Neu im Brustring: Florian Müller | OneFootball

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Rund um den Brustring

·16. Juni 2021

Neu im Brustring: Florian Müller

Artikelbild:Neu im Brustring: Florian Müller

Nach dem Abschied von Torhüter Gregor Kobel hat der VfB heute in Florian Müller einen Ersatz verpflichtet. Wir haben uns in Mainz und Freiburg über ihn schlau gemacht, mit einem Torwart-Experten gesprochen und werfen einen Blick in die Daten.

Was sich quasi schon seit Gregor Kobels Field-Interview angekündigt hatte, wurde vor zwei Wochen Gewissheit: Er wechselt zur neuen Saison zu Borussia Dortmund, wo er einen Vertrag bis 2026 unterschreibt. Nur ein Jahr, nachdem er nach einigem Hin und Her einen Vertrag beim VfB unterschrieben hatte. Man kann das beklagen und die mangelnde Vertragstreue der heutigen Spielergeneration bemängeln, wirklich überraschen dürfte es nach dieser Saison niemanden. Stattdessen könnte man sich genau darüber freuen: Dass VfB-Spieler endlich mal so gute Leistungen zeigen, dass andere Vereine bereit sind, sie uns für viel Geld abzukaufen. Und solange Wolfgang Dietrichs Ankündigung einer baldigen Champions League-Teilnahme nicht bald Gestalt annimmt, werden wir uns weiterhin damit arrangieren müssen, dass der VfB vor allem ein Sprungbrett ist.


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Vielleicht auch für den Nachfolger von Gregor Kobel, den der VfB am Dienstag verpflichtet hat: Florian Müller, geboren vor 23 Jahren und sechseinhalb Monaten im saarländischen Saarlouis (well, duh!), dass er zuerst Richtung Saarbrücken verließ, bevor er sich mit 15 Jahren dem FSV Mainz 05 anschloss Dort durchlief er das Nachwuchsleistungszentrum und schaffte es bis in die Bundesliga, in der er in der gerade abgelaufenen Saison leihweise für den SC Freiburg zwischen den Pfosten stand. Um mehr über Müller und sein Torwartspiel zu erfahren, haben wir uns mit FSV-Experte Oliver (@1mainzer), der gemeinsam mit Mara Pfeiffer die Fußballfibel zu den 05ern geschrieben hat, sowie mit SCF-Kennerin Julia (@juledreierlei) von der Badischen Zeitung unterhalten. Außerdem haben wir Sascha (@SaschaFltr), der für den Blog Cavanis Friseur schreibt und auf Twitter regelmäßig sehr interessante #Keeperanalysen veröffentlicht, um seine Einschätzung gebeten. Den Eindruck von Müller wollen wir mit einem Blick in die Daten der letzten Saison abrunden, den unsere Partner von CreateFootball.com beisteuern.

In Mainz das größte Talent, aber nicht gesetzt

Nun liegt es in der Natur der aktuellen Konstellation, dass Müller automatisch mit Kobel verglichen wird, so wie es Raphael Schäfer mit Timo Hildebrand erging, dem letzten VfB-Torwart, der als jung und vielversprechend galt. Das werden wir auch tun, zunächst wollen wir aber einen Blick auf Müllers Werdegang werfen. Der, so Oliver habe immer als das größte Torwart-Talent im Mainzer Nachwuchs gegolten. Dementsprechend spielte er bereits als B-Jugendlicher in der A-Jugend und als A-Jugendlicher in der damals drittklassigen U23 der Mainzer. Anfang März 2018 debütierte in der Bundesliga gegen den HSV, als sowohl René Adler, als auch Robin Zentner verletzungsbedingt ausfielen, und sorgte unter anderem mit einem gehaltenen Elfmeter dafür, dass die Mainzer zu Null spielten und das Spiel nicht verloren. “Die Fans lagen ihm danach komplett zu Füßen.”, erklärt Oliver. Es sollten bis Saisonende dann noch vier weitere Einsätze folgen, auch in die Saison 2018/2019 ging Müller als Nummer 1, beginnend mit dem Sieg gegen den VfB – jenes Spiel, dass “man nicht gewinnen muss”. Im Herbst zog er sich am Sprunggelenk eine Innenbandsverletzung zu, war dann rechtzeitig zum Sieg im Rückspiel gegen den VfB wieder fit und hütete auch für den Rest der Saison das Tor. Während der Verletzung wurde er von Zentner vertreten, der ihm zu Beginn der Saison 2019/2020 dann auch den Platz im Tor wegnahm: Nach drei Niederlagen (0:3 in Freiburg, 1:3 gegen Mönchengladbach und 1:6 beim FC Bayern) musste Müller seinen Posten räumen und kehrte erst zurück, als Zentner sich am 25. Spieltag beim Spiel gegen Düsseldorf verletzte und zur Pause ausgewechselt werden musste. Da Zentner für den Rest der Saison ausfiel, hatte Müller seinen Platz wieder. Oliver führt an, dass es damals mit Jannik Huth, der zwischenzeitlich an Sparta Rotterdam verliehen wurde und mittlerweile in Paderborn spielt, einen Dreikampf um die Torhüterposition gegeben habe: “Der Druck auf der Position war enorm, das Niveau im Training entsprechend hoch.”

