FC St. Pauli gegen Hannover 96: Vorfälle im Gästeblock – zwei Tage danach | OneFootball

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·12. November 2023

FC St. Pauli gegen Hannover 96: Vorfälle im Gästeblock – zwei Tage danach

Artikelbild:FC St. Pauli gegen Hannover 96: Vorfälle im Gästeblock – zwei Tage danach

Auch mit etwas Abstand wühlen die Vorfälle im und am Gästeblock vom Freitag noch auf. Wir blicken erneut darauf, was geschah und wie es zu bewerten ist.Titelfoto: Stefan Groenveld

Ein Kommentar von Maik


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Was bisher geschah

Fassen wir kurz zusammen, was bekannt und bestätigt ist, als Grundlage dient auch unser bereits am Freitag verfasster Bericht. Es gab kurz vor Ende des Spiels laut übereinstimmender Aussagen eine körperliche Auseinandersetzung im Gästeblock. Die Polizei griff daraufhin ein und lief dazu durch ein Mundloch in den Stehplatzbereich des Gästeblocks. Es kam zu wilden Szenen im Block, die Polizei wurde nach ihrem Eintreffen selbst aus den umstehenden Bereichen der Kurve heftig attackiert. Die Situation eskalierte so sehr, dass das Spiel unterbrochen werden musste.

Nachdem die Polizei den Gästeblock wieder verlassen hatte, marschierte eine weitere Gruppe der Polizei aus Richtung Ecke Gegengerade / Nordkurve durch den Innenraum zum Gästeblock. Dabei wurde sie mit Gegenständen beworfen. Hauptsächlich handelte es sich dabei um Bierbecher und Fahnenstangen aus Plastik. Die Polizei ihrerseits sprühte mit Reizgas in den Stehplatzbereich des Gästeblocks.

Als diese Gruppe der Polizei auf der anderen Seite der Nordkurve den Innenraum wieder verlassen hatte, beruhigte sich die Situation langsam wieder. Es kam noch zu weiteren Würfen von Gegenständen (Becher und Fahnenstangen) aus dem Gästeblock, sowohl in Richtung Innenraum, als auch in Richtung Haupttribüne. Dabei wurde auch der Bereich der Rollifahrer getroffen, im dem sich auch Fans von Hannover 96 befanden.

Der Ordnungsdienst bemühte sich, den betroffenen Personen im Gästeblock bestmöglich zu helfen. Hierfür gab es sowohl von der Fanhilfe Hannover als auch zahlreichen Einzelpersonen viel Lob an alle Verantwortlichen. Nach dem Spiel wurde von der Feuerwehr ein „Massenanfall von Verletzten (MANV)“ ausgelöst. Mehr Details hierzu im Kommentar von Alex im Blogartikel von Freitag. Der FC St. Pauli veröffentlichte am Samstag eine Stellungnahme zu den Vorfällen. Laut dieser kam es im Bereich des Gästeblocks auch zu Übergriffen auf Sanitäter*innen und Rettungswagen.

Weitere Auseinandersetzungen gab es nach dem Spiel. Hierbei soll es (ebenfalls laut FC St. Pauli) zu Angriffen von St. Pauli-Fans auf die Polizei gekommen sein.

Der Anlass

Räumen wir zunächst mit den schnell kursierenden Gerüchten auf: Eine einzelner, anonymer Account auf Social Media gab an, ein St. Pauli-Fan hätte sich an einem Bannerklau versucht und sei daraufhin körperlich so sehr angegangen worden, dass dieser die „Hilfe“ der Polizei benötigt hätte. Dies verbreitete sich trotz großer Logiklücken erschreckend schnell, ungeprüft und unbestätigt. Die Polizei hatte dies nicht bestätigt. Sowohl der FC St. Pauli, als auch die Fanhilfe Hannover stellen dies anders dar. Laut der Stellungnahme auf fcstpauli.com sprechen „vorliegende Videoaufnahmen nicht dafür“, dass es sich um solch eine Bannerklau-Geschichte handelte. Die Fanhilfe Hannover schildert diese Situation wie folgt:

