FC Schalke 04
·2. März 2023
Kulturwandel: Die Arbeit der Aufsichtsrats-Ausschüsse

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·2. März 2023
Wofür steht der FC Schalke 04 eigentlich? Wie schafft man die Balance zwischen kurzfristig sportlichem Erfolg und dem Aufbau einer langfristig angelegten erfolgreichen „eigenen“ Mannschaft? Wie können Sport und Finanzen sich vertragen? Fragen, mit denen sich die Aufsichtsrats-Ausschüsse befassen. Ein Anliegen, das die Verantwortlichen aus dem Mitgliederkongress im Dezember mitgenommen haben, war es, deren Arbeit einmal vorzustellen. Zum Beispiel im Schalker Kreisel.
Rückblende: Als sich der damals neue Aufsichtsrat Mitte 2021 ans Werk macht, ist schnell klar, dass der Wust an Kernthemen stärker über verschiedene Ausschüsse laufen soll, die idealerweise nach den jeweiligen Kompetenzen besetzt werden. Mit dem damaligen Vorstand aus Christina Rühl-Hamers und Peter Knäbel ist zunächst zu klären, welche Kompetenzen die beiden denn überhaupt für den Doppelpass benötigen. So erstellen alle Aufsichtsräte zwecks optimaler Besetzung eine Matrix mit ihrer Selbstwahrnehmung: Stärken, Schwächen, Fachkenntnisse.
„Diese Struktur hat zwei wesentliche Vorteile“, erklärt der Aufsichtsratsvorsitzende Axel Hefer. „Jeder ist für ein konkretes Themenfeld verantwortlich, was eine andere Dynamik und mehr Teamarbeit in das Gremium bringt. Früher gab es einen engen Kreis, der alles wusste, und einen erweiterten Kreis, zu dem nicht alle Infos durchdrangen. Nun agieren alle mehr auf Augenhöhe.“ Zweites Plus, so der 45-Jährige: „Gerade wenn es hektisch wird und die Arbeitszeit stark ansteigt – wir reden ja immer noch über ein Ehrenamt –, wäre es gar nicht leistbar, wenn du die Themen nicht verteilen würdest.“
Als eins der jüngeren Beispiele dient die Trennung von Chef-Trainer Frank Kramer im Oktober und die Neubesetzung mit Thomas Reis. In einem solchen Fall ist der Sportausschuss schnell und eng mit Peter Knäbel verdrahtet, der Finanzausschuss spricht mit Christina Rühl-Hamers über monetäre Auswirkungen, während der Strategieausschuss mit dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Schröder prüft, wie eine Personalie zur langfristigen Ausrichtung passt, und der Miteinander-Ausschuss abwägt, wie die Entscheidung bei den Fans ankommen könnte. „Bislang hat das hervorragend funktioniert, besonders in Extremfällen wie der Trennung von Gazprom“, betont Axel Hefer. „Je mehr Arbeit ansteht, desto mehr kommt das Konzept zum Tragen.“
Corona, Geisterspiele, Abstieg, Russlands Angriff auf die Ukraine, Energiekrise: An ungewöhnlichen Herausforderungen hat es dem neu konstituierten Aufsichtsrat in den vergangenen zwei Jahren nicht gemangelt. Für einen Blick hinter die Konferenzraumtüren hat der Schalker Kreisel die Sprecher der 04 regelmäßig tagenden Ausschüsse um ihre bisherigen Erfahrungen gebeten.
Ein- bis zweimal im Quartal kommen die Ausschuss-Mitglieder zusammen, diskutieren über Reportings und detaillierte Ausführungen des Vorstands, fragen nach, geben ihre Einschätzung zu Risiken und nehmen die Kernpunkte mit in die quartalsweise stattfindende Aufsichtsratssitzung.
Und wie stellt man sich eine übliche Sitzung vor? Kaffee, Kuchen, Kontroversen? „Also wir veranstalten definitiv keinen Kaffeeklatsch“, verneint Holger Brauner schmunzelnd. „Wir diskutieren kontrovers, aber immer kollegial. Bei einigen Fragen gibt es kein richtig oder falsch.“ Im Aufstiegs-Endspurt vor dem Heimspiel gegen Werder Bremen wird die Möglichkeit einer Nicht-Aufstiegs-Versicherung diskutiert. Für die Einzahlung einer sechsstelligen Summe würde der Verein im Fall des Scheiterns einen siebenstelligen Betrag erhalten. „Eine Risikoabwägung“, meint der 51-Jährige. „Absicherung schön und gut, doch andererseits hätten wir viel Geld verspekuliert.“ Letztlich entscheidet sich der Vorstand gegen die Versicherung.
