FC Schalke 04
·29. September 2023
Kathrin Vieth: Frau für alle Fälle

In partnership with
Yahoo sportsFC Schalke 04
·29. September 2023
„Ich muss vermutlich lernen, auch mal Nein zu sagen“, gibt Kathrin Vieth lachend zu. Das münzt sie nicht auf ihren Job für Schalke 04, wo sie seit rund einem Jahr in der Direktion Fans und Nachhaltigkeit den Bereich Projektmanagement Vereinsangelegenheiten verantwortet. Vielmehr geht es um ihr Ehrenamt – wobei der Plural mittlerweile angemessener ist, bekleidet sie doch bereits drei Tätigkeiten: beim SV Horst-Emscher 08, der Westfalen Sport-Stiftung und dem Gelsenkirchener Rotary Club Schloss Horst.
Hausieren gehen möchte sie damit nicht, im Gegenteil, ein Vögelchen aus dem Kollegenkreis musste erst zwitschern. „Nicht, dass alle denken, ich möchte mich wichtigmachen“, erklärt die 27-Jährige. Doch ihre Arbeit ist wichtig, laut „Bundesministeriums des Innern und für Heimat“ engagierten sich im vergangenen Jahr rund 29 Millionen Deutsche sozial. Ohne den Einsatz dieser Ehrenamtler würden ganze Bereiche, Vereine und Initiativen einfach wegbrechen. Kathrins Arbeit auf Schalke ist intensiv genug, trotzdem investiert sie einen Großteil ihrer Freizeit ins Ehrenamt. Über das Warum muss sie nicht lange nachdenken: „Ich bin mit dem Verständnis aufgewachsen, dass man nicht nur auf sich schauen darf, sondern dass man sich auch gemeinschaftlich einbringen sollte.“ Meckern könne schließlich jeder, aber man müsse auch versuchen, selbst etwas zu bewegen.
Und bewegen möchte sie schon früh etwas: Aufgewachsen in einem christlich geprägten Elternhaus, übernimmt sie bereits mit 14 Jahren erste Aufgaben beim SV Horst-Emscher 08. Der mit mehr als 1000 Mitgliedern stattlich aufgestellte Gelsenkirchener Breitensportverein gehört fest zum Familienalltag: „Mein Opa war 40 Jahre lang im Vorstand und unterstützt heute noch als Sozialwart.“ Auch ihr Vater, jahrelang im Vorstand tätig, ist bis heute sportlich aktiv bei den „Alte Herren“ und ehrenamtlich als Kassenprüfer.
Einige Jahre betreut Kathrin eine Fußballmannschaft, bevor sie die C-Lizenz im Breitensport absolviert und Trainertätigkeiten übernimmt. „Ich habe die Tanzmäuse-Gruppe für Kinder ins Leben gerufen, Fußball-AGs an Grundschulen geleitet und für Erwachsene Step-Aerobic sowie Ganzkörpertraining gegeben.“ Dreimal die Woche ist sie durch die Kurse gebunden, doch als sie ihr BWL-Studium in Münster aufnimmt, wird es immer schwieriger, regelmäßig vor Ort zu sein. Der Vorstand aber schätzt ihre Arbeit, will sie nicht auf der Verlustliste sehen. Eine Idee muss her: „Der Erste Vorsitzende fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, als stellvertretende Vereinsmanagerin anzufangen und mit ihm gemeinsam zeitlich flexibler und ortsunabhängiger zu arbeiten“. Kann sie und startet 2018 im 08-Vorstand, wo sie sich vorrangig um die Themen Öffentlichkeitsarbeit, Sponsoring, Fördermittel, Budgetplanung und Veranstaltungsmanagement kümmert.
Doch das ist nur der erste Schritt. „Damals kristallisierte sich ein Umbruch auf Vorstandsebene heraus, viele der Altgedienten, die diese Aufgaben lange übernommen hatten, wollten ihre Ämter niederlegen.“ Zudem sei die Ehrenamtsstruktur insgesamt im Umbruch, wie auch Kathrin in ihrer Vereinsarbeit immer wieder feststellt: „Leute wollen sich schon noch engagieren, aber nicht mehr unbedingt auf Ämter festlegen lassen, sondern lieber projektbezogen und in kurzen Zyklen arbeiten.“
So recherchieren die Verantwortlichen gemeinsam, welche Umstrukturierungsmöglichkeiten sich anbieten und entscheiden sich fortan für flachere Hierarchien und eine Einteilung in Ressorts. Nach diesem Prinzip splittet sich die Vereinsführung in unterschiedliche Bereiche: Finanzen, Personal/Organisation/Geschäftsstelle, Sport, Allgemeine Steuerung und das Ressort Vereinsmanagement, das fortan von Kathrin verantwortet wird. Doch dabei bleibt es nicht, denn es sind auch drei geschäftsführende Vorstände nötig, so stellt sie sich mit gerade einmal 22 Jahren auch dieser Herausforderung.
