„Wir wissen genug über den NSU, um Konsequenzen daraus zu ziehen“ NSU-Watch im Interview – Teil 1 | OneFootball

„Wir wissen genug über den NSU, um Konsequenzen daraus zu ziehen“ NSU-Watch im Interview – Teil 1 | OneFootball

In partnership with

Yahoo sports
Icon: MillernTon

MillernTon

·23 Juli 2025

„Wir wissen genug über den NSU, um Konsequenzen daraus zu ziehen“ NSU-Watch im Interview – Teil 1

Gambar artikel:„Wir wissen genug über den NSU, um Konsequenzen daraus zu ziehen“ NSU-Watch im Interview – Teil 1

NSU-Watch ist ein Bündnis, dass sich aktiv gegen rechten Terror einsetzt, beobachtet und aufklärt. Im ersten Teil des Interviews mit Caro Keller haben wir über die Zeit während der NSU-Prozesstage, und den Fall in Hamburg gesprochen.Titelbild: NSU-Watch

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), eine rechtsextreme Terrorgruppe, ermordete zwischen den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen unentdeckt: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Ermittlungsbehörden gingen nicht von rassistischen Tatmotiven aus, sondern ermittelten zu „Organisierter Ausländer-Kriminalität“. Erst 2011, nachdem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhart in ihrem Wohnwagen tot aufgefunden wurden und Beate Zschäpe sich der Polizei stellte, kamen die grausamen Taten des NSU ans Licht.


Video OneFootball


Das Bündnis NSU-Watch hat sich 2012 zur Aufgabe gemacht, zur Aufarbeitung des NSU-Komplex beizutragen und war zwischen 2013 und 2018 bei allen Prozesstagen in München dabei. Dabei haben sie zu jedem Prozesstag Protokolle veröffentlicht und weitere Aufklärung gefordert. Auch nach dem NSU-Prozess macht NSU-Watch weiter, um sich rechtem Terror entgegenzusetzen, zu beobachten und darüber zu berichten.Wir von MillernTon haben uns mit NSU-Watch zusammengetan, um regelmäßig über Inhalte von NSU-Watch auf unserer Plattform zu berichten. Deswegen haben wir uns mit Caro zusammengesetzt, um NSU-Watch in einem Interview vorzustellen.

Im Interview mit Caro Keller von NSU-Watch

Hey Caro! Wer bist du und was ist NSU-Watch?

„Ich bin Caro Keller. Ich mache die Redaktion bei NSU-Watch. Wir sind ein bundesweites antifaschistisches Bündnis und wir haben uns nach der Selbstenttarnung des NSU zusammengefunden. Bei uns sind Menschen aktiv, die auch schon vorher zur extremen Rechten gearbeitet haben, zum Teil schon seit den 80er Jahren. Für viele Antifaschist*innen war die Selbstenttarnung im November 2011 eine Zäsur und ein großer Schock, weil man wusste, dass Neonazis rechten Terror begehen, aber eben nicht den Rassismus hinter der Mordserie erkannt hat. Dann sind Antifaschist*innen in ihre eigenen Archive gegangen, um zu gucken, was wissen wir über das, was da jetzt gerade bekannt geworden ist. Und Teile dieser Struktur haben sich verstetigt zu NSU-Watch, mit dem Entschluss, die Aufarbeitung des NSU-Komplexes weiter voranzutreiben und kritisch zu begleiten.

Dann ist man in die Untersuchungsausschüsse gegangen und dann war klar, es wird einen Prozess geben. Den wollten wir beobachten und Protokolle ins Internet stellen, denn in diesen hohen Instanzen gibt es keine Protokolle. Wir waren in den ganzen fünf Jahre im NSU-Prozess und haben währenddessen und vor allen Dingen danach den Blick auf rechten Terror allgemeiner geweitet. Wir arbeiten weiter auch nach Ende des NSU-Prozesses und haben weitere Prozesse beobachtet. Seit 2016 mache ich die Redaktion, das heißt Öffentlichkeitsarbeit, unsere Website, unsere Social-Media-Kanäle, Podcast, wir haben inzwischen gemeinsam ein Buch geschrieben und wir haben jetzt auch einen Newsletter. Ich beobachte aber auch Prozesse und Untersuchungsausschüsse. Wir haben nur zwei bezahlte Stellen und eine davon mache ich. Aber alle machen alles natürlich und immer in enger Absprache miteinander als Bündnis. Und so haben wir es hinbekommen, über dreizehn Jahre kontinuierlich zusammenzuarbeiten.“

Ihr besteht unter anderem aus unterschiedlichen antifaschistischen Gruppen, habt aber auch regionale Gruppen im Bundestag und Gruppen, die sich auf Bundesländer fokussieren. Wie arbeitet Ihr zusammen?

