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·22. Juni 2022
Klara Bühl: Flügelflitzerin mit "Spielwitz und unbekümmerter Art"

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·22. Juni 2022
"Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt" - dieser Satz stand im Mittelpunkt eines Videoclips, mit dem die DFB-Frauen die WM 2019 in Frankreich bewarben. Drei Jahre später steht das nächste große Turnier, die EM in England, vor der Tür. Die Namen der DFB-Kickerinnen kennt die Nation aber immer noch nicht. Damit sich das ändert, stellt 90min die wichtigsten Spielerinnen der deutschen Elf vor. Heute im Porträt: Deutschlands Flügelflitzerin auf links, Bayerns Klara Bühl.
Ein Ballkontakt, das war die Bilanz von Klara Bühls erstem Spiel im deutschen Nationalteam. Zu ihrer Verteidigung muss aber gesagt werden, dass für mehr auch wenig Zeit war: Am 28. Februar 2019 gegen Frankreich wurde sie erst in der 90. Minute eingewechselt. Etwas mehr als drei Jahre später sind sehr viele Ballkontakte hinzugekommen, außerdem neun Tore und zwei Assists.
Gleich geblieben sind allerdings die Erwartungen. 2019 war für Bühl ein spektakuläres Jahr, sie gab ihr Debüt im DFB-Team, gewann die Fritz-Walter-Medaille in Gold, fuhr mit zur WM, erzielte das Siegtor vor 90.000 Zuschauern im Wembley-Stadion. Erfolge, die viel Lob mit sich brachten: "Die neue Arjen Robben" wurde sie schon genannt, Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sagte, bei der Beidfüßigkeit liege nur Dzsenifer Marozsan vor ihr. Und eben auch Erwartungen: Das lang gesuchte prägende Gesicht des Frauenfußballs könne sie werden, schrieben einige, eine Kreativspielerin, die mit Torgefahr und Kreativität glänzt.
So manches Talent wird nach individuellen Auszeichungen mit Lob überschüttet. Das ist die eine Seite einer Fritz-Walter-Medaille. Und die andere? Die ist, dass es eben manchmal nicht so läuft wie geplant. Von den bereits erwähnten neun Toren im DFB-Trikot kamen die ersten sieben bereits 2019/20, in den letzten beiden Saisons kamen nur zwei weitere dazu. Tore sind nicht alles, und die 21-Jährige brachte viele ihrer Qualitäten im Offensivspiel ein. Trotzdem: Oft hat man das Gefühl, dass Bühl noch mehr Potenzial hätte, für die EM kann sie in Topform den Unterschied machen. Ihre Kreativität wird diesen Sommer ganz besonders gebraucht, in einem Team, dem es oft an Unberechenbarkeit und Zug zum Tor fehlt.
Das sind genau die Attribute, die Jens Scheuer ihr zuschrieb, als Bühl den berühmten nächsten Schritt in ihrer Karriere ging: vom Idyll des Südens, dem SC Freiburg, zum Stern des Südens, nach München. Zuvor war Bühls Karriere eine Freiburger Erfolgsgeschichte gewesen, genau wie die von Giulia Gwinn, Sara Däbritz oder Melanie Leupolz. Bühl kam mit zwölf Jahren von ihrem Heimatverein, der Spielvereinigung Untermünstertal, zum Sportclub. Drei Jahre später folgte bereits der erste Bundesliga-Einsatz, schnell avancierte sie zur Stammspielerin.
Mit 19 Jahren hatte sie bereits stolze 75 Pflichtspiele für Freiburg bestritten und zudem im DFB-Team geglänzt, die Zeit schien reif für den nächsten Schritt. Bühl folgte also ihrem Trainer Scheuer, der mit seinem Vertrauen in sie bei Freiburg auch einen maßgeblichen Anteil an ihrer Entwicklung hatte, nach München. Bei ihrer Vorstellung sagte Bühl, sie wolle der Mannschaft mit "Spielwitz, meiner unbekümmerten Art und vielen Toren" weiterhelfen. Viel davon konnte sie umsetzen, hatte etwa mit zwei Toren im Champions-League-Viertelfinale gegen PSG einen entscheidenden Anteil daran, dass Bayern trotz zahlreicher Corona-Ausfälle sehr nah am Halbfinal-Einzug dran war.
