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·22. Juli 2020
FC-Legende Dieter Müller im Interview: „Der Abschied vom 1. FC Köln war vielleicht ein Fehler“

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·22. Juli 2020
159 Tore in 248 Bundesliga-Spielen für den 1. FC Köln, Deutscher Meister 1978, DFB-Pokalsieger 1977 und 1978, in denselben Jahren auch Torschützenkönig in Deutschland: Dieter Müller kann allein bei den „Geißböcken“ auf eine herausragende sportliche Bilanz blicken. Darüber hinaus war der einstige Torjäger noch Vizeeuropameister 1976 und wurde mit Girondins Bordeaux gleich zwei Mal französischer Meister (1984, 1985). Dazu prangt der Name des gebürtigen Hessens an einem ganz besonderen Rekord: Gegen Werder Bremen erzielte Müller im August 1977 gleich sechs Treffer in einer Partie – mehr als jeder andere in der Bundesliga-Historie.
Doch Müllers Leben außerhalb des Platzes war ein bewegtes: Seinen leiblichen Vater, einen ehemaligen Fußballspieler, lernt er erst im höheren Erwachsenalter kennen, wächst zunächst in bescheidenen Verhältnissen bei seinen Großeltern auf. Sein Adoptivvater Alfred Müller, ein betuchter Baulöwe und Förderer des talentierten Torjägers, stirbt früh und erlebt die große Karriere des Angreifers nicht mehr. Auch nach seiner Karriere spielt dem hochdekorierten Angreifer das Schicksal übel mit: Sein Sohn Alexander verstirbt mit nur 16 Jahren an Krebs, seine Schwester 2016 nach Alkoholproblemen. Wenige Jahre zuvor war Müller dem Tode selbst nur knapp von der Schippe gesprungen: Sein Herz steht 31 Minuten lang still, der einstige Nationalspieler überlebt nach einiger Zeit im Koma ohne größere Nachwirkungen.
Ein bewegtes Leben – über das die FC-Legende nun in Zusammenarbeit mit „kicker“-Journalist Mounir Zitouni eine Autobiographie verfasst hat. In „Meine zwei Leben“ erzählt Dieter Müller von den Rückschlägen und Nackenschlägen, aber auch von den Höhenflügen und Spielräuschen auf dem Platz, aus denen er positive Energie gewann. Spannende Einblicke in die glanzvollste Ära des 1. FC Köln mit Trainern wie Hennes Weisweiler, Rinus Michels oder Tschik Cajkovski inklusive. Über seine Zeit bei den „Geißböcken“, seine privaten und sportlichen Erlebnissen und noch viel mehr spricht Müller im großen effzeh.com-Interview.
Herr Müller, was hat Sie bewogen, das Buch nun auf den Markt zu bringen?
In den Gesprächen mit vielen Menschen wurde immer wieder gesagt „Mensch, du hast ja so viel erlebt mit vielen Tiefen und Höhen, da bietet es sich doch an, wenn du mal ein Buch schreibst“. Darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Zufälle im Leben gibt es ja nicht, denn in eben dieser Zeit habe ich dem „kicker“-Journalisten Mounir Zitouni, der in meiner Zeit als Präsident von Kickers Offenbach mein Spieler war, ein Interview gegeben, das eine sehr positive Resonanz erfuhr. Er sprach mich anschließend an und schlug vor, einen Verlag zu finden, der eine solche Biographie umsetzen kann. Zitouni hörte sich um und stieß unter anderem auf das Interesse des Edel-Verlags, der große Erfahrung hat. Ich habe einiges zu sagen, weil mein Leben mich vor große Herausforderungen gestellt hat. Dazu gehört unter anderem natürlich der Verlust meines Sohnes, so etwas nimmt man mit ins Grab. Ich habe ihn gepflegt, ein dreiviertel Jahr lang, da schaut man in die Abgründe der menschlichen Seele.