„Im Vorfeld kam es im Block zu Unstimmigkeiten zwischen zwei kleinen Gruppen an 96-Fans. Wie es in solchen Fällen im Fußballkontext üblich ist, halfen umstehende 96er, um die Situation schnell wieder zu beruhigen. Daraufhin entspannte sich die Lage wieder. Nach Rücksprache mit mehreren Augenzeugen und den betroffenen Personen selbst, widersprechen wir den getätigten Aussagen der Polizei Hamburg, dass ein Eingreifen zu irgendeinem Zeitpunkt notwendig war, um „Schlimmeres zu verhindern“.  Nach unseren Informationen gab auch der eingesetzte Ordnungsdienst eine entsprechende Einschätzung an die Polizei weiter, dass die Situation im Griff sei und ein Eingreifen zu keinem Zeitpunkt nötig erschien.„ Fanhilfe Hannover

Kein Anlass?

Wir kommen noch zur Frage, ob ein Eingreifen der Polizei in Fanblöcke überhaupt zu rechtfertigen ist und wie es sich mit dem Einsatz von Reizgas in ausverkauften Stadionbereichen verhält. Sollte diese Aussage des Ordnungsdienstes aber so erfolgt sein, wie es die Fanhilfe Hannover schreibt, so gab es keinen Anlass für die Polizei, den Block zu betreten. Die Sicherheit im Stadion obliegt zunächst einmal dem gastgebenden Verein beziehungsweise dem Ordnungsdienst und dieser hatte (zumindest laut der Aussage der Fanhilfe Hannover) alles im Griff.

Diese Beobachtung deckt sich auch mit den Berichten vieler Augenzeug*innen im Stadion selbst. Die Auseinandersetzung im Block schien beendet, bevor die Polizei eintraf. Der Vollständigkeit halber: Die Polizei stellt dies, wie erwähnt, anders dar und erklärte, dass man der Person helfen wollte und daher im Gästeblock einschritt.

Polizei im Stadion?

Ich erlaube mir hier eine kleine Nebendiskussion, bevor wir fortfahren.Die Diskussion „Ist das Stadion ein Bereich der Selbstregulierung, in den die Polizei nicht eingreifen darf?“ beschäftigt Fußballfans ja schon etwas länger.

„Ja, absolut!“ ist die Meinung vieler aktiver Fans, insbesondere der Ultràs. Wie unter anderem auch von Luca in der „Nach dem Spiel“-Folge ausgeführt, geht man bei dieser Ansicht davon aus, dass es keine Situation gibt, die man nicht untereinander sehr viel besser lösen könne, als es mit „Hilfe“ der Polizei möglich wäre. Folgt man der oben angeführten Aussage der Fanhilfe, spricht auch in diesem Einzelfall vieles für diese These, wenn die Situation denn bereits bereinigt gewesen ist.

„Nein, das Stadion ist kein rechtsfreier Raum!“ halten viele dagegen. Es ist die Aufgabe der Polizei als Staatsgewalt, Leib und Leben zu schützen und dies auch in einem Fußballstadion durchzusetzen. Die angegriffene Person sei zudem sicher froh über das Einschreiten gewesen. Auch Sachbeschädigung, wie die Zerstörung von Sanitäranlagen wurde von einigen Kommentierenden bei uns im Blog als valides Argument zum Einschreiten in einem Stadion angeführt.(Persönliche Anmerkung: Ob die angegriffene Person tatsächlich froh gewesen ist, weiß ich nicht. Zumindest laut Fanhilfe bestand dafür ja keine Notwendigkeit mehr.)

„Jein“ wäre dann wahrscheinlich meine Position. (Bitte die folgenden Absätze ganz lesen, bevor Ihr Euer Endgerät wütend an die Wand klatscht.)

Ich halte es einerseits für völlig unangebracht, sinnlos und durch nichts zu rechtfertigen, in einen vollen Gästeblock zu marschieren. Dies verursacht zwangsläufig Panik in viel zu engen Räumen, ein Ausweichen ist so gut wie unmöglich (am ehesten noch in den Innenraum, was zu weitere Problemen führt). Gleiches gilt im Übrigen selbstverständlich für jede Heimkurve.Ich kann nicht verstehen, welcher Vorteil hier durch einen Einsatz entstehen könnte. Und nein, „Die hätten den sonst totgeprügelt!“ lasse ich hier nicht gelten, dafür fehlt auch in diesem Fall jeglicher Beleg.

