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Textilvergehen

·2. März 2020

Proteste gegen Kollektivstrafen: “Wir lassen uns nicht spalten”

Artikelbild:Proteste gegen Kollektivstrafen: “Wir lassen uns nicht spalten”

Eigentlich hätte ich hier heute gerne vor allem über Standard-Flanken von Christopher Trimmel geschrieben, die beim Spiel des 1. FC Union gestern gegen Wolfsburg das waren, was sportlich am besten funktioniert hat und zu beiden Toren beim 2-2 geführt haben. Aber der Sport war nicht, was von diesem Spiel hängen bleiben wird. Das sind vielmehr die Proteste gegen Kollektivstrafen des DFB und dessen Reaktion darauf – und was das für den sozialen Raum Stadion einerseits und den Zusammenhalt bei Union andererseits bedeutet.


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Was ist passiert?

Nach etwa 30 Minuten wurden auf der Waldseite Banner hochgehalten, die den DFB dafür kritisierten, die 2017 ausgesetzten Kollektivstrafen mit den Auswärtsblock-Sperren gegen Borussia Dortmund in Hoffenheim wieder angewandt zu haben. Darauf stand: “2017 Kollektivstrafen abgeschafft, nun Hopp hofiert und zwei Schritte zurück gemacht! Fick dich DFB!”

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Daraufhin unterbrach Schiedsrichter Bastian Dankert die Partie, und war Unions Stadionsprecher Christian Arbeit angewiesen, eine Ermahnung gegen herabwürdigende oder diskriminierende Ausdrucksweisen an das Stadion zu richten. Das reagierte darauf in sehr sehr weiten Teilen mit Wut und Unverständnis, insbesondere auf der Waldseite, aber eben auch überall sonst von gefühlter Waldseite bis Häppchentribüne fast einstimmig.

Kurz vor der Pause hielten dann die Union-Ultras Hammerhearts weitere Banner hoch, mit dem Fadenkreuz-Motiv (in DFB-Grün) zu Dietmar Hopp, dem Wort “Hurensohn” und einem Verweis auf dieses Statement auf ihrer Webseite (die selbst aktuell nicht erreichbar ist, weshalb wir es hier in Screenshots wiedergeben):

Es gab nun von der Gegengerade “Aufhören!”-Rufe Richtung Waldseite. Nach einer längeren Unterbrechung und der Warnung, das Spiel werde bei weiteren Vorkommnissen abgebrochen, wurden die wenigen Minuten bis zur Halbzeit und schließlich der zweite Durchgang gespielt, nach Abpfiff zeigte die Waldseite noch ein Banner mit der Aufschrift: “Jahrelang die Kritik überhört und sich nun an Ausfälligkeiten gestört”.

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Stadien dürfen keine Rechte-freien Räume sein

Dass es nach den ersten Plakaten eine Unterbrechung gab, ist vollkommen absurd. Denn darin wird niemand beleidigt, sondern nur eine Meinung zum Handeln des DFB vertreten und diesem unpersönlichen Verband mitgeteilt, dass man ihn nicht gut findet. Niemand kann ernsthaft in der Verwendung etwas derber Sprache eine Grenzüberschreitung sehen, die Sanktionen oder einen Spielabbruch rechtfertigen würde. Jedenfalls würde eine solche Grenzziehung nicht nur viele, viele Äußerungen im Stadion ausschließen, sondern eine ganze Menge mehr an Diskurs. Dafür gibt es weder eine moralische noch eine juristische Grundlage (letzteres hat Steffi gestern hier schon im Text zu ihren Photos vom Spiel geschrieben). Und darüber bestand gestern im Stadion auch große Einigkeit. Auch Christian Arbeit begann seine Ansprache dazu mit den Worten: “Auch wenn viele von uns das hier anders sehen…”

Bevor wir zu den zweiten Bannern und der Diskussion darüber kommen, müssen wir noch dabei bleiben, wie diese erste Entscheidung getroffen wurde. Sie oblag dem Schiedsrichter. Offenbar waren sowohl die Offiziellen als auch die Vereine vom DFB vor diesem Spieltag aufgefordert worden, sich streng an einen Drei-Stufen-Plan im Umgang mit Schmähkritik zu halten. Aber die war hier ja gar nicht vorgekommen, und die Entscheidung, auf diese Äußerung mit einer Spielunterbrechung und Ermahnung zu reagieren ist offenbar mit sehr wenig Nachdenken und sehr reflexhaft gefallen. Das ist ein großes Problem, denn wenn so eine Meinungsäußerung sanktioniert wird, kann es gar keine Gespräche über die Sache zwischen Fanszenen und Verband geben. Und der Verband macht sich und sein Handeln vollkommen unglaubwürdig, noch bevor wir überhaupt damit anfangen, über die Prioritätensetzung und Stringenz im Umgang mit Diskriminierung zu sprechen.

Bei dem zweiten Plakat gingen – im Stadion gut hörbar – die Meinungen viel weiter auseinander. Natürlich kann man es geschmacklos, bedrohlich und falsch finden, einen Menschen in einem Fadenkreuz darzustellen. Aber man verfehlt das Thema, wenn man dieses Plakat isoliert betrachtet. Denn der Ultragruppe, die es im Stadion gezeigt hat, geht es nicht um Dietmar Hopp. Wenn das so wäre, dann hätten wir dieses Plakat nicht gestern, sondern im Dezember beim Spiel gegen Hoffenheim gesehen. Es geht um eine Solidarisierung mit anderen Fans und Fanszenen, die für dieses Motiv und die Beleidigung Hurensohn, die an jedem Wochenende in Bundesligastadien an Fangruppen gerichtet wird, von den Sportgerichten des DFB und der regulären Justiz verfolgt wurden.