Wie fallen die erste Reaktionen aus?
Es sind schon unheimlich viele Resonanzen auf das Geschriebene bereits da und erfreulicherweise heißt es „Tolles Buch“. Zum Glück hat noch keiner gesagt: „Das ist nix.“ Hervorgehoben wird auch, dass es auch interessant und lustig ist. Es sind ja auch viele Anekdoten drin, zum Beispiel mit Tschik (Trainer Zlatko Čajkovski, Anm. d. Red.) oder mit Wolfgang Overath. Ich denke, es ist ein ganz gutes Buch geworden.
„Der FC hat zu der Zeit nach einem guten Mittelstürmer gelechzt.“
Das bekommt man hier in Köln bereits mit, es kommt nicht nur bei den Fans des 1. FC Köln gut an. Dann schauen wir doch mal auf Ihre FC-Karriere: Wer hat Sie eigentlich seinerzeit in Offenbach entdeckt und war verantwortlich, dass Sie 1973 von Offenbach nach Köln kamen. War es Karl-Heinz Thielen?
In Offenbach war Gyula Lorant mein Trainer und mit dem kam ich nicht zurecht. Der war furchtbar, das war menschenverachtend, was er gemacht hat. Mein väterlicher Freund damals war Herbert Widmayer, den ich von der Jugendnationalmannschaft kannte. Er hat Karl-Heinz Thielen den Tipp gegeben. Der FC hat zu der Zeit nach einem guten Mittelstürmer gelechzt. Sie hatten gerade 1973 das Pokalfinale gegen Netzers Gladbacher verloren, wo ihnen ein solcher Spielertyp fehlte. Und Thielen hat immer ein „Näschen“ gehabt, nicht umsonst war er als Manager ja sehr erfolgreich. Er hat mich geholt und war letztlich für den Wechsel verantwortlich.
Auf was für eine Mannschaft sind sie dann im Sommer 1973 beim 1. FC Köln gestoßen?
Es waren großartige Spieler! Wolfgang Overath hat mich nach einigen Trainingseinheiten rund um die Japanreise im Sommer direkt zur Seite genommen und gesagt: „Dieter, du bist eigentlich genau das, was wir brauchen.“ Eine sehr, sehr enge Bindung hatte ich zu Heinz Flohe. Ihm habe ich wirklich viel zu verdanken. Wolfgang aber auch, der sicher ein anderer Typ war. Während er der Weltklassespieler war, der aber trotzdem menschliche Qualitäten hat, war „Flocke“eher der Kumpeltyp. Beide haben mir auf jeden Fall viel geholfen.
Wie sind Sie mit dem Trainer „Tschik“ Čajkovski klar gekommen, der auch ein Typ für sich?
Tschik war ein toller Trainer, der aber eigentlich keinen richtigen Trainingsplan hatte. Overath hat mal zu ihm gesagt: „Hey Tschik, was machst du da für ne Scheiße?“ Unvorstellbar! Wir haben mal bei den Queens Park Rangers gespielt und Tschik hatte sich mal wieder nicht vorbereitet. Wir sind dann nur ein bisschen durch den Park gelaufen – Wolfgang hat ihn dann erinnert, dass er sich doch noch was anderes einfallen lassen sollte. „Hey Tschik, du hast nicht alle Tassen im Schrank, nun lass dir mal was einfallen.“ So war das damals. (lacht) Man muss aber sagen: Der Tschik hatte ein gutes Herz und sehr viel Ahnung von Fußball gehabt, aber was das Training anging: Nun ja! Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, heute gibt es zehn Trainer im Stab, die da was machen. Aber ich habe Tschik wirklich einiges zu verdanken, er war auch sehr gut zu mir. Mit Rudi Schlott habe ich auch noch gearbeitet, das war okay, aber er war eher der Lehrertyp. Dann kam der große Hennes Weisweiler, der seiner Zeit damals um zwanzig Jahre voraus war.
