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1. FC Köln

·31. Oktober 2020

Hüben wie drüben: Carsten Jancker

Artikelbild:Hüben wie drüben: Carsten Jancker

Mit dem FC Bayern hat Carsten Jancker alles gewonnen. Er ist Vize-Weltmeister und der wohl berühmteste Glatzkopf im deutschen Fußball. Als Jugendlicher aber trug er Locken, spielte für die U19 des 1. FC Köln und feierte mit dem Geißbock auf der Brust sein Bundesliga-Debüt. Im Gespräch blickt der groß gewachsene Mittelstürmer auf seine Zeit am Geißbockheim und in München zurück.

26. Mai 1999. Champions-League-Finale. 84. Minute. Der FC Bayern führt nach Freistoßtor von Basler mit 1:0 gegen Manchester United. Die Uhr tickt für die Münchner. Da köpft Mehmet Scholl den Ball im hohen Bogen an den Fünfmeterraum. Carsten Jancker steht mit dem Rücken zum Tor, sieht den Ball auf sich zu fliegen. Was soll er tun? Im Bruchteil einer Sekunde entscheidet er sich, seinen knapp zwei Zentner schweren Körper in die Waagerechte zu hieven. Für einen Moment liegt er quer in der Luft, mit seinen Unterarmen stützt er sich auf dem Rasen ab. Die Beine klappen auf wie eine Schere. Ohne Blick zum Tor schießt er. An die Latte. Was fehlt, ist ein halber Zentimeter. Wenn überhaupt. „Vielleicht hätte ich den Fuß nur ein paar Millimeter mehr knicken müssen und der Ball wäre drin gewesen.“


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Dann hätte der FC Bayern 1999 die Champions League gewonnen. Stattdessen trifft Manchester United in der Nachspielzeit zweimal. Nach Abpfiff liegt Jancker gekrümmt auf dem Feld. Dieser Hühne, den selbst die härtesten Verteidiger im Zweikampf nur schwer zu Boden bringen, weint bitterlich. Trainer Ottmar Hitzfeld redet ihm gut zu. Uli Hoeneß ist es letztlich, der den 1,93 Meter großen Mittelstürmer aufrichtet, ihn auf dem Weg in die Katakomben stützt. Getrocknet sind Janckers Tränen da noch nicht. „Acht von zehn Dingern hätte ich zu der Zeit wahrscheinlich reingemacht. Im Finale sollte es nicht sein“, sagt Jancker.

An der Niederlage hat er lange zu knabbern. Es gibt Nächte, in denen er bis vier, fünf Uhr wach im Bett liegt. Dann erinnert er sich an das Geräusch, als der Ball an das Aluminium prallt. Im Fernsehen will er sich die Szene lange Zeit nicht anschauen. „Mittlerweile kann ich das aber in aller Ruhe“, sagt Jancker. Er weiß, dass er noch große Erfolge feiern sollte. Aber der Reihe nach.

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Wechsel zum FC als Jugendlicher

Geboren ist Jancker in der DDR. In Grevesmühlen, einer kleinen Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Als Zwölfjähriger wechselt er zu Hansa Rostock. Dann folgt die Wende. Jancker wird deutscher Junioren-Nationalspieler, nimmt 1991 an der U16-Europameisterschaft teil. Deutschland wird Zweiter, Jancker sticht hervor. Nicht nur wegen seiner hellblonden Haare, die sich kräuseln. Mit seiner großen und zugleich kräftigen Statur ist er eine Erscheinung. Er schirmt Bälle ab, legt auf – und trifft selbst.

Der 1. FC Köln wird auf Jancker aufmerksam. Der 16-jährige Sturmtank erhält einen Vier-Jahres-Vertrag, spielt zunächst zwei Jahre für die U19 des FC, ehe er zu den Profis aufrückt. „Die sportliche Perspektive beim FC war besser. Ich wollte die Chance nutzen, mein Hobby zum Beruf zu machen“, erklärt er. Seine Mutter begleitet ihn nach Köln. Die Beiden ziehen in ein Haus in Pulheim. Janckers Mutter fährt ihren Sohn zu jedem Training und Spiel.

