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·14. April 2025

Der Breitensport lebt – trotz Minecraft

Artikelbild:Der Breitensport lebt – trotz Minecraft

Trotz Minecraft, E-Sports und Handynutzung auf Höchststand strömen immer mehr – vor allem junge – Menschen in die Vereine. Jetzt soll es sogar einen Sportminister geben. Endlich wird alles gut. Wobei der Kollege von der Sportschau nicht so ganz überzeugt scheint.

Eine Milliarde soll für Sportstätten ausgegeben werden. Nur ist unklar, ob das pro Jahr oder für die vier Jahre der geplanten Koalition gesamt gilt. Letzteres wäre keine Verbesserung. Die Frage ist ohnehin, wie viel davon beim Amateursport ankommen wird.


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Selbst wenn die Summe jährlich kommt: Berlin alleine hat einen Sanierungsstau von 400 Millionen! Was gleichzeitig nur ein Fünftel der Kosten für die geplante Autobahn quer durch die Stadt ist. Ist die fertig, komme ich am Sonntag sicher sechs Minuten schneller von Schöneberg nach Friedrichshain, wo dann dummerweise weiterhin marode Sportstätten auf uns warten. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, geben wir dem Staatsminister also eine Chance.

Mehr Menschen mit Verantwortungsgefühl gesucht

Doch auch wenn künftig mehr Geld in den Breitensport fließen sollte, braucht es immer Menschen in den Vereinen, die Verantwortung übernehmen: die Kümmerer. Als ich vor rund 55 Jahren das erste Mal ein Trikot meines Heimatvereins TSV Apensen anzog, war mein Trainer gleichzeitig auch Jugend-Obmann. So die Bezeichnung für „Paul“, der eigentlich Günter hieß, und gefühlt drei oder vier Teams trainierte. Später führte er die 1. Herren als Trainer zum Aufstieg, ohne Lizenz, aber mit ungeheurer Zuverlässigkeit und erstklassiger Planung.

Donnerstags von 19 – 20 Uhr traf er sich mit dem Fußballobmann, um das Wochenende vorzubereiten. Das Telefon der Vereinskneipe musste frei von anderen Gesprächen sein, denn es konnte ja der Kreisverband oder ein Gegner anrufen. Wie der Fußballbetrieb damals ohne E-Mail, Handys und ohne Fax überhaupt funktionieren konnte, erschließt sich mir heute nicht mehr. Es ging, weil sich Leute kümmerten.

Schiedsrichter erhielten wahrscheinlich eine Postkarte für die Ansetzung und mussten ihre Spielberichte per Post an den Verband schicken. Paul war nie krank und nie im Urlaub, es ging ja nicht ohne ihn. Die Aufstellung musste man am Freitag im „Kasten“ am Vereinslokal nachlesen. Wer nicht auf dem Zettel stand, hatte Trauer. Kader mit 16 oder gar 18 Spielern gab es damals noch nicht. Freitagnachmittag kreidete er den Platz, später mussten wir Spieler auch ran. Nur der neue Sportplatz war das Heiligtum des Platzwarts. Das saß kein Grashalm falsch, keine Linie war schief, kein Netz hatte Löcher. Anders als auf dem Trainingsplatz, der inzwischen von einer Sandwüste zu einem Grandplatz mutierte, was für uns Torhüter kein Vergnügen darstellte.

Meistens fungierten Mütter als Fahrdienst

Am Wochenende kam ganz ohne digitale Hilfe der Gegner pünktlich zum Spiel, oder wir fuhren zu ihm. Wir trafen uns 30, maximal 45 Minuten vor dem Spiel. Heute fragen einige E-Jugendtrainer bereits zwei Stunden vor dem Anpfiff nach einer Kabine, weil sie ja so viele wichtige Dinge vorbereiten müssen. Wichtig für uns war, für die Auswärtsspiele genügend Fahrer aus der Elternschaft zu haben, denn sonst konnten die Spieler im Landkreis Stade nicht von A nach B. Da wir am äußersten Rand des Landkreises lagen, gab es schon mal Fahrten von mehr als 50 Kilometern. Die waren nicht sonderlich beliebt.

Als ich später die B-Jugend meines Vereins trainierte, konnte ich in meinem Käfer gerade mal vier Spieler mitnehmen, es brauchte also drei weitere Autos. Meistens fungierten Mütter als Fahrdienst, die sich für das Spiel ihrer Jungs nicht wirklich interessierten. Als Trainer war das praktisch, denn anders als heute standen nicht zehn selbst ernannte Oberexperten am Rand. Zudem waren die Fahrten unterhaltsamer, denn nicht jeder fuhr allein im Elterntaxi, sondern gemeinsam mit anderen Spielern, was die Vorfreude steigerte.

Das mit den zurückhaltenden Eltern änderte sich in den 2000er-Jahren, als ich Jugendtrainer in Berlin wurde. Überhaupt ging es in der Hauptstadt deutlich aufgeregter zu, Berliner Schnauze gab es auch unter den Trainern. Wobei ich zwei gegnerische erleben durfte, die mit Bier- bzw. Whiskyflasche neben dem Tor ihres bemitleidenswerten Keepers die Anweisungen reinlallten.

