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Österreichische Fußball-Bundesliga

·6. Februar 2023

Schwarz-Weiße Transformation

Artikelbild:Schwarz-Weiße Transformation

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6. Februar 2023 in ADMIRAL Bundesliga

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Nur Salzburg war in den Zehnerjahren erfolgreicher als der SK Puntigamer Sturm Graz. Mit dem Meistertitel 2011 und dem Cuperfolg 2018 holten die Grazer zwei Titel. Auch, weil der Verein sich neu erfand.


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Wir schreiben das Jahr 2009. Es ist keine zwei Jahre her, da stand es schlecht um den SK Sturm. Nur ein Zwangsausgleich hatte das Aus des erfolgreichsten steirischen Fußballvereins abwenden können. Es ist eine Phase des Aufbaus und Aufbruchs. Martin Ehrenreich ist damals 26 Jahre alt und kommt aus der zweiten Liga vom nördlich von Graz beheimateten FC Gratkorn in die Landeshauptstadt. „Es herrschte eine positive Stimmung, das neue Trainingszentrum wurde gerade fertiggestellt und alle waren voller Euphorie und Tatendrang“, erinnert er sich zurück. Der früh verstorbene spätere Bundesliga-Präsident Hans Rinner steht dem Verein damals vor, plant nicht nur das Trainingszentrum, sondern will den Klub im Gesamten professionalisieren. Aus einem ehrenamtlichen Verein soll langsam ein Unternehmen werden. Auf der Trainerbank sorgt Franco Foda für Konstanz, mit Oliver Kreuzer wird ein renommierter Sportdirektor an die Mur gelotst – und aus all diesen Bemühungen entsteht schon bald etwas, das sich in jedem Spielfilm gut machen würde: ein Happy End in drei Akten.

2009/10 erreicht Sturm die Europa-League-Gruppenphase und kann sich über einen Geldsegen freuen. 2010 folgt Teil zwei: Nur drei Jahre nach dem Zwangsausgleich holen sich Ehrenreich und Co. den vierten Cupsieg der Vereinsgeschichte. Doch das Märchen der Wiederauferstehung, es war noch nicht zu Ende geschrieben – der krönende Teil drei sollte noch folgen: der Meistertitel 2011. „Flow ist ein überstrapazierter Begriff, aber er hat was für sich“, sagt Ehrenreich, der dem Verein bis heute treu geblieben und seit 2020 als Teammanager tätig ist. Er weiß: „Wir waren nicht so vermessen, dass wir nach dem Cuptitel den Meistertitel als Ziel ausgegeben haben. Unser internes Ziel vor der Saison war es, vorne mitzuspielen und den Europacup zu erreichen.“ Doch es sollte anders kommen.

Jedes Spiel ein Finale

Die Bundesligasaison 2010/11 ist an Spannung kaum zu überbieten. Andere würden sagen, sie ist gar ein bisschen verrückt. Zunächst holt die SV Ried den Herbstmeistertitel und geht nach 19 Spieltagen gar mit vier Punkten Vorsprung auf den Zweitplatzieren in die Winterpause. Es ist der SK Sturm, der als erster Verfolger das Frühjahr in Angriff nimmt, dicht gefolgt von Salzburg und Austria Wien. Doch bei Ried läuft es bald nicht mehr wie im Herbst, es zeichnet sich ein Duell zwischen Sturm und der Austria ab, in dem die Veilchen länger die Spitzenposition halten können. „Irgendwann haben wir erkannt, dass etwas möglich sein könnte. Wir haben uns intern zusammengesetzt und klar ausgegeben, dass ab sofort jedes Spiel ein Finale ist.“

Und so agiert Sturm auch. Nach dem 0:3 in Salzburg am 29. Spieltag verlieren die Blackies kein Spiel mehr. Und ein Teamkollege von Ehrenreich läuft zu Hochform auf: Samir Muratovic. „Wir hatten einen richtigen Lauf“, sagt der ehemalige bosnische Teamspieler. Fünf Tore erzielt er in den letzten sieben Spielen. Darunter die spielentscheidenden Treffer zu den Siegen in den letzten drei Runden. „Ich bin oft nur von der Bank gekommen, aber das war kein Problem, weil wir ein super Team waren, wie eine Familie.“ Es ist aber nicht nur die viel zitierte mannschaftliche Geschlossenheit, die den Unterschied ausmacht.„Ich kann mich erinnern, dass ich sehr viel Selbstvertrauen hatte, was ich auch gebraucht habe, wenn ich an den Elfmeter gegen Wiener Neustadt zurückdenke.“ Am vorletzten Spieltag verwandelte Muratovic auswärts in Niederösterreich einen Handelfmeter in der 87. Minute zum 2:1.

