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Onefootball·19. Juni 2018

Kommentar: Warum Mesut Özil der falsche Sündenbock ist

Artikelbild:Kommentar: Warum Mesut Özil der falsche Sündenbock ist

Deutschland hat verloren, das Land braucht einen Schuldigen. Ex-Profis, Fans und Medien haben sich dafür Mesut Özil ausgesucht. Warum eigentlich?

Lothar Matthäus war ein fantastischer Fußballer. Abseits des Platzes hat er sich bisher eher amateurhaft verhalten. In der ‚Bild‘ schreibt Matthäus nun, dass Özil nach der WM zurücktreten könnte, so unwohl scheint er sich im DFB-Trikot zu fühlen. Bei der gestrigen Sendung ‚hart aber fair‘ sagte Mario Basler, Özil habe eine Körpersprache „wie ein toter Frosch“. Sein verlorener Zweikampf habe das Gegentor verursacht. Der Moderater zieht bei Özils Leistung einen Vergleich zum TuS Wermelskirchen. Basler: „Da gehört er normalerweise hin.“


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Ach, und am Gewinn der Weltmeisterschaft von 2014 habe Özil auch keinen Anteil gehabt. Sagt Basler unter donnerndem Applaus der Zuschauer.

Durchatmen!

Nach der Niederlage gegen Mexiko ist die Fußballrepublik in Schockstarre. Und sie sucht nach Erklärungen. Und natürlich wird in dieser Gemengelage auch die ewiggestrige Diskussion über das Nicht-Singen der Nationalhymne aufgemacht. Die sich dann – warum auch immer – auf die Körpersprache des Arsenal-Profis übertragen soll. Die Logik: Er singt die Hymne nicht, identifiziert sich nicht mit dem Land und spielt deswegen so lustlos. „Experten“ und Fans sind in Wallung.

Dabei täte ihnen Durchatmen wirklich mal ganz gut.

Aber was ist denn eigentlich passiert? Nun ja, Mesut Özil machte ein durchschnittliches Spiel in einer schlechten Mannschaft. Immerhin verteilte er die Bälle so ruhig wie immer und war darum bemüht, Ordnung in das teilweise chaotische Offensivspiel der Deutschen zu bringen. Dabei brachte er es auf eine Passquote von 92 Prozent.

Warum muss er immer können, sollen, müssen?

Beim Gegentor sprintete Özil zurück, während andere auf dem Hosenboden saßen oder eher im Trab nachgingen. Er versuchte zumindest zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten war. Dass er im Zweikampf unglücklich aussah, hat jeder gesehen. Dass solche Feuerlöscheraktionen im eigenen Strafraum nicht zu seinem hauptsächlichen Aufgabengebiet gehören, dürfte aber auch jeder wissen.

Was ist nicht passiert? Özil konnte das Tor nicht verhindern, er erzielte keinen Treffer, legte auch keinen auf und brachte nicht die Initialzündung, die es gebraucht hätte. Ja, er war nicht gut. Auf wen das auch zutrifft? Auf die gesamte deutsche Nationalmannschaft.

Aber natürlich wird wieder wild auf den schweigsamen Linksfuß eingehackt. Özil hätte, Özil müsste, Özil sollte. Aber warum hat er eigentlich immer zu sollen, müssen oder können?

Dass Kimmich und Müller unterirdisch spielten? Wird allenfalls am Rande erwähnt. Dass Julian Draxler ein blutleeres Spiel zeigte? Wird kaum angesprochen. Nein, lieber wird Özil als Hauptschuldiger ausgewählt. Weil es mit ihm doch so leicht geht.

Mit dieser Meinung finden sich ohnehin derzeit viele Mitstreiter, die den Gelsenkirchener, nach allem, was in der Vorbereitung gewesen ist, genau so in die Pfanne hauen wollen. Dass er nicht im Verdacht steht, sich öffentlich zu wehren, macht es noch einfacher.

Peinlich und opportunistisch

Özil schweigt lieber und lässt normalerweise sein Spiel sprechen. Man sollte nichts von ihm verlangen, was er nicht leisten kann. Und man sollte bedenken, das Özil auch körperlich nach einer langwierigen Rückenverletzung nicht auf der Höhe ist.

Natürlich, sportlich steht jeder nach dem Mexiko-Spiel in der Kritik. Aber das Spiel war eine Momentaufnahme. Über Özil kübeln aber gerade viele jenen Unmut aus, der offenbar seit Monaten oder Jahren in ihnen schlummert. Der nichts mehr mit dem Spiel zu tun hat.

Das ist nicht hilfreich, sorgt aber für Schulterklopfer.

In der Kritik an Özil steckt aber viel mehr. Enttäuschung, Wut, die Angst, keine Erklärung zu finden für das Unerklärliche.

Dass viele Özils fußballerischen Wert nicht erkennen, ist nicht das Problem. Die Unverhältnismäßigkeit, mit der er momentan diversen Seiten beschossen wird, ist aber eigentlich unbegründet und deswegen nur noch peinlich und opportunistisch.