Der-Jahn-Blog
·23. Januar 2025
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·23. Januar 2025
Diese Überschrift war einmal in der „Berliner Illustrierten“ zu lesen. Eine Überschrift, wie sie wohl nur einmal geschrieben wurde: Wir schreiben den 4. Dezember 1935. Noch nie zuvor hatte eine gegnerische Nationalelf in England gewonnen. Für viele der deutschen Nationalspieler war der Flug von Berlin nach London der erste ihres Lebens. Damals waren Flugreisen noch viel rustikaler als heutzutage und etwas ganz Besonderes – ebenso wie das folgende Spiel in Tottenham, ein wohl unvergessliches Erlebnis. Und mittendrin: eine großgewachsene Jahn-Legende.
Fast 90 Jahre später ist die Stimmung um den Jahn so niedergeschlagen wie lange nicht mehr. Flüchten wir uns also für einige Minuten in die goldene Vergangenheit eines Spielers, der fast schon wie ein Mysterium über dem heutigen Verein steht. Wenn ihr mehr über sein Wirken im Verein erfahren wollt, schaut gern in unseren ersten Teil rein. In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit seiner Karriere in der deutschen und westeuropäischen Nationalauswahl. (Foto: Jahnarchiv)
Beginnen wir jedoch chronologisch am Anfang seiner Laufbahn im deutschen Nationaldress. Über die genaue Berufung ist nicht sehr viel bekannt. Man darf aber vermuten, dass der damalige Nationaltrainer Otto Nerz wohl ein Jahn-Pflichtspiel der Saison 1930/31 besucht haben muss, die damals noch Süddeutsche Meisterschaft genannt wurde. Daraufhin wurde Jakob vor dem nächsten Länderspiel in den Kader der Nationalmannschaft berufen. Natürlich verspürte er vor diesem Spiel viel Nervosität, für den Kasten Deutschlands auf dem Feld zu stehen. Er meinte später, dass er aber unbedingt die Chance nutzen wollte, sich zu beweisen. Gespielt wurde in der heute polnischen Stadt Breslau.
Genau das tat der damals 23-Jährige gegen Norwegen, auch wenn er sich weit Schlimmeres ausgemalt hatte. Der Regensburger beschwerte sich sogar über eine weitestgehende Beschäftigungslosigkeit während des Spiels. Zunächst ging auch alles nach Plan: Hanke besorgte die 1:0-Führung für Deutschland. Gegen unhaltbare Fernschüsse sind aber selbst großartige Torhüter sehr häufig machtlos, so auch offenbar in der 72. Minute: Ein Fernschuss von Gundersen stellte den 1:1-Endstand her. Kein perfektes Debüt also, auch wenn Jakob mit einer guten Leistung alle haltbaren Bälle hielt.
Kritik ernteten die Verantwortlichen des DFB nach dem Spiel u. a. von der Vossischen Zeitung aus Berlin, die heute im Übrigen ein unfassbar detailliertes und frei einsehbares Online-Archiv umfasst. Darin heißt es, dass es bei Vereinen immer mehr in Mode käme, dass die Vereinsverantwortlichen entscheiden, ob die Spieler zur Nationalmannschaft reisen werden. Eine Debatte, die auch heutzutage immer wieder vor Länderspielpausen aufflammt. Weiter hieß es in der Vossischen Zeitung: „Gut waren in der deutschen Mannschaft vor allem der Tormann Jakob, der im letzten Augenblick noch eine Niederlage abwenden konnte […]“.
Nach dem Spiel hieß es in einer anderen, nicht namentlich genannten Zeitung: „Jakob hat sein Debüt glänzend bestanden. Obwohl er eigentlich in der ersten Halbzeit nicht übermäßig beschäftigt war, konnte er durch seine Fang- und Spielweise sehr imponieren, und durch seinen ersten Abschlag, der 90 Meter im Feld landete, forderte er die Massen schon zu einer begeisterten Kundgebung heraus. Seine Größe, Wendigkeit, seine Entschlusskraft und nicht zuletzt die kühne Spielweise […] stempeln ihn zu einem vielversprechenden Talent.“
Auf diesen Einstand folgte aber so schnell kein Spiel mehr. Mehrere Kopfverletzungen bremsten Jakob im folgenden Jahr 1931 aus. Auch war die Konkurrenz, speziell auf der Torwartposition, sehr stark. So war Willibald Kreß (aktiv bei Rot-Weiß Frankfurt, dem FC Mulhouse, dem Dresdner SC und dem FSV Frankfurt) über die kommenden Jahre Jakobs größter Konkurrent. Machen wir nun einen großen Sprung: Vier Jahre später ist Hans Jakob im Zenit seiner Karriere und kommt nun auch öfter in der Nationalelf zum Einsatz.