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Man darf so viel Differenzierung verlangen, einen Unterschied dazwischen zu sehen, dieses Motiv tatsächlich zu verwenden, und es zu zitieren. Dazu gibt es dann sicher immer noch verschiedene Meinungen, aber es sollte klar sein, worum es eigentlich geht.

Zusammenhalt, Differenzen und Solidarität

Damit sind wir dann dabei, dass es gestern im Stadion an der Alten Försterei zu einem sichtbaren Konflikt zwischen Ultras, den anderen Fans im Stadion und dem Verein kam. Dabei kann man natürlich nicht pauschal sagen, dass alle auf der Gegengerade sich gegen die Waldseite gestellt hätten:

Und vermutlich sind sich in der Sache selbst noch mehr Unionerinnen und Unioner einig. Aber es hat sich eben auch gezeigt, dass die Botschaft, die mit dem Fadenkreuz verbunden war, nicht überall ankam, der Hintergrund dafür längst nicht allen bewusst war und es für dieses Symbol keine allgemeine Akzeptanz gab. Eventuell hätte man sowohl echte Meinungsverschiedenheiten als auch Missverständnisse mit mehr Dialog zwischeneinander überwinden können. Es ist aber eben offenbar auch nicht leicht, dazu passende Foren zu finden, die genug Raum für Diskussionen und Reichweite bieten.

Dass es zwischen einzelnen Unionerinnen und Unionern auch in Bezug auf Positionierungen und Ausdrucksweisen dafür im Stadion nicht vollkommene Übereinstimmung geben wird, ist klar. Und das wäre auch gar nicht wünschenswert, denn dazu sind die Menschen hier und dieser Verein zu vielfältig. So definierte Einigkeit kann und sollte man also nicht einfordern. Was wir aber voneinander fordern können ist Solidarität.

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Das hat gestern in alle Richtungen auch Ali von seinem Capo-Podest auf der Waldseite getan. In einer unglaublich aufgeheizten und emotionalen Situation hat er nach dem Spiel für mich die zentralen Worte an diesem Nachmittag gefunden: “Hier spielt immer noch Union und wir lassen uns nicht spalten.”

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Ganz bewusst wurde in der zweiten Halbzeit auch die Gegengerade im Support eingebunden und ebenso wie die Mannschaft angesprochen mit einem Werben um Verständnis für die Position der Ultras. Explizit passierte das mit der Mannschaft auch während der Unterbrechung, als Ali mit Christopher Trimmel sprach. Ich fand es gestern in der Mixed Zone wohltuend, dass Christopher Trimmel sich der Skandalisierung dieses Vorgangs verweigert hat und darauf bestand, dass es gut ist, dass bei Union in so einer Situation miteinander geredet wird. Was dabei genau gesagt wurde, wollte Trimmel unter den Beteiligten lassen.

In der Tat wird wird es mehr Gespräche brauchen, um was gestern passiert ist für Union zu verarbeiten. Aber auch dafür gab es eben gestern Anknüpfungspunkte.

Positionierung und Reaktion des Vereins

Das gilt hoffentlich auch für den Verein. Dass er gestern mit Christian Arbeits Ansprache in der ersten Unterbrechung zumindest nominell auf der Linie des DFB lag, ist ein Problem. Ich hatte gestern bei dem, was Christian Arbeit in der (ziemlich kurzen) Pressekonferenz gesagt hat den Eindruck, dass auch er damit schon da nicht glücklich war, und wie oben angedeutet klang das ja auch in der Ansprache selbst durch. Eine wirklich klare Position ist das nicht. Der nähert sich der Verein auch in einem Statement, das gestern auch an alle Mitglieder verschickt wurde, nur an: darin wird neben einer Verurteilung von Schmähungen das Recht der Fans auf Meinungsäußerungen betont, sich aber von der Verletzung dieses Rechts mit der Sanktion für das erste Banner nicht distanziert. Das hat dafür Oliver Ruhnert in der Halbzeit gegenüber DAZN getan.

Übrigens dürften sich die Vereine beim DFB für die Lage, in der sie sich jetzt befinden, bedanken. Ich wüsste gerne, ob und wie seit dem Wochenende zwischen den Vereinen und der Otto-Fleck-Schneise kommuniziert wird.

Medien-Echo

Die Diskussion der Ereignisse in den Medien ist sehr problematisch, das im Einzelnen aufzuschlüsseln würde aber hier heute den Rahmen sprengen. Also will ich auf ein paar gute Diskussionen des Themas verweisen. Es gibt einen einen sehr guten Kommentar von Klaas Reese (ua. Collinas Erben) im Deutschlandfunk, einen weiteren von Christian Bartlau bei N-TV, und ein gutes Segment zu dem Thema in der Rasenfunk-Schlusskonferenz mit Max-Jacob Ost, Tamara Keller und Marc Wiese.

Das schreiben die Berliner Medien zum Spiel und den Fan-Themen:

Alles Andere

Es gibt natürlich noch viele andere Themen heute: Die Ausstellung zu Choreos und Ultras im Stadion, die knappe Niederlage der Frauen gegen Raba Leipzig und das Spiel gegen Wolfsburg an sich. Aber dafür haben wir heute morgen leider keine Zeit.

Unser Podcast ist für heute 20 Uhr mit live stream geplant. Den Link gibt es dann hier und auf Twitter.

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