Brauner wohnt unweit der VELTINS-Arena, ist viel unterwegs, aber am Ende ein Gelsenkirchener Junge: „Sämtliche Entscheidungen muss ich begründen können, wenn meine Familie, meine Kumpels von früher oder der Nachbar beim Bäcker mich darauf ansprechen. Ich kann nicht immer sagen, warum wir etwas machen, aber ich sage: ,Glaub‘ mir, wir versuchen es so zu machen, dass es für den Verein und die Region am besten ist.‘“
Neben allen widrigen Umständen ist schon viel bewegt worden. Das Anleihe-Ergebnis von 2022 hat mit 31,6 Mio. Euro die Erwartungen weit übertroffen. „Christina und alle Beteiligten haben einen super Job gemacht“, betont Brauner. Auch die Aufsichtsräte sind vor den Heimspielen durch die Logen gewandert und haben die Werbetrommel gerührt: „So etwas schweißt zusammen.“ Und angesichts des notwendigen Sparkurses nach dem Abstieg 2021 hat das Gremium bei sich angefangen. Auch fürs Ehrenamt stehen ihnen Vergütungen und Sachleistungen zu, etwa in Sachen Eintrittskarten, Trikots, Reisekosten. Diese wurden für die 2. Bundesliga deutlich reduziert.
Wenn sich der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Moritz Dörnemann und Eurofighter Youri Mulder zur Sitzung treffen, sind sie selten allein. Im Dialog mit Peter Knäbel, Chefscout André Hechelmann oder Mathias Schober, Direktor Knappenschmiede und Entwicklung, erörtern sie aktuelle Herausforderungen, Kaderzusammensetzung, Stimmung im Team oder wälzen die Frage, wie innovative Trainingsmethodiken optimal für Schalke nutzbar sind und hoffnungsvolle Talente integriert werden können.
In den jüngeren Wochen kommt dem Ausschuss seine Agilität zugute. Als während der Transferphase noch mal reichlich Bewegung im Kader entsteht, sind es am Ende ein gutes Dutzend Konferenzschalten, in denen auch Grundsätzliches diskutiert werden will: „Wir sind uns alle einig, dass die Kaderwertsteigerung das ultimative Ziel sein muss. Wer bei uns langfristige Verträge hat, benötigt Spielzeit“, sagt Dörnemann und kommt zwangsläufig zum schwierigen Spagat zwischen langfristiger Strategie und kurzfristigem Zwang. „Nach einem Abstieg ist der Wiederaufstieg das Ziel und dann der Klassenerhalt. Bei begrenzten finanziellen Möglichkeiten macht man manchmal Kompromisse, daher haben wir uns im Winter zur Verstärkung für relativ viele Leihgeschäfte entschieden“, erklärt der 41-Jährige und betont: „Durch die Entwicklung der vergangenen zwei, drei Jahre ist da eine gewisse Flexibilität gefordert. Sind wir damit immer glücklich? Nein, aber wir tragen das bewusst gemeinsam.“
Ein Beispiel für die schwierige Aufgabenstellung heißt Ko Itakura. Als einer der Aufstiegshelden hätte der Japaner eine tragende Rolle bei der Mission Klassenerhalt spielen können, manche sagen: müssen. „Man kann diskutieren, ob es ein Fehler war, ihn nicht weiterzuverpflichten“, meint Dörnemann. „Wenn aber ein solcher Hoffnungsträger einen Großteil des Budgets veranschlagt und sich verletzt, ist das Geld weg und der Spieler hilft dir nicht mehr weiter.“
Ein wichtiger Impulsgeber bei solcherlei Entscheidungen ist Ausschusskollege Youri Mulder. Auch dem Niederländer sei wichtig, valide Daten dem Bauchgefühl voranzustellen. Die Aufgaben sind indes klar verteilt: „Wir arbeiten toll zusammen und wissen um die Stärken des anderen“, sagt Dörnemann. Die sportliche Beurteilung bei einem Transfer möchte er sich nicht anmaßen, weiß aber, dass der langjährige Fußballprofi sie gut treffen kann.