Bühl konnte ihre Unbekümmertheit in großen Teilen beibehalten, das lässt sich nach zwei Jahren sagen. Sie hat nicht ihre Lust daran verloren, mal bewusst aus dem Muster auszubrechen, in überraschenden Momenten das Tempo anzuziehen oder einfach mal mit dem Ball zu laufen. Und in den meisten Aktionen bringen diese kreativen Aktionen Bayern weiter. Was erfolgreiche Dribblings angeht, gehört Bühl zu den Besten auf ihrer Position, und das Eins-gegen-Eins ist wahrscheinlich ihre größte Stärke.
Sie ist ein ständiger Unruheherd, der die Tiefe und die Steilpässe sucht und gleichzeitig auch selber Angriffe aufbauen und einleiten will. Die von Voss-Tecklenburg gelobte Beidfüßgikeit ist dabei ein großer Trumpf Bühls, zu deren Repertoire Körpertäuschungen und Finten ebenfalls gehören. Ihre Flanken und Ecken sind dazu fast immer gefährlich, gerade wenn Teamkollegin Lea Schüller am Ende zum Kopfball kommt. Bühl hat einen guten Schuss aus der Distanz und kann, wie gegen PSG, auch mal einen Freistoß direkt machen.
Ein Aspekt von Bühls Spiel, der gerne mal unterschätzt wird, ist außerdem ihre Fähigkeit, Pässe zu antizipieren. Wenn die Pässe von einer Mitspielerin kommen, ist dieser Instinkt natürlich ein großer Vorteil, weil sie sich in gute Positionen bringt oder Raum für andere sieht und da eine Lücke reißt. Auch was abgefangene Pässe angeht, ist Bühl spitze. 2019 sagte Voss-Tecklenburg noch, dass sie bei den taktischen Laufwegen noch Verbesserungsbedarf habe - dieser Aspekt ihres Spiel ist von einer Schwäche zu einer Stärke geworden.
Trotz all dieser Stärken lief es diese Saison bei Bayern und dem Nationalteam nicht ganz so gut wie zuvor. Die einfachste Erklärung wäre, dass mit höheren Erwartungen - wie der, bei Bayern eine "Unterschiedsspielerin zu sein" - auch höherer Druck kommt. In Bühls kreativen Aktionen ist das aber wenig zu sehen, sie geht immer noch oft ins Dribbling oder zieht mit dem Ball von außen in den Strafraum - diese von ihr oft ausgeführte Bewegung brachte ihr auch den Robben-Vergleich ein.
Bei Bühl wirkte es eher so, als hätte sie vor dem Tor teilweise eine Ladehemmung. Wie bereits erwähnt, ist sie immer für einen Glanzschuss aus der Distanz zu haben, kann zudem Freistöße schießen. Bühl macht teilweise unglaubliche Tore, mit denen niemand gerechnet hätte. Aber die Schüsse, bei denen alle den Ball bereits im Tor gesehen haben, waren in den letzten Monaten nicht Bühls Stärke. Dazu kommt, dass Bühl aktuell noch zu oft die falsche Entscheidung trifft, nicht lange genug wartet oder noch einen Schlenker zu viel machen will.
Bei einigen Spielen mit dem Nationalteam konnte Bühl ihre Kreativität außerdem nicht ganz ausspielen. Teilweise nahm sie sich sichtlich etwas zurück, spielte statt dem riskanten Pass nach vorne lieber wieder nach hinten, setzte nicht ganz so oft zum Dribbling an. Für Deutschland wäre es wichtig, dass ein Freigeist wie sie den nötigen Freiraum bekommt, um ihre Qualitäten einzubringen. Dann kommen zu ihrer Bilanz sicherlich noch mehr Ballkontakte und auch Tore und Assists dazu.