Dazu passend auch eine Meldung der MOPO, wonach in jenen Auseinandersetzungen kurzfristig ein Beamter so sehr in Bedrängnis kam, dass die Kollegen kurz davor standen „Nothilfe mit Schusswaffengebrauch“ zu leisten. Was für ein Wahnsinn, der gar nicht nötig gewesen wäre, wenn die Polizei nicht in den Block geschickt worden wäre. Diese „Beinahe-Konsequenz“ wird hoffentlich auch selbstkritisch Teil der internen Aufarbeitung sein. (Haha, ja, ich Naivling.)

Andererseits führen viele an, dass sie bei mehreren Vorfällen dankbar waren, dass die Polizei sie bei Angriffen gegnerischer Fans beschützt habe, beispielsweise jüngst beim Ligaspiel gegen Schalke 04. Ich glaube persönlich nicht, dass die Schalker Fans tatsächlich Jagd auf „Normalfans“ gemacht hätten, aber es ist natürlich leicht vorstellbar, dass dies bei anderen Vereinskonstellationen durchaus passieren könnte. Der Ordnungsdienst wäre hier (verständlicherweise) gegen ausgebildete Kampfsportler überfordert. In solchen Ausnahmefällen, in denen Unbeteiligte (außerhalb des eigentlichen Fanblocks) attackiert werden, kann ich da einen solchen Einsatz nachvollziehen, um jene zu beschützen? Ich beiße mir etwas auf die Zunge und versuche mich um eine Antwort zu winden – aber: Ja, in diesen Ausnahmefällen und in Ermangelung einer besseren Alternative (die da beispielsweise hieße: Plastikkäfig wie auf Schalke oder ausgebildeter Kampfmontur-Ordnungsdienst – was wieder andere Probleme mit sich bringen würde), würde ich dies als Zugeständnis zur Realität akzeptieren. Aber eben nicht in den Fanblöcken selbst.

Disclaimer: Dieser Absatz wird mir einiges an Kommentaren einbringen. Feuer frei – ich bitte lediglich darum, auch hier einigermaßen den Stil zu wahren und inhaltlich mehr als „Bist du dumm?“ zu schreiben. Versucht dann bitte auch (je nach Stoßrichtung), mir wahlweise zu erklären, wo genau der Sinn eines solchen Polizeieinsatzes in einem vollen Block liegt (gerne am Beispiel vom Freitag, unter Einbeziehung des „es war alles geklärt“-Statements) oder die Alternative zu einem Polizeieinsatz zumindest außerhalb der Fanblöcke aufzuzeigen, wenn (fiktives Beispiel, bisher eher aus Glück noch nicht eingetreten) 100 Mutanten die Ordnerkette überlaufen und Jagd auf das Sitzplatzpublikum der Nord machen. Hoffen wir, dass Letzteres so nie eintrifft und der Verein dies auch durch zusätzliche (bauliche und strukturelle) Maßnahmen für die Zukunft verhindern kann.

Eintreffen der Polizei im Gästeblock

Zurück zum Freitag: Auf Social Media kursierte ein Video, in dem recht gut zu sehen war, wie die Einsatzgruppe der Polizei das Mundloch betrat und hier bereits mit Reizgas hantierte. Dies geschieht an einem der beiden Mundlöcher zur Nord, die den Ein- und Ausgang für etwa 2000 Menschen zum Stehplatzbereich ermöglichen. Siehe hierzu auch obigen Tweet der Fanhilfe Hannover.In diesem Mundloch blieb die Gruppe dann stehen, die folgenden Auseinandersetzungen spielten sich größtenteils in genau diesem Bereich ab. Einige Fans flüchteten über den Zaun in den Innenraum. Es kam zu massiven Ausschreitungen. Die Beamten wurden mit Bechern und Fahnenstangen und wahrscheinlich vielem Weiteren beworfen und von beiden Treppenseiten angegriffen. Ihrerseits schlugen sie mit den behandschuhten Fäusten und Schlagstöcken in die Menge und versprühten mehrfach Reizgas.

Diese ganze Situation dauerte mehrere Minuten und führte zur Spielunterbrechung durch Schiedsrichter Hempel.

Staatsgewalt vs. Fußballfans

Auch hier ein kleiner Einschub zur Diskussion.„Sollen die denn da rein und sich verprügeln lassen?“ war einer der Sätze, die mich dann schon innerlich zucken ließen.

