Der Profifußball muss wieder zum Volkssport werden. Ich bin es leid, dass mir Oligarchen den Fußball erklären wollen, den sie allenfalls von der VIP-Tribüne erleben. Meinetwegen haben diese Leute auch ihren Platz im Fußball, aber dann bitte auch mit dem gleichen Stellenwert wie die Kutte in der Kurve, der Ultra auf dem Zaun und der Trikotträger auf den Rängen.
Was einige jetzt wieder als „romantisch“ verklären, ist eine Vision, den Sport wieder seiner Basis zurück zu führen. Fußball kann die Menschen miteinander verbinden und jeder kann teilhaben, egal ob arm oder reich. Fußball lebt von Partizipation, von Ehrenamt und von einer Gemeinschaft, so verschieden sie auch sein mag. Das ist das, was mich an diesem Sport einst so fasziniert und mich damals dazu bewogen hat, Mitglied beim 1. FC Köln zu werden. Natürlich muss jeder Verein auch zusehen, dass optimal gewirtschaftet wird, aber Mitspracherecht und Identität werden meiner Ansicht nach immer über Gewinnmaximierung stehen. Wir bekommen es doch gerade mit, wohin es führen kann, wenn die Absichten, das Produkt zu verkaufen, den Wettbewerb verdrängen.
„Fußball lebt von Gefühlen, die in den Herzen der Fans ihren Ursprung haben und nicht von Bonzen, die diesen Sport als Gelddruckmaschine missbrauchen.“
Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass der Profifußball hierzulande ohne die ständigen Proteste der Fanszenen ganz anders aussehen würde. Das ist alles keine Selbstverständlichkeit – diese Sachen, die für viele als völlig normal gelten, wurden hart erkämpft. Es ist daher wichtig, dass die Diskussionen, die seit über zwei Jahrzehnten geführt werden, nicht aufhören.
Glaubst du, dass diese Diskussion um die Beleidigungen gegen Dietmar Hopp etwas bewirkt haben?
Die Debatte entwickelte sich ja nach einigen Tagen weiter und hat vielleicht auch den ein oder anderen zum Umdenken bewegt. Das hatte man auf der einen Seite dem bigotten Verhalten nicht weniger Fußballfunktionäre zu verdanken, aber auch den Protesten im Stadion. So wurde dem ein oder anderen Fanvertreter in der Öffentlichkeit Raum gegeben, die seit Jahren im Raum stehenden Forderungen erneut sachlich zu formulieren. Das ist in meinen Augen schon ein Erfolg.
Momentan läuft die Form der Vernetzung über die Organisation „Fanszenen Deutschlands“. Wie hat sich diese Organisation entwickelt und was hat sie bisher erreicht?
Die Organisation hatte ihren Ursprung mit dem Auftritt der Dresdner damals in Karlsruhe. Danach sind viele Fanszenen an einen Tisch gekommen. Durch verschiedene Aktionen im Stadion haben die „Fanszenen Deutschlands“ viel Aufmerksamkeit generiert, aber ihre Positionen auch auf anderen Wegen deutlich gemacht. Es gab zum Beispiel nach den letzten Spruchbändern eine Stellungnahme aller teilnehmenden Fanszenen, in dem die Sachlichkeit wieder in den Vordergrund gestellt wurde. Die Forderungen in Form der Positionspapiere wurden schon vor langer Zeit veröffentlicht und sind auch den Herrschaften beim DFB bekannt. Bezüglich erreichter Ziele kann man sich wohl die Abschaffung der Montagsspiele als prominentestes Beispiel zu einem guten Teil auf die Fahnen schreiben.
Die Empörungskurve war auf jeden Fall sehr hoch, nachdem Spiele wegen Beleidigungen unterbrochen wurden. War das ein bewusstes Ziel der Aktionen gegen Dietmar Hopp?
