Hannover 96 vs. FC St. Pauli 1:2 – wichtig, wichtiger, am wichtigsten | OneFootball

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·22. April 2024

Hannover 96 vs. FC St. Pauli 1:2 – wichtig, wichtiger, am wichtigsten

Artikelbild:Hannover 96 vs. FC St. Pauli 1:2 – wichtig, wichtiger, am wichtigsten

Ein schwieriges Spiel in Hannover gewinnt der FC St. Pauli mit 2:1. Ursächlich dafür war eine Metamorphose während der Partie.(Titelbild: Peter Boehmer)

So richtig wiederhergestellt bin ich nach Krankheit noch nicht. Deshalb musste der Vorbericht ganz ausfallen und auch der Spielbericht ist etwas kürzer als üblich. Aber das Spiel selbst hat defintiv bei der Genesung geholfen. Sehr sogar.


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Die Aufstellung

Vier Wechsel gab es beim FC St. Pauli in der Startaufstellung. Zwei davon aufgrund von Verletzungen: Eric Smith und Lars Ritzka mussten ersetzt werden. Etwas überraschend war, dass nicht Adam Dźwigała, sondern David Nemeth in der Innenverteidigung anstelle von Smith starten durfte. Hauke Wahl, zurück nach Gelb-Rot-Sperre, übernahm die Smith-Position, Nemeth spielte rechts. Die Position von Ritzka auf der linken Schiene übernahm in Ermangelung an Alternativen Connor Metcalfe.

Afolayan und Kemlein starten

Metcalfe rückte damit von vorne rechts nach hinten links. Seine vorherige Position nahm Dapo Afolayan ein. Auch vorne links gab es eine Veränderung: Elias Saad stand nicht in der Startelf, Marcel Hartel startete dort. Im Zentrum begann daher Aljoscha Kemlein neben Jackson Irvine. Vier personelle Veränderungen, zwei davon nicht aufgrund von Verletzungen: So viele gab es in dieser Saison bisher noch nicht.

Bei Hannover 96 wurde das Personal auf drei Positionen verändert: Enzo Leopold (zentrales Mittelfeld), Brooklyn Ezeh (linke Schiene) und Lars Gindorf (Sturm) ersetzten Teuchert, Christiansen und Arrey-Mbi. H96-Trainer Stefan Leitl musste zudem mit Andreas Voglsammer und Havard Nielsen auf zwei zentrale Offensivkräfte verzichten, sodass Gindorf (21 Treffer in der Regionalliga Nord) zu seinem Startelfdebüt kam.

Artikelbild:Hannover 96 vs. FC St. Pauli 1:2 – wichtig, wichtiger, am wichtigsten

Aufstellung bei der Partie Hannover 96 gegen FC St. Pauli H96: Zieler – Neumann, Halstenberg, Dehm – Muroya, Leopold, Kunze, Ezeh – Schaub – Gindorf, Tresoldi FCSP: Vasilj – Nemeth, Wahl, Mets – Saliakas, Irvine, Kemlein, Metcalfe – Afolayan, Eggestein, Hartel

Druck oder Tiefe sichern? – Notwendig ist beides!

Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Der FC St. Pauli ist überhaupt nicht gut ins Spiel gestartet. Fabian Hürzeler erklärte nach Abpfiff, dass man die eigene Unsicherheit und Instabilität in den ersten 30 Minuten gespürt habe. Allerdings ist Hannover 96 eben auch alles andere als Fallobst und ein in der Aufbaustruktur wirklich starkes Team.

Die Kunst des langen Balls

Hannover 96 agierte in einer Art 3-4-1-2, im Spielaufbau war aber oft eine Viererkette zu sehen. Denn bei eigenem Ballbesitz schoben die beiden Schienenspieler, Muroya und Ezeh, weit hoch, dafür ließ sich aber einer der beiden Sechser, Leopold oder Kunze, in die Innenverteidigung fallen. Hierdurch konnten die beiden äußeren Innenverteidiger, Dehm und Neumann, oft die Außenverteidigerpositionen einnehmen. Aus dieser Struktur spielte Hannover 96 enorm viele lange Bälle.