Parallel zum NSU-Prozess gab es Untersuchungsausschüsse, nicht nur eben im Bundestag, das ist der erste, den wir uns angesehen haben, sondern eben auch in vielen Bundesländern. Dort, wo der NSU gewohnt und gemordet hat. Außer in Hamburg bis heute nicht. Um einige dieser Untersuchungsausschüsse haben sich Landesprojekte gebildet. Und diese Landesprojekte, die waren und sind auf eine Art autonom und auf eine Art sind wir eben miteinander verbunden. Das ist organisiert, wie man sich das vorstellt. Wir tauschen uns regelmäßig aus und treffen uns regelmäßig, um uns gegenseitig upzudaten. Vieles, was wir auch machen, sieht man gar nicht so öffentlich. Einer der großen Fehler war eben, den Rassismus hinter der Mordserie nicht zu erkennen. Was wir also viel machen, so wie auch viele andere Antifaschist*innen, ist, dass wir über Gewalttaten, die möglichen rechten Hintergrund haben können, sprechen, erkennbar zum Beispiel an der betroffenen Person, and der Vorgehensweise oder den Täter*innen, und schauen, was wir im Blick behalten müssen.

Ihr wart bei allen Verhandlungstagen des NSU-Prozesses dabei. Kannst du davon berichten, wie diese Zeit war?

Wir haben den Prozess lange vorbereitet und haben nicht damit gerechnet, dass er so lange gehen würde. Wir haben mit zwei, zweieinhalb Jahren gerechnet. Wir hatten gar nicht so große Erwartungen an den Prozess, weil eigentlich schon relativ klar war, dass wir es mit einem Netzwerk zu tun haben. Als die Bundesanwaltschaft dann ihre Anklage veröffentlicht hat, war klar, die werden den Blick sehr verengen. Wir hatten die Struktur so aufgestellt, dass wenn dort ganz heiße Neuigkeiten auftauchen, dass wir sofort Leute in München, Leute in Berlin benachrichtigen, die das dann rausgeben können. Das ist aber nicht passiert. Denn im NSU-Prozess selbst ist Aufklärung viel verhindert worden. In den Untersuchungsausschüssen zum Beispiel ist zum Teil viel mehr rausgekommen. Es gab einen sehr starken Fokus auf den Prozess, das heißt die Arbeitsweise hat sich dann auch geändert. Das war also anders, als wir erwartet haben.

Was immer wichtig war, ist, dass wir antifaschistisch positioniert waren. Wir sind auf der Seite der Nebenklage, also der Angehörigen und Betroffenen und ihren Anwält*innen und wir sind auf der Seite der Aufklärung und dass die Aufklärung vorangetrieben wird. Wir wollten das, was in diesem Prozess passiert, möglichst niedrigschwellig an die Öffentlichkeit rausgeben und auch bestimmten Narrativen entgegentreten. Und das haben wir vor allen Dingen auf unserer Website und mit Social Media gemacht. Die Protokolle basieren auf unseren Mitschriften von den Prozesstagen. In den Prozesspausen haben wir immer getwittert und wir haben das, was bis in diese Pausen passiert ist, zusammengefasst. An besonderen Tagen, zum Beispiel wenn Angehörige ausgesagt haben, haben wir ein bisschen mehr getwittert und wir haben an den Tagen Kurzprotokolle veröffentlicht.

