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·23. Mai 2024

Baumgart bleibt beim HSV: So verständlich, wie unverständlich zugleich

Artikelbild:Baumgart bleibt beim HSV: So verständlich, wie unverständlich zugleich

Der neue Sportvorstand Stefan Kuntz gab im Rahmen seiner heutigen Vorstellung bekannt, dass der umstrittene Steffen Baumgart auch in der nächsten Saison HSV-Trainer sein wird. Der Boldt-Nachfolger nennt dafür die richtigen Beweggründe, setzt sich zeitgleich aber auch einem großen Risiko aus. Eine Einschätzung.

HSV: Baumgart bleibt in der Hansestadt

Die Zukunft von Steffen Baumgart beim HSV ist vorerst geklärt. Auf seiner heutigen Vorstellungspressekonferenz verkündete der neue Sportvorstand Stefan Kuntz, dass der emotionale Coach auch zu Beginn der Spielzeit 2024/2025 an der Seitenlinie des Nordklubs stehen wird. Damit schob Kuntz den zunehmenden Trennungsgerüchten direkt einen Riegel vor.


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„Ich habe mit Steffen gestern Abend und heute Morgen gesprochen. Er hat hier noch keine Vorbereitung absolviert, noch keine Transfer-Vorstellungen umsetzen können. Deswegen empfinde ich es nicht als HSV-like, jetzt den Trainer infrage zu stellen. Darum werden wir mit ihm weitermachen“, erklärte der ehemalige Nationaltrainer der Türkei gegenüber den anwesenden Journalisten.

Nach der Anfangseuphorie folgte der Kater

Kuntz liegt mit dieser Einschätzung erst einmal keineswegs falsch. Baumgart übernahm im Februar von Tim Walter und musste dementsprechend mit einem Kader arbeiten, der keineswegs auf seine Idee des Fußballs ausgerichtet war. Auch wenn der HSV zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Relegationsplatz lag, zeigte die Tendenz bereits in die falsche Richtung. Gegen den Karlsruher SC und Hannover 96 mussten die Rothosen zu Beginn der Rückrunde jeweils eine 3:4-Heimniederlage einstecken. Der Ansatz des extrem risikoreichen und defensiv anfälligen „Walterballs“ schien endgültig gescheitert, auch die Walter tendenziell extrem wohlgesonnenen Fans verloren zunehmend die Geduld.

Die Verpflichtung von Baumgart wirkte zum damaligen Zeitpunkt nur logisch und wurde auch in der chronisch unruhigen Medienstadt Hamburg extrem positiv aufgenommen. Immerhin bekam der HSV den wahrscheinlich vielversprechendsten Übungsleiter auf dem Trainermarkt, der zuvor beim SC Paderborn und beim 1. FC Köln Beeindruckendes geleistet hatte. Baumgarts pragmatischerer Ansatz wurde als erfrischender Kontrast zum teils wilden Walter Walter-Fußball wahrgenommen. „Mit diesem Trainer werden wir aufsteigen“, lautete im Februar die Einschätzung vieler HSV-Fans.

Artikelbild:Baumgart bleibt beim HSV: So verständlich, wie unverständlich zugleich

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Nachdem der HSV im ersten Baumgart-Spiel ein glanzloses, aber souveränes 1:0 über den SV Elversberg feierte, herrschte noch große Zufriedenheit. Endlich hatte man zu null gespielt und endlich hatte man auch einen tiefstehenden, konternden Gegner problemlos in Schach gehalten. Doch die darauffolgenden zwei Begegnungen brachten die positive Baumgart-Stimmung bereits zum Kippen. Eine 1:2-Heimniederlage gegen das abgeschlagene Schlusslicht VfL Osnabrück und ein desillusionierter Auftritt samt hochverdienter 0:2-Pleite gegen den Aufstiegskonkurrenten Fortuna Düsseldorf ließen erste große Zweifel am Aufstieg aufkommen.

