
Vertikalpass
·29. Juni 2020
Eine reine Legende

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·29. Juni 2020
Man kann Mario Gomez nicht viel vorwerfen. Seine aktuelle Frisur vielleicht. Seinen Wechsel zu Bayern München auf jeden Fall. Und natürlich, dass er keine 25 mehr ist und alles in Grund und Boden schießt. Aber dafür kann er nichts.
Das ist Gomez’ Hauptproblem gewesen bei seiner Rückkehr nach Stuttgart: Wir alle haben den jungen Gomez vor Augen gehabt. Ein Kerle wie ein Baum, ausgestattet mit einem untrüglichen Torinstinkt. Den hatte er bei seinem Comeback immer noch und kleiner und schmäler ist er auch nicht geworden. Nur ein bisschen langsamer. Und deshalb präsentierte er sich bei seinem zweiten Engagement nicht mehr als die absolute Tormaschine. In der Rückrunde 2017/2018 kamen dennoch Erinnerungen hoch an den jungen Gomez. Unvergessen die Aussage des schlechten Verlierers Julian Nagelsmann: „Diesen Haken vor dem 2:0 habe ich von Gomez schon gefühlt 4,7 Millionen Mal gesehen und wir fallen drauf rein!“, als Gomez zwei Tore gegen Hoffenheim schoss. Zu verteidigen war es dennoch nicht.
Aber ab der Saison 2018/2019 war Mario nicht mehr so fresh, oder um ihm Bild zu bleiben: Der Baum war ein bisschen morsch geworden und er stand oft windschief im Strafraum rum. Lange Zeit dominierte auch die Naivität bei Fans, Club-Verantwortlichen und womöglich Mitspielern, zu glauben, er richte es schon alleine. Doch das ist schon lange her. Zudem fand kein VfB-Trainer ein Spielsystem, in dem Gomez seine Qualitäten so richtig ausspielen konnte. Nur den Ball in den Strafraum löffeln – wie zuletzt gegen Darmstadt – das ist 2020 zu wenig, selbst in der zweiten Liga.
Aber Gomez war auch abseits des Platzes wichtig. In seiner neuen Rolle des Swabian Elder Statesman schloss er auch ein bisschen die Wunde, die er mit seinem Wechsel zu Bayern München bei vielen riss. Was war ich wütend, als das damals bekannt gegeben wurde! Ihm stand die Welt doch offen: Manchester, Chelsea, Madrid, Barcelona! Aber er wechselte lieber ins piefige München und ist kurze Zeit später ein eingebürgerter Bayer, mit Lederhose, Mia-san-mia-Geschwätz und allem drum und dran. Er wurde dort zum Stenz, war Mitglied der sogenannten „Gärtnerplatz-Gang“, deren Chef Bastian Schweinsteiger war und zu der auch Holger Badstuber und Manuel Neuer gehörten. Diese Runde saß nach dem Training in den Cafés rund um den Gärtnerplatz und versuchte sich an einem Monaco-Franze-Leben.
Nicht nur, dass er zu den Bayern ging, schmerzte. Ich sah damals durchaus die Chance, dass der VfB Stuttgart den nächsten Schritt machen kann, sich fest unter den ersten Drei etablieren könnte. Einer wie Gomez machte den Unterschied, er traf aus allen Lagen und mit allen Körperteilen. In den drei Saisons zwischen 2007 und 2009 schoß Gomez 57 Tore bei 19 Assists, der VfB wurde Erster, Sechster und Dritter.
Mit seiner Rückkehr Gomez bediente Gomez die Romantik, dass der VfB „sein Verein“ sei. Oli Dittrich alias „Ditsche“ würde sagen: „Er ist eine reine Legende!“. Das ist er natürlich. Wegen seiner Rückkehr, jedoch vielmehr wegen seiner Leistungen 2007 bis 2009, aber auch weil er den KSC’ler Maik Franz als Arschloch bezeichnete, vielleicht die beste Aktion seiner gesamten Karriere.
Viele Spitznamen hat Gomez sich im Verlauf seiner Karriere verdient: vom Stolper-Hannes zum Torero, vom Schönling zum Chancentod, von Sankt Mario zum VARio. Und wund gelegen haben soll er sich auch einmal, wie Mehmet Scholl einmal meinte. Ich mochte Scholl und seine Unverschämtheiten eigentlich immer, aber seitdem hat er es bei mir verschissen. Dazu passt, dass er in Zukunft BILD-„Experte“ wird.
Gomez hat viel erlebt und Rückschläge – davon gab es einige in seiner Karriere – stets demütig und ohne öffentliches Lamentieren hingenommen. Mit den Jahren wurde er immer gelassener und selbstironischer, gerade weil er wusste, was er schon erreicht und geleistet hatte. Er ist einer der größten Stars, die der VfB hervor gebracht hat und er trägt den Brustring im Herzen. Bei seinem ersten Spiel nach seiner Rückkehr im Januar 2018 sagte er: „Das hier ist das Stadion, in dem alles angefangen hat. Ich habe mich an mein erstes Spiel erinnert, und wie außerirdisch sich das angefühlt hat.“
Viele seiner Leistungen für den VfB haben sich auch außerirdisch angefühlt. Danke, dass wir dabei sein durften, Mario!
Zum Weiterschauen: Mario Gomez zu seiner Zweitligasaison (Video): „Diese Widerstandsfähigkeit der Gegner, dieses „Ich geb’ alles“, ganz egal wie die Situation ist, das hat mich überrascht“
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Foto: Stuart Franklin/Bongarts (Getty Images)
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