Eine Sache gab es schon vor gut 90 Jahren vor den großen Turnieren: ein Trainingslager für die Nationalmannschaft, das zusammenschweißt und so als Grundstein für große Erfolge dienen kann. Genau das geschah auch vor der WM 1934: Nachdem man in Deutschland mit feinen Anzügen eingekleidet worden war, ging es mit dem Bus an den Lago di Como. Ausgelassen tobten sich Jakob und seine Kameraden am See aus. Natürlich wurde auch gemeinsam trainiert, jedoch wirken heutzutage viele Schilderungen der damaligen Geschehnisse mehr wie die einer Klassenfahrt:
Gemeinsame Raufereien und Paddelrennen wurden gekrönt von einem Bad an der berühmten Villa d’Este in Cernobbio. Das Luxushotel, das schon als Kulisse für einen Hitchcock-Film diente, war damals schon ein Treffpunkt für gehobene Leute. Umso seltsamer muss den Gästen ein Haufen deutscher Nationalspieler vorgekommen sein, die dort, im Lauf der Vorbereitung auf die WM, baden wollten. So gingen die Spieler, darunter auch Hans Jakob, im Gänsemarsch und mit Badetüchern durch den Garten der High Society und sprangen in den See.
Natürlich waren das wohl nur die schönen und besonders lustigen Momente des Trainingslagers. Es stand erst die zweite Fußball-Weltmeisterschaft überhaupt und die erste WM mit deutscher Beteiligung an. Deswegen darf man davon ausgehen, dass am Lago di Como wohl vor allem hart für das Turnier trainiert wurde. Das musste sich für die Mannschaft ausgezahlt haben, auch wenn damals viel weniger Spiele für den großen Erfolg ausreichten. Im Vorlauf qualifizierte sich Deutschland in einer Dreier-Qualifikationsrunde für die WM: Nachdem sowohl die Deutschen als auch die Franzosen Luxemburg deutlich besiegen konnten, war das eigentlich noch nötige Spiel zwischen Deutschland und Frankreich fällig. Man einigte sich allerdings darauf, dass man nicht mehr spielen müsste, da beide Länder schon für die WM qualifiziert waren. Ein heute undenkbarer Vorgang.
Bis zum letzten Spiel der Deutschen im Turnier war der Torwart Willibald Kreß eigentlich gesetzt. Umso erstaunlicher: Reichstrainer Otto Nerz wird Jakob sieben Jahre später im Kicker als besten deutschen Torwart aller Zeiten bezeichnen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Reichstrainer wohl nicht nur ein einfacher Mitläufer der NS-Diktatur war, sondern auch Sturmführer der SA und zahlreiche Pamphlete, u. a. über die “Gefahr der Verjudung” im Fußball, verfasste. Eine Vorrunde existierte in diesem Turnier noch nicht, weswegen alle teilnehmenden Nationen automatisch für das Achtelfinale qualifiziert waren. Nachdem Belgien nach Halbzeitrückstand noch mit 5:2 besiegt werden konnte, konnte auch Spanien knapp mit 2:1 geschlagen werden.
So stand die deutsche Nationalelf schon unter den besten vier. Im Halbfinale musste die deutsche Nationalmannschaft, allesamt nur nebenberufliche Spieler, gegen die Profifußballer aus der Tschechoslowakei antreten. Doch in diesem Spiel war das Glück nicht auf der Seite der Deutschen: Den frühen Rückstand konnten die Adlerträger in der zweiten Hälfte ausgleichen. Jedoch war Willibald Kreß im Tor letztendlich chancenlos gegenüber dem überragenden Nejedly, der in der 80. Minute seinen Hattrick schnürte. In allen diesen Spielen saß Jakob nur auf der Bank, weswegen wir diese hier nur kurz abarbeiten.