Die defensive Anfälligkeit seines Vorgängers schien der 52-Jährige keineswegs in den Griff zu bekommen. Doch unter Baumgart lahmte auf einmal auch die sonst so hochprozentig produzierende Offensive. Kritische Stimmen wurden laut, die dem emotionalen Trainer schon beim FC Köln ein fehlendes Offensivkonzept attestierten. Sein flügellastiges Spiel mit einer hohen Anzahl an Flanken stellte die Gegner des HSV zumeist vor keine großen Herausforderungen. Insbesondere in den vorentscheidenden Aufstiegsspielen gegen Fortuna Düsseldorf, Holstein Kiel und den SC Paderborn hatten die Rothosen große Probleme damit, überhaupt in vielversprechende Abschlussituationen zu kommen. Eine Mannschaft, die in den anderthalb Jahren davor den wahrscheinlich attraktivsten, wenn auch nicht erfolgreichsten, Fußball der 2. Liga spielte, hatte plötzlich ungeahnte Probleme im Spiel mit den Ball.

Baumgart vor zweiter HSV-Saison bereits angezählt

Es wäre unfair so zu tun, als wäre unter Baumgart alles schlecht gewesen. Die defensiven Probleme bekam der Übungsleiter mit zunehmender Zeit etwas besser unter Kontrolle. In elf Spielen unter seiner Leitung kassierte der HSV nur elf Gegentore. Auch die Ausbeute von 20 Punkten und 19 geschossenen Toren liest sich auf den ersten Blick keinesfalls schlecht. An dieser Stelle muss jedoch auch erwähnt werden, dass die HSV-Statistiken durch zwei bedeutungslose Siege gegen Eintracht Braunschweig (4:0) und den 1. FC Nürnberg (4:1) merklich aufgehübscht wurden.

Der ehemalige Bundesliga-Dino verpasste den Aufstieg letztlich einigermaßen deutlich, auch der Derbysieg gegen den FC St. Pauli am 32. Spieltag brachte den Rautenverein nicht mehr entscheidend in Schlagdistanz. Baumgart geht also schon merklich angekratzt in seine erste volle Saison als HSV-Coach. Eine Last, unter der schon viele seiner Vorgänger scheiterten. Auch um Tim Walter gab es bereits zur Winterpause hartnäckige Trennungsgerüchte, doch der damalige Vorstand Jonas Boldt verkündete, dass man nach einer umfassenden Analyse gemeinsam mit Walter in die Rückrunde gehen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der extrovertierte Badener bereits jeglichen Kredit verspielt und ging als angezählter Trainer in das neue Kalenderjahr. Im Endeffekt wurde die überfällige Trennung also nur um wenige Wochen nach hinten geschoben.

Baumgart und die Jugend – Ein ewiges Thema

Ein weiterer Kritikpunkt an Baumgart ist seine fast schon als Antipathie zu bezeichnende Abneigung gegenüber jungen Spielern. Auch im bedeutungslosen letzten Saisonspiel gegen Nürnberg brachte er keines der zahlreichen vielversprechenden HSV-Talente. Juniorennationalspieler Nicolas Oliveira? Fehlanzeige! U17-Weltmeister Bilal Yalcinkaya? Fehlanzeige! Sturm-Hoffnung Tom Sanne, der in der Regionalliga satte 24 Mal traf? Fehlanzeige! Der bullige Angreifer trainierte in der Rückrunde nicht einmal mehr bei den Profis mit.

Vor wenigen Wochen verabschiedete sich auch Karim Coulibaly, der als das größte Hamburger Defensivtalent seit Jonathan Tah gilt, und wechselte ausgerechnet zum Nordrivalen Werder Bremen. Der Grund? Beim HSV fehlte es ihm an Perspektive. Auch zu Kölner Zeiten frustrierte Baumgart die Fans mit seinem Festhalten an den arrivierten Kräften. So gelang einem Max Finkgräfe erst nach seinem Abgang der Durchbruch bei den Profis. Mittlerweile ist der Linksverteidiger absoluter Stammspieler und DIE Kölner Zukunftshoffnung.

Unter anderem deswegen besitzt Baumgart bei Fans und Medien nicht mehr den allerhöchsten Kredit. Es ist völlig nachvollziehbar, dass Kuntz an seinem ersten Tag als neuer Vereinsboss keine Mitarbeiter entlässt und Baumgart eine volle Vorbereitung mit der Mannschaft geben will. Dennoch wird der 52-Jährige merklich angekratzt in seine erste volle Saison als HSV-Trainer gehen. Ein Schicksal, an dem schon so mancher Vorgänger von ihm gescheitert ist. Nicht ausgeschlossen, dass Kuntz bei ausbleibenden Ergebnissen zu Saisonstart schnell zum Handeln gezwungen wird.

(Photo by Joern Pollex/Getty Images)

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