Eine leere Spieluhr mit leicht kaputter Mechanik | OneFootball

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Textilvergehen

·13. April 2024

Eine leere Spieluhr mit leicht kaputter Mechanik

Artikelbild:Eine leere Spieluhr mit leicht kaputter Mechanik

In den finalen Bildern von Annekatrin Hendels Doku „Union – die Besten aller Tage“ sieht man Dirk Zingler, der im Begriff ist, sein Forsthaus Büro für Renovierungsarbeiten zu räumen. Er sitzt inmitten von Umzugskartons und betrachtet mit einer gewissen Nostalgie eine bronzene Spieluhr in Form eines Fußballs, die er ein paar Szenen vorher bereits als Zigarettenaufbewahrung enttarnt hat. Die Spieluhrmechanik ist etwas lädiert, der Fußball dreht sich nicht mehr wirklich, allein die Unionhymne, die die Spieluhr spielt, ist noch klar zu vernehmen.

Dirk Zingler, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten seit einem Jahr Nichtraucher, hat keine wirkliche Verwendung mehr für seine bronzene Zigarettenspieluhr, betrachtet sie aber doch in einem stillen Moment mit einer Sentimentalität voller vermeintlicher Erinnerungen, die nur er kennt.


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Diese Szene steht vermutlich mehr als alle anderen sinnbildlich für den ganzen Film: Eine Reihe von Momenten, in die jeder Zuschauer seine eigene Sentimentalität mitbringt, die aber nüchtern betrachtet nicht viel mehr als eine leere Spieluhr darstellen, die nicht hundertprozentig funktioniert.



Eine Dokumentation – worüber?

Dokumentationen leben wie im Prinzip alle Medien von fokussiertem Storytelling; etwas, das auf den ersten Blick widersprüchlich wirken mag, da Dokumentationen den Nimbus haben, „echtes Leben“ abzubilden, keine Fiktion. Als solche sind sie natürlich stark davon abhängig, was „das Leben“ so hergibt an Geschichten, die man erzählen kann.

Umso wichtiger ist jedoch ein klarer Fokus auf das Stückchen „echtes Leben“, was man dem Zuschauer näher bringen möchte. Dazu gehört auch ein klares Buch, was den Gegenstand der Betrachtung klar umreißt, definiert und alle Erzählstränge an diesem fokussiertem Framework aufhängen kann.

Der Ansatz, eine Dokumentation „über Union“ zu drehen, ist dafür zu allgemein und groß gehalten. Der Film mäandert von Anfang an von einem Bestandteil des Vereins zum anderen, ohne dem Zuschauer wirklich die Möglichkeit zu geben, sich auf verschiedene Storyelemente einzulassen und Halt in einzelnen Erzählsträngen zu finden.

Relativ am Anfang wird ein offensichtlicher Konflikt zwischen der Marketing-Abteilung und der Grafik-Abteilung gezeigt, in der es darum geht, in welcher Farbe und wie kontrastreich der Schriftzug des Hauptsponsors auf den neuen Trikots erscheinen kann. Lässt man sich als Zuschauer darauf ein, wird man nicht etwa mit einer auserzählten Auflösung dieses Konflikts belohnt, die zeigt, welche Überlegungen und Diskussionen mit welchen Protagonisten zum letztendlichen Ergebnis geführt haben. Der gesamte Erzählstrang wird schlicht fallengelassen, und nur durch das gezeigte Foto-Shooting in den neuen Trikots bekommt man so etwas wie eine Auflösung in Form des gewählten Schriftzugs. Der erzählerische Fokus während des Shootings allerdings liegt auf der Tatsache, dass bei Union auch Fans in den Werbematerialien für die Trikots vorkommen.

Ähnlich unfokussiert wird leider mit fast allen Bestandteilen umgegangen: Die Choreos der Ultras, die finanziellen Aspekte des unerwarteten Erfolgs, die Arbeit von verschiedenen Teilen des Vereins hinter den Kulissen – an Spieltagen und in Vorbereitung dieser. Alles wird angerissen, nichts wirklich auserzählt.

Negativ betrachtet wirkt der Film wie eine Geschichte, die einem ein Sechsjähriger erzählt und die in der „… und dann… und dann… und dann“-Haftigkeit von Dingen hängenbleibt, die hintereinander passieren. Positiv betrachtet ergibt sich so ein Mosaik aus teilweise ineinandergreifenden Vereinsstrukturen, in die man als Zuschauer eintauchen kann, die einem aber doch in ihrer Gänze verborgen bleiben, und von denen man nur Bruchstücke präsentiert bekommt.