Man hatte aber trotz dieser Niederlage Großes erreicht, und so traf man im Spiel um Platz 3 erneut auf einen geografischen Nachbarn: Österreich. Vor dem damals wichtigsten Spiel der Nationalmannschaftsgeschichte griff Cheftrainer Otto Nerz zu einem ungewöhnlichen Mittel. Mit vier Neuen in der (Start-)Elf – Wechsel waren damals noch nicht erlaubt – begann eine neu zusammengesetzte Mannschaft gegen die favorisierten Österreicher. Neu dabei war u. a. Hans Jakob. Ein bekannter Name bekleidete die Mittelstürmerposition: Otto Siffling. Nach der Waldhof-Mannheim-Legende ist heute die Stehtribüne im Carl-Benz-Stadion benannt. Spielführer auf der 9 war Fritz Szepan, seines Zeichens Schalke-04-Legende und gern gesehener Gast in Nazi-Kreisen.
Auf der Gegenseite wartete Österreich mit ihrem Spielmacher Matthias Sindelar. Er sollte viele Jahrzehnte später zu Österreichs bestem Spieler des 20. Jahrhunderts gekürt werden. Erwähnenswert ist auch, dass der spätere Jahn-Erfolgstrainer Franz Binder zu dieser Zeit in der österreichischen Elf kickte. In diesem Spiel stand er aber nicht im Aufgebot.
Vor gerade einmal 7.000 Zuschauern waren die Schiedsrichter zunächst mit einem ungewöhnlichen Problem konfrontiert: Beide Mannschaften trugen Schwarz-Weiß als Trikotfarbe. Ein Kurier wurde mit dem Auto losgeschickt, andersfarbige Trikots aus einem Vereinsheim zu holen. Währenddessen musste das Los entscheiden, welche Nationalmannschaft sich umziehen musste. Die Wahl fiel auf Österreich. Als der Bote zurückkam, stellte sich heraus, dass er in der Eile nur Winterpullover des SSC Neapel auftreiben konnte. Das verschaffte den Deutschen einen unerwarteten Vorteil. Abgesehen davon, dass Vereinstrikots bei einem Endspiel der Fußball-WM zum Einsatz kamen, brachten warme Pullis im italienischen Sommer nur Nachteile mit sich.
Die letzten zwei Aufeinandertreffen zwischen den Ländern endeten jeweils 5:0 und 6:0 für Österreich. Umso erstaunlicher war die Spielfreude der eigentlich grundlegend neu formierten deutschen Elf. Nach einem langen Ball von Szepan kam Heidemann zum Abschluss. Der Ball wurde von Platzer schlecht abgewehrt, und Lehner konnte abstauben. 1:0 für Deutschland nach 25 Sekunden! In der Folge war die deutsche Elf gegen verunsicherte Österreicher dominant, das zweite Tor wollte aber erst in der 29. Minute durch Conen fallen. Das dürfte die Österreicher angestachelt haben: Nicht mal eine Minute später verkürzten die Burschen auf 2:1. Kurz vor der Pause gelang Lehner sein zweiter Treffer des Tages. Ein komfortabler Vorsprung für den zweiten Durchgang, möchte man vielleicht annehmen.
Falsch. Das 3:2 könnte heute wohl in die Rubrik “Kacktor des Monats” aufgenommen werden. Ein Freistoß wurde ca. 40 Meter vom deutschen Kasten getreten. Der Ball wurde durch ein Bein in der Mauer so abgefälscht, dass er schließlich auch Jakob tunnelt. Dieser Doppeltunnel aus der Kategorie Slapstick machte das Spiel noch einmal spannend. Österreich drückte auf den Ausgleich, aber die Deutschen warfen sich in jeden Zweikampf und konnten die knappe Führung über die Zeit bringen.
Ein Spielbericht adelte Jakobs Leistung folgendermaßen: „Jakobs weite Abschläge entlasteten wieder die Verteidigung und verhalfen dieser zu den notwendigen Schnaufpausen. Schwere Bälle bekam Jakob wenig zu halten, aber er stand immer da, wo allein der Schuss hinzielen konnte. Prachtvoll war Jakobs Fausten der hohen Bälle, namentlich der ungemein gefährlichen Ecken.“
Das italienische Publikum feierte den 3. Platz der Deutschen in den Straßen Neapels offenbar so heftig, dass der Bus der Mannschaft mit berittenen Karabinieri durch die Menschenmassen geleitet werden musste. Die Nationalelf schaute sich natürlich drei Tage später das Endspiel in Rom an, das Italien für sich entscheiden konnte.