Warum das funktionieren kann, zeigt sich exemplarisch an Marcel Halstenberg: Der Innenverteidiger von Hannover 96 ist einfach zu gut für die Liga. Er ist ein Spieler, den man im Aufbauspiel nicht ignorieren kann, bei dem man nicht abwarten darf, was er macht. Weil er sonst zu viel Zeit und Platz hat und dann gute Sachen macht (die macht er auch, wenn er Druck bekommt, aber eben seltener). Da Hannover mit Neumann und Kunze zwei weitere Spieler auf dem Platz hatte, die ziemlich gut sind, wenn sie keinen Druck bekommen, ist der FC St. Pauli also gefordert gewesen, alle diese Spieler anzulaufen (das taten sie in der ersten Halbzeit immer dann, nachdem ein Pass aus dem Sechserraum zurück in die H96-Innenverteidigung gespielt wurde).

Defensivarbeit im Ungleichgewicht

Das höhere Anlaufen durfte aber auf gar keinen Fall ohne die richtige Balance passieren. Denn ein höheres Anlaufen bedingt auch automatisch ein Nachschieben der Fünferkette des FC St. Pauli. Andernfalls ist der Abstand zwischen der Fünferkette hinten und dem Fünferblock vorne zu groß und es ergeben sich Räume vor der Kette. Nun kommen wir aber wieder zu den langen Bällen: Je höher der Gegner steht, umso mehr Raum bietet er hinter sich, den man belaufen kann.

Gegnerische Teams stehen also vor einem Dilemma: Auf der einen Seite möchte man starken Spielern nicht die Möglichkeit geben, ihre Stärken auszuspielen. Allerdings hat das den Preis, dass man die Tiefe nicht mehr so gut sichern kann oder Raum vor der letzten Kette preisgibt. Gelingt es einem Team hierbei nicht, die richtige Balance zu wahren – im richtigen Moment Druck zu erzeugen, nachzuschieben oder kollektiv die Tiefe zu sichern – dann hat man gegen Hannover 96 die Wahl zwischen Pest und Cholera. Denn Hannover 96 legt es in seinem Aufbauspiel genau darauf an, den Moment zu erschaffen, in dem sich ein Gegner in einem Ungleichgewicht befindet.

Hannover 96 klar überlegen

Es kommt also auf höchste Wachsamkeit und Balance bei der Defensivarbeit an. Die Aktionen können nur gut koordiniert funktionieren. Doch der FC St. Pauli hatte zu Spielbeginn Schwierigkeiten, genau das hinzubekommen. Entweder versuchte Hannover es direkt mit einem langen Ball auf die Außenbahn hinter die Kette des FCSP oder es wurde eine Seite überladen und ein „Spiel über den Dritten“ aufgezogen. Letzteres gelang vor allem dann, wenn der Abstand zwischen FCSP-Fünferkette und dem vorderen Fünferblock zu groß war, weil vorne angelaufen wurde, hinten aber nicht richtig nachgeschoben wurde, um die Tiefe besser zu sichern.

Nach 30 Minuten lautete das Torschussverhältnis 7:1 aus Sicht von Hannover 96 – damit hatte das Team bereits mehr als dreimal so viele Torschüsse abgegeben, wie im gesamten Hinspiel. Und dieses Torschussverhältnis gab den Spielverlauf bis zu diesen Moment auch sehr gut wieder. Die Niedersachsen waren das bessere Team. Gleich mehrfach war Nikola Vasilj Retter in der Not.

Free Kemlein! …

Auch offensiv hatte der FCSP in der ersten halben Stunde Probleme, in seine Abläufe zu kommen. Zu fehlerhaft war das Passspiel. Auch hier war eine gewisse Verunsicherung klar erkennbar. Dabei präsentierten sie eigentlich gute Ideen, um gegen die mannorientierte Defensivarbeit der Niedersachsen zu agieren. Ein auffällig neues Element nenne ich mal „Free Kemlein!“. Um der Mannorientierung durch Gegenspieler Kunze zu entkommen, zog es Jackson Irvine nämlich in die eigene Innenverteidigung. Entweder nahm er die Position von Nemeth ein, der dafür auf die rechte Seite rausschob oder er selbst ging auf diese Position. Diese Bewegung führte zu einer Kettenreaktion an Rotationen und Gegenbewegungen. Ziel dabei: Aljoscha Kemlein zentral mit dem Ball in Verbindung zu bringen.