„Es war ein Wahnsinn, was bei diesem Elfmeter auf dem Spiel stand. Wenn ich ihn verschossen hätte, wäre es das Ende meines Lebens gewesen“, sagt er und muss kurz auflachen.Weil Salzburg am letzten Spieltag den direkten Konkurrenten Austria in die Schranken weist, ist der Abschlusserfolg zuhause gegen Innsbruck eigentlich nicht mehr notwendig, wird aber zum perfekten Vorspiel der Meisterfeierlichkeiten. „Viele haben damals gesagt, wir wären nur Meister geworden, weil die anderen so schwach waren. Aber du musst als Mannschaft die Qualität haben, um ein Momentum zu nutzen. Das ist uns gelungen“, sagt Martin Ehrenreich.

Viel Lehrgeld und neue Hoffnung

So denkwürdig die Zehnerjahre für Sturm Graz begonnen hatten, so schwerfällig sollten sie voranschreiten. Nach dem Meistertitel 2011 verpasst das Team von Franco Foda nur denkbar knapp die Teilnahme an der Champions-League-Gruppenphase. Eine Saison später wechselt der langjährige Erfolgstrainer nach Kaiserslautern und der Verein versucht vergeblich, wieder an die Zeiten des märchenhaften Aufstiegs nach dem Zwangsausgleich anzuschließen. Auch, weil es oft leichter ist nach oben zu kommen, als sich oben zu halten.Ob auf der Geschäftsstelle, auf der Trainerbank oder auch aum dem grünen Rasen der Verein muss auf dem Transformationsweg in den modernen Fußball viel Lehrgeld bezahlen.

Zu viel, um sportlich erfolgreich zu sein. Ehe 2016 ein Neustart erfolgt, der an zwei Personen festzumachen ist: Der ehemalige Zehnkämpfer Thomas Tebbich wird als wirtschaftlicher Geschäftsführer installiert und für die sportlichen Agenden zeichnet fortan Günter Kreissl verantwortlich. Der frühere Torwart, der mittlerweile beim ÖFB „Head of Goalkeeping“ ist und das „Projekt 12“ leitet, hatte sich bei Wiener Neustadt den Ruf erarbeitet, aus schmalen Ressourcen viel herauszuholen – allen Expertenmeinungen zum Trotz hatte Kreissl die Niederösterreicher jahrelang erfolgreich in der Bundesliga gehalten. „Ich war insgesamt acht Jahre in Wiener Neustadt und fühlte mich bereit für den nächsten Schritt. Auch für Sturm Graz im Besonderen, weil ich als gegnerischer Spieler oder Trainer immer fasziniert war von der Energie rund um den Verein“, sagt Kreissl.

Energie, es ist ein Wort, das Kreissl in den folgenden Monaten und Jahren öfter in den Mund nehmen wird. Zurecht. Weil er maßgeblich dafür verantwortlich zeichnet, dass ebendiese wieder freigesetzt wird in Graz. Kreissl legte mit seiner Arbeit die Grundsteine für ein sportliches Fundament, von dem der Verein bis heute profitiert.

Wecker der Emotionen

„Als ich 2016 zu Sturm gekommen bin, habe ich eine Resignation gespürt. Es hat das Feuer gefehlt, nicht nur im Verein, sondern auch im Umfeld. Wir wollten gemeinsam wieder die Emotion, die diesen besonderen Klub ausmacht, wecken.“ Mit Erfolg. Als Kreissl zum Verein kommt, sitzt einmal mehr Vereinslegende Franco Foda auf der Trainerbank, der als erster Sturm-Protagonist der Geschichte als Spieler und Trainer den Meistertitel holen konnte. Gleich im ersten Bundesligaspiel mit Günter Kreissl auf der Tribüne als sportlichen Geschäftsführer des Vereins besiegen die Blackies Ligakrösus Red Bull Salzburg mit 3:1. Am Saisonende holt man den dritten Platz und zwölf Punkte mehr als in der Vorsaison. Und das ohne großen finanziellen Spielraum, neuen Sponsoren oder Investoren. Günter Kreissl erklärt diese Entwicklung so:„Manchmal treffen Konstellationen von Menschen aufeinander, die sich gut befeuern. Die Zusammenarbeit zwischen Franco Foda und mir war ein gutes Beispiel dafür. Ein langjähriger Trainer und seine Strukturen trafen auf einen jungen Neuen mit eigenen Ideen und eigenem Kopf. Wir haben uns im positiven Sinne zusammengerauft.“