Bleiben wir noch einen Moment in der „Tschik-Ära“, da gab es ja diese unvergessenen Flutlichtspiele, zum Beispiel gegen Marseille und Nizza…
Ohhh ja!
Ihr habt euch damals unheimlich oft in einen Rausch gespielt, passierte das aufgrund der Radrennbahn, dieser tollen Mannschaft oder die Kombination aus beidem?
Es war sicher auch die Radrennbahn. Das war großartig, dieses enge Stadion und dazu natürlich die Spielertypen. Eine Geschichte zu Heinz Simmet passt dazu: Er hat sich immer ein wenig mit Bernd Nickel von Eintracht Frankfurt beharkt. In einem Spiel im Winter war es dann mal wieder soweit, Nickel wollte dem Simmet nach einem heftigen Zweikampf an den Kragen. Aber Heinz Simmet sagte dann nur: „Nickel, bald ist wieder Weihnachten, dann kannst du wieder Nüsse knacken“. Man muss wissen, der Bernd Nickel hatte eine Art Nussknackerkinn. Ich hätte mir fast in die Hose gepinkelt. (lacht) Simmet und auch einige andere, das waren eben „Typen“, die sind heute unvorstellbar. Als wir in Essen gespielt hatten, hat sich Willi „Ente“ Lippens mal mitten im Spiel auf den Ball gesetzt. So war das wirklich, die Ente wollte halt die Zuschauer grüßen. Wie gesagt: Typen! Simmet war so einer, dazu ein knallharter Gegenspieler. Auf dem Gang in der Radrennbahn, hat der Heinz die Gegenspieler … naja …
… mit psychologischer Kriegsführung bekämpft … Ja ja, genau (lacht).
So toll ihr phasenweise gespielt habt: Meister geworden ist der FC damals noch nicht. Ihr konntet das Niveau nicht konstant halten. Woran lag es?
Wir waren zwar immer im Europapokal, aber den ganz großen Coup haben wir da noch nicht geschafft. Erst, als Weisweiler kam, änderte sich das. Wolfgang Overath war sicher einer der größten Fußballer, mit denen ich gespielt habe. Aber er war natürlich als Mensch nicht ganz unproblematisch, weil er schon ein Egoist war. „Flocke“ war mehr der Teamspieler, der von allen geliebt wird. Aber so, wie der Hennes das dann mit Overath gemacht hat im Pokalendspiel 1977, als ich in den beiden Finals beide Tore gemacht habe, das war trotzdem nicht in Ordnung. Er hat den Wolfgang dermaßen abserviert, das geht nicht. Das hatte Overath nicht verdient, das hätte man anders lösen können.
„Wir waren zwar immer im Europapokal, aber den ganz großen Coup haben wir da noch nicht geschafft. Erst, als Weisweiler kam, änderte sich das.“
Aber Weisweiler hat dann Flohe zum Kapitän gemacht und hat ihm noch mehr Verantwortung gegeben. „Flocke“ stand immer ein bisschen im Schatten von Wolfgang Overath. Dieser stand ja zweimal im WM-Endspiel: Einmal gewonnen, einmal verloren. Dazu das Halbfinale 70 gegen Italien, das war ja ein ganz großer Spieler in der Nationalmannschaft. Aber im Verein: Das war schon gewöhnungsbedürftig. Wolfgang kam immer zwei Minuten vor Trainingsbeginn mit seinem Mercedes ans Geißbockheim. Die Spieler hatten teilweise auch Angst vor ihm. Und auch der Trainer. Was Wolfgang zum Tschik gesagt hat, danach hatten wir nicht mehr so einen Respekt vor dem Trainer gehabt. Der Hennes war der erste, der dann gesagt hat: „So, du musst eine halbe Stunde vorher (Trainingsbeginn, die Red.) da sein und musst das und das machen.“ Wenn sich jemand gegen ihn gestellt hat, dann gab es mit Wolfgang schon Probleme.