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Warum aber tauschten die Mainzer, unabhängig von Verletzungen, ihre Torhüter immer wieder? Für Oliver war das Wechselspiel zwischen den Pfosten von außen schwer nachvollziehbar und hatte seiner Meinung nach auch mit den schwankenden Leistungen der Mannschaft zu tun. Zentner sei als der etwas lautere, emotionalere Torwart aufgefallen, etwas, was der Mannschaft grundsätzlich fehlte. Dadurch und durch seine Herkunft aus der Region sei er eher als Identifikationsfigur wahrgenommen worden. Nach einem schlechten Auftritt in einem Testspiel vor der gerade abgelaufenen Saison entschied sich der damalige Trainer Achim Beierlorzer dann endgültig für Zentner. “Da war dann aber schon klar, dass wer auch immer die Nummer 2 wird, den Verein verlassen würde. Müller und Zentner sind beide zu gut für die Bank und hintendran steht mit Finn Dahmen das nächste Riesentalent.”, erklärt Oliver. Finn Dahmen ist aktuell mit der deutschen U21-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft vertreten. Er kann auch nachvollziehen, dass der FSV vor der kommenden Saison den Zweikampf ums Tor nicht noch einmal eröffnen wollte und Müller ziehen lässt. Zentner habe eine solide Saison gespielt, die vielen Gegentore in der Hinrunde können man nicht im alleine anlasten. Zentner habe zudem noch einen Vertrag bis 2023, während der von Müller im kommenden Jahr ausläuft. Auch in Freiburg war die Torhüterposition in der Vergangenheit stark umkämpft, erzählt Julia. Alexander Schwolow fiel in der Spielzeit 2019/2020 lange verletzt aus und wurde von Mark Flekken gut vertreten. Nachdem Schwolow im Sommer 2020 zur Hertha wechselte, schien Flekken als Nummer 1 gesetzt, er verletzte sich aber beim Aufwärmen vor dem Erstrunden-Pokalspiel bei Waldhof Mannheim und fiel sieben Monate aus. Freiburg reagierte vor dem Bundesliga-Start schnell und lieh Müller aus Mainz aus – auch weil man Ex-VfB-Keeper Benni Uphoff die Rolle als Nummer 1 (noch) nicht zutraute. Müller habe sich schnell gut eingespielt und den SCF einige Male gerettet, blickt Julia zurück und resümiert: “Mit Müller im Tor muss man sich keine Sorgen machen – ihr könnt euch freuen.”