Es wurde über Jahre hinweg versucht, auf die Problematik mit sachlichen Mitteln aufmerksam zu machen. Dafür hat sich jedoch schlicht und ergreifend niemand interessiert. Ich denke nicht, dass Spielunterbrechungen von vornherein ein Ziel waren. Im Anschluss war es dann schon amüsant zu beobachten, wie öffentliche Wahrnehmung funktioniert. Grundsätzlich wollten sich aber auch viele einfach nicht von seinen massenhaften Anzeigen und seiner Selbstinszenierung unterkriegen lassen. Auf der Einbahnstraße der Selbstbeweihräucherung kann man sich schnell verfahren. Als Mitglied einer Ultrasgruppe weiß ich, wovon ich spreche.
Die krassesten Szenen gab es beim Spiel in Hoffenheim, als sich die TSG und der FC Bayern München am Ende nur noch die Bälle zuspielten. Am Abend und damit nur kurze Zeit später spielte der 1. FC Köln gegen Schalke. Wie ist das Thema so schnell nach Köln gekommen?
Genau, die Geschichte hat sich dann verselbstständigt, als sich beim Spiel der Bayern in Sinsheim der Ball hin und hergeschoben wurde. Beim Stand von 6:0 übrigens eine prima Leistung. Was hätten die Bayern wohl gemacht, wenn es zu diesem Zeitpunkt unentschieden gestanden hätte? Durch die abendliche Spielansetzung haben wir das natürlich mitbekommen. Als das Spruchband dann präsentiert wurde, habe ich mich dann schon gewundert, dass es auch bei uns zur Spielunterbrechung führte. In Köln gab es weder ein Fadenkreuz noch eine unmittelbare Personalisierung, wenn man die einzelnen Gesänge mal außer Acht lässt.
Ich glaube auch, dass es keinen gejuckt hätte, wenn nicht die Mannschaft inklusive Trainerstab zu uns an die Kurve gekommen wäre. Eigentlich lustig und traurig zugleich, dass es eine Handvoll Jecken schaffen, die Infrastruktur des deutschen Profifußballs mit einem Transparent zu crashen. Nach ein paar Minuten war der Spuk aber auch wieder vorbei und es konnte Fußball gespielt werden.
Wie hast du die ersten Reaktionen auf diese Eskalation gesehen? Hat es was gebracht?
Im Müngersdorfer Stadion hat ein nicht unerheblicher Teil zum Ausdruck gebracht, dass er nicht gut findet, was da gerade abgeht. Das muss akzeptiert werden, auch wenn ich es mir sicherlich anders gewünscht hätte. Nach dem Spiel habe ich die Diskussionen hier in Köln aber als sehr sachlich empfunden. Das hat auf der einen Seite damit zu tun, dass Horst Heldt an jenem Samstag im Vergleich zu anderen Funktionären erfrischend nüchtern und differenziert rüberkam. Auf der anderen Seite denke ich, dass es in Köln ausreichend Grundlagen für einen Dialog unter den FC-Fans gibt. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Haben wir schon sehr oft erlebt und können auch damit leben.
Im Rest des Landes ging es zwar noch bis Montag hoch her, aber mit dieser Schwarmintelligenz weiß man ja umzugehen. Der DFB ruderte wenig später zurück und somit gab es auch keine Spielunterbrechungen mehr. Geblieben ist die Frage, wo sich der deutsche Fußball aktuell befindet.
Dem DFB und seinem Drei-Stufen-Plan kam in dieser Sache eine entscheidende Rolle zu. Wie hast du das Verhalten des Verbands in dieser Sache beurteilt?
Diese Nummer ist nicht neu. Die UEFA hat das vor Jahren entwickelt. Da war der Hintergrund allerdings Rassismus. Dagegen kann keiner was sagen. Der DFB hatte vor dem besagten Spieltag diese Nummer jedoch ganz anders ausgelegt. Dieser Fehler wurde in Teilen bereits eingestanden. Ich glaube, ohne die Proteste hätten wir jetzt eine Situation, in der die Meinungsfreiheit in den Stadien eingeschränkt wäre. Es gab ja auch Spielunterbrechungen wegen Spruchbändern, die konstruktive Kritik beinhalteten. Man sieht also, wie wichtig es ist, seine Meinung zu äußern und am Ball zu bleiben.