Wie war denn Ihr Verhältnis zu Weisweiler?
Der Hennes war „ene Buur“, das war ein ganz bauernschlauer, großartiger Trainer. Er hat Disziplin reingebracht und ein tolles Training gemacht. Er war ein Vordenker, der auch Einzeltraining gemacht und diverse Spielformen im Training umgesetzt hat. Das hatte Tschik alles gar nicht, der kam auf den Platz, hat ein Spielchen machen lassen und Standards, das war´s. Hennes war ein außergewöhnlicher Trainer, aber er war auch nicht ganz einfach. Ich kam ganz gut mit ihm zurecht, hatte aber auch meine Momente, wo ich ihn gehasst habe.
Eine Geschichte dazu: Meine Mutter wollte, dass ich den Jagdschein mache. Sie hatte ein Jagdgebiet, konnte aber selbst nicht schießen, also wollte ich es für sie machen. Das war eine schwierige Prüfung, die man machen musste, für die habe ich ein dreiviertel Jahr gelernt und gelernt. Einmal im Jahr gibt es dann die Möglichkeit zur Prüfung und die war an einem bestimmten Tag von 15 bis 18 Uhr im Kreishaus der Stadt. Da war natürlich normalerweise Training. Also ging ich zu Hennes: „Trainer, ich habe mich lange vorbereitet auf den Jagdschein, für meine Mutter. Können Sie mir trainingsfrei geben, damit ich die Prüfung machen kann?“ Er hat dann gesagt: „Jung, wat is dat? Ne Jachdschein? Wat määs do? Häste nit alle Tassen im Schrank?“ Da konnte ich also nicht hin. Ein Jahr später habe ich ihn dann aber gemacht und habe Hennes dann gar nicht mehr gefragt. Die haben dann im Kreishaus akzeptiert, dass meine Prüfung ein wenig später begann. Aber das war typisch Hennes Weisweiler. Er war hart, konsequent und bei aller Großartigkeit auch ein „Sauhund“. Ein kölscher Buur. Er hat auch viel Kölsch getrunken, stand aber am nächsten Morgen wie eine Eins auf dem Platz, das war ein Phänomen.
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Jagdschein passt ja eigentlich perfekt zu einem „Torjäger“. Die sechs Tore gegen Bremen, ein Rekord für die Ewigkeit?
Es kann passieren, dass er gebrochen wird, aber im Leben ist alles Bestimmung und wenn es sein soll, dann ist das so. Klar, ich freue mich, das der Rekord schon so viele Jahre (43 Jahre im August, Anm. d. Red.) besteht. Mir war nicht bewusst, dass der so lange hält, einige Spieler haben ja mal dran gekratzt. Aber es macht mich schon stolz, gerade als Spieler des 1. FC Köln, dass es so ist!
Der Sechs-Tore-Abend selbst: Ist da noch was in Erinnerung, es gibt ja bis heute keine TV-Bilder?
Ja, leider gibt es nur Fotos. Aber es ist schon noch präsent, aber das war ja unter der Woche, ich glaube, es war ein Nachholspiel und es hatte geregnet. Sechs Tore, das war schon unvorstellbar, aber es gab nur wenige Kölsch und ich bin früh ins Bett, weil das nächste Spiel bei den Bayern bevorstand.
Welches 3:0 gewonnen wurde, aber es war ja auch die Double-Saison. Wie war das, kurz vor Saisonende, man konnte ja nicht nur zwei Titel gewinnen, sondern auch zwei verlieren. Wie seid ihr mit dem Druck umgegangen?