Auf Dörnemanns Fragebogen steht: Wie viele Spieler haben wir für eine Position? Was heißt das vertraglich? Wenn eine Kaufoption besteht, ist sie finanzierbar? Passt sie ins Gehaltsgefüge? In welchem Szenario wäre es machbar? Ist die Beteiligung des Beraters marktüblich? „Wir stellen uns auch bei jeder Leihe die Frage: Gibt es trotzdem eine Möglichkeit, dass der Spieler bei uns bleibt, wenn er denn gut spielt?“ Andersherum habe der Aufsichtsrat dem Vorstand im Wintertransferfenster explizit den Rücken gestärkt, als Verhandlungspartner ein vermeintliches Schnäppchen auf der Abgangsseite witterten: „Da haben wir deutlich gemacht, unseren Spieler unter solchen Rahmenbedingungen nicht abzugeben und konnten die Situation dadurch zu unseren Gunsten verbessern. Die Zusammenarbeit mit dem Vorstand lief wirklich gut.“
China oder Castrop-Rauxel? Grob runtergebrochen ein Grundsatzthema, das nach der Mitgliederversammlung 2021 auf dem Tisch liegt. Neben dem erwähnten Spannungsfeld zwischen Lang- und Kurzfristigkeit stellt sich den Knappen die Identitätsfrage, wofür Schalke 04 eigentlich steht. Und stehen will. Es ist das erste strategische Projekt von Bernd Schröder nach seinem Amtsantritt als Vorstandsvorsitzender. „Bewusst pointiert formuliert: Setze ich auf die Internationalisierung und gehe nach Asien, um Geld einzusammeln, oder bin ich eher für meine Region verantwortlich?“, beschreibt Johannes Struckmeier das. „In den Jahren vor 2021, so habe ich es auch als Fan empfunden, hatte der S04 keine Identität mehr, die du von außen wahrgenommen hast. Das war der Startpunkt.“ Nachdem zahlreiche Interessengruppen an den Tisch gekommen sind, steht die Richtung fest: „Wir wollen Menschen ein Leben lang begeistern und die Region stärken.“
Königsblau soll seine Kraft wieder deutlicher vor der eigenen Tür wirken lassen, die Fußballmarke des Ruhrgebiets werden, noch mehr soziale Projekte anstoßen. „Wir müssen uns anders aufstellen als etwa Borussia Dortmund, die zwar auch aus dem Ruhrgebiet kommen, aber sich eher als internationaler Player positionieren“, erklärt Struckmeier. Gleichwohl müsse das Sportliche damit im Einklang stehen: „Ein Club mit unserer Vergangenheit, Größe, Mitgliedern, Stadion, Umsätzen, da kann die Zielsetzung nicht lauten, sechs Jahre um den Auf- oder Abstieg zu spielen“, meint der 38-Jährige. Daher sei es die mittelfristige Strategie, Schalke in den kommenden fünf bis sieben Jahren wieder im oberen Drittel der Bundesliga anzusiedeln, „auch wenn es aufgrund der aktuellen sportlichen Situation komisch klingen mag“.
Im Ausschuss wird mitunter munter diskutiert über Strategien oder Zeiträume. Aus dem definierten Zweck leiten sich jedoch Ziele ab und aus diesen strategische Maßnahmen, sei es im Bereich der Nachhaltigkeit oder beim Punkt, die Mitgliederzahl von derzeit rund 165.000 in den kommenden Jahren noch deutlich zu vergrößern. Für vieles sei ein weiter Weg eingeplant, sagt Struckmeier, und am Wegesrand müsse man immer wieder ausloten, wie es die Menschen sehen, noch besser kommunizieren, warum etwas gemacht wird, um sie alle mitzunehmen.
Was Struckmeier noch wichtig ist: „Wir haben im Aufsichtsrat niemanden, der sagt: ,Ich hab‘ noch zwei, drei Jahre Amtszeit, solange müssen wir sportlich maximal erfolgreich sein.“ Ziel jeder Diskussion sei es, Schalke 04 langfristig am Leben zu halten und besser aufzustellen: „Grundsätzlich haben wir als Aufsichtsrat die Ambition, Schalke als eingetragenen Verein wieder zum Erfolg zu führen.“ Allerdings müsse man auch schauen, wie man den Verein nachhaltig finanziert, um Chancen am Transfermarkt besser wahrnehmen zu können. „Es gibt da einige Ideen und Diskussionen, wie man das in den aktuellen Strukturen schaffen kann.“
