Miasanrot
·23. Juni 2024
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·23. Juni 2024
Deutschland gelingt gegen die Schweiz bei der EM 2024 ein Last-Minute-Treffer, der den Gruppensieg bedeutet. Der Krug war halb leer, ist nun aber wieder halb gefüllt.
Da ist dieses Sprichwort: Ist ein Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, jetzt halb voll oder halb leer? Eine Frage, die vielen Deutschen während des letzten Gruppenspiels gegen die Schweiz bei der EM 2024 ebenfalls durch den Kopf ging.
Die Antwort lieferte Niclas Füllkrug. Und weil er das entscheidende Tor zum 1:1 erzielte, ist es auch kein Glas, sondern ein Krug. Einer, der halb gefüllt ist. Bei einer 0:1-Niederlage hätte vermutlich der Pessimismus wieder Oberwasser bekommen. Auch jetzt wird es Kritik geben.
Nur hat sich gar nicht so viel verändert. Es gab keinen krassen Leistungsabfall und es gab auch keinen Rückfall in alte Zeiten, wie ihn beispielsweise Wolff Fuss bei Magenta TV zwischenzeitlich herbeireden wollte.
Doch alles Schritt für Schritt. Hier kommen die Dinge, die uns beim 1:1 des DFB-Teams aufgefallen sind.
Die Schweiz hatte da eine Idee: Warum nicht mal das machen, was Schottland gar nicht und die Ungarn nicht ausreichend getan haben? Nämlich Toni Kroos unter Druck setzen.
Deutschlands Taktgeber hatte im Mittelfeld einen schweren Stand. Mit seiner Klasse setzte er sich dennoch oft durch, aber nicht mehr oft genug. Robert Andrich kam hier aber ins Spiel und übernahm endlich Verantwortung in Ballbesitz. Das lag sicher auch an seiner veränderten taktischen Rolle. Er spielte deutlich tiefer, sollte defensiv damit die körperlich starken Schweizer quasi ausgleichen. Doch die bemerkenswertere Leistung lieferte er mit Ball.
Der Leverkusener avancierte zum zweiten Spielmacher und verteilte viele Bälle klug, nachdem er sie aktiv gefordert hatte. Das war in den ersten beiden Spielen deutlich weniger der Fall. Es ist ein gutes Zeichen, dass auch Andrich endlich im Turnier angekommen ist.
Mit einem schönen Fernschusstor zum vermeintlichen 1:0 hätte er sich beinahe belohnt, doch ein Foul von Jamal Musiala verhinderte den Glücksmoment. Dennoch sollte Andrich aus diesem Spiel mit breiter Brust herausgehen.
Wolff Fuss führte es bei Magenta TV richtig aus: Die Schweiz hat vorgemacht, wie man gegen Deutschland spielen muss. Das Zentrum dicht halten, die Schlüsselspieler doppeln und hoffen, dass die ballfernen Räume von den Spielern mit weniger Klasse nicht entsprechend genutzt werden.
Das ging auf. Maximilian Mittelstädt hatte links viele Aktionen. Die meisten davon brachten nichts ein. Unpräzise im Passspiel, technisch nicht stark genug und in der Rückwärtsbewegung anfällig. Wenn Räume, so der schweizer Gedanke, dann für die, die weniger damit anzufangen wissen als Jamal Musiala, Florian Wirtz, Toni Kroos oder Ilkay Gündogan.
Deutschland spielte nicht schlecht, kam gegen dieses kompakte Pressing aber an seine Grenzen. Grenzen, die immer da waren, die zuletzt aber wegeuphorisiert wurden. Das Team hat ein paar Dysbalancen, die angesichts dessen, wo man herkommt, komplett normal sind.
Genau genommen war das Spiel der Deutschen gar nicht viel schlechter als zuletzt. Minus Effizienz und Spielglück. Plus noch stärkerer Gegner und dessen Spielglück. So ist Fußball.
Und das ist der Punkt: Deutschland war gegen Schottland und Ungarn stark, aber nicht so stark, wie es teilweise in der Euphorie dargestellt wurde. Auch da fehlte es im letzten Drittel an Präzision, an Schärfe, an der letzten Aktion.