Die Eingewöhnung in der neuen Stadt fällt nicht schwer. „Es ging weiter um Fußball. Der wurde in Köln genauso gespielt wie in Rostock.“, erklärt der Stürmer lachend. Und Karneval? „Joa, Karneval war okay, aber schon etwas gewöhnungsbedürftig.“

Erstes Bundesliga-Spiel, erstes Tor

Janckers Fokus liegt auf dem Fußball. Mit der U19 erreicht er das Finale um die deutsche A-Juniorenmeisterschaft. Im Sommer 1993 wird er Profi. Cheftrainer ist Morten Olsen, der Jancker am 9. Spieltag der Bundesliga-Saison 1993/94 erstmals in den Profikader beruft. Der FC empfängt den VfB Leipzig. Toni Polster fehlt rot-gesperrt, sodass Jancker in den Kader rutscht. Beim Stand von 1:1 wird er in der 65. Minute eingewechselt. „Das war der erste große Traum, der in Erfüllung ging.“

Sein zweiter Traum sollte sich nur wenige Minuten später erfüllen. Jancker erzielt in seinem ersten Bundesliga-Spiel sein erstes Tor. Der FC gewinnt mit 3:1. Das großgewachsene Talent scheint es geschafft zu haben. Für die U20-Nationalmannschaft trifft er im selben Jahr per Fallrückzieher – nach Kopfballvorlage. Die Zuschauer der ARD-Sportschau wählen den Treffer zum Tor des Monats. „Alles war auf Fahrt“, erinnert sich Jancker. Doch schon bald wird er bitter enttäuscht. Olsen verzichtet im nächsten Bundesliga-Spiel auf ihn, obwohl Polster noch gesperrt ist. „Aus der Sicht eines damals 19-Jährigen war die Entscheidung für mich unverständlich“, gibt Jancker zu. „Vielleicht habe ich im Training aber auch nicht die nötige Leistung gebracht.“ Bis zum Saisonende zählt er nicht mehr zum Aufgebot – die Karriere gerät ins Stocken.

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Eine geheime Liebe

In der darauffolgenden Spielzeit verbessert sich Janckers Situation nicht. Er absolviert nur vier Spiele und will den FC verlassen. „Ich musste Spielpraxis sammeln.“ Im Sommer 1995 wechselt Jancker zu Rapid Wien. Schon bald verliebt er sich in eine Wienerin. Sie ist die Sekretärin vom Rapid-Manager. Beide halten die Beziehung geheim, fliegen nicht auf – bis sie zu ihrer Hochzeit einladen.

Beflügelt vom Liebesglück und gemeinsam mit Peter Stöger, der ebenfalls für Rapid spielt, wird Jancker Meister und erreicht das Finale des Europapokals der Pokalsieger. Sechs Treffer erzielt er in dem Wettbewerb. Zwar verliert Rapid das Endspiel gegen Paris mit 0:1, doch Jancker sticht hervor. Im Viertelfinale gegen Moskau erleidet er eine Platzwunde. Trotz weißen Turbans ist sein Gesicht blutüberströmt. Zwei Treffer erzielt er trotzdem.

„Hier spricht der Franz Beckenbauer“

Das bleibt nicht unbemerkt. Eines Abends kommt er nach Hause, als sein Anrufbeantworter blinkt. „Hier spricht der Franz Beckenbauer. Ich bitte um Rückruf“, sagte eine Stimme mit bayerischem Dialekt. „Ich dachte mir nur: ,Wer verarscht mich denn da? Da hat sich doch bestimmt jemand einen Spaß erlaubt.‘ Aber es war wirklich Franz.“ Jancker ruft zurück, und unterschreibt wenig später beim deutschen Rekordmeister.