Springen wir zurück nach England: Nachdem die vom Flug erschöpften Spieler wieder festen Boden unter den Füßen hatten, kümmerten sich Polizisten von Scotland Yard um Jakob und seine Kameraden. Im Vorfeld blickte die englische Presse teilweise mit Überheblichkeit auf das kommende Spiel: Da England sowieso gewinnen würde, „brauchen sich die Deutschen wegen ihrer Niederlage nicht zu grämen. Die deutschen Spieler werden herzlich willkommen sein, wann immer sie wiederkehren“, schrieb der Daily Telegraph.
Natürlich schwangen in diesen Aussagen vor allem die hochkomplexen politischen Spannungen dieser Zeit mit. Die Stimmung war im höchsten Maß erhitzt und angespannt. Teile der englischen Presse forderten eine Absage des Spiels. Jüdische Fußballfans und -spieler sowie jüdische Gewerkschaften demonstrierten im Vorfeld gegen die Austragung des Spiels. Hinzu kam, dass vor allem vertriebene Juden aus Osteuropa durch Engagement rund um den Fußball Anschluss in der britischen Gesellschaft fanden. Das erklärt, warum ca. ein Drittel der Zuschauer in Tottenham jüdischer Herkunft war. Hierfür gibt es auch einen hoch informativen Artikel der britischen Zeitung The Guardian.
Fünf Jahre lang hatte es das Duell Deutschland gegen England nicht gegeben. Doch auch abseits der damals noch recht selten abgehaltenen Länderspiele lag ab dem Sommer 1935 zwischen den beiden Ländern politische Brisanz in der Luft. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein deutsch-englischer Vertrag unterzeichnet, der die Flottengrößen beider Länder im Verhältnis 35:100 zugunsten von England regeln sollte. Allerdings war nach dem Ersten Weltkrieg nur eine Marine von 15.000 Mann für Deutschland vereinbart worden.
Somit setzte sich das sogenannte Deutsch-Britische Flottenabkommen über den Versailler Vertrag hinweg, was für Unverständnis bei den mit England verbündeten Franzosen sorgte. Die englische Seite wiederum sah durch den Vertrag ihre „Appeasement-Politik“ bestätigt. Das NS-Regime wollte wiederum mit Großbritannien einen Verbündeten für den Krieg gegen Russland gewinnen. Eine genauere Übersicht über das Thema findet ihr hier. All das sorgte natürlich für eine unfassbare Brisanz und Aufmerksamkeit rund um das Spiel.
Trotz der Tatsache, dass das Spiel an einem Mittwoch stattfand, verfolgten viele Zuschauer im White Hart Lane das Länderspiel. Die genaue Zuschauerzahl variiert zwischen verschiedenen Quellen (Durch ganz Europa von Tor zu Tor: 50.000; Berliner Illustrierte: 60.000; Badische Presse vom 5. Dezember 1935: 70.000).
Taktisch wählte die deutsche Nationalelf wohl einen ähnlichen Ansatz wie die Jahnelf des Jahres 2025: Hinten muss erst einmal, gegen technisch überlegene Engländer, die Null stehen. So agierte man defensiv in einer Fünferkette und versuchte, das Spiel in einem 5-2-3 aufzuziehen. Der Matchplan schien bis kurz vor der Pause aufzugehen. Jakob hatte sich im Vorfeld in Lehrspielen gegen englische Vereine wie Everton oder Aston Villa auf die englische Abschlussstärke vorbereiten können. Schließlich musste er sich aber einem Distanzschuss von Camsell in der 42. Minute geschlagen geben. Nach der Halbzeit gelang in Minute 55 der vermeintliche Anschlusstreffer durch Lehner, der allerdings wegen Abseits nicht zählte. Schließlich zogen Bastin und Camsell mit zwei weiteren Treffern der deutschen Elf den Zahn. Das Freundschaftsspiel endete somit 3:0 für England.
Auffallend ist, dass alle mir vorliegenden Spielberichte dieses Spiels kaum oder gar nicht auf den Spielverlauf eingehen. Vielmehr wurde der Fokus auf das „Drumherum“ gelegt und ansonsten nur das Ergebnis beurteilt. Teilweise erscheinen die Artikel als Erlebnisbericht – vielleicht ein Vorläufer der allgemein kontrovers gesehenen Stadionvlogs?
