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·12. August 2023
Australien gewinnt dramatisches Elferschießen gegen Frankreich - drei Erkenntnisse

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·12. August 2023
Der Ball zischt, gut getreten, in die richtige Ecke - an den Pfosten. Es ist der 19. Elfmeter eines höchst dramatischen Elfmeterschießens, das neunzehnte Mal Zittern für die Fans. Frankreich verschießt einen Elfmeter, Australien hat Matchball, bereits zum dritten Mal, dieses Mal verwandeln sie ihn, Cortnee Vine ist die Heldin. Halbfinale! Das Matildas-Märchen geht nach kraft- und nervenzehrenden 120 Minuten weiter.
Es ist das längste Elfmeterschießen, das je bei einer Frauen-WM geschossen wurde. Und es hat alle Zutaten für den maximalen Nervenkitzel: Eine Torhüterinnen-Auswechslung kurz davor, ein wiederholter Elfmeter, drei Pfostenschüsse. Die Präzision ist erstaunlich, kein Elfer geht am Tor vorbei - anders etwa als bei den USA gegen Schweden, als die Nerven doch mit einigen Schützinnen durchgingen.
Es war ein passendes Ende für ein Spiel, dem es an Dramatik nicht gemangelt hatte. Beide Teams sahen sich dem Sieg schon so nah: Australiens Mary Fowler hatte unzählige Chancen, eine davon kratzte die französische Verteidigerin Elisa de Almeida gerade so von der Linie. Frankreich jubelte nach einem Kopfball schon, der VAR nahm das Tor aber nochmal zurück. Am Ende jubelt Australien und darf weiterhin auf ein Wintermärchen hoffen. Die Erkenntnisse zu dem Spiel.
Frankreich-Star Kadidiatou Diani sorgte für Gefahr, war aber gut bewacht / Justin Setterfield/GettyImages
Es war nicht das Spiel des Mittelfelds: Sowohl Frankreich als auch Australien wollten mit schnellen Kombinationen nach vorne zum Erfolg kommen, kein Pass zu viel. Auf beiden Seiten standen die Außenverteidigerinnen extrem hoch und schalteten sich vorne ein - besonders die auffällige Australierin Ellie Carpenter -, wodurch sich große Lücken ergaben.Schon vor dem Spiel war klar: Die Stärke beider Teams liegt eher in der Offensive als in der Verteidigung. Ein wirkliches Chancenfestival wurde es aber trotzdem nicht. Die gefährlichsten beiden Spielerinnen, Australiens Caitlin Foord und Frankreichs Kadidiatou Diani, wurden recht effektiv aus dem Spiel genommen. Wenn sie aber mal an den Ball kamen, herrschte oft Chaos.Auch darüber hinaus gab es einige Parallelen: Beide spielten ein ähnliches System - ein 4-4-2 und ein 4-4-1-1, merkten aber bald, dass im Mittelfeld wenig Durchkommen war. Stattdessen wollten sich die Matildas oft über den Flügel durchsetzen und mit Hereingaben zum Erfolg kommen, Frankreich ebenso. Bei Les Bleues stach besonders die 19-jährige Vicki Becho nach ihrer Einwechselung heraus, für Australien fehlte der ein Jahr älteren Mary Fowler nur ein Tor, um ihre Leistung zu krönen. Es war ein ausgeglichenes Spiel, aber dadurch längst nicht langweilig. Beide hatten Möglichkeiten en masse - 4 Großchancen für Australien, 2 für Frankreich -, waren aber nicht eiskalt. Auffällig war, wie sehr die Partie in Phasen verlief: Erst war Frankreich am Drücker, nach der Pause lag ein Tor für Australien in der Luft, dann wurden die Französinnen wieder stärker, und so weiter. Die Koordination war auf beiden Seiten nicht ideal - Frankreich hatte mehrere Missverständnisse zwischen Peyraud-Magnin und ihrer Viererkette -, aber um das auszunutzen, fehlte die Präzision. Selbst dann war es aber ein fesselndes Spiel, bei dem es hin und her ging. Das Momentum schien sich immer wieder zu verschieben