Nee, sollen die natürlich nicht. Er bringt uns aber wieder zurück zu jener vorher geführten Diskussion: Warum sollen die denn überhaupt da rein? Und einfach mal angenommen, die seien da wirklich auf „Rettungsmission“ gewesen, dem ja wie erwähnt von der Fanhilfe Hannover deutlich widersprochen wird: Dann holt man die Person da raus und geht wieder. Warum stehen die denn minutenlang in diesem Mundloch und blockieren somit auch noch einen Rettungsweg, während sie mit Reizgas um sich sprühen? Ich verstehe es nicht, ich sehe darin keinerlei Sinn oder gar Vorteil.

Ein anderer Aspekt: Angriffe auf Polizeikräfte werden besonders hart sanktioniert, man will damit das Machtmonopol des Staates schützen. Insofern ist auch die Aufregung verständlich und es gibt genug Law & Order-Stimmen, die dann auch eine harte Reaktion verlangen und rechtfertigen.Und natürlich ist Werfen von Gegenständen immer dumm und scheiße.

Aber. ABER! Wir reden hier über die Beweisfeststellungseinheiten (BFE) der Polizei, die in kompletter Kampfmontur und hochgerüstet in die Kurve marschieren. Mit locker sitzendem Reizgas, Schlagstock und voller Rüstung. Kein Bierbecher und keine Plastikfahnenstange erzeugt hier irgendeine Gefahr oder gar Verletzung. Dies wird umgekehrt bei Faustschlägen mit den verstärkten Handschuhen oder gar Schlagstöcken auf nicht mit Rüstung geschützte Fans durchaus anders aussehen.

Auch hier eine alte Diskussion: Ist beides gleich schlimm? Muss ein Polizist hier alles erdulden oder darf er sich wehren? Wenn ja, mit welchen Mitteln?Die Antwort liegt für mich hier auf der Hand: Verhältnismäßigkeit.Das Problem: Wenn man zig Leuten die gleichen Szenen zeigt, wird es sehr unterschiedliche Beurteilungen darüber geben, ob dies „verhältnismäßig“ war. Selbst in der Rechtsprechung – von der jeweils subjektiven Bewertung von Polizei einerseits und Fans andererseits ganz zu schweigen.

Resignierende Erkenntnis meinerseits: Ich habe für mich hier vor Jahren aufgegeben, an die korrekte Umsetzung von geltendem Recht zu glauben. Fußballfans sind wahlweise Freiwild oder Versuchskaninchen, an denen man entweder etwas ausprobieren oder im schlimmsten Fall sogar auslassen kann. Sollte das der Öffentlichkeit zuzumutende Maß überschritten werden, geht man nach zwanzig Schritten vorwärts im besten Fall einen Schritt zurück, meistens aber eher mit Trippelschritten zur Seite. Unterstützt von den Polizeigewerkschaften, die das Spiel über die Medien gut beherrschen.Beispiele hierfür gab es auch am Wochenende wieder, gestern unter anderem bei Spiel VfL Bochum gegen den 1. FC Köln.

Aufmarsch der Polizei im Innenraum vor der Nordkurve

Es folgte die nächste „Situation“. Aus Richtung der Ecke Gegengerade marschierte eine Staffel der Polizei durch den Innenraum vor der Nordkurve entlang. Erst in Richtung Gästeblock, dann weiter an diesem vorbei, zwischen Nord und Haupttribüne wieder aus dem Innenraum heraus.Diese Gruppe wurde aus dem Gästeblock heraus mit Bechern, Fahnenstangen und vielem weiteren beworfen. Als Reaktion darauf wurde, insbesondere im „hinteren“ Bereich zur Haupttribüne, der an den vorherigen Auseinandersetzungen nicht beteiligt war, Reizgas in den Block gesprüht.

Bier gegen Reizgas

Auch hier ein Einschub, auch hier die Frage der Verhältnismäßigkeit. Erneut der Hinweis, dass der Bewurf der Polizei mit Gegenständen selbstverständlich nicht erlaubt ist. Andererseits dürften Bierbecher und Plastikstangen keine bleibenden Schänden hinterlassen, die mehr als die Reinigung der Uniform erfordern.