Wenn Nemeth rechts rauszog, fragte sich Tresoldi bereits, ob er mitgehen soll. Sicher war sich hingegen Ezeh, der Manos Saliakas bis tief in die eigene Hälfte folgte. Auf das Aufrücken von Saliakas folgte die Gegenbewegung von Afolayan, der sich gen eigene Hälfte bewegte (und so Dehm aus der Innenverteidigung zog). Afolayan war auch die initiale Anspielstation, entweder gesucht von Irvine oder Nemeth. Und der 26-jährige versuchte bei diesem Spielzug eigentlich immer, möglichst direkt den Ball in die Mitte weiterzuleiten. Dort wartete nämlich Aljoscha Kemlein, der sich von Gegenspieler Leopold zu lösen versuchte und idealerweise mit Blickrichtung H96-Tor und viel Grün vor sich an den Ball kam.

Artikelbild:Hannover 96 vs. FC St. Pauli 1:2 – wichtig, wichtiger, am wichtigsten

Aufbauvariante des FC St. Pauli gegen Hannover 96: Bei Ballbesitz in der eigenen Dreierkette ließ sich Jackson Irvine auf die rechte Innenverteidigerposition, manchmal auch auf die rechte Abwehrseite fallen, um sich der Manndeckung seines Gegenspielers zu entziehen. Diese Bewegung erzeugte eine Kettenreaktion, an dessen Ende im besten Fall Aljoscha Kemlein freigespielt wurde. Funktioniert hat das bei der Situation, die zum 1:0 führte.

… and score!

Versucht wurde diese Aufbauvariante mehrere Male in dieser Partie. Warum ich sie so ausführlich beschreibe? Weil sie neu war (zumindest ist mir das bisher noch nicht aufgefallen) – und weil sie zum 1:0 führte. In der 41. Minute, kurz zuvor hatte Hartel übrigens mit dem zweiten FCSP-Torschuss der Partie die Latte getroffen, wurde Kemlein nämlich freigespielt, die Situation war relativ offen. Einen Doppelpass zwischen Hartel und Metcalfe später segelte eine Flanke auf den Kopf von Afolayan. Ein ganz fantastisch herausgespielter Treffer, nahezu nicht zu verteidigen. Angesichts des Spielverlaufs kam er trotzdem etwas überraschend und Hannover muss sich ärgern, nicht mehr aus der ersten halben Stunde herausgeholt zu haben. Denn danach verloren sie mehr und mehr die Kontrolle.

Ein Tor verändert den FC St. Pauli

Denn obwohl Hannover 96 ein paar Minuten später ausgleichen konnte (Metcalfe verlor seinen Gegenspieler aus den Augen), drehte sich die Partie nun. Fabian Hürzeler erklärte nach Abpfiff, dass dieser Treffer zum 1:0 seinem Team enorm geholfen habe. Im zweiten Abschnitt zeigte der FCSP dann kleinere Änderungen, die dann sicher auch ihre Wirkung nicht verfehlten. Trotzdem dürfte der wichtigere Punkt die minütlich steigende Selbstsicherheit gewesen sein, aufgrund derer man am Ende mit drei Punkten zurück nach Hamburg reiste.

Back to the Rhythmus

Der Druck auf die Viererkette von Hannover 96 nahm mit Anpfiff der zweiten 45 Minuten auf jeden Fall zu. Das höhere Anlaufen konnte sich der FC St. Pauli leisten, weil es ihm nun zumeist gelang, immer im richtigen Moment die Tiefe zu sichern, indem man sich kollektiv als Fünferkette fallen ließ. Die Defensivarbeit wirkte nun viel besser abgestimmt. Die FCSP-Spieler erklärten später unisono, dass man besser in den eigenen Rhythmus gefunden habe. Folglich tat sich Hannover 96 nun viel schwerer im Erspielen von Torgelegenheiten.

