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Textilvergehen

·2. November 2019

Lieber eine Rivalität zwischen Hertha und Union als jemals wieder eine Mauer in Berlin

Artikelbild:Lieber eine Rivalität zwischen Hertha und Union als jemals wieder eine Mauer in Berlin

Als ich gestern hier im Blog den “State of the Union” gelesen habe, traf das distanzierte Schreiben über das Derby überhaupt nicht mein Empfinden. Denn auch wenn durch die vielen Spiele zuvor und ein gewisses Schweigen über den Einbruch in einen Container der Ultras von Union es nun nicht zu einer langen spannungsvollen Erwartung der Partie kam, so war ich doch gestern bereits angezündet. Als mir ein Kollege bei der Arbeit erzählte, dass er auch zum Spiel gehen würde und dieses Shirt tragen würde, dass es vor eineinhalb Jahren im Abstiegskampf gab, zog ich nur meinen Sweater hoch und zeigte ihm die von “Gib niemals auf und glaub an dich” umrahmte Faust.


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Ich freue mich sehr auf das Spiel. Ich freue mich, dass die Rivalität sportlich ausgetragen wird. Ich freue mich, dass Union mittlerweile wirklich als Konkurrent wahrgenommen wird. Ich freue mich für alle, für die dieses Spiel lange eine unwirkliche Spinnerei war. Sei es durch den Systemgegensatz oder später durch wirtschaftliche Verhältnisse verursacht. Dieses Spiel ist jetzt normal. Das freut mich am meisten.

Andere mögen sich in Gewaltfantasien ergeben wie sie gestern einer Hertha-Gruppe beim Abschlusstraining von Hertha BSC suggerierte, auf dem stand: “Jagt sie über den Platz, wie wir sie durch den Wald!” Doch ich werde mich daran nicht beteiligen. Mein Verhältnis zu Hertha ist einfach keins. Weder positiv noch negativ. Und ich werde mir nicht von einem Clinch zwischen kleinen Gruppen meine Derby-Vorfreude nehmen lassen.

Was aus meiner Sicht niemanden gut zu Gesicht steht: sich klein machen. Ich möchte und werde mich nicht über einen Gegensatz zu einem anderen Verein definieren. Ich bin Unioner, weil ich mich für Union entschieden habe. Nicht, weil ich mich gegen Hertha entschieden habe. Ich werde nicht dieses erste Bundesliga-Derby nutzen, um dem anderen Verein eine Bühne zu bieten. Ich werde heute schreien, singen und hoffentlich auch jubeln. Alles nur für Union. Ich will, dass wir alle dieses Spiel genießen, die Atmosphäre, für die wir selbst verantwortlich sind. Laut. Wild. Und voller Liebe für Union. Genau so wie dieser junge Mann während der Live-Schalte aus dem Stadion an der Alten Försterei, als Union im ersten Relegationsspiel gegen Stuttgart spielte:

Das schreiben die Berliner Medien

Ich muss heute etwas kapitulieren vor den Sonderausgaben und extra Seiten über dieses Derby, auch in den überregionalen Medien (Süddeutsche). Da geht es um die Cousins Javairo Dilrosun und Sheraldo Becker (BZ, Morgenpost), um den Union-Kapitän Christopher Trimmel (Kurier), in dessen Kiez Hertha-Plakate nicht lange hängen, die Trainer Urs Fischer (Morgenpost, Kurier) und Ante Covic (Morgenpost). Von letzterem gibt es heute im Stadionheft ein schönes Foto:

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Dazu gibt es die drölfzigsten Aufgüsse der gerade in diesem Jahr besonders populären Geschichte “Aus Freundschaft zu Mauerzeiten wurde Rivalität/Feindschaft” (Tagesspiegel, Magazin “Ein Land”). Man kann dazu antworten wie Präsident Dirk Zingler im Interview mit der Welt: “Man war nicht Freund von anderen Ost-BerlinerKlubs, man war Freund von Hertha. Was störte, war die Mauer. Als die weg war, bröckelte die Liebe zur unbekannten Ge-liebten. Es war wie bei einer Brieffreundschaft. Man hat sich erstmals gesehen und gemerkt, dass es dann doch nicht die große Liebe ist.” Meine Antwort auf dieses Thema ist: Lieber die Rivalität als jemals wieder eine Mauer durch diese Stadt.

Ich könnte mich jetzt zum Schluss noch über diesen Kommentar aus dem Tagesspiegel aufregen, der von einer verpassten Chance beim Derby spricht. Wahrscheinlich weil Hertha-Präsident Werner Gegenbauer und Union-Präsident Dirk Zingler nicht Hand in Hand am 9. November zum Derby einlaufen, während im Hintergrund die Gropiuslerchen trällern “Berlin, Berlin, dein Herz kennt keine Mauern”. Diese politische Überhöhung dieses Fußball-Derbys ist das besondere hier. Das kenne ich nirgendwo in Deutschland so, dass gleichzeitig mit einem Fußballspiel, bei dem es immer um “wir” gegen “die” geht, noch nichts geringeres als die Einheit des gesamten Landes vermessen werden soll.

Kathrin Schulze schrieb im Tagesspiegel-Kommentar noch: “Unions Präsident Dirk Zingler hat vor der Saison sogar in bester DDR-Manier den ‘Klassenkampf’ ausgerufen.” Ich möchte dagegen rufen: Wer so etwas schreibt, hat das Glück gehabt, nie in der DDR leben zu müssen.

Ich habe für das Thema “Dirk Zingler ruft den Klassenkampf aus” aber immer einen Text auf Taste, den ich dem Tagesspiegel gerne auch in Schönschrift zukommen lassen kann:

Weil diese Feinheit immer mal verloren geht, möchte ich kurz berichtigen: Dirk Zingler sprach nicht vom Klassenkampf, sondern vom Fußball-Klassenkampf und zwar im Bezug auf ein mögliches Derby am 9. November in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Die genauen Worte waren: “Ehrlich gesagt, verstehe ich den Wunsch nicht. Für mich ist das ein Derby, das steht für Rivalität, für Abgrenzung. Und für Fußball-Klassenkampf in der Stadt. Diesem Spiel eine Art Freundschaftsspielcharakter zu geben, nach dem Motto: Wir spielen jetzt hier einen auf deutsche Einheit, das finde ich absurd. Ich weiß nicht, wie man auf so was kommt.”

Und das habe ich nach dem Zingler-Interview beim Textilvergehen dazu geschrieben: “Ich halte “Fußball-Klassenkampf” auch für ein Quatsch-Wort, aber nicht, weil ich mir wie die Bild sofort in die Hosen mache, wenn das Wort Klassenkampf fällt. Es ist einfach falsch, weil Union und Hertha nicht aus unterschiedlichen Klassen stammen. Sie sind sogar in derselben. Sie spielen im Profifußball mit, und vor allem spielen beide Klubs nach den Spielregeln des Profifußballs. Union hatte herkunftsbedingt dabei ungünstigere Startbedingungen. Aber das war es auch schon. Die Bezeichnung Klassenkampf ist einfach Unsinn. Aber was soll man sich daran eigentlich so lange abarbeiten, wenn wir doch alle wissen, was Zingler wirklich meinte: Es geht im Derby um “Wir gegen die”. Es geht um ein Gegeneinander. Und das war es auch schon.”

Die Morgenpost hat noch eine schöne Infografik zum Spiel:

Auf gehts Union, kämpfen und siegen!

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