Der offensichtlichste Erfolg dieser Zusammenarbeit ist die steigende Qualität im Kader. „Wir haben oft lange dafür gebraucht, bis eine Personalie für uns beide passte, aber dann waren wir von den einzelnen Spielern beide voll überzeugt.“ Aber auch ein Quäntchen Glück gehöre dazu. „Charaktere müssen zusammenpassen. Wir hatten wenig Möglichkeiten und haben daher oftmals Spieler geholt, die bereits bewiesen haben, dass sie Qualität haben, aber bei ihrer letzten Station nicht so funktioniert haben.“ Bestes Beispiel: Stefan Hierländer, der von Leipzig in die Steiermark wechselte und schon bald einen besonderen Platz in den schwarz-weißen Geschichtsbüchern einnehmen sollte – als Goldtorschütze beim Cupfinalerfolg gegen Salzburg nach Verlängerung.

Churchill gegen Rose

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Mai 2018, es ist das Ende der zweiten Saison von Günter Kreissl bei Sturm, Franco Foda hatte die Grazer so erfolgreichen und attraktiven Fußball spielen lassen, dass der ÖFB ihm das Nationalteam anvertraute. Mit Heiko Vogel war ein Mann auf der Grazer Bank nachgefolgt, der gerne große Persönlichkeiten der Weltgeschichte zitierte. An diesem 10. Mai 2018 war es Winston Churchill. „You ask, what is our aim? I can answer in one word: Victory!“, hatte der deutsche Übungsleiter seinen Mannen vor dem Finale im ÖFB Cup 2018 gegen Salzburg mit auf den Weg gegeben. Ein Salzburg, das damals von Marco Rose trainiert wurde, wenige Tage zuvor erst im Europa-League-Halbfinale denkbar knapp gegen Marseille gescheitert war und Sturm zu allem Überdruss am Wochenende vor dem Cupendspiel in der Meisterschaft mit einem klaren Sieg die Grenzen aufzeigte. Wie war es möglich, diese als übermächtig geltenden Bullen zu zähmen?

„Ich kann nur noch einmal an der ’positiven Energie’ anknüpfen“, versucht Kreissl zu erklären. „Es geht viel darum, was im Kopf passiert. 2017/18 wurde Peter Zulj zum Spieler der Saison gekürt, Deni Alar war erfolgreicher Torschütze – viele Spieler waren an diesem Tag am Zenit. Wir hatten sehr viel Selbstvertrauen und mit Heiko Vogel einen Trainer, der sich kein Limit setzte in seinem Streben nach Erfolg.“

Dazu war auch das Setting außergewöhnlich. 27.100 Zuschauer waren in Klagenfurt im Stadion – fast alle trugen Schwarz-Weiß.„Bei Sturm verdienen sich die Fans wirklich die Bezeichnung „zwölfter Mann“. Die Atmosphäre in Klagenfurt hat die Mannschaft extrem beflügelt, und wir haben das Spiel auch deshalb verdient gewinnen können“, weiß Kreissl, der den Pokalsieg 2018 persönlich sehr hoch einordnet. „Für mich war dieser Cuptitel ein Highlight in meinem Leben. Es war ein so wunderbares Ereignis, dass ich es sogar auf eine ähnliche Stufe wie die Geburt meiner Kinder stellen würde, weil ich meine ganze Laufbahn für so einen Moment gearbeitet habe. Man muss sich nur die Ehrentafeln der Zehnerjahre anschauen, wie oft Salzburg dort geschrieben steht, und welch Ausreißer dieser Erfolg von Sturm Graz war. Der Cupsieg hat in mir eine unfassbar starke Emotion ausgelöst. Nicht zuletzt deshalb, weil so viele Menschen mitgelebt haben und wir gewusst haben, dass Hundertausende Menschen mit dem Schlusspfiff einen richtigen Glücksmoment erleben.“

Unter ihnen übrigens auch ein gewisser Martin Ehrenreich, der just am Tag des Finalsiegs seinen 35. Geburtstag feierte. „Ich war bei diesem historischen Cuperfolg nicht mehr als Spieler dabei, sondern als Fan. Ich war zwar beim Verein angestellt, bin aber mit dem Fanbus nach Klagenfurt gefahren und während des Spiels in der Kurve gestanden. Es war unglaublich, an diesemTag sind alle Dämme gebrochen.“

Redakteur: Peter K. Wagner

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