Kommentar: Warum sich jeder die Worte von Uli Hoeneß zu Herzen nehmen sollte | OneFootball

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·15. März 2020

Kommentar: Warum sich jeder die Worte von Uli Hoeneß zu Herzen nehmen sollte

Artikelbild:Kommentar: Warum sich jeder die Worte von Uli Hoeneß zu Herzen nehmen sollte

Uli Hoeneß, Ehrenpräsident des FC Bayern München, hat die 1000. Sendung des Sport1-Doppelpass zum Anlass genommen, sich noch einmal zu Wort zu melden. Er richtete in Zeiten des grassierenden und unberechenbaren Coronavirus einen Appell an die Menschen – und tat dies völlig zurecht! Ein Kommentar von fussball.news-Reporter Christopher Michel.

Wenn Uli Hoeneß sich zu Wort meldet, dann spaltet er in den meisten Fällen die Nation. Vom Steuerhinterzieher, der den FC Bayern München skrupellos nach oben gebracht hat und dabei stets auf den eigenen Vorteil bedacht war, ist dann einerseits die Rede. Andererseits wird dann von der anderen Fraktion an die vielen guten Taten, unter anderem Retterspiele für den FC St. Pauli, den 1. FC Union Berlin, Darmstadt 98 oder Alemannia Aachen, erinnert. Kurzum: Hoeneß hat stets polarisiert und für heiße Diskussionen gesorgt.


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Hoeneß spricht Klartext und rückt den Fußball in den Hintergrund

Doch seine Worte im Sport1-Doppelpass sollten diesmal anders aufgefasst werden. Es zählt nicht, wer etwas sagt – sondern das, was gesagt wird: „Wir müssen erst mal der Realität ins Auge sehen und vier Wochen lang alles auf null stellen. Vielleicht müssen wir im Oktober noch aufhören, Fußball zu spielen. Das weiß kein Mensch. Wir sollten die Probleme des Fußballs wichtig nehmen, aber es gibt auch andere Menschen auf der Welt. Die Gesellschaft muss einigermaßen gesund aus der Krise herauskommen.“ Der Ehrenpräsident des FC Bayern mahnte zum Blick über die Grenzen: „Denkt an Italien, wo ein Arzt darüber entscheiden muss, ob er einem 75- oder 80-Jährigen das Beatmungsgerät abschalten muss, weil es für einen 55-Jährigen demnächst reserviert ist – das sind die wesentlichen Probleme. Da müssen wir uns nicht darüber ärgern, wann die Bundesliga wieder beginnt.“

Dynamische Lage verdeutlichen

Um zu verdeutlichen, in welch einer dynamischen Lage wir uns in Deutschland derzeit befinden, lohnt sich der Blick sieben Tage zurück. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach in Zeiten des Coronavirus und zu diesem Zeitpunkt noch leicht steigender Zahl der Infizierten die Empfehlung aus, auf Veranstaltungen mit über 1.000 Menschen zu verzichten. Gespielt wurde an diesem Tag dennoch in der 2. Liga und Bundesliga. Auch an den darauffolgenden Tagen waren die Stadien in Deutschland und England weiterhin voll, die stark wachsenden Coronavirus-Fälle aus Italien wurden ignoriert. Während die Serie A schon mit Spielverschiebungen anfing, das „Derby d’Italia“ Juventus Turin gegen Inter Mailand vor leeren Rängen austrug und den Ligabetrieb daraufhin unterbrach, ignorierten die weiteren Länder diese Maßnahmen.

Lage in Italien wurde ignoriert

Wie wenig ernst die Lage außerhalb Italiens genommen wurde, zeigte spätestens der Mittwoch! Bei einer Presseveranstaltung im Gesundheitsamt Frankfurt sollte das Stattfinden der Europa-League-Partie zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Basel am Donnerstagabend vor Zuschauern gerechtfertigt werden. Man habe doch nur 25 infizierte Menschen in Hessen, das sei alles noch halb so dramatisch – so der Tenor. Rund acht Stunden später folgte die Absage. Die Zahl der Infizierten hatte sich innerhalb kürzester Zeit vervielfacht, das Land Hessen zog die Notbremse. Beinahe zeitgleich versammelten sich viele Fans vor den Stadien bei den „Geisterspielen“ in Paris (gegen Borussia Dortmund) und in Gladbach (gegen Köln). Die siegreichen Profis richteten aber keinen Appell an die Anhänger, sondern ließen sich nach dem Sieg noch feiern, suchten vereinzelt gar den Köperkontakt mit den Anhängern. Noch schlimmer war das Bild in Liverpool, wo sich die Reds mit Atletico Madrid vor vollem Haus duellierten. Auch die Glasgow Rangers ignorierten die Gefahr des Coronavirus und ließen die Spieler vor Publikum auflaufen. Zur Einordnung wie verantwortungslos dieses Verhalten war, genügen die aktuellen Zahlen (Quelle: Robert-Koch-Institut/Sonntag) aus Hessen: Die Anzahl der vom Coronavirus Infizierten liegt rund 100 Stunden nach der oben benannten Pressekonferenz bei inzwischen 286 Menschen. Sprich: Pro Stunde kamen seitdem durchschnittlich rund drei neue Fälle hinzu. Zudem: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Epidemie zur Pandemie erklärt. Die Situation konnte zu diesem Zeitpunkt also schon als sehr ernst bezeichnet weden.