Es gab dann auch Versuche, die Beleidigungen gegen Hopp auf eine andere Ebene zu hieven, um dem Ganzen mehr Bedeutung zu verleihen.
Wenn jemand meint, die Plakate gegen Dietmar Hopp auf eine Stufe mit einem zehnfachen Mord zu stellen, kann ich das nicht nachvollziehen. Mord zu relativieren, um kritische Fans moralisch ins Abseits zu stellen, ist schon harter Tobak. Daran lässt sich erkennen, dass es den Hardlinern schon lange nicht mehr nur um Ultras geht. Themen wie Abschaffung der Stehplätze und personalisierte Tickets liegen doch schon seit langen in den Schubladen einiger Akteure und betreffen jeden Stadiongänger. Die kommen jedes Mal erneut mit ihren Floskeln um die Ecke und wollen dann nebenher noch „zufälligerweise“ die 50+1-Regel abschaffen. Mich langweilt das nur noch.
Das Thema betrifft also nicht nur die Ultras in den Kurven, sondern alle Fans?
Es war schon immer so, dass die Themen der aktiven Fanszene nicht nur die Ultras betreffen. Nehmen wir doch zum Beispiel den Kölner Südkurvenverbund. Bei uns sind nicht nur die Ultrasgruppen Mitglied. Auch Fanclubs wie der Kölsche Mythos, Fantastica Colonia und Cologne Power East Belgium organisieren sich in der Südkurve 1. FC Köln. Die Inhalte der Proteste teilen wir oftmals gemeinsam, wenn auch die Formen unterschiedlich sind. Stehplätze, Ticketpreise und Spielansetzungen sind aber alles Themen, die jeden Stadionbesucher betreffen. Auch wenn bei Gegenwind mal schnell gepfiffen wird, profitieren am Ende alle Stadionbesucher von den Vorteilen der Proteste der aktiven Fanszenen.
Die Kritik an den Aktionen gegen den einstigen Hoffenheimer Mäzen beruft sich vorrangig auf die Art und Weise und die Wortwahl. Musste es denn gerade so ablaufen?
Ich kann nachvollziehen, wenn sich nicht jeder mit einer derartigen Herangehensweise einverstanden zeigt. Teilweise lief es wirklich etwas plump ab, auch wenn ich mich frage, warum man sich angesprochen fühlt, wenn Beleidigungen nicht unmittelbar personalisiert sind. Der Kritik über die Art und Weise muss man sich stellen, man sollte aber auch mal die Kirche im Dorf lassen. Auch wir müssen uns Beleidigungen anhören. Wie wahrscheinlich jeder andere Fußballfan und viele Spieler sowie Funktionäre ebenso. Die Spieler, die über diesen Beleidigungen standen, haben sich in der Regel nach ein paar Spielen auch nichts mehr anhören müssen. Die Geschehnisse müssen nicht zwangsläufig relativiert werden, aber richtig einordnen sollte man sie schon.
Ultras wird häufig nachgesagt, sie hätten ein romantisches Verhältnis zum Profifußball, das eh nicht der Realität entspricht. Was entgegnest du Leuten, die so etwas sagen?
Ich glaube, dass bei unbequemen Meinungen schnell versucht wird, diese nur mit den Ultras zu verbinden, da man diese sehr viel einfacher diskreditieren kann. Oder es wird einfach alles als amateurhafte „Fußballromantik“ abgetan, um sich bloß nicht ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Die Zeichen der Zeit sprechen allerdings eine ganz andere Sprache. Ich für meinen Teil sage, dass Geld nicht zum Erfolg führt, sondern die richtigen Entscheidungen. Mittlerweile ist der FC ja wieder das beste Beispiel dafür, so komisch das auch klingen mag (lacht).
Wenn ich mir die Situation in Köln vor Augen führe, würde ich schon behaupten, dass es bei uns bestimmt nicht nur Ultras sind, die einen Investoreneinstieg ablehnen. Nicht nur, weil dies der richtige Weg zu nachhaltigem Erfolg ist. Ich glaube, vielen ist auch wichtig, die Identität des Vereins nicht zu verkaufen. Der 1. FC Köln gehört seinen Mitgliedern! Dafür, dass dies auf ewig so bleibt, kämpfe ich und ich weiß, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Auch wenn das jeder selbst für sich entscheiden muss, glaube ich, dass man sogenannte Grenzüberschreitungen dafür mal in Kauf nehmen kann, ohne direkt in Schnappatmung zu verfallen.
