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·24. Februar 2024
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Das schwedische Talent Lucas Bergvall zählte im abgelaufenen Wintertransferfenster zu den am heißesten gehandelten Aktien auf dem Markt. Am Ende entschied sich der Schwede in letzter Sekunde für Tottenham Hotspur. Was macht Bergvall so besonders? Und ist der Wirbel um den 18-Jährigen gerechtfertigt? Ein Portrait.
Barcelona, Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund, Manchester United, Juventus oder Manchester City: Die Liste an Teams, die im abgelaufenen Transferfenster angeblich Interesse am schwedischen Mittelfeld-Talent Lucas Bergvall (18) gehabt haben sollen, ist lang. Am Ende machte – etwas überraschend – Tottenham das Rennen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge hatte bis kurz vor Schluss des Transferfensters Barcelona gute Chancen auf die Unterschrift von Bergvall. Der junge Schwede soll sich sogar mit seiner Familie das Trainingsgelände der Blaugrana angeschaut haben. Wenige Tage vor Ende des Transferfensters stieg dann jedoch auch Tottenham in den Poker um Bergvall ein, lud den Schweden mit seiner Familie nach London ein und machte am Ende das Rennen.
Einen Tag nach Ende des Transferfensters, gleichzeitig Bergvalls achtzehntem Geburtstag, unterschrieb der Schwede einen Profivertrag bei den Spurs ab dem Sommer 2024. Bis dahin wird Bergvall noch bei seinem derzeitigen Verein Djurgårdens IF aus der schwedischen Hauptstadt Stockholm spielen. Die neue Allsvenskan-Saison beginnt Ende März. Das bedeutet, dass Bergvall die heimische Liga während der laufenden Saison verlassen wird, um sich im Sommer der Mannschaft von Ange Postecoglou anzuschließen.
Fußball liegt bei den Bergvalls in der Familie. „Fußball war in meiner Kindheit alles“, so Bergvall in seinem ersten Interview für die Spurs. Beide Eltern der Stockholmer Fußballfamilie spielten in ihrer Vergangenheit auf hohem Level, Bergvalls Mutter ebenfalls bei Djurgårdens. So fiel Lucas und seinem Bruder Theo (19) die Wahl leicht, als beide gemeinsam im Vorfeld der Allsvenskan-Saison 2023 von ihrem Heimatverein Brommapojkarna IF zu Djurgårdens wechselten. Dabei war die Zeit bei Brommapojkarna – oder im schwedischen auch einfach BP genannt –für die Bergvall-Brüder extrem erfolgreich gewesen.
In der Akademie des chronischen Fahrstuhl-Teams aus dem Stockholmer Westen hatten beide das Fußballspielen gelernt. Und sind damit in guter Gesellschaft: Sowohl Dejan Kulusevski (23) als auch Viktor Gyökeres (25), zwei der größten schwedischen Stars, begannen ihre Karriere ebenfalls bei BP. Vor allem Lucas sorgte schon als Teenager im Trikot von BP für Schlagzeilen. Als Anker im Mittelfeld der verschiedenen Jugendmannschaften gewann Bergvall mit BP internationale Nachwuchsturniere. 2018 wurde er zum „Most Valuable Player“ des Madrid Football Cups gewählt, in dem BP im Finale Atletico Madrid bezwang. Probetrainings bei europäischen Schwergewichten wie Manchester United und Juventus Turin ließen nicht lange auf sich warten.
