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·13 luglio 2025
Medien in der Frauen-EM 2025: Darf's noch ein bisschen mehr Hype sein?

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·13 luglio 2025
Wie ausgelutscht kann ein Wort werden? Noch ist die EM 2025 längst nicht vorbei, aber es packt einen die unbezwingbare Lust, das Wort "Fußballmärchen“ zu packen, es in sehr viele Schichten Alufolie einzuwickeln und mit einem saftigen Tritt wie beim entscheidenden Versuch im Elfmeterschießen ins Weltall zu befördern, auf dass es nie wieder komme. Fußballmärchen, Sommermärchen, Hype, Boom, Traum und Euphorie: Selbst, wer den Schweizerinnen noch so wohlgesonnen ist, will vor der schieren Masse der überbordenden Freudenwörter flüchten.
Durch die Flut an sich überstürzenden Ausrufen verlieren all diese Wörter ein Stück weit ihre Bedeutung, werden blasse Phrasen statt Superlative, schlechte Beschreibungen von ja tatsächlich berührenden Momenten wie dem Schweizer Nachspielzeit-Ausgleich im letzten Gruppenspiel gegen Finnland.
Schuld daran ist ein Urproblem der Berichterstattung über den Fußball der Frauen, das sich vor der EM wieder manifestierte: Schon im Vorfeld des Turniers, bevor auch nur ein Pass gespielt war, wurde mit Trommeln und Fanfaren ein großartiger Wettbewerb in jeglicher Hinsicht beschworen. Ein künstlicher, aufgeblasener Hype ist es mitnichten nicht – davon kann sich jeder selbst in den Schweizer Stadien überzeugen. Aber ein wenig erschöpfend ist es schon, dass der Sportjournalismus keinerlei kritische Betrachtungen bietet, sondern sich nur in die Party einreiht.
Vor allem aber zeigt die EM-Berichterstattung, dass der Fußball der Frauen noch längst nicht da angekommen ist, wo er gerne wäre. Denn er braucht weiterhin eine "raison d’être“, eine Existenzberechtigung. Ein kleiner historischer Rückblick zeigt, wie verschieden dieser über die Zeit aussah.
In den 1970er-Jahren, wie rund um die WM 1971, wurde von Zeitungen die Attraktivität der Spielerinnen als Hauptargument für ein männliches Publikum ausgemacht. Ein Narrativ, das sich sehr gut hielt: 2003 wollte der Präsident des AC Perugia, Luciano Gaucci, Birgit Prinz aus folgenden Gründen verpflichten: "Sie sieht gut aus, hat einen tollen Körper, und als Fußballerin ist sie sehr tüchtig.“ Man beachte die Reihenfolge seiner Argumente.
Wenig überraschend reizte Prinz sein Angebot eher weniger, aber auch das Playboy-Cover des deutschen Teams vor der WM 2011 oder die noch heute sexualisierende Berichterstattung von Boulevardzeitungen (Giulia Gwinn als "unsere Hübscheste“) zeigen: Sex sells war lange ein Hebel, mit dem Männer zum Fußball der Frauen gebracht werden sollten.
Glücklicherweise haben die allermeisten Medien heute erkannt, dass es bessere Gründe gibt, den Sport zu unterstützen, und so entstanden neue Narrative. Vor allem das eines ehrlicheren und familienfreundlicheren Fußballs – nicht ganz falsch, aber gerne mit einer leicht paternalistischen Note -, oder das einer Sportart, die allein aus Zeitgeist-Gründen gefördert werden müsse.
Sportliche Argumente dagegen wurden und werden selten genannt – wohl auch, weil Journalist*innen bereits ahnen, dass darauf die unerbittliche Keule geschwungen wird, nämlich die Resultate von Frauenteams gegen männliche Junioren. Heute ist der primäre Grund, den Fußball zu Frauen zu schauen, laut Berichterstattung vor allem sein Erfolg: Die ständig steigenden Zuschauerzahlen, die Marketingmöglichkeiten, die TV-Quoten – all das muss doch zeigen, dass da was dran ist! Oder? Über das "Produkt“, um in diesem Sprech zu bleiben, wird aber weiterhin geschwiegen. Die Popularität des Fußballs der Frauen wird zu dessen Existenzberechtigung, zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Problematisch wird das, weil damit leicht eine Überstrapazierung einhergehen kann. Die Jagd nach Rekorden wird ihr aktuelles Tempo nicht halten können. Schon jetzt sind die Grenzen des Wachstums erkennbar: In der englischen Liga sind die Zuschauerzahlen diese Saison etwa leicht zurückgegangen. Wenn die Berichterstattung nur auf enormes Wachstum gefußt ist, wird das zum Problem – dabei ist es wahrscheinlich ein normaler Prozess, wenn das Potenzial erst einmal ausgeschöpft ist.
Wettbewerbe im Fußball der Frauen müssen sich ständig mit hohen Zahlen und ihrer Bedeutung rechtfertigen. Eine EM darf nie eine EM sein, sie muss eine historische EM sein. Auf lange Sicht kann das nicht gesund sein – und es fördert einen allzu abrupten Wachstumswahn, der den Fokus viel zu sehr auf oberflächliche Werte wie Zuschauerzahlen legt, und zu wenig auf die wichtige Arbeit an der Basis.
Aus bösem Willen geschieht all dies nicht, im Gegenteil: Journalist*innen wollen nur das Beste für den Fußball der Frauen, sehen sich sogar als Teil davon, oder als Verteidigerinnen "ihrer“ Sportart. Sie selbst profitieren natürlich auch davon, wenn der Fußball der Frauen wächst, und schätzen ebenso wie die Fans auch die nahbaren Spielerinnen. Fußball der Frauen, das ist eben: eine gute, wichtige, richtige Sache, und da wird man leicht Aktivistin oder Aktivist.
Schließlich hat, wer über den Fußball der Frauen berichtet, immer Erfahrungen mit denjenigen, die dem Spiel schnurstracks seine Qualität absprechen, ohne je mehr gesehen zu haben als ein Instagram-Reel – gegen diesen misogynen Hass ist es leicht, die Pflichtverteidigung zu ergreifen. Haltung ist wichtig, aber wenn diese sich in stumpfem Abfeiern zeigt, bringt sie den Fußball der Frauen nicht weiter. Lieber mit Samthandschuhen anfassen, als den Vorurteilen der Hater recht zu geben, so der Tenor – nicht nur im Fußball übrigens, sondern fast überall, wo Frauen im Sport eine traditionell als männlich markierte Domäne erobern, ob Basketball oder Handball.
Aber indem jegliche negativen Aspekte ausgeblendet werden und Spiele wie das der Schweiz gegen Finnland als Gaumenschmaus präsentiert werden, gibt man den Vorurteilen nur noch mehr Platz. Ein souveräner Fußball der Frauen hat es nicht nötig, über Fehler bei Ballannahmen oder mittelmäßige Stimmung schnell hinwegzuschauen, mit der nächsten Phrase zum Fußballmärchen.
Wenn auch mal Kritik geübt wird und nicht von jedem Turnier erwartet wird, dass es sämtliche Rekorde bricht und nebenbei noch Tausende Kinder inspiriert und die Welt verändert, dann hat der Fußball der Frauen es tatsächlich geschafft: Dass er angesehen wird als das, was er längst ist, nämlich eine Selbstverständlichkeit.
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