Parallel zum Prozess haben wir versucht, unsere Analysen stark zu machen, die Nebenklage zu unterstützen. Das war sehr viel Arbeit. Aber es ist auf jeden Fall vieles gelungen. Gemeinsam mit vielen anderen sind wir eben diesem Narrativ vom isolierten Trio mit ein paar Helferinnen entgegengetreten. Dass der NSU so ein isoliertes Trio ist, findet eigentlich nur noch die Bundesanwaltschaft und der Senat in München. Alle anderen sehen das anders, die sich damit beschäftigt haben. Und diese Praxis haben wir dann eben auf andere Prozesse übertragen. Da haben wir es zum Teil ein bisschen abgeändert, auch je nachdem, wie die Kapazitäten oder wie die jeweiligen anderen Prozesse eben waren. Aber diese Erfahrung versuchen wir weiterzugeben und möglichst die Aufklärung bei rechtem Terror allgemein voranzutreiben.

Hattet ihr während dieser Zeit mit Widerständen zu tun, zum Beispiel durch Behörden oder rechten Gruppen?

Natürlich merkt man manchmal an Stellen, dass es weder den Behörden noch den Nazis recht ist, wenn man antifaschistische Arbeit macht. Vor allen Dingen im NSU-Prozess oder manchmal in Untersuchungsausschüssen, dass dann Behördenvertreter oder Nazi-Verteidiger sagen ‚ja, das habe ich bei NSU-Watch gelesen‘, nach dem Motto ‚Wir haben euch im Blick‘. Aber an sich können wir meistens unsere Arbeit gut machen. Und wir sind eben nicht alleine. Das ist immer ein springender Punkt, dass wir ein Bündnis sind, wo wir uns regelmäßig austauschen können, auch wenn es Schwierigkeiten gibt. Wenn man antifaschistische Arbeit machen möchte, sollte man das nicht allein tun, sondern gemeinsam mit anderen. Man merkt es aber zum Beispiel auf den Social Media-Plattformen, dass sich die Atmosphäre verändert hat. Wir sind dann zwar nicht unbedingt persönlich angegriffen worden, aber es gab eben viele blöde Kommentare bei Twitter, auch unter den Gedenk-Posts beispielsweise. Das gab es früher gar nicht.

Wie schaut ihr heute auf die Zeit? Es gibt ja weiterhin ungeklärte Aspekte im NSU-Komplex.

Ja, auf jeden Fall. Wichtig ist, wir wissen genug über den NSU, um Konsequenzen draus zu ziehen. Weil wenn man immer nur sagt, das ist nicht geklärt, alles offene Fragen, dann macht man sich selber ohnmächtiger, als man ist. Ja, es gibt viele offene Fragen, aber vieles wissen wir, um rechten Terror die gesellschaftliche Grundlage zu entziehen. Trotzdem wollen wir natürlich weiterhin wissen: Wer hat geholfen in den jeweiligen Städten? Wer hat die Hinweise auf die Läden und auf die Menschen gegeben? Es gibt einfach Orte und Menschen, die vom NSU angegriffen wurden, wo von außen nicht sichtbar war, dass dort migrantische Menschen arbeiten. Wir gehen davon aus, dass es dort eben Helfer und Helferinnen gab und die müssen auch zur Verantwortung gezogen werden. Und dann geht es natürlich auch um Wissen und Verantwortung der Behörden.

Gleichzeitig treibt uns schon eine ganze Weile am meisten diese Konsequenzlosigkeit um. Also das viele Wissen und trotzdem stehen wir an dem gesellschaftlichen Punkt, an dem wir sind. Trotzdem sind so viele weitere rechte Taten nicht verhindert worden, obwohl die auch zum Teil angekündigt wurden. Obwohl es bei allen eigentlich immer einen Punkt gibt, an dem man sagen könnte, dort hätte es verhindert werden können. Von Umfeld, aber auch von den Behörden. Da merkt man, trotz all der schönen Worte, ist aus dem NSU-Komplex zum Teil nur sehr wenig gelernt worden. Was ist mit den Konsequenzen in Behörden, Politik, Gesellschaft, Medien und so weiter?

Ich würde gerne auf den Fall in Hamburg eingehen. Süleyman Taşköprü wurde 2001 vom NSU ermordet. Hier war auch ein großes Versagen der Ermittlungsbehörden festzustellen. Wie blickt Ihr auf diesen Fall?