Keine Sorgen mit Müller

Worauf genau wir uns freuen können und warum wir uns laut Julia keine Sorgen machen müssen, darauf möchte im im Folgenden eingehen. Auch Oliver führt aus, dass man sich mit Müller im Tor keine Sorgen machen müsse, auch weil er für sein Alter von 23 Jahren sehr abgeklärt sei. Das offenbare sich auch in seiner Ballsicherheit: Müller sei “mit beiden Füßen technisch so gut, dass er sicher das Aufbauspiel einleiten kann”, erklärt Oliver und ergänzt: “Der spielt auch einen langen Ball zwischen den anlaufenden Stürmern durch, wobei ihm dieser Mut zum Risiko, zu einer spielerischen Lösung, in seltenen Fällen auch zum Verhängnis wird.” Ich bin mir sicher, das dass auch eines der ausschlaggebende Argumente für seine Verpflichtung war, denn auch in der neuen Saison wird der VfB vermutlich das Spiel über kurze Bälle von hinten aufbauen und sich dabei einem hochstehenden gegnerischen Pressing gegenüber sehen. Julia bestätigt Müllers Fähigkeiten am Ball auch für seine Zeit in Freiburg, Sascha schränkt ein, Müller sei bei den Chipbällen auf die Außenverteidiger nicht so stabil sei wie Kobel, sonst könne er ihn in dieser Hinsicht aber auf jeden Fall ersetzen. Die Zahlen von CreateFootball zeigen sogar, dass Müller pro 90 Minuten mehr Pässe gespielt hat als Kobel – lange wir kurze. Bei der Passgenauigkeit liegt Kobel bei den kurzen Bällen vorn, Müller bei den langen. Mit dem Ball scheint er also wenig Probleme zu haben, wie sieht es gegen den Ball aus?

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Hier sticht zunächst eine Zahl heraus: 71,1. Das ist in Prozent ausgedrückt der Anteil der erfolgreichen Paraden und Ligahöchstwert bei jenen Torhüter, die in der abgelaufenen Saison mindestens 30 Spiele absolviert haben. Gregor Kobel kommt hier übrigens auf einen Anteil von 66,2 Prozent. Eine solche Statistik ist natürlich genausowenig ein alles erklärender Indikator für eine Torwartleistung wie es der post-shot-xG-Werte von 3,1 ist, der besagt, dass Müller ligaweit die meisten Tore verhindert hat. Aber sie zeigen, wie Sascha betont, “dass sich Müller auf einem guten Weg befindet und sich wenig hat zu Schulden kommen lassen.” Auch Oliver und Julia loben seine Leistungen auf der Linie, die Sascha zufolge auch daher kommen, dass Müller über eine saubere Torwarttechniken verfüge, sich selten unsauber vom Boden abdrücke oder eine suboptimale Körperhaltung zum Ball habe – eine kleine Schwäche die Kobel mitunter offenbarte, als er bei manchen Schüssen nicht schnell genug unten war, was aber natürlich durch seine vielen überragenden Paraden mehr als aufgewogen wird. Eine kleine Einschränkung liefern die  Zahlen von CreateFootball: Kobel hat zwar pro 90 Minuten 0,15 Tore mehr kassiert als Müller, aber weniger Tore als nach dem xG-Modell erwartet. Verkürzt: Müller gar mehr gehalten, Kobel aber die schwierigeren Bälle.

Auf der Linie besser als davor

Vor der Linie sieht Oliver einerseits Schwächen in der Strafraumbeherrschung, beim Stellungspiel könne er noch aktiver werden, wobei Müller sich diesbezüglich in Freiburg weiter entwickelt habe. Julia führt diese Entwicklung übrigens auf den Freiburger Torwarttrainer Andi Kronenberg zurück und verweist auf ein Zitat aus einem Artikel ihres Kollegen David Weigend über Kronenberg: „Baumann, Bürki, Gikiewicz, Schwolow, Flekken, Müller: Die Liste jener Torhüter, die unter Andreas Kronenberg von Guten zu sehr guten Keepern geworden sind, ist lang.“ Sascha sieht ihn dementsprechend auch “torwarttaktisch auf einem überdurchschnittlichen Level”. Müller habe ein gutes Gefühl für den Torraum und wisse, wann er wie weit herauskommen muss. Diese Entscheidungen habe er in der letzten Saison oft genau richtig getroffen, er  kam selten überstürzt heraus und wählte stattdessen die richtige Art der Verteidigung, zum Beispiel ein eins gegen eins zu provozieren, tiefer bleiben und mit der Hand parieren oder Blocken. Müller habe seine Abwehr zwar einige Male gerettet, insgesamt hätten Torwart und Defensive aber gut harmoniert, So Julia. Kobel ist laut den Zahlen von CreateFootball jedoch etwas sicherer im Strafraum, er kam häufiger raus und ging auch in mehr Luftduelle als Müller.