Über all diesen Mosaiksteinchen steht die Erzählung eines Vereins, der mit unerwartetem Erfolg klarkommen muss, und was das mit den Menschen macht, die für diesen Verein arbeiten. Diese Erzählung gelingt durch den fehlenden Fokus auf spezifische Mosaiksteinchen leider nur bedingt. Zu groß ist das Gesamtbild, was der Film zu zeigen versucht, zu vielfältig die Facetten, die der Zuschauer präsentiert bekommt. Eine Reduktion auf zwei oder drei klare Erzählstränge hätte dem Film gut getan. Welche Dimensionen bedeutet der unerwartete Erfolg finanziell für den Verein? Was ändert das für die Mitarbeiterinnen hinter den Kulissen? Diese zwei Facetten, ausführlich erzählt und in Kontrast gesetzt, hätten dem Film mehr Fokus gegeben und dem Zuschauer einen zwar beschränkteren Einblick in das Gesamtkonstrukt „Union“ gewährt, aber dieser beschränkte Einblick wäre runder gewesen.

Artikelbild:Eine leere Spieluhr mit leicht kaputter Mechanik

Leiterin Kommunikation Profifußball Katharina Brendel, Foto: Weltkino Filmverleih GmbH

Eine Dokumentation – für wen?

Jeder Fan, der länger als fünf Minuten mit Union zu tun hat, wird Susi Kopplin kennen und lieben gelernt haben. Ob allerdings selbst langjährige Mitglieder notwendigerweise Katharina Brendel kennen und ihre Aufgaben im Verein verstehen, ist wohl eher fraglich. Geht man noch einen Schritt weiter zurück und stellt sich einen fußballinteressierten Nicht-Union Fan vor, so wird dieser wohl maximal Dirk Zingler auf der Leinwand (er)kennen. Mit dem Rest der porträtierten Menschen werden sich Vereins-Außenstehende eher schwer tun.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Film sich keinerlei Mühe macht, seine Protagonisten vorzustellen. Man wird als Zuschauer ins kalte Wasser geworfen, muss sich Namen und Gesichter nach und nach erarbeiten, und die genauen Verantwortlichkeiten bleiben bis zuletzt eher unklar. Bei den gezeigten größeren Runden, wie z.B. der bereits erwähnten Diskussion um die Farbe des Namenszugs des Hauptsponsors auf dem Trikot, bleiben etliche Teilnehmer sogar namens- und funktionslos, werden nicht vorgestellt oder eingeordnet.

Auch das ist ein Element, das den Zuschauer um dringend benötigten Halt bringt, und einen immer wieder einen halben Schritt zurückwirft, wenn es darum geht, den Szenen zu folgen, die sich vor einem abspielen. Es dauert eine Weile, bis man sich alle „wichtigen“ Gesichter erarbeitet hat und einordnen kann, wer da gerade worüber spricht auf der Leinwand.

Dieser Umstand ist besonders verwirrend, da die Zielgruppe des Films dadurch erheblich eingeschränkt wird. Die versammelten Unionfans in der Vorführung, in der ich den Film sehen durfte, wussten sicherlich in großer Mehrheit Bescheid, wer da gerade auf der Leinwand gezeigt wurde. Der interessierte Außenstehende wiederum hätte sich schwer getan, wenn es darum geht, Interesse dafür aufzubringen, wenn Steffi Vogler und Katharina Brendel auf der Leinwand erzählen, wie sie intern zu ihren Jobs gekommen sind.

Eine kurze Untertitelung mit Namen und Aufgabe der jeweils gezeigten Personen hätte hier mehr Struktur verliehen und den Einstieg für den Zuschauer erheblich erleichtert.

Eine Dokumentation?

Eventuell ist all diese Kritik aber auch gar nicht angebracht. Eventuell ist der Film ja gar nicht als Dokumentation gedacht. Eventuell ist er schlicht ein Liebesbrief an eine verrückte Zeit, die jeder Unionfan auf seine eigene Weise erlebt hat. Und wie jeder gute Liebesbrief muss er Außenstehende, die nicht Teil dieser Beziehung sind, eher ratlos zurücklassen, aber für die Liebenden bedeutet er alles.

Als neutraler Kinobesucher saßen sicherlich viele Zuschauer und schauten ob der angesprochenen Schwächen hier und da ein wenig hilflos auf die Leinwand. Diejenigen, die Teil der gezeigten Liebesbeziehung sind, schwelgen in Erinnerungen, erfreuen sich an der genialen Einbindung von Taktik&Suff, die so herzallerliebst auf allen Ebenen funktioniert, betrachten wehmütig die gefühlt 50% Personal, die der Film zeigt, die längst nicht mehr bei Union tätig sind, und ziehen sich zurück in ihre eigene Erinnerungswelt. Immer wieder angestoßen von den Mosaiksteinchen, die für Außenstehende so verwirrend scheinen.

So sind es am Ende wir, die Unionfans, die wie Dirk Zingler ein bisschen wehmütig, ein bisschen sentimental und ein bisschen nostalgisch auf diesen Film schauen als wäre unser aller bronzene Spieluhr. Die Spieluhr, die sich vielleicht nicht immer problemlos dreht, die vielleicht ohne die Zigaretten von einst ein bisschen leerer daherkommt. Solange sie aber immer noch problemlos die Hymne spielt, wird sie für jeden Einzelnen das verkörpern, was diese Zeit ausgemacht hat, in der Union international spielte.

Und vielleicht ist das auch völlig in Ordnung so.

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