DFL hat am Freitag nichts verstanden

Doch die Krone setzte am Freitag die Deutsche Fußball Liga (DFL) auf: Der Spieltag am Wochenende sollte – obwohl parallel dazu England, Spanien, Frankreich und sogar die UEFA ihre Wettbewerbe aussetzten – noch stattfinden, die nächsten Partien in leeren Stadien trotz der dramatischen Lage ausgetragen werden. Die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Donnerstagabend erstmals dazu aufrief, soziale Kontakte zu meiden und sich solidarisch mit den besonders vom Coronavirus bedrohten Menschen zu zeigen? Sie verpufften bei der offenbar nur auf den finanziellen Faktor ausgerichteten DFL gnadenlos. Immerhin sorgte der Druck von außen doch noch dafür, den Spieltag abzusagen.

Vereine als Wirtschaftsunternehmen

Natürlich sind Bundesligaklubs auch Wirtschaftsunternehmen, die Ausfälle von TV-Geldern und Zuschauereinnahmen schmerzen gewaltig. An den 90 Minuten auf dem Rasen hängt viel mehr, als nur die 22 Spieler, die um drei Punkte oder das Weiterkommen kämpfen. Die Mitarbeiter der IT-Abteilung, das Presseteam, der Ticketverkäufer in der Fan-Betreuung, die Putzkolonne, der Würstchenverkäufer – bei Mitarbeiterzahlen im meist dreistelligen Bereich haben auch die Klubs hohe Personalkosten zu tragen und besitzen zugleich eine Verantwortung für ihre Mitarbeiter*innen.

Fußball muss seine Rolle kennen

Doch in Zeiten, in denen Kindertagesstätten, Schulen, Restaurants, kulturelle Einrichtungen schließen müssen und Menschen heute nicht wissen, wie es in einer Stunde weitergeht, hat der Fußball die Pflicht, sich zurückzunehmen und die Gesundheit der eigenen Spieler zunächst einmal zu schützen. Im zweiten Schritt kann der Fußball dann vielleicht dabei helfen, die wirklich große Gefahr zu verhindern: das Einbrechen des Gesundheitssystems.

Hat die Gesellschaft die Gefahr verstanden?

Wir müssen uns bewusst werden: Die Anzahl der Toten in Deutschland ist angesichts der Zahl der bekannten Fälle wirklich gering und von dramatischen Bildern, die aus Italien ankommen, ist Deutschland aufgrund der deutlich höheren Anzahl an Krankenbetten (12,5 auf 100.000 Einwohner in Italien zu 30 auf 100.000 Einwohner in Deutschland), Präventivmaßnahmen und gesammelter Erfahrungen wohl deutlich besser gerüstet. Auf 4.838 Infizierte gab es bislang zunächst zwölf Todesfälle. Immerhin die Mahnungen, sich vor den Risikogruppen (Menschen über 60 Jahre alt mit oder ohne Vorerkrankung und überhaupt Menschen mit Vorerkrankung) fernzuhalten, kam an. Mit weiteren oben aufgezählten Maßnahmen soll das exponentielle und vorhergesagte Wachstum der Coronavirus-Erkrankungen aufgehalten werden.

Empfehlungen langen offenbar nicht

Doch fest steht auch: Die Dynamik, mit der sich das Virus verbreitet, lässt nicht einmal mehr eine kurzfristige Planung zu. Umso bedauerlicher war das Verhalten vieler Menschen in der Republik an diesem Wochenende, nachdem klare Worte in Richtung sozialer Distanzierung ausgesprochen wurden. Die Gefahr wurde noch immer ignoriert und sich in großen Mengen bei schönstem Wetter an Weinständen, Biergärten und Spielplätzen getroffen oder am Abend in der Disco „noch einmal die Sau“ rausgelassen. Es zeigt: Mit Empfehlungen und guten Ratschlägen kann ein gewisser Teil der Menschen in Deutschland nicht umgehen, selbst wenn es um Leben und Tod geht.

Hoeneß Appell kommt zur richtigen Zeit

Umso wichtiger waren die Worte von Uli Hoeneß, die einem großen Publikum vor den TV-Geräten verdeutlichten, wie wichtig Verantwortung und Solidarität derzeit sind. Eine Quarantäne über mehrere Monate lässt sich nicht aufrecht erhalten und würde wohl nur zu Tumulten im Land führen. Doch eine temporäre Besinnung auf das Wesentliche – wie halten wir die Sterberate gering und das Gesundheitssystem aufrecht – ist notwendig. Hoeneß‘ Appell sollte sich in dieser Hinsicht deshalb auch der Letzte, der die Situation bislang nicht ernst genommen hat, zu Herzen nehmen!

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