„Ja, aber die einen mach dies, die anderen machen das.“Nein, das lasse ich hier nicht gelten. Wir reden hier über eine anonyme Masse auf der einen Seite und über eine mit entsprechenden Mitteln, Rechten und Pflichten ausgestattete Staatsgewalt auf der anderen Seite. Von Letzterer muss ich hier ein souveränes und vor allem den Vorgaben entsprechendes Verhalten erwarten dürfen – und der Einsatz von Reizgas in einem vollen Block ist aus meiner Sicht eben nicht verhältnismäßig, insbesondere wenn die sprühende Einheit nur mal eben am Block vorbeimarschiert. Bierbecherwürfe hin oder her.Soll jede*r Einzelne, der hier eines Bierbecherwurfes überführt wird, nach geltendem Recht zivilrechtlich belangt werden? Meinetwegen.Sollte gleiches dann erst recht für die Person im Amt gelten, die hier (siehe nächste Abschnitt) die geltenden Vorgaben nicht einhält? Auf jeden Fall… nur passiert dies leider noch viel weniger.

Reizgas

Ergänzender Einschub: Reizgas in Fußballstadien, generell.Es wird aktuell gerade häufiger angeführt, dass die FIFA „crowd control gas“ generell verbiete. Allerdings bezieht sich dies „nur“ auf die Ordner, insbesondere jene am Spielfeldrand (Seite 724 im FIFA-Handbuch, pdf) und nicht auf die Polizei, für die die FIFA (zum Glück?) keine Weisungsbefugnis hat.

Trotzdem ist dies natürlich eine wichtige Diskussion. Sollte die Polizei Reizgas in Fußballstadien einsetzen dürfen? Nun, in Anbetracht des Wahnsinns der Diskussion der letzten Tage, mag man spöttisch anführen, dass dies immer noch besser sei, als direkt zur Schusswaffe zu greifen.Ansonsten ist der Einsatz von Reizgas generell umstritten, siehe hierzu unter anderem die Erklärung von Amnesty International. In einem jüngst erschienenen Text des ballesterer äußert sich Polizeiwissenschaftler Rafael Behr zu den unterschiedlichen Stufen eines Maßnahmenkatalogs, mit mehr Bezug zum Fußball:

„Auf Stufe eins haben wir das Festhalten und den Faustschlag, auf Stufe zwei Hilfsmittel wie Pfefferspray und Wasserwerfer und auf Stufe drei die Waffen, zu denen auch der Schlagstock gehört.“ Polizeiwissenschaftler Rafael Behr im ballesterer

Zumindest für die Gruppe die sich hier im Innenraum bewegte, habe ich von Stufe 1 nichts gesehen.Was der Einsatz insbesondere in ausverkauften Stadien anrichten kann, zeigte sich auf besonders dramatische Art und Weise letztes Jahr in Indonesien.

Bewurf der Haupttribüne

Wir schrieben am Freitag davon, dass sich nach dem Abzug der Polizei die Situation beruhigte. Auf Facebook wurde der Artikel dafür vereinzelt stark kritisiert, da wir damit ignorieren würden, dass es danach noch deutliche Würfe von Bechern und Fahnenstangen in Richtung Haupttribüne gab. Hierbei wurde insbesondere auch der Rollibereich beworfen, in dem auf dieser Seite auch viele 96-Fans waren.

Ich schrieb es schon in diversen Situationen sehr häufig: Gegenstände werfen ist scheiße. Während Becher und Fahnenstangen der Polizei in Kampfmontur zumindest nichts antun werden, ist dies bei Fans untereinander anders, auch wenn da wahrscheinlich in den meisten Fällen keine großen Verletzungen vorkommen. Der Bewurf der Rolliplätze ist natürlich besonders perfide – ohne jetzt im Einzelnen mit werfenden Personen gesprochen zu haben, würde ich trotzdem mal davon ausgehen, dass dies eher Folgen / Reaktionen / Frust aufgrund des gerade vorher erfolgte Beschusses mit Reizgas waren, vielleicht auch in Richtung der Ordner, die hier in Sippenhaft genommen wurden und keineswegs gezielt. Dies macht es für die Beworfenen aber nicht besser, auch klar.

(Nachtrag: wie in den Kommentaren mehrfach angemerkt, stand auch in jenem Bereich noch Polizei, der die Würfe dann wohl galten.)