Was blieb von diesem Spiel? Im Nachhinein wird Hans Jakob dieses Spiel als „vielleicht das allerschönste“ titulieren. Laut seinen Aussagen blieb das Spiel der deutschen Mannschaft äußerst positiv in Erinnerung. Beide Seiten wollten sich bemühen, die beiden Nationen zusammenzuführen und Brücken zu schlagen. Natürlich muss speziell aus deutscher Sicht in dieser Hinsicht ein sehr genauer Blick auf diese Geschehnisse in der NS-Zeit geworfen werden. Dabei versuche ich, soweit wie möglich, einen differenzierten Blick in Bezug auf NS-Propaganda und „Schönrednerei“ zu wahren. Dazu aber mehr im nächsten Kapitel weiter unten.
Zu diesem Spiel gibt es allerdings etwas sehr Seltenes aus dieser Zeit: einen kurzen Spielbericht. Hier könnt ihr in dem Bericht der britischen Produktionsgesellschaft British Pathé auch einige Abschläge von Hans Jakob erkennen. Dies stellt auch eine der wenigen Bewegbildaufnahmen der Jahn-Legende auf dem Spielfeld dar. Falls ihr weitere Spielszenen anschauen wollt, schaut gern in den Traditionsthread von jahnground.de rein. Dort haben viele Forumsnutzer, darunter besonders der User epsilon, den ich hier klar hervorheben will, zahlreiche Fakten und Statistiken recherchiert, die für diesen Artikel sehr hilfreich waren. Vielen Dank an dieser Stelle.
Oben: Badische Presse vom 5. Dezember 1935: Was Damals die Sportpreisfrage war, ist heute wohl der Kicktipp…
Auch wenn es damals vielleicht im Kleinen zwischen der englischen und der deutschen Nationalelf mit der Völkerverständigung geklappt hat, so traf das in keinem Fall auf die politische Ebene zu. Nur vier Jahre nach diesem geschichtsträchtigen Länderspiel kämpften Soldaten beider Länder in einem der schrecklichsten Kriege der Menschheitsgeschichte gegeneinander. Mit der Machtübernahme der NSDAP wurden staatliche sowie private Organisationen größtenteils gleichgeschaltet oder aufgelöst. Im DFB wurde dies sowohl im Vereinssport als auch in der Nationalmannschaft durchgesetzt. Sogenannte Großvereine, darunter auch der Jahn, durften nur von NSDAP-Mitgliedern geleitet werden.
Der Verband wurde schließlich 1936 aufgelöst und durch das Reichsfachamt für Fußball ersetzt. Die Nationalmannschaft wurde von nun an als geopolitischer Spielball missbraucht. Freundschaftsspiele wurden mit Staaten veranstaltet, die stärker in den Einflussbereich von Nazi-Deutschland geraten sollten. Dabei sollte diese Politik einen friedlichen Schein in Form von Sportveranstaltungen wahren.
Zur Wahrheit gehört, dass seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten deutsche Sportler zu propagandistischen Zwecken missbraucht wurden. Nur etwa ein halbes Jahr nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde der Hitlergruß im gesamten DFB verpflichtend eingeführt. Wer sich dagegen weigerte, wurde aus dem Verband ausgeschlossen. Auch Hans Jakob zeigte die Geste bei Länderspielen und in der Liga. Heutzutage fragt man sich natürlich, warum er dadurch das Regime legitimierte.
Darüber kann man nur spekulieren und Vermutungen anstellen. Verhält es sich so wie bei vielen, die aus Angst vor Konsequenzen für sich und ihre Verwandten Mitläufer der Schreckensherrschaft waren? Wie war überhaupt sein Verhältnis zur Diktatur und zur NS-Ideologie? Wie konnte er sich mit dem Klima der Angst, der fehlenden Meinungsfreiheit und dem Schrecken des Krieges arrangieren? Zu gern würde ich ihm aus heutiger Sicht stundenlang Fragen stellen. Drei davon wären diese.