So gut und so flexibel die Deutschen spielen, so sehr leiden sie darunter, dass sie sich zu wenige Hochkaräter herausspielen. Havertz versuchte viel gegen die Schweiz, blieb aber meist glücklos. Musiala und Wirtz wurden von den Schweizern stark gepresst, taten sich auf schwierigem Geläuf schwer.
Natürlich spielte der Rasen ebenfalls eine Rolle. Das Geläuf tat den Deutschen, die weitaus mehr Ballbesitz hatten, mehr weh als den Schweizern. Das darf nicht die einzige Ausrede sein, trägt aber dazu bei, dass Deutschland es nicht geschafft hat, die ohnehin vorhandenen Probleme abzustellen.
Halbchancen machen eben noch keinen Europameister. Dass man nicht immer so effizient sein würde, war absehbar. Es ist gewissermaßen die Regression zur Mitte. In der K.-o.-Phase muss das Team von Julian Nagelsmann schauen, dass wieder mehr Top-Chancen herausgespielt werden können.
Aber nochmal: Das 1:1 war kein Drama, keine schwache Leistung und erst recht keine Enttäuschung. Man könnte gar das Gegenteil behaupten: Vom 0:1, das etwas gegen den Spielverlauf fiel, ließ sich Deutschland nicht allzu sehr beunruhigen.
Die Schweiz hatte zwar ihre Kontersituationen und Chancen, kam am Ende aber nur auf wenige Abschlüsse. Trotz defensiven Wacklern gerade auf den Außenbahnen kann man das positiv mitnehmen. Ebenso wie den Druck, den man nach vorn gegen Ende der Partie entfachen konnte. Das Risiko wurde mit dem Ausgleich belohnt.
Natürlich hat man ein solch schwieriges Spiel lieber in der Gruppen- als in der K.-o.-Phase. Es ist geradezu der perfekte Zeitpunkt für einen derartigen Spielverlauf. Es ist geradezu die perfekte Art und Weise, ein solches Spiel zu bestreiten. Denn leistungsmäßig war Deutschland gut genug, um das Selbstvertrauen der vorherigen Wochen zu behalten und durch den Ausgleich konnte man sogar nochmal einen positiven Kick mit ins Achtelfinale nehmen.
Eine mindestens kleine Ernüchterung gibt es dennoch: Jonathan Tah wird im Achtelfinale wegen seiner Gelben Karte fehlen und auch Antonio Rüdiger könnte ausfallen. Er fasste sich nach dem 1:1 an den hinteren Oberschenkel, auch Nagelsmann äußerte sich bei Magenta TV etwas besorgt.
In einem Turnier kann sowas eine entscheidende Rolle spielen. Die Innenverteidigung hatte sich zuletzt gefunden. Zwar patzten Tah und Rüdiger gegen die Schweiz immer mal wieder, doch insgesamt überwiegt der positive Eindruck der vergangenen Wochen.
Eine Umstellung auf einer so wichtigen Position ist schon schwierig. Ein kompletter Austausch wäre ein großer Rückschlag für die Deutschen.
Bleibt der Ausblick auf ein sich anbahnendes Fußballfest. Natürlich müssen beide Teams erstmal das Achtelfinale spielen. Natürlich wird das kein Selbstläufer, wie die Partien gegen Ungarn und die Schweiz gezeigt haben. Dennoch sind die Deutschen favorisiert. Die Spanier sowieso.
Nimmt man die bisherige Gruppenphase, dann könnte es im Viertelfinale zu einer Partie kommen, die auch ein gutes Finale abbilden würde. Ob die Spanier den Deutschen besser oder schlechter liegen als der andere Turnierbaum, ist eine Diskussion, die man ewig führen kann.
Absehbar ist aber schon jetzt, dass dieses Turnier aus deutscher Sicht noch den einen oder anderen unterhaltsamen Moment haben könnte. Und das allein ist ja schon mehr, als man vor einigen Monaten erwartet hatte. Der Krug ist eben halb voll.