Begann seine Karriere ebenfalls bei Brommapojkarna und spielt inzwischen für die Spurs: Bergvalls Landsmann Dejan Kulusevski. (Photo by BEN STANSALL/AFP via Getty Images)
Bergvall entschied sich für einen Verbleib bei Brommapojkarna – und feierte im November 2021 am letzten Spieltag sein Profidebüt, als er sieben Minuten vor Schluss eingewechselt wurde. BP – zu dem Zeitpunkt noch in der dritten schwedischen Liga – stand da bereits als Aufsteiger fest. Zwei Monate zuvor hatte Bergvall in der U15-Auswahl der schwedischen Nationalmannschaft debütiert. Schon im Mai 2022 rückte er in die U16 auf. Und ab dem 14. Spieltag der neuen Superettan-Saison – Schwedens zweiter Liga – zählte der zu dem Zeitpunkt 16-jährige Bergvall dann auch regelmäßig zum Profikader von BP. Sein erstes Tor für die Profimannschaft von BP gelang Bergvall in einer 4:1-Niederlage im Oktober 2022. Sein Bruder Theo, dem parallel zu Lucas ebenfalls der Durchbruch in der ersten Mannschaft von BP gelang, bereitete den Treffer vor. Bei diesem Ergebnis sollte es sich um einen Ausrutscher handeln: BP marschierte als Aufsteiger durch und sicherte sich am Ende mit sechs Punkten Vorsprung die Meisterschaft und den erneuten Aufstieg – zurück in die höchste schwedische Spielklasse Allsvenskan. Vor allem im Saisonendspurt spielte Bergvall sich dabei mit drei Startelfeinsätzen aus den letzten vier Spielen immer mehr in den Mittelpunkt.
Wenig überraschend streckte in der Winterpause 2022 Spitzenteam und zwölffacher Meister Djurgårdens die Fühler nach den Bergvall-Brüdern aus. Allein für Lucas zahlte Djurgårdens eine Ablöse von knapp einer Millionen Euro – Rekord für einen schwedischen Teenager. Und parallel zu den Bergvalls verpflichtete Djurgårdens auch Peter Kisfaludy als sportlichen Koordinator, der zuvor die Nachwuchsarbeit von BP koordiniert hatte und an der Entwicklung von Lucas und Theo maßgeblich beteiligt gewesen war.
Es dauerte nicht lange, bis der 17-jährige Bergvall das erste Ausrufezeichen bei Djurgårdens setzte. Am 10. Spieltag, einem 1:0-Heimsieg gegen den direkten Konkurrenten BK Häcken, stand der Mittelfeldspieler in der Liga zum ersten Mal in der Startelf – und verzauberte das Publikum auf Anhieb. Die schwedische Zeitung Aftonbladet überschüttete Bergvall im Anschluss mit Lob, Djurgårdens Sportdirektor Bosse Anderson sprach von „Gänsehaut“. In insgesamt 25 Allvsenskan-Partien stand Bergvall im Laufe der Saison auf dem Rasen, dabei gelangen ihm zwei Tore und eine Vorlage. Wie auch schon im Jahr zuvor spielte sich Bergvall vor allem zum Saisonende in der ersten Mannschaft fest – was das Interesse der Scouts im Vorfeld des Wintertransferfensters natürlich noch einmal erhöht haben dürfte.
Dass Bergvall womöglich für höheres bestimmt sein könnte, war schnell offensichtlich. „Wir müssen hoffen, dass heute nicht zu viele Vereine zugeschaut haben“, so Mitspieler Victor Edvardsen damals nach dem Spiel gegen Häcken scherzhaft und fügte noch hinzu: „Er wird im Sommer ein 100-Millionen-Kronen-Mann [umgerechnet circa 10 Millionen Euro, Anm. d. Red.]“. Falsch lag Edvardsen damit nicht, schließlich überwiesen die Spurs für Bergvall knapp 10 Millionen Euro an Djurgårdens. Eine Summe, die im heutigen Transfergeschäft zwar fast schon überschaubar wirkt, für schwedische Verhältnisse und mit Blick auf Bergvalls Alter aber Rekord ist. Noch nie zahlte ein Verein so viel für einen Spieler aus der schwedischen Liga.
Beim zwölffachen schwedischen Meister Djurgårdens spielte Bergvall sich in den Fokus europäischer Spitzenklubs. (Photo by FABRICE COFFRINI/AFP via Getty Images)
Aber womit rechtfertigt der vor kurzem 18 gewordene Bergvall diesen Rekordstatus? Was ist an dem Mittelfeldspieler so besonders, dass halb Europa hinter ihm her war? In seiner noch jungen Karriere brillierte Bergvall vor allem als Achter und Box-to-Box-Spieler, der mit beeindruckender Technik und Ballgefühl auffällt. Das sagt der junge Schwede auch über sich selbst. „Ich bin ein Box-to-Box-Spieler, der sehr gerne den Ball an seinem Fuß hat, um ihn nach vorne zu treiben.“, so Bergvall in einem Interview für seinen neuen Verein. Neben einem guten Auge für den richtigen Pass zeichnet Bergvall außerdem eine für seine Körpergröße von 1,87 Metern beeindruckende Wendigkeit auf engem Raum aus. Eine Parallele, die immer wieder gezogen wird, ist zum Niederländer Frenkie de Jong (26), der nicht nur über eine ähnliche Athletik, sondern auch ein ähnliches taktisches Profil wie Bergvall verfügt.