Die wahrscheinlichste Theorie ist aber wohl die, dass ein großartiger Torhüter wie er seine Karriere im europäischen Spitzensport auch nicht gefährden wollte. Höchstwahrscheinlich spielte bei ihm auch die Angst, was mit ihm passieren könnte, wenn er sich widersetzte, eine große Rolle. War Jakob nun ein wirklicher Widerstandskämpfer, wie es sie leider viel zu selten gab? Wahrscheinlich nicht. Leider ist zu diesem Thema die Quellenlage sehr schwach. Er selbst erwähnt die Zeit des Dritten Reichs in seinem Buch kaum. Deswegen kann ich mich hierbei nur auf diesen Artikel von Jahn-Archivar Prof. Dr. Wolfgang Otto beziehen:
Von Jakobs Wirken gegen den Nationalsozialismus wissen wir u. a. von Elisabeth Schwarzhaupt, nicht zu verwechseln mit ihrer Namensschwester, der ersten deutschen Ministerin im Kabinett Adenauer. Sie entstammte einer Regensburger Kaufmannsfamilie und war sowohl glühende Anhängerin als auch Sponsorin des Jahn. Als diese jedoch nicht mehr zu den Spielen im Stadion erschien, fragte Hans Jakob sie, warum dem so sei. Schwarzhaupt klärte ihn über ein Dekret der Nürnberger Gesetze auf, die von den Nationalsozialisten erlassen wurden. Demnach wurden alle „Nicht-Arier“ vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Menschen wurden in Rassen bzw. Mischlingsrassen kategorisiert, was auf rassistischen Motiven fußte. Die Gesetze bildeten die Grundlage für die millionenfache Verschleppung und Ermordung von Juden und anderen marginalisierten Gruppen.
Aufgrund dieser Gesetze hätte sich Elisabeth Schwarzhaupt kein Spiel mehr im Jahnstadion anschauen können. Als Hans Jakob vom Hintergrund erfuhr, nahm er seine Bekannte beim nächsten Heimspiel mit ins Stadion und setzte so ein beeindruckendes Zeichen. Keine der anwesenden NS-Persönlichkeiten unternahm etwas dagegen. Sicher gibt es noch weitere Quellen zu diesem Thema. Vielleicht können wir als Blog hiermit anstoßen, dass eine größere Aufarbeitung dieser dunklen Jahre beim Jahn auf Interesse stößt. Vielleicht könnten zu diesem Anlass weitere Gesten des Widerstands zu Tage kommen, die es wert sind, erzählt zu werden.
Um den Begriff der Breslau-Elf zu verstehen, ist ein wenig Vorgeschichte nötig. Die Olympischen Spiele 1936 verliefen für die deutsche Nationalmannschaft alles andere als erfolgreich. Man schied schon im Viertelfinale des olympischen Fußballturniers mit 0:2 gegen Norwegen aus. Das heimische Publikum und insbesondere die NS-Führung unter Adolf Hitler, der zum ersten Mal ein Fußballspiel besuchte, waren davon überhaupt nicht angetan.
Man sah in der deutschen Nationalmannschaft kein gutes Propagandainstrument mehr, um die Überlegenheit “der arischen Rasse” zu demonstrieren. Schließlich trat Reichstrainer Otto Nerz zurück und erhielt eine Beschäftigung in der Reichsakademie für Leibesübungen, der größten NS-Forschungsstätte für Sportwissenschaften. Sein Nachfolger wurde Sepp Herberger, der Architekt des Wunders von Bern.
Unter ihm wurden neue Saiten aufgezogen: Jeder Spieler erhielt ein Zugticket, um in die Städte der Länderspiele zu fahren. Trainingskleidung und Fußballstiefel, damals noch ohne Stollen, mussten selbst mitgenommen werden. Am Spieltag, an dem die Breslau-Elf geboren wurde, machten das dänische und das deutsche Team zusammen eine Stadtrundfahrt. Später am Tag standen sich beide Teams vor 40.000 Zuschauern gegenüber. Vor dem Spiel in Breslau konnten bereits drei Spiele in Folge zu Null gewonnen werden, allesamt mit Hans Jakob im Tor. Es sollte an diesem Tag das vierte werden, wenn auch ein ungewöhnliches.
Von Minute eins an merkten die Zuschauer, dass sich die Deutschen etwas vorgenommen hatten. Jakobs Vorderleuten gelang es offenbar, ein Kurzpassspiel aufzuziehen, das die Dänen vollkommen aus dem Konzept brachte. Man muss bedenken, dass Fußball damals viel weniger von Taktik und mehr von Körperlichkeit sowie Ausdauer geprägt war. So fiel in der 7. Minute das 1:0 durch Ernst Lehner (Schwaben Augsburg). Weitere Chancen vergaben die Deutschen.
Ab der 30. Minute aber schlug die Stunde von Otto Siffling. Der 25-jährige Mannheimer netzte in der 33., 40. und 44. Minute ein. Wer zur Halbzeit dachte, die Deutschen würden einen Gang runterschalten, der hatte sich getäuscht. In Minute 48 und 63 machte der 25-Jährige einfach weiter. Die Waldhof-Legende, mit Spitznamen “Holz”, markierte damit einen Quattrick. Für das 8:0-Endergebnis sorgten schließlich Urban und Szepan. Die Dänen gratulierten der deutschen Mannschaft als Erste. Damals wurde “Fair Play” offensichtlich sehr großgeschrieben. Trotzdem ist es bis heute die höchste Niederlage in einem offiziellen Länderspiel für Dänemark.