Doch die Verantwortung ist enorm. „Ich muss immer an eine Situation kurz vor der Wahl denken. Ich saß mit meinen Eltern auf der Couch, und wir sprachen über die anstehenden Änderungen, als mein Papa die ganze Tragweite begriff und fast geschockt ausrief: „Du bist 22 und sollst geschäftsführender Vorstand eines Vereins mit über 1000 Mitglieder und einem Jahresumsatz von rund 400.000 Euro werden!‘“ So verständlich seine damalige Sorge, so fest ist seine Tochter in ihrer Entscheidung und entgegnet ihm auf seine Einwände schlicht: „Es gibt jetzt kein Zurück mehr!“
Mittlerweile ist sie seit vier Jahren im Amt und zieht ein positives Fazit: „Es macht Spaß, ist sehr abwechslungsreich und hat mich auch in meiner persönlichen Entwicklung weitergebracht. Man muss Entscheidungen treffen, mitunter unangenehme und diese vertreten.“ Natürlich gibt es Abende, an denen sie einfach nur kaputt ist, aber den Schritt hat sie nie bereut. Im Gegenteil, die Vereinsarbeit ist vielfältig und wirkt in den Stadtteil, das Feedback ist direkt und ehrlich. „Wenn ich sehe, wie viel Spaß die Kinder beim Sport und auf unseren Veranstaltungen haben, weiß ich, dass sich der Aufwand lohnt.“ Zudem sei der Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl im Verein groß. Da wird nicht lange gefackelt, sondern mit angepackt. Zu den zahlreichen Festen, die der Club regelmäßig ausrichtet, sind neben den Mitgliedern und Sponsoren viele Vereine, Institutionen und Vertreter der Lokalpolitik eingeladen. „Wir sehen uns als Brückenbauer im Stadtteil.“ Dabei unterstützen sie auch überregional, beispielsweise mit dem Sammeln von Spenden für Geflüchtete, Opfer des Ukraine-Kriegs oder der Flutkatastrophe 2021.
„Ich sehe den Verein als eine soziale Institution“, betont die 27-Jährige, was sich im familiären Umfeld zeige. „Mein Vater ist bereits in der E-Jugend dem Verein beigetreten und hat dort Freundschaften fürs Leben geschlossen.“ Auch ihr Partner hat eine enge Bindung zum SV Horst-Emscher 08. Der türkischstämmige Deutsche ist ebenfalls in der E-Jugend gestartet und spielt noch heute als Kapitän der 1. Mannschaft, zudem war er jahrelang als Jugendtrainer und zeitweise als spielender Co-Trainer aktiv. „Die Vereinszugehörigkeit kann Integrationsschranken durchbrechen, die Schule vielleicht nicht aufweicht. Die Kinder lernen die Sprache besser und schließen Freundschaften, auch außerhalb ihrer Bubble.“ Das Engagement geht noch weiter: Jugendliche, bei denen die Verantwortlichen Potenzial sehen, sollen für eine Tätigkeit als Trainer begeistert und auch für entsprechende Lizenzen unterstützt werden.
Der Schritt zu Kathrins zweitem Ehrenamt scheint in der Rückschau fast logische Konsequenz. Bevor sie beruflich zum FC Schalke 04 wechselt, arbeitet sie nach ihrem Master-Abschluss in Wirtschaftspsychologie für den Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW), in dem auch ihr heutiger Arbeitgeber Mitglied ist. Dort ist sie in der Vereins- und Verbandsentwicklung tätig, wodurch sie mit der verbandseigenen Westfalen Sport-Stiftung in Kontakt kommt. Im Juni 2022 kündigt sie, um zu Königsblau zu wechseln. Doch so ganz möchte man sie nicht ziehen lassen: Kathrin soll einen Posten im dreiköpfigen Vorstandsteam der Stiftung übernehmen. Ein Nein kommt ihr nicht über die Lippen, und sie sagt zu. In regelmäßigem Turnus findet sich das ehrenamtliche Trio seither zusammen und bewertet Förderanträge, unterstützt Vereinsprojekte und setzt Themen in wichtigen Bereichen wie Integration, Inklusion, Nachhaltigkeit oder Fairplay. „Diese Tätigkeiten ergänzen sich aus meiner Sicht gut, denn bei Horst 08 kümmere ich mich vorrangig um das Tagesgeschäft und die Vereins- und Stadtteilarbeit, wohingegen man beim Verband noch mal andere Hebel zur Verfügung hat, um Vereine in der Region generell zu unterstützen.“ Denn sie weiß schließlich, wo der Schuh drückt.
Und auch an Ehrenamt Nummer drei kommt sie – sagen wir mal – unverhofft. „Ich wurde Ende 2021 gebeten, beim Rotary Club Gelsenkirchen-Schloss Horst einen Vortrag über unsere Vereinsarbeit bei Horst 08 zu halten.“ Ihr Engagement kommt so gut an, dass man sie direkt für die eigenen Reihen verpflichten möchte, sie wird Mitglied. Heute verantwortet sie den Vorstandsbereich des rotarischen Jugenddienstes des Clubs. „Wir unterstützen die Schüler sowohl finanziell als auch organisatorisch. Es gibt Schüleraustausch-Programme für ein ganzes Jahr oder auch nur in den Ferien. Zuletzt waren zwei Jugendliche aus Mexiko und Brasilien zu Gast in Gelsenkirchen.“
Aller guten Dinge sind drei, denn mehr lässt ihre Zeit einfach nicht zu. Was jedoch noch in ihren prall gefüllten Terminkalender passt, waren bereits drei Besuche bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der jedes Jahr ehrenamtliche engagierte Bürger ins Schloss Bellevue einlädt. Auch in diesem Jahr war es wieder so weit. Sie hat zugesagt, verfügt sie doch über zahlreiche Stärken und Talente, nur verneinen kann sie schlecht. Zum Glück fürs Ehrenamt …