Auf einmal ist er umgeben von Weltklasse-Spielern. „Anfangs war ich aufgeregt, aber alle haben mich gut aufgenommen“, sagt Jancker, dessen Haare in München unter die Haarschneidemaschine geraten. „Ich habe sie mir freiwillig abgeschnitten, weil ich mich mit Glatze am wohlsten fühle. Man glaubt es nicht, aber eigentlich hätte ich blonde Locken. Auch heute würde mein Haar noch gewellt aussehen.“

Kahl geschoren erzielt der Sturmtank für den FC Bayern in 225 Pflichtspielen 79 Tore. Er wird mit den Bayern viermal Deutscher Meister, gewinnt zweimal den DFB-Pokal – und einmal die Champions League. Zwei Jahre nach dem Drama in Barcelona wird Jancker im Finale gegen Valencia eingewechselt, provoziert den Handstrafstoß zum 1:1 – und stürmt nach dem gewonnenen Elfmeterschießen in Windeseile zu Oliver Kahn. Ein lang ersehnter Traum hat sich erfüllt. „Die bittere Niederlage 1999 hat uns als Mannschaft noch enger zusammengeschweißt. Wir wollten diesen Pott holen – und haben es durchgezogen.“

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Ein Star in Asien

Gemeinsam mit Giovane Elber bildet Jancker eines der erfolgreichsten Sturm-Duos Europas. In der Saison 2001/02, seiner letzten im Trikot des FC Bayern, erzielt Jancker in der Bundesliga keinen Treffer, sitzt immer häufiger auf der Bank. Trotzdem nimmt ihn Völler 2002 mit zur Weltmeisterschaft nach Japan und Südkorea. Deutschland wird Vize-Weltmeister, Jancker erzielt beim 8:0-Sieg gegen Saudi-Arabien ein Tor. Er zieht sich sein Trikot vom Leib, zeigt seinen muskelbepackten Oberkörper – und wird zum Star. Am nächsten Tag zieren Fotos von seinem Jubel die Zeitungen. Bis heute bekommt Jancker Fanpost aus Fernost.

Nach dem Turnier wechselt er zu Udinese Calcio. Auch wegen Verletzungspech kommt er in Italien nie richtig in Tritt, trifft nur dreimal in 41 Partien. 2004 kehrt er in die Bundesliga zurück. Nach zwei passablen Jahren in Kaiserslautern ruft das Abenteuer China. 2010 beendet Jancker beim österreichischen Erstligisten Mattersburg im Alter von 35 Jahren seine Karriere.

Trainer aus Leidenschaft

Dem Fußball aber bleibt er treu. Jancker wird Trainer der U15 von Rapid, ist zwischenzeitlich für die Nachwuchsabteilung des Vereins zuständig, ehe er 2016 Co-Trainer der Profi-Mannschaft wird. Parallel schließt er die UEFA-Pro-Lizenz und eine Sportmanager-Ausbildung ab. Als Cheftrainer steigt Jancker mit dem SV Horn in die zweite österreichische Liga auf. Seit Mai 2019 fungiert der 46-Jährige als Trainer des österreichischen Drittligisten FC Marchfeld Donauauen. Irgendwann aber möchte er ein Bundesliga-Team trainieren. „Das ist mein Ziel. Der Trainerjob macht Riesenspaß.“

Über seine Erfahrungen als Spieler und Trainer berichtet Jancker auch in seinem eigenen Podcast www.mypodcarsten.com. „Wir führen spannende Hintergrundgespräche. In der nächsten Folge wird Lothar Matthäus zu Gast sein.“ Dem FC drückt Jancker die Daumen, „dass der Club in der Liga bleibt und schon bald positive Ergebnisse einfährt.“ Und der FC Bayern? „Der ist für alles bereit. Ich glaube, die Mannschaft ist in der Lage, alle Titel zu verteidigen.“

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