Der Grund für die starke Unterlegenheit der Dänen ist nicht nur in der schlechten Sortierung während des Spiels zu suchen. Berichten zufolge war die Mannschaft am Vorabend zu lange in der Oper gewesen. Kein Wunder also, dass in der polnischen Sommerhitze nur ein Schuss auf Jakobs Tor kam und sich das Spiel hauptsächlich in der dänischen Hälfte abspielte.
In den folgenden Monaten sorgte der Kern der Breslau-Elf für eine Siegesserie von insgesamt zehn Siegen hintereinander. Jakob spielte nur in einem weiteren Spiel dieser Siegesserie. Dass von dieser “goldenen Generation” heute praktisch gar nicht mehr die Rede ist, ist wohl vor allem auf den Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. Für Legendenbildung war in dieser sonst dunklen Zeit kein Raum geblieben. Einer der wenigen Auftritte der Breslau-Elf, die man heute noch sehen kann, war am 24.11.1973 in der ZDF-Sendung Disco zusammen mit den Weltmeistern von 1954.
Ähnlich wie das Phänomen der großen Hallenturniere ist auch das Phänomen der Fußballauswahlen etwas, das in diesem Jahrhundert immer mehr in Vergessenheit gerät. Während für Benefizspiele in den 1970ern und 1980ern noch Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Michel Platini oder Johan Cruyff aufliefen, befanden sich diese Spiele in den 1930ern noch in ihrer Frühphase. In dieser Anfangszeit bemühte man sich, Europa in Zentral-, Ost- und Westeuropa aufzuteilen und die Himmelsrichtungen gegeneinander antreten zu lassen.
Umso verwirrender ist es aus heutiger Sicht, dass Italien offenbar zu Zentraleuropa zählte und zusammen mit Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei antrat. Deutschland zählte man wiederum zu Westeuropa. Umso überraschender war es für den Regensburger, dass die FIFA ihn am 20. Juni 1935 als Torwart für die Westeuropa-Elf nominierte. So durfte er zusammen mit Niederländern, Franzosen und Belgiern in einer Elf spielen. Jakob wurde sogar von allen vier Ländern des Teams zum Kapitän der Auswahl ernannt.
Jakob musste aufgrund des Ausfalls von Paul Janes (Fortuna Düsseldorf) v. a. mit dem niederländischen Innenverteidiger Caldenhove und dem Belgier Paverik harmonieren. Dies gelang über die vollen 90 Minuten erstaunlich gut. Zur Pause stand es torlos 0:0, nicht nur dank Jakob, sondern auch wegen seines Gegenübers, dem Italiener Olivieri.
Das große Problem der Verteidigung war allerdings der italienische Ausnahmestürmer Silvio Piola. Dieser erzielte in 34 Spielen für Italien 30 Tore und zeigte auch hier sein Können: An der Außenlinie kann er einen Ball noch erlaufen und flankt diesen direkt vor das Tor. Dort kann der Ungar Ferenc Sas hochsteigen und den Ball einköpfen. Weitere Einzel- und Dribbelaktionen von Piola konnte Jakob noch abwehren. Bei den zwei weiteren Toren war er aber machtlos. Erneut ist es Piola, der einen Ball auf Sas in den Halbraum chippt. Die Westeuropa-Verteidigung hat ihre Zuordnung verloren, und so wird auch Jakob mit einem Heber überwunden.
Beim 0:3 werden Jakobs Vorderleute eiskalt durch Sarosi und Nejedly ausgekontert. Ergebniskosmetik konnte der Holländer Smit mit dem 1:3 betreiben. Das reichte den 50.000 niederländischen Zuschauern in Amsterdam vollkommen als Versöhnung aus.
Während des Spiels kam es auf kommunikativer Ebene zu großen Schwierigkeiten. Es hätte dennoch durch die Sprache des Fußballs ein weitreichender Akt der Völkerverständigung sein können. Das war er im kleinen Rahmen sicher, doch leider brach zwei Jahre später in Europa der Zweite Weltkrieg aus. Als Erinnerung erhielt Jakob von der FIFA eine Plakette und eine Uhr. Später wird er dieses Spiel als „eigentliche Krönung“ seiner fußballerischen Laufbahn bezeichnen.