Auch im eigenen Aufbauspiel sah man nun einen veränderten FC St. Pauli, sowohl von der Positionierung, als auch vom Selbstverständnis. Eine Veränderung war, dass Irvine nun vermehrt die Position von Saliakas im Aufbau einnahm, seine Position auf der Sechs also noch deutlicher verließ als in der ersten Halbzeit. Die deutlichere und wichtigere Veränderung war aber sicher das Selbstverständnis, mit dem der FCSP nun wieder sein starkes Aufbauspiel aufzog. Auch Jackson Irvine hatte den Eindruck, dass das Team mehr und mehr zu seinem Rhythmus im Aufbauspiel fand und sprach den für Gegner unheilvollen Satz: „Dann sind wir schwer zu stoppen.“

Was auch immer den Ausschlag gab: Das Spiel hatte sich gedreht. Der FC St. Pauli war mit Anpfiff der zweiten Halbzeit das bessere Team. Zwar war es weiterhin eine äußerst knappe Kiste, aber der FCSP hatte doch schon einige Vorteile und erspielte sich auch eine Reihe von Torchancen. Für die Entscheidung sorgte dann eine einstudierte Eckballvariante.

Artikelbild:Hannover 96 vs. FC St. Pauli 1:2 – wichtig, wichtiger, am wichtigsten

Schwer zu stoppen war am Sonntag insbesondere Dapo Afolayan. Der 26-jährige zeigte nach langer Abstinenz eine überzeugende Rückkehr in die Startelf des FC St. Pauli. // (c) Peter Boehmer

Jojos Werk und Karols Beitrag

Es ist inzwischen alles andere als ein Geheimnis, dass der FC St. Pauli ziemlich gut ist bei Standards, sowohl defensiv als auch offensiv. Und es ist auch alles andere als ein Gehimnis, dass man bei Standards aus Gegnersicht bitte UNBEDINGT auf Jackson Irvine und Johannes Eggestein aufpassen muss. Irvine wählt oft den direkten Laufweg, seine Mitspieler versuchen ihm dabei möglichst viel Platz freizublocken. Diese Variante verteidigte Hannover übrigens sehr gut wenige Minuten vor dem zweiten FCSP-Tor. Eggestein arbeitet in einem kleineren Gespann: Karol Mets ist sein Bodyguard, blockt ihm den Raum frei. Oft läuft Eggestein dabei einen Bogen, um sich von seinem Gegenspieler zu lösen. Will dieser dann mit, scheitert er an der „Mets-Mauer“. So erging es auch Brooklyn Ezeh, der Eggestein nicht folgen konnte, sodass dieser zum umjubelten 2:1 für den FCSP einköpfte.

Das große Zittern – warum eigentlich?

Ab dann, ab dem 2:1 in der 65. Minute, war bei mir Zittern angesagt. Und das war in meinem Fall nicht das zurückkehrende Fieber, sondern das Bewusstwerden, dass man dieses Spiel in Hannover tatsächlich gewinnen kann. Dabei gab es eigentlich kaum einen Grund, an drei Punkten für den FCSP zu zweifeln. Denn plötzlich war alles wieder da, was zuletzt fehlte: Die Selbstsicherheit und Präzision im Aufbauspiel, die gute Abstimmung und hohe Intensität in der Defensivarbeit. Entsprechend ließ das Zittern bereits nach, bevor der Abpfiff erfolgte. Denn mit jeder weiteren Minute wuchs die Gewissheit, dass der FC St. Pauli dieses Spiel gewinnen wird.

Der FCSP holt also drei Punkte bei Hannover 96. Also dort, wo in dieser Saison bisher erst ein Team gewinnen konnte. Damit meldet sich das Team nach zuletzt zwei Niederlagen mit einem ganz starken Erfolg zurück und zeigte während der Partie eine Verwandlung, die Mut für die kommenden vier Spiele macht: Nach einem unsicheren Beginn kehrte Stück für Stück vieles von dem zurück, was das Team in der bisherigen Saison so stark gemacht hat. So gesehen dürfte es einer der wichtigsten Siege der jüngsten Vergangenheit des FC St. Pauli gewesen sein, womöglich seit man das letzte Mal bei Hannover 96 gewonnen hat (20/21, Igor, Nachspielzeit – ihr erinnert euch bestimmt).

Ausruhen ist natürlich nicht, denn die Woche bis zum Rostock-Spiel ist sehr kurz. Der Schwung und das Selbstvertrauen aus der Partie bei Hannover 96 dürfen dafür aber umso lieber mitgenommen werden.Immer weiter vor!// Tim

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