Wir müssen reden. Drei Wörter, die in Beziehungen oft das Ende einleiten, sind auf Schalke ein guter Anfang. „Eine Kultur von Dialog oder Diskussion gab es früher so nicht. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, das zu ändern“, sagt Sven Kirstein und zählt auf: Mitgliederbrief, Vorabdiskussion mit Antragstellern für die Mitgliederversammlung, um zu erfahren, was sie dazu bringt, oder um zu erläutern, warum etwas nicht angenommen wird; dazu das digitale Vereinsheim als neuer Kanal, Umfragen wie die zur Strategie mit mehr als 12.000 Teilnehmern …
Wenn der Miteinander-Ausschuss tagt, kreist er um alle Themen aus Sicht der Mitglieder und Fans. In der Regel sind Sebastian Buntkirchen und Marc Siekmann dabei, Direktoren für Fans und Nachhaltigkeit beziehungsweise Kommunikation, dazu anlassbezogene Teilnehmer wie etwa Guido Kabacher, Geschäftsführer der FC Schalke 04 Arena Management GmbH. Dann erfährt der Ausschuss, was aus den Impulsen des Mitgliederkongresses geworden ist, den Kirstein als Meilenstein im neuen Miteinander bezeichnet. „Der Club-Fan-Dialog ist eine DFL-Lizenzierungsanforderung. So etwas kannst du alibimäßig angehen und dich zweimal im Jahr in kleiner Runde treffen – oder versuchen, tatsächlich Themen, Stimmungen und Meinungsbilder einzuholen.“ Bei der Premiere im Dezember habe der 36-Jährige sehr viele engagierte Einzelpersonen getroffen, die er noch nicht kannte. „Wir haben zahlreiche Gespräche geführt, einen anderen Winkel bekommen, jeder hat ja meistens seine Bubble. Unsere Aufgabe besteht nun darin, die Anstöße auch anzugehen. Die Mitglieder haben ein Recht zu erfahren, was aus ihren Themen wird.“
Wobei die Vereinsfamilie angesichts der Mitglieder-Vielzahl durchaus heterogen aufgestellt ist und bleibt. Unmöglich, jeden Einzelnen zufriedenzustellen, sei es bei Pilspreisen oder Rahmenprogramm. Oder Trikotdesign, wie selbst auf der obersten Ebene der Geschäftsstelle zu erleben war. Nach dem Gazprom-Aus erfahren Kirstein & Co. auf dem Weg zum Spiel in Karlsruhe, dass das Sondertrikot mit „Schalke 04“ auf der Brust nicht blau, sondern rot sein werde. Sie rufen Bernd Schröder an, meinen, die Fans würden etwas Blaues erwarten. „Die Entscheidung blieb bei rot – und das Trikot wurde ein Verkaufsschlager“, sagt Kirstein und lacht. „Ein Beispiel dafür, dass wir nicht einfach die Hand draufhaben. Wir führen Aufsicht, wir beraten, aber wir steuern das nicht.“
In der generellen Zielsetzung seien die Ausschuss-Mitglieder fast immer einer Meinung, unterstreicht Kirstein, obwohl sie aus unterschiedlichen Richtungen kommen: Schalker Fan-Club Verband, Supportersclub, Ultras Gelsenkirchen. Die Grunddenke aus Fansicht sei aber die Gleiche: „Bei den Bändchen zur Einlasskontrolle in der Nordkurve denken wir alle: Ob die wirklich nötig sind? Wir sind gespannt, wie es danach seitens des Vorstands weitergeht.“
Was entgegnet er mit seinem UGE-Background Skeptikern, die kritisieren, die Fans würden den S04 übernehmen? „Man nimmt das wahr, aber ich kann den Vorwurf nicht nachvollziehen. Wir versuchen im gesamten Aufsichtsrat, das Beste für den Verein zu machen. Wenn die Fans das Sagen hätten, dann hätte es trotz der Sicherheitsaspekte vielleicht nie die erwähnten Bändchen gegeben – einfach Türen auf, rein und raus!“ Ziel sei ein offener, ehrlicher Dialog mit den Menschen, egal in welche Richtung sie denken. „Bernd Schröder beschreibt das gut“, meint Kirstein: „Es ist wichtig, dass wir alle in dieselbe Richtung laufen. Vielleicht gibt es mal einen Schwenk oder Zickzack, aber der Kurs stimmt. Das Gefühl habe ich. Auf Schalke ist eine neue Ära angebrochen.“
Finanzausschuss: Holger Brauner, Harald Förster, Sven Kirstein Beteiligungsausschuss: Harald Förster, Michael Riedmüller, Johannes Struckmeier Sportausschuss: Moritz Dörnemann, Youri Mulder Strategieausschuss: Rolf Haselhorst, Axel Hefer, Johannes Struckmeier Miteinander-Ausschuss für Mitglieder, Fans und soziale Verantwortung: Holger Brauner, Sven Kirstein, Pascal Krusch, Michael Riedmüller
… kann nach dem Praxistest die schnelle Erreichbarkeit aller Beteiligten bestätigen, ganz gleich, ob sie gerade über einem Stück Pizza, am Schweizer Flughafen oder in der österreichischen Ski-Gondel saßen.