Bei Djurgårdens kam Bergvall vor allem als rechter Achter in einem 4-3-3 System zum Einsatz. Eine Rolle, die durchaus in die Philosophie von Spurs-Trainer Ange Postecoglou passen könnte. Bei Tottenham könnte Bergvall dann mit Pape Matar Sarr (21) um einen Platz im Mittelfeld konkurrieren. Der Senegalese ist das Paradebeispiel, dass Tottenham unter Postecoglou wieder eine gute Adresse für aufstrebende Talente sein kann. Mit seiner eher offensiveren Ausrichtung könnte der noch junge Bergvall sich perspektivisch jedoch genauso zu einer Nummer Zehn entwickeln und bei den Spurs von James Maddison lernen. Ein Fragezeichen im Profil Bergvalls sind nämlich bislang noch seine defensiven Attribute und sein Pressing – Eigenschaften, die angesichts der inversen offensiven Außenverteidiger der Spurs ein Muss für jeden zentralen Mittelfeldspieler im System Postecoglou sind.
In seinen ersten Interviews als neuer Spurs-Spieler schwärmte Bergvall bereits über seinen neuen Trainer Ange Postecoglou. (Photo by Alex Pantling/Getty Images)
So oder so darf sich Lucas Bergvall – egal in welcher Rolle im Mittefeld – bei den Spurs auf ein Zusammenspiel mit Landsmann Dejan Kulusevski freuen, der Medienberichten zufolge nicht ganz unbeteiligt an der Entscheidung von Bergvall gewesen sein soll. Einen direkten Stammplatz wird der junge Schwede im Team von Ange Postecoglou aller Voraussicht nach ohnehin nicht haben. Dafür kommt es für den erst 18-jährigen Rohdiamanten aber auch noch zu früh. Auch eine Leihe sollte nicht ausgeschlossen werden, schließlich ist das Niveau der Premier League nicht mit der schwedischen Allsvenskan zu vergleichen.
Trotzdem deutet sich an, warum Bergvall im abgelaufenen Transferfenster zu den gefragtesten Talenten zählte: Es ist die beeindruckende Kombination aus körperlicher, fußballerischer und mentaler Reife, über die Bergvall im zarten Alter von 18 Jahren bereits verfügt. „Jedes Team braucht einen Leader“, so Bergvall, der auf den verschiedenen Jugendstationen bei Brommapojkarna häufig die Armbinde trug. „Hier [bei Tottenham] gibt es viele davon. Ich freue mich sehr darauf, zu der Mannschaft zu stoßen und zu helfen.“ Im Januar 2024, inmitten des Transferwirbels, erhielt Bergvall seine erste Nominierung für die schwedische A-Auswahl, und wurde mit dem Alter von 17 Jahren, 11 Monaten und zehn Tagen bei seinem Debüt zum zweitjüngsten Debütanten der schwedischen Nationalmannschaft im 21. Jahrhundert (hinter Alexander Isak).
Auf das bevorstehende Kapitel bei den Spurs, wo er Teil einer neuen Generation sein möchte, blickt Bergvall hoffnungsvoll: „Es fühlt sich hier wie der Beginn einer Ära an. (…) Ange Postecoglou ist ein sehr guter Mensch und ein guter Trainer. Er gibt vielen jungen Spielern die Chance, sich auf der großen Bühne zu zeigen.“ Möglicherweise ist Bergvall das nächste Talent, das unter Postecoglou den nächsten Schritt gehen kann.
(Photo by Richard Heathcote/Getty Images)