Wir konnten schon ganz gut mit Druck umgehen, waren erfahren. Ich alleine stand ja dreimal im Pokalfinale, zweimal gewonnen, einmal verloren. Wir hatten gute Typen in der Mannschaft, zum Beispiel einen Gerd Strack. Der war bescheiden, aber der Respekt vor ihm war da. Wir hatten eine gute Kameradschaft untereinander, wir haben uns gegenseitig respektiert, miteinander geredet. Ohne das kannst du keinen Erfolg haben. Heinz Flohe hat das aber auch alles vorgelebt, mit seiner Art als Mensch.
Am 29. April 1978 wurde dann auch der Meisterdeckel draufgemacht. Sie haben am letzten Spieltag nicht getroffen, aber das fünfte Tor mit vorbereitet. Vorbereiter Müller?
Dazu muss ich sagen: Ich war in den Wochen zuvor ein wenig angeschlagen und hatte daher nicht das hundertprozentige Niveau, was ich sonst um diese Zeit hatte. Wegen einer Verletzung am Knie bin ich am letzten Spieltag auch gespritzt worden. Da gibt es auch eine Szene, wo ich auf der Torlinie ein bisschen zu spät komme. Wenn ich zu 100 Prozent fit gewesen wäre, dann wäre mir das nicht passiert, dann hätte ich das Ding reingemacht. Mit dem Gedanken „Ich mache das für die Mannschaft“ bin ich ins Spiel gegangen, aber die letzten vier, fünf Spiele war ich nicht mehr so überragend wie sonst.
Was aber reichte, um Torschützenkönig zu werden …
Genau, damals mit Gerd Müller zusammen. Allerdings habe ich auch viele wichtige Tore gemacht, zum Beispiel in Kaiserslautern oder in München. Es waren spielentscheidende und sehr wichtige Treffer dabei. Aber in St. Pauli war ich halt angeschlagen.
„Hauptsache, wir sind Deutscher Meister geworden! Was danach kam, das war grandios. So viele Menschen habe ich noch nie gesehen. Da war Köln zu klein!“
Es sollte kein Vorwurf sein, ich wollte ihre Torvorbereitung von Okuderas unvergessenen Kopfballtorpedo hervorheben …
Ja, stimmt. Das war ein schöner Angriff. Aber Hauptsache, wir sind Deutscher Meister geworden! Was danach kam, das war grandios. So viele Menschen habe ich noch nie gesehen. Da war Köln zu klein …
Ganz toll, vor allem weil mir Hannes Löhr sehr geholfen hat. Also ich habe diese Stadt geliebt und liebe Köln heute noch. Die Menschen sind speziell, aber ehrlich. Es war mit die schönste Zeit in meinem Leben.
„Ich habe diese Stadt geliebt und liebe Köln heute noch. Die Menschen sind speziell, aber ehrlich. Es war mit die schönste Zeit in meinem Leben.“
Der Wechsel nach Stuttgart folgte 1981, wie kam es dazu? Man hat Sie – heute kaum zu glauben – trotz ihrer vielen Tore auch ab und kritisiert?
Ich habe wirklich viele Tore gemacht, das stimmt. Aber dann hat man auch mal eine Saison, wo man ein bisschen schwächer ist. Dann bin ich auch mal zum damaligen Trainer Rinus Michels gegangen, mit dem ich ein gutes Verhältnis hatte, und habe ihm gesagt, dass ich jede Saison so meine 20 Tore mache und trotzdem eine kleine Unzufriedenheit zu spüren ist. Darauf meinte er, dass man nicht immer überragend sein könne und vielleicht sollte man über einen anderen Verein nachdenken. Parallel kam das Angebot von Stuttgart, damals ja auch ein Spitzenverein, und dann habe ich das wahrgenommen. Ich habe ja jahrelang meine Tore für den FC gemacht, aber irgendwie hatte sich was verändert. Vielleicht war es im Nachhinein ein Fehler, aber ich wollte etwas anderes machen und wollte mal weg vom FC.
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Nach der kurzen Zeit in Stuttgart zog es Sie zu Girondins Bordeaux nach Frankreich und es kam wieder großer Erfolg. Wie werten Sie diese Zeit?