Einmal ließ ich in der E-Jugend den länger verletzten Hussein den entscheidenden Strafstoß zur Meisterschaft schießen. Der Zorn der Elternschaft war mir gewiss. Wie sollte ein angeschlagener Spieler treffen? Der Abend drohte zum Desaster zu werden. Natürlich erledigte „Hosuna“ den Job eiskalt und fügte den Jungs von Tasmania im letzten Spiel den entscheidenden Gegentreffer zu.

Wie zeitintensiv das ist, wissen nur die Kümmerer

Irgendwann wurde ich selbst zum Kümmerer und übernahm beim FC Internationale die Jugendleitung. Seitdem habe ich allerhöchsten Respekt vor allen, die sich gerade im Jugendfußball engagieren. Es ist nicht selbstverständlich, die Dinge zu organisieren:

  • Spiel- und Trainingsbetrieb 
  • Pass- und Meldewesen 
  • Spielkleidung 
  • Sportmaterial 

Das alles muss erledigt werden, natürlich fehlerfrei. Wie zeitintensiv das ist, wissen nur die Kümmerer in anderen Vereinen, oder solche, die bei uns früher den Job gemacht haben.

Damals wie heute braucht es diese Leute. Aber es wird schwerer, sie zu finden. Wir sind beim FC Internationale in der beneidenswerten Lage, dass sich vor Kurzem viele junge Menschen bereit erklärt haben, im Vorstand und in Arbeitsgruppen mitzumachen. Das bedurfte langes Zureden und viel Überzeugungsarbeit. Warten wir mal ab, wie es wird, aber ich freue mich schon auf die Organisation von Turnieren und Vereinsfesten. Bestimmt werden die nicht so, als wenn ich es gemacht hätte. Aber wir müssen offenbleiben. Nicht alles war früher besser, höchstens anders. Und wir können bestimmt voneinander lernen.

Gerade komme ich vom Spiel unserer 3. Herren in Wartenberg (Bezirk Pankow). Der Rasenplatz war wie zuvor bei der 2. Herren in Wittenau unbespielbar. Völlig ungepflegt, in Wartenberg mit Haufen, die auf Maulwurfsmutationen hinweisen. Neben dem Verkaufsstand lehnte ein Schild:

Wir suchen dringend…

  • eine/n ehrenamtliche/n Co-Trainer/in und Betreuer/in,
  • Unterstützung Melde- und Beitragswesen,
  • Unterstützung Spielbetrieb,
  • eine/n Social-Media-Manager/in,
  • eine/n Sponsorenbeauftragte/n,
  • einen Vereinsfotografen,
  • einen Grillmeister,
  • eine/n Event-Manager/in,
  • Helfer Arbeitseinsatz.

Von vielen langjährigen Kümmerern (das Wort ist irgendwie netter als „Funktionär“) weiß ich, dass sie müde sind. Einige haben bereits 30 Jahre und mehr auf dem Rücken, meistens ohne Bezahlung. Immerhin soll die Ehrenamtspauschale künftig von 70 auf 95 Euro monatlich angehoben werden. Dafür nimmt mancher Wirtschafts-Manager nicht mal einen Stift in die Hand, zeigt aber samstags am Spielfeldrand bei seinem Sohn seine hohe Kompetenz, auch in sportlichen Fragen. Schade, dass er in der Woche immer Geld verdienen muss, sonst würde er dem Trainer mal erklären, wie die Aufstellung auszusehen hat.

Die Anforderungen für die Kümmerer verändern sich: Kinderschutz, Digitalisierung, überengagierte Eltern u. v. m. Die sich immer weiter flexibilisierende Berufswelt hat nicht nur Vorteile, die Informationsflut von Kurznachrichten und E-Mails bereitet vielen Probleme.

Generation „Sprechen“

Überhaupt schreibt man heute lieber. Manchmal sage ich Leuten: „Ich bin die Generation Sprechen. Man kann mit deinem teuren Smartphone tatsächlich auch telefonieren, wenn es dringend ist.“ Was die meisten nicht davon abhält, sich vor allem in den berüchtigten Whatsapp-Gruppen der Elternschaft zu engagieren. Einige haben gleich mehrere für ein Team. Und sie schicken gerne Sprachnachrichten, die ich aber oftmals einfach ignoriere. Man muss sich mit der Zeit ein dickes Fell aneignen.

Wichtiger als Expertentipps wäre für die Ehrenamtlichen mehr Wertschätzung. Die kommt zunehmend zu kurz. Hohe Belastungen nimmt man als Kümmerer in Kauf, aber wenn man sich dann auch noch dumme Sprüche oder Besserwisserei anhören muss, reicht es irgendwann. Wir sollten den vielen Kümmerern – und Kümmerinnen – mehr Respekt entgegenbringen. Für sie ist das wichtiger als ein neuer Sportminister. Wobei dieser auch für das Ehrenamt zuständig sein soll. Eine gute Idee, finde ich. Auch wenn sein Name noch nicht offiziell ist, einige Hinweise hätte ich für ihn. Vielleicht meldet er sich mal bei der Basis. Wir würden uns freuen.

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