Wie die Verwendung des Wortes „Hurensohn“ oder ein Mann im Fadenkreuz also.
Es geht mir weniger um die Beleidigungen als um die Sache, die erreicht wird. Ich kann verstehen, dass viele Leute damit ein Problem haben, aber es ist doch auch schade, dass wir immer nur darüber sprechen. Vielleicht stellt man sich auch mal die Frage, warum man offenbar nur dann Gehör findet, wenn man polarisierend auftritt. Wie schon gesagt, es gab in Köln so viele sachliche Spruchbänder und Texte zum Thema 50+1, die so gut wie nie Erwähnung fanden. Meine Gruppe organisierte eine Ausstellung zum Thema Werksvereine, die kein Schwein interessierte. Die Südkurve verteilte zum ersten Heimspiel gegen RB Leipzig einen aufwändigen Flyer. Ich bin mir sicher, dass nur die wenigsten etwas davon mitbekommen haben. Offenbar ist das Kratzen an Grenzen also notwendig für individuelle und gesellschaftliche Entwicklungen. Wo würden wir heute stehen, wenn zum Beispiel Gewerkschaften niemals zu Streiks aufgerufen hätten?
Ihr nutzt dafür das Stadion als Bühne.
Die Leute fragen mich oft: „Müsst ihr das unbedingt im Stadion machen? Müsst ihr die Plattform Stadion ausnutzen?“ Verdammt nochmal, ja, natürlich müssen wir das! Du musst den Stachel doch dort reinsetzen, wo es weh tut, sonst wirst du doch nicht wahrgenommen. Wenn man so einen Stil fährt, macht man sich selbstverständlich nicht nur Freunde, aber man bekommt die notwendige Öffentlichkeit und regt gewiss auch zum Nachdenken an.
Wie reagierst du darauf, dass ein Mann wie Karl-Heinz Rummenigge dann von Würde und Anstand spricht? Er ist vorbestraft wegen der verbotenen Einfuhr von Luxus-Uhren.
Würde und Anstand haben nicht wenige Fußballfunktionäre vermissen lassen, als es darum ging, den Spieltag aufgrund der Corona-Krise rechtzeitig abzusagen. Als die Herrschaften sich dann endlich dazu durchringen konnten, gab es schon viele Fanszenen, die für sich festgehalten hatten, dieser besonderen Situation Tribut zu zollen und nicht am Stadion aufzutreten. Es fällt mir schwer, mit dem Finger auf andere zu zeigen, aber ich bin auch nicht dazu bereit, mich von den Leuten, die diesen Sport seit Jahren übervermarkten, auf die „dunkle Seite“ schieben zu lassen. Die „hässliche Fratze des Fußballs“ steht nicht in der Kurve!
Wie wird der Konflikt mit dem DFB nun weitergehen? Was erwartest du für die kommenden Wochen?
Naja, jetzt haben wir alle erstmal anderes zu tun. Die Eindämmung des Corona-Virus wird uns alle noch etwas beschäftigen und offenbar haben das jetzt auch die Funktionäre verstanden. Irgendwann wird natürlich auch wieder Fußball gespielt und dann wird man sehen, was passiert. Diese Konflikte haben ja nie wirklich aufgehört. Das ist wie eine lodernde Flamme, auf die jemand ab und an mal ein Stück Holz wirft. Wenn es irgendwann mal wieder losgeht, dass auch Zuschauer in die Stadien dürfen, glaub ich jedoch, dass alle erstmal froh sind, dass es sich wieder normalisiert. Außerdem wird der 1. FC Köln ja noch den Einzug in den Europapokal schaffen. Dann haben wir nochmal ganz andere Sorgen. Zum Beispiel muss ich mir dann einen Finanzplan aufstellen lassen (lacht).