Gregor Kobel fiel jedoch nicht nur durch sein gutes Torwartspiel, sondern auch durch seine lautstarke Kommunikation mit seinen Vorderleuten auf, die bei Geisterspeielen natürlich deutlich zu hören waren. Müller sei, so Oliver, eher ein ruhiger, unaufgeregter Typ, was ihn in Mainz, wie oben schon beschrieben, Zentner unterscheidet. Laut Julia habe er aber durchaus mal lautstark angepeitscht und Anweisungen gegeben. Perspektivisch sieht Oliver ihn als “guten Bundesliga-Torwart” auch Julia sieht bei Müller, der eventuell im Sommer auch im deutschen Olympiateam steht, dass er in der Zeit in Freiburg nochmal einen großen Sprung gemacht habe, “obwohl er schon sehr weit war, als er zu uns kam,. Mit noch mehr konstanter Einsatzzeit und Routine kann ich mir gut vorstellen, dass da noch einiges geht.” Von den Leistungen her hätte man ihn in Freiburg schon behalten wollen wisse, aber auch, was man an Flekken habe.

Die beste verfügbare Alternative

Kann Florian Müller also Gregor Kobel ersetzen? Sascha hält ihn auf jeden Fall für “die beste verfügbare Alternative”, der bereita zweieinhalb Jahre Erfahrung auf diesem Niveau at und bewiesen hat, dass er bundesligatauglich ist. Gleichzeitig sei Gregor Kobel vergangene Saison in herausragender Verfassung gewesen und hätte mit weniger Druck umgehen müssen, als ein Torwart eines Abstiegskandidatens. Insofern sei ein Vergleich nicht einfach, Müller wiederum war, anders als Kobel, weder in Mainz noch in Freiburg die unumstrittene Nummer 1. Ein Rückhalt, der Kobel sicherlich auch Selbstvertrauen gab. Müller sei ein “sehr ordentlicher Bundesliga-Keeper, der über ein komplettes, rundes Gesamtpaket” verfüge, “seine Palette an Fähigkeiten ist sehr weit gefächert, in meinen Augen hat er wenige bis keine Schwächen – natürlich gemessen am Niveau auf dem er sich bewegt”, so Saschas Fazit.

Die Torhüterposition kann man durchaus als neuralgisch bezeichnen. Welchen Einfluss Gregor Kobel Fähigkeiten mit und ohne Ball sowie als Führungsspieler auf die gute Saison des VfB hatten, lässt sich natürlich schwer  quantifizieren. Aber seine Stabilität verlieh der Mannschaft eine Sicherheit, ohne die unsere Abwehrleistung mit Sicherheit noch schlechter ausgesehen hätte. Müller scheint eine ähnliche Stabilität zu bieten – unsere ExpertInnen sind sich einig, dass man sich mit ihm keine Sorgen machen muss – gleichzeitig muss er sich natürlich erst mit der bestehenden Hintermannschaft einspielen. Das ist ein Aspekt, den ich schon letztes Jahr angebracht habe, als es darum ging, warum eine Weiterverpflichtung von Kobel sinnvoll sei. Natürlich, eine gewisse Fluktuation herrscht immer und mit Kempf und vielleicht Mavropanos verliert muss der VfB erneut zwei Innenverteidiger ersetzen. Trotzdem hätte eine weitere Saison mit Kobel den Abwehrverbund des VfB weiter gefestigt. Nun sind wir aber halt in der Lage, dass unsere Spieler aufgrund ihrer Qualität auch bei anderen Vereinen begehrt sind. Müller ist auf jeden Fall zuzutrauen, dass er in Kobels Fußstapfen tritt. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Entwicklung. Müller ist gerade mal 23 Tage älter als Kobel und der hatte vor seinem Wechsel zum VfB auch keinen Stammplatz bei seinen vorherigen Vereinen uns gerade mal 17 Spiele Erfahrung im Profibereich. Wer von beiden mehr Potenzial hat, lässt sich nur schwer abschätzen. Da spielen zu viele Faktoren eine Rolle. Es spricht aber nichts dagegen, Müller das gleiche Vertrauen entgegen zu bringen, dass man Kobel gewährt hat und zu hoffen, dass er es mit einer ähnlichen Entwicklung und mehr Kontinuität auf der Torwartposition zurück zahlt.

Titelbild: © imago/Guido Kirchner

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