Weitere Vorfälle

Nach dem Spiel gab es den oben erwähnten, durch die Feuerwehr ausgelösten, Großeinsatz an der Gästekurve, inklusive Rettungswagen. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass es völlig bescheuert und sinnlos ist, diese Einsatzkräfte zu attackieren, wie der FC St. Pauli in seiner Stellungnahme berichtete.

Nach dem Spiel soll es laut Verein Angriffe auf Polizist*innen seitens FCSP-Fans im Stadionumfeld gegeben haben, inklusive einem verletzten Polizisten durch den Wurf einer Gehwegplatte. Selbstverständlich ist auch dies verboten – und vielleicht ein ganz guter Beleg dafür, was bei Bewurf mit Gegenständen tatsächlich passieren kann, sofern es sich nicht um Becher oder Fahnenstangen handelt. Gute Besserung daher auch an diese Person.

Fazit

Krankenhaus

Sportfans lieben Zahlen, lassen wir diese sprechen. Laut Polizei gab es 17 verletzte Einsatzkräfte und 15 verletzte Fans. Während die Dunkelziffer bei der Polizei irgendwo bei Null liegen dürfte, ist diese erfahrungsgemäß bei den Fans deutlich höher. Allein die Anzahl an Personen, die aufgrund des Reizgases behandelt werden mussten oder sich selbst mit dem Wasser der Ordnungskräfte notdürftig versorgten, dürfte im hohen zweistelligen, wahrscheinlich eher dreistelligen Bereich liegen. Im „Nach dem Spiel“-Gespräch schildert 96-Fan Tim eindrücklich, wie es ihm dabei erging.Ist diese Zahl aufgrund einer laut Fanhilfe bereits geklärten Auseinandersetzung als Ergebnis „verhältnismäßig“?

Mehrere Personen mussten zudem mit Platzwunden versorgt werden, laut unseren Informationen einige davon sogar im Krankenhaus. Hier ist zumindest anzunehmen, dass diese in den obigen Zahlen enthalten sind.

Und jetzt?

Ich fasse den Verlauf der nächsten Tage mal kurz zusammen: Es wird noch die ein oder andere Stellungnahme geben, inklusive der boulevardesquen Wortmeldungen der Polizeigewerkschaften. Die Polizei wird sich bei jeder Kritik immer darauf berufen, dass sie da jemandem helfen musste.

Der FC St. Pauli und Hannover 96 hinterlegen ihr Unverständnis und mahnen die Verhältnismäßigkeit an. Die DFL wird im besten Fall auch mitteilen, dass Fußballfans geschützt werden müssen, vielleicht aber auch nicht. Der DFB spricht eine Geldstrafe gegen Hannover 96 aus, schließlich wurde der Heilige Gral angefasst: Es gab eine Spielunterbrechung.

In einigen Monaten wird es dann noch eine kleine Anfrage durch Grüne oder Linke bei der Bürgerschaft geben, zu der die Polizei aus Ermittlungs- oder einsatztaktischer Sicht nichts sagen will. Wenn Weihnachten und Ostern günstig fallen, muss ein Beamter für ein paar Tage Innendienst machen.Beispiele dafür? Hunderte, zuletzt unter anderem bei jenem Fall von Polizeigewalt rund um das letzte Derby am Millerntor.

Fußballfans sind keine Engel, insbesondere für die Fanszene von Hannover 96 und in der Kombination mit anwesenden Fans des HSV möchte ich meine Hand für diese nicht ins Feuer halten. Ich würde sie sogar für die meisten noch nicht mal aus der Hosentasche ziehen. Trotzdem muss hier die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes seitens der Polizei gewahrt bleiben. Ich wiederhole mich: Für eine der drei Staatsgewalten müssen andere Regeln gelten, zurecht. Während es zum ersten Einsatz innerhalb des Mundloches hier offensichtlich unterschiedliche Ansichten gibt (ich dürfte meine Sichtweise klar gemacht haben), gilt dies umgekehrt hoffentlich nicht für die zweite Situation. Ohne (ausreichenden) Grund wurde aus dem Innenraum mit Reizgas in den Block gesprüht und damit eine sich gerade beruhigende Situation nochmal völlig grundlos angefeuert. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber wahrscheinlich versandet diese Geschichte mit der Zeit trotzdem.

Forza St. Pauli!// Maik

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