2011 durfte Frankreich in einem Viertelfinale beim Elfmeterschießen jubeln: Damals ging es gegen England, ein Spiel später war gegen die USA aber auch wieder Schluss. Seitdem verfolgt das Viertelfinale Frankreich wie ein Fluch. Mit Ausnahme der EM 2022 schieden die Französinnen seit 2013 immer im Viertelfinale aus. Und das unter verschiedenen Trainern und Trainerinnen, ob Bergeroo, Diacre oder nun Renard. Dabei kann am Talent der Französinnen kein Zweifel sein - Diani und Le Sommer sind Weltklasse-Stürmerinnen, auf den Außenverteidigungs-Positionen sind Les Bleues mit Karchaoui und Bacha ebenfalls top besetzt.Talent gab es bei Frankreich schon immer. In der Vergangenheit mit Spielerinnen wie Bussaglia, Nécib oder Abily, in der Zukunft mit der herausragenden Becho oder Bacha. Aber das Talent ist ungleich verteilt: Torhüterin Pauline Peyraud-Magnin gehört nicht zur Weltspitze, hatte einige Unsicherheiten. Und wer soll Wendie Renard in der Innenverteidigung beerben?Was die Talentförderung angeht, gibt es in Frankreich ähnliche Probleme wie in Deutschland. Die Liga hat sich seit der EM weniger weiterentwickelt, die Zuschauerzahlen stagnieren. PSG und Lyon können in der Champions League mithalten, aber bei kleinen Klubs wie Soyaux gibt es immer wieder Probleme mit schlechten Trainingsbedingungen oder ausbleibenden Zahlungen. Nach dem Aus werden wohl wieder Grundsatzdebatten angestoßen, und das zu Recht. Die Viertelfinal-Serie deutet darauf hin, dass Frankreich tiefere Veränderungen brauchen könnte, um Titel zu holen. Für Olympia 2024 werden diese sicher noch zu spät kommen, dort wird Frankreich als Gastgeber hohe Erwartungen erfüllen müssen. Aber der Fußball, den Hervé Renards Team streckenweise gezeigt hat, macht dafür Mut.
Erleichterung und Jubel nach dem Elfmeterschießen / Quinn Rooney/GettyImages
Eine WM auszurichten, kann ein Vorteil sein. Es kommt aber auch mit viel Druck einher, und dass Australien das Halbfinale erreicht hat, ist alles andere als selbstverständlich. Das zeigt allein eine Statistik: Australien ist der erste Gastgeber seit 2003, der bei einer Frauen-WM das Halbfinale erreicht hat. Deutschlands Scheitern 2011 war da keine Ausnahme.Der Einfluss der Zuschauer ist schwerer zu messen als der einer bestimmten Spielerin, aber Australien nutzt die Begeisterung im Land gut zu seinem Vorteil. Von der Spielanlage her war Frankreich favorisiert, aber die Tillies konnten das ausgleichen. Beispielhaft für das Herzblut der Gastgeberinnen war Caitlin Foord, die ein unglaubliches Laufpensum ablieferte und hinten vorbildlich mitarbeitete.Reicht das auch für mehr? Ein Schwachpunkt Australiens zeigte sich gegen Frankreich besonders in der Verlängerung: Die Kaderbreite. Die Startelf der Matildas ist mit Foord, Raso, Fowler und Co. hervorragend besetzt, die angeschlagene Star-Stürmerin Sam Kerr kam nach ihrem Comeback gegen Dänemark erneut von der Bank.Dahinter wird es aber etwas dünner. Australien-Coach Tony Gustavsson hat immer wieder betont, dass man eine WM nicht mit einer einzigen Spielerin wie Kerr gewinnt, sondern mit 23. Gegen Frankreich wechselte er aber nur einmal vor der 100. Minute. Das kann man ihm vielleicht zum Vorwurf machen, viele hätten Spielerinnen wie Vine oder Alex Chidiac gerne früher gesehen. Aber Gustavsson hat auch nicht die gleichen Optionen von der Bank wie England oder Schweden - das könnte ein Nachteil werden. In der Verlängerung waren die Australierinnen sichtlich erschöpft und konnten kaum noch für Entlastung sorgen. Im Halbfinale werden sie hoffen, nach 90 Minuten bereits jubeln zu können.