Kommen wir schlussendlich zu seinen eindrucksvollen Fakten: Hans Jakob kommt auf insgesamt 38 Spiele im Nationalmannschaftsdress und ist damit, Stand Januar 2025, der Torhüter mit den zehntmeisten Einsätzen in der deutschen Nationalelf. Von diesen 38 Spielen gingen acht verloren, acht endeten unentschieden, und 22 endeten siegreich. Bis 1967 hielt er den Rekord für die meisten Spiele als Torwart und wurde erst durch Sepp Maier verdrängt. Das ändert auch nichts daran, dass Jakob, wie jeder Mensch, mal schwarze Tage hatte. So kassierte er am 19.03.1933 zwei sehr vermeidbare Tore gegen Frankreich. Dennoch sieht seine Bilanz mit zehn Länderspielen ohne Gegentreffer sehr positiv aus.
Doch warum verlieh ihm die Presse den Namen „Der ewige Ersatzmann“? Jakob saß zusätzlich 14 Mal auf der Bank. Damals herrschte ein leistungstechnischer Konkurrenzkampf um das deutsche Tor, u. a. mit Willibald Kreß und Fritz Buchloh (16 und 17 Spiele). Die Jahn-Legende betonte jedoch, dass bei Spielen ausschließlich die Tagesform über den Einsatz entschied und so keine Differenzen aufkamen.
Er vertrat Deutschland als Torhüter in Finnland, England, Italien, Ungarn, Frankreich, Norwegen, Spanien, Schottland, Irland, Portugal, Polen, Belgien sowie der Schweiz. Bis 2008 hielt sein Rekord mit den meisten Spielminuten als Torhüter ohne Gegentor ganze 68 Jahre lang. Seine Serie hielt über ein Jahr, vom 31.01.1937 bis zum 20.03.1938. In fünf Spielen war er in glänzender Verfassung und hielt gegen Frankreich, Belgien, die Schweiz, Dänemark und Norwegen die Null. Ganze 482 Minuten dauerte es, bis Ungarn in Person von Toldi Géza den langhaxigen Jackl überwinden konnte. Nach fast neun Jahren in der deutschen Nationalelf beendete er, 24 Tage nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, seine Nationalmannschaftskarriere mit einem Freundschaftsspiel gegen Ungarn.
Er ist bis heute der einzige Spieler, der während seiner aktiven Zeit bei Jahn Regensburg in der deutschen A-Nationalmannschaft aktiv war. Dabei war er nicht nur einfach Spieler des SSV Jahn. Zunächst arbeitete er als Wirtschaftsprüfer für die Oberpfalzwerke Regensburg und die Amperwerke München. Als solcher legte er jeden Tag 40 bis 60 Kilometer auf dem Rad zurück. Ach, und bayerischer Meister im Hürdenlauf war er auch – hab ich das schon erwähnt? Seine berufliche Karriere setzte er mit einem Reisebüro und einer Lotto-Annahmestelle in der Maximilianstraße 29 in Regensburg fort. Für den Jahn und andere Clubs war er in den kommenden Jahren immer wieder als Trainer aktiv. Dem SSV blieb er bis an sein Lebensende 1994 treu.
Mein Eindruck war bisher: Im Verein reden viele über Jakob, aber die wenigsten wissen wirklich von seinen Erfolgen. Hier spielt natürlich die Altersdifferenz eine riesige Rolle. Die wenigsten Jahnfans dürften ihn noch auf dem Platz erlebt haben. Eine große Motivation, diesen Artikel zu schreiben und mich eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen, war für mich dieses Video.
Nun schwebt Jakob seit fast 31 Jahren über unserem Verein. Hätte er den steilen Aufstieg und den nie dagewesenen Support der stetig wachsenden Zahl an Fans gesehen, wäre er wohl mächtig stolz. Aber seine Zahl an Länderspielen ist etwas, was so schnell wahrscheinlich keiner erreichen wird. In diesem Sinne: Auf eine goldene Zukunft – aber erstmal alles geben für den Klassenerhalt!
Impressum des Publishers ansehenAußerdem sind Glück und Erfolg sehr wechselvoll! Wohl bist du nicht vergessen, vielleicht wird man von dir noch erzählen, wenn du nicht mehr bist. Aber der Ruhm allein ist kein Ernährer, und der Nachglanz füllt kein Leben aus. Hans Jakob, 1949