Nach der Enttäuschung in Stuttgart war es in Frankreich dann natürlich großartig. Dort habe ich mit hervorragenden Fußballspielern zusammengespielt wie Giresse und Tigana. Dazu Marius Tresor hinten drin, ein Bernard Lacombe vorne, das war ja die Creme de la Creme. Das alles hat mich weitergebracht, als Fußballer mit 46 Toren, die ich da in drei Jahren gemacht habe. Aber auch als Mensch, denn man konnte gemütlich ein Glas Wein trinken und hatte auch den Respekt der Menschen dort gewonnen.
Sie haben in der Tat überall ihre Tore gemacht und die Zahlen sind überragend. Nach Frankreich klang die Karriere aber langsam aus …
Von etwa 1973 bis etwa 1985/86 habe ich mein ganz großes Niveau spielen können. Da gab es aber auch mal zwischendurch Probleme, in Köln hatte ich zwischendurch beispielsweise mal die Tuberkulose gehabt. Aber sonst konnte ich ein hohes Niveau in diesem Zeitraum spielen.
Es stellt sich nur die Frage, warum Bundestrainer Helmut Schön das nicht verstanden hat?
Ja, es gab einen großen Konkurrenzkampf, weil nicht nur einer oder maximal zwei Spieler – so wie heute – die Position des Mittelstürmers spielen konnten. Damals gab es Hrubesch, Klaus Fischer, Rummenigge und viele andere. Es war auch ein bisschen Pech dabei. Bei der Europameisterschaft 1976 schießt Hoeness den Elfmeter drüber, wirst du da stattdessen aber Europameister, hast du gleich ein anderes Standing. Dann habe ich 1978 eine irgendwie komische WM gehabt. Ich bin aber dennoch dankbar und ob ich jetzt dreißig oder vierzig Länderspiele oder zwölf Länderspiele habe, das ist doch im Leben gar nicht so wichtig.
Privat haben Sie ja auch vieles erleben müssen, den Tod Ihres Sohnes haben Sie eben angesprochen. Warum haben Sie es von sich aus im Buch thematisiert?
Es gibt viele Menschen, die so etwas erlebt haben, die verbittert sind. Nun habe ich mich ja mit Glaubensfragen beschäftigt, mit Religionen. Ich hatte fünfzehn tolle Jahre mit meinem Sohn, auch wenn wir teilweise getrennt lebten. Wir hatten aber ein ganz, ganz enges Verhältnis. Nach seinem Tod, da war es dann zwei Jahre lang brutal schwierig, da habe ich auch zu viel getrunken. Es gab viele melancholische Momente, aus denen ich mich natürlich versucht habe herauszuholen. Im Buch habe ich ja geschrieben: Das Schicksal kann ein mieser Verräter sein. Aber ich bin ja nicht alleine auf der Welt, es gibt viele Schicksale. Ich habe halt versucht, diese Extreme darzustellen.
2012 hatten Sie dann den Herzinfarkt und gelten ja fast schon als medizinisches Wunder, weil ihr Herz 31 Minuten stillstand …
Ja, das stimmt. Goethe hat mal gesagt: „Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen“. Da ist viel drin, es sollte halt nicht sein. Das war Glück, dass meine Frau nach Hause kam, mich fand und nach dem sofortigen Notruf einen kompetenten Mann am Hörer hatte, der sie beruhigt hat und von den Maßnahmen her alles richtig gemacht wurde. Das ist dann auch viel Schicksal und auch Glück, dass minimale Entscheidungen in dem durchgreifenden Augenblick die richtigen waren.
Herr Müller, auch wenn ich jetzt noch drei Stunden mit Ihnen reden möchte … aber die Leute sollen ja ihr Buch lesen. Also danke ich Ihnen vielmals und wünsche Ihnen alles Gute und vor allem Gesundheit.
Vielen Dank und alles Gute.
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