Dass wir nicht aufhören, Sachen zu hinterfragen, gehört natürlich auch weiterhin zu unserer Natur als kritische Fans. Meines Erachtens nach muss man sich in nächster Zeit ganz klar dem Strafensystem des DFB widmen. Wann und in welcher Form das sein wird, kann nicht sagen.
Das kommt speziell dann zum Tragen, wenn beim FC in der Kurve wieder Pyrotechnik gezündet und dann verlässlich ein Strafbescheid des DFB versendet wird.
Ich möchte nicht, dass der 1. FC Köln Geld zahlen muss. Seit Jahren fordern die aktiven Fanszenen die Abschaffung des Paragraphen 9a der Strafgerichtsbarkeit des DFB (die sogenannte verschuldensunabhängige Haftung, Anm.d.Red) und protestieren auf verschiedenen Wegen gegen dieses parallele Strafensystem. Es ist also nicht so, das einfach Pyrotechnik gezündet und es den Leuten in der Kurve, die darauf Bock haben egal ist, dass der Verein deswegen bezahlen muss. In dieser seit Jahren geführten Debatte wurde ja nicht nur protestiert. Es wurden auch alternative Wege aufgezeigt und sich dabei sogar selbst kanalisiert. Die verantwortlichen Personen in den Vorstands- und Verbandsetagen ließ das bekanntlich kalt. Damals schlug man jungen Leuten die Türe vor der Nase zu und es ist bis heute nicht anders geworden, dass die Hardliner bei diesem Thema viel unternehmen, um die Deutungshoheit nicht zu verlieren.
Auch wenn mich die Bilder in Hamburg ehrlicherweise nicht abgeholt haben, ist es doch bezeichnend, dass es selbst dann noch Leute gibt, die dagegen schießen, wenn das Ganze angemeldet ist (Anm. d. Red.: Mitte Februar wurde beim HSV legal Pyrotechnik gezündet). Hier geht es dann nur noch darum, gegen Ultras Politik zu machen. Dann kann ich die jungen Leute auch verstehen, dass man sich keine Gedanken um Alternativen machen muss, wenn man ohnehin nur verarscht wird.
Das würde bedeuten, dass die Kurven gänzlich unabhängig wären. Darin würde mancher bestimmt eine Gefahr sehen.
Die Fankurven in Deutschland können sich selbst regulieren, das haben sie oft genug bewiesen. Natürlich gab es immer wieder Ausfälle, wo es besser hätte laufen müssen. Aber genau nach diesen Geschehnissen wurde sich in vielfältiger Form auch häufig zu Wort gemeldet und gesagt: Passt auf, das war nicht gut, hier müssen sich jetzt Sachen ändern. Wo gibt es diese Form der Selbstorganisation in unserer Gesellschaft noch? Dem Fußballfan wird sehr oft nachgesagt, dass er keine Selbstreflektion betreibt. Auf mich wirkt es eher so, dass gerade die aktiven Fans sich stetig selbst hinterfragen.
Aber irgendwie muss doch eine Kurve auch kontrolliert werden, oder nicht?
Es gibt wenige Bereiche in Deutschland, die so umfassend kontrolliert werden wie ein Fußballstadion. Über Aussagen, dass Fankurven nicht zu rechtsfreien Räumen mutieren dürfen, kann ich nur lachen. Die Strafgesetze in Deutschland sind ausreichend. Wozu also noch ein zusätzliches Strafensystem der Verbände? Durch den temporären Verzicht des DFB auf Kollektivstrafen gab es ja auch mal Ansätze, die in die richtige Richtung liefen. Für einen Dialog mit dem Verband muss aber mehr kommen. Ich bin realistisch und glaube, dass dies in der aktuellen Verbandskonstellation nicht mehr passieren wird. Wenn die Corona-Krise vorbei ist, wird es spannend sein, wie DFB und DFL mit der aktuellen Situation umgehen werden. Absichten, ein Produkt unter größtmöglichem Gewinn zu verkaufen und den sportlichen Wettstreit damit noch mehr in den Hintergrund zu drängen, müssen endlich eingedämmt werden. Nur so kann der Fußball seine Integrität behalten und die Fans an sich binden.