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·25 de julho de 2025
Die Schattenseite des EM-Hypes? Wenn Kritik zu blankem Hass wird - Ein Kommentar

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·25 de julho de 2025
Nach dem kämpferischen und bitteren Aus im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Spanien wenden sich jetzt so langsam etliche Spielerinnen der DFB-Frauen mit emotionalen Worten an die eigenen Fans - so auch Laura Freigang. Doch die Angreiferin der Eintracht fügte noch einen kurzen, aber ausdrucksstarken Appell hinzu: "Seid nett zueinander, auch im Netz." Ein wichtiger Grundsatz, der besonders in den letzten Tagen noch mal mehr an Bedeutung gewinnt. Aber mehr dazu später. Zuerst müssen wir uns nämlich die Ausgangssituation vor Augen führen.
Es war ein Moment, der vielen im Gedächtnis bleiben wird. EM-Halbfinale, Deutschland gegen Spanien, die 113. Minute. Sydney Lohmann fing einen Ball der Spanierinnen ab, setzte sich dann noch gut im Dribbling durch, konnte das Leder aber dann nicht hoch genug wegschlagen, sodass eine Spanierin den Klärungsversuch abfing. Der Rest ist Geschichte: Spanien schaltete blitzschnell um, Bonmati bewies gegen Berger Klasse, Halbfinal-Aus.
Was danach kam, war leider genauso vorhersehbar wie erschütternd. In den sozialen Netzwerken sammelten sich unter ihren Beiträgen Kommentare, die längst nichts mehr mit Fußball zu tun haben. Von offenen Schuldzuweisungen über sexistische Beleidigungen bis hin zu der wohl abstoßendsten Art der Entgleisung: der Aufforderung, sich das Leben zu nehmen. All das nur, weil eine Fußballerin in einem Sport, der eben ein Fehlersport ist, in kürzester Zeit eine falsche Entscheidung traf.
Fußball lebt von Emotionen, keine Frage. Von Leidenschaft, Euphorie, Enttäuschung. Aber er darf nicht zum Ventil für Hass werden. Schon gar nicht, wenn dieser Hass sich auf Einzelpersonen konzentriert. Was Sydney Lohmann passiert, ist ein Symptom eines viel größeren Problems: Kritik ist im Netz oft nur noch die Einstiegsdroge zum Shitstorm.
Sydney Lohmann war der Sündenbock vieler / Markus Gilliar - GES Sportfoto/GettyImages
Das Problem ist nicht, dass Menschen enttäuscht sind. Das Problem ist, wie sie mit dieser Enttäuschung umgehen. Wer nach einem verlorenen Spiel beleidigt, entmenschlicht und hetzt, hat mit echter Fankultur oder Leidenschaft nichts zu tun. Er oder sie ist kein kritischer Fan, sondern Teil eines toxischen Systems, das Druck erzeugt, der Menschen zerbrechen lässt.
An dieser Stelle möchte ich eine klare Empfehlung für die ZDF-Dokumentation "Kopfsache" aussprechen, bei der Schauspielerin Gisa Flake unter anderem mit den deutschen Nationalspielerinnen Lea Schüller, Laura Freigang und Klara Bühl über mentale Stärke redet. Dabei kann man genau sehen, wie zermürbend so eine Profi-Karriere aufgrund von Leistungsdruck und der ständigen Bewertung sein kann.
Die vermeintliche Anonymität im Netz lässt die Menschen glauben, sie könnten jede Grenze überschreiten. Während solche persönlichen Hass-Kommentare im Fußball der Männer leider schon fast zum täglichen Geschäft gehören, ist das im Fußball der Frauen ein eher neues Phänomen. Sicherlich kommt das auch aufgrund der gestiegenen Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit und bleibt eine der größten Schattenseiten des Hypes. Ein weiteres Bespiel dafür sind die rassistischen Beleidigungen, denen England-Spielerin Jess Carter ausgesetzt ist. Der Verteidigerin war das verständlicherweise zu viel, sie zog sich von den sozialen Netzwerken zurück und veröffentlichte folgendes Statement: "Auch, wenn ich überzeugt bin, dass jeder Fan das Recht auf eine Meinung zu Leistung und Ergebnis hat, halte ich es nicht für akzeptabel, jemanden wegen seines Aussehens oder seiner Herkunft ins Visier zu nehmen".Die ehemalige Nationaltorhüterin Nadine Angerer fasste das Ganze in einem Interview mit der SportBild treffend zusammen: "Mir tun in erster Linie die Spielerinnen leid, die so etwas erleben müssen. Ich sage immer: Social Media ist die Heimstätte der Schwachen. Leider sitzen viele Leute zu Hause und schreiben anonym irgendeinen Schwachsinn, ohne sich Gedanken zu machen". Mehr ist dem auch nicht hinzuzufügen.
Englands Jess Carter sieht sich rassistischen Kommentaren ausgesetzt / Charlotte Wilson/GettyImages
Die Vereine, die Verbände, die Plattformen, die Medien – alle tragen Verantwortung. Auch wir von 90min vergeben bei unserer Rubrik "Einzelbewertung" Noten für die Leistung der Spielerinnen. Oft stelle ich mir die Frage, wie nehmen das Fußballerinnen jetzt auf, die vielleicht keine gute Partie gemacht haben und dann noch eine schlechte Note bekommen? Denn man muss sich immer vor Augen führen: Auch Fußballerinnen sind Menschen und keine gefühllosen Roboter.
Natürlich darf man Spiele analysieren und klare Fehler benennen. Aber wer die Grenze überschreitet und aus Kritik persönlichen Hass macht, verlässt den Boden jeder Menschlichkeit. Was Spielerinnen wie Lohmann oder Carter jetzt verdienen, ist Unterstützung. Und es ist ermutigend zu sehen, dass sie genau das bekommen. Menschen sprechen ihnen Mut zu, bauen sie auf und antworten aktiv auf die Hass-Kommentare mit dem Versuch der Moderation. Die Menschlichkeit ist doch genau das, was wir am Fußball der Frauen so lieben und schätzen. Ein paar Idioten und Idiotinnen gibt es immer und überall, doch solange die Frauenfußball-Community zusammensteht und ihre Werte verteidigt, können ein paar laute Stimmen des Hasses niemals das übertönen, was den Frauenfußball wirklich ausmacht: Stärke, Zusammenhalt und der unerschütterliche Glaube daran, dass Fairness lauter ist als jeder Shitstorm.