Die Spezifik in Hamburg ist, dass hier immer ein Untersuchungsausschuss verhindert wurde. Allen voran von SPD und Grünen, obwohl es hier in Hamburg auch viel zu klären gegeben hätte. Die Ermittlungen nach dem Mord an Süleyman Taşköprü wurden mit dieser rassistischen Brille geführt. Das ist ein ganz klares Beispiel für institutionellen Rassismus. Der Vater von Süleyman Taşköprü hat seinen Sohn nach dem Mord gefunden, hat vor dem Laden die Täter gesehen und hat sie als weiße Deutsche beschrieben. Trotzdem ist gegen die Familie, gegen das Mordopfer und das Umfeld ermittelt worden, anstatt gegen weiße Deutsche und anstatt auf die Idee zu kommen, vielleicht handelt es sich um rechte Morde. Es war schon der dritte Mord in der Mordserie. Das heißt, man hat auch diesen Seriencharakter nicht ernst genug genommen.

Nach dem Mord an Mehmet Turgut, mussten die Hamburger Behörden von Bundesbehörden unter Druck gesetzt werden, eine Sonderkommission einzurichten. Diese wurde dann von jemandem geleitet, der sich vorher mit organisierter Kriminalität beschäftigt hat. Mit genau dieser Brille wurde das rassistische Narrativ in den Ermittlungen wiederholt. 2006 in der bundesweiten Ermittlungsgruppe und im Zusammenschluss in der BAO (Besondere Aufbauorganisation) Bosporus, gab es dann einen Profiler, der gesagt hat, das könnten rechte Morde sein. Da hat sich Hamburg explizit dagegengestellt. Sie waren da richtig verbissen. Aus Hamburg wurde verhindert, dass Richtung rechts ordentlich ermittelt wurde. Das ist so eine spezifische Rolle, die hier in Hamburg nicht aufgearbeitet wurde.

Gambar artikel:„Wir wissen genug über den NSU, um Konsequenzen daraus zu ziehen“ NSU-Watch im Interview – Teil 1

Demonstration in Gedenken an Süleyman Taşköprü 2021

(c) NSU-Watch

Das wäre aber wichtig zur Verantwortungsübernahme, also dass nicht nur geguckt wird, was können wir Neues erfahren, sondern auch ein Untersuchungsausschuss. Dieser ist eigentlich ähnlich wie ein Gericht, das heißt, es ist auch das Narrativ des jeweiligen Parlaments dazu. Man übernimmt die Verantwortung, man arbeitet es auf und das ist hier eben nicht passiert, immer unter fadenscheinigsten Ausreden. Es gab drei Anläufe, hier einen Untersuchungsausschuss einzurichten, aber stattdessen gab es Imagepflegemaßnahmen. 2014 gab es ziemlich starke Forderungen, da wurde ein Teil der Kohlentwiete die Taşköprü Straße umbenannt, das ist aber nicht die Tatort-Straße, sondern eine kleine Parallelstraße. Der Familie war das aber gar nicht wichtig. Die wollten gar nicht unbedingt eine Straßenumbenennung, sondern sie wollten Aufklärung. Es gab noch mal einen Anlauf, 2018, also nach Ende des NSU-Prozesses. Da gab es eine größere Petition und viel Öffentlichkeitsarbeit. Dann hat die Stadt gesagt ‚Nein, aber wir entschuldigen uns‘. Und dann gab es eine Entschuldigung bei der Familie. Von wegen ‚wir entschuldigen uns auch, dass in den Prozessen und Untersuchungsausschüssen nichts rausgekommen ist‘. Aber sie habt ja auch nichts gemacht.

Den letzten Antrag gab es 2023 durch die Linkspartei. Das ist auch abgelehnt worden. Jetzt gibt es eine wissenschaftliche Aufarbeitung, aber das ist auch nur Image. Die haben nicht die gleichen Rechte wie ein Untersuchungsausschuss. Nach außen hin hört sich das total gut an, aber wer sich länger mit dem Thema beschäftigt weiß, ein Untersuchungsausschuss ist hier verhindert worden. Von der SPD und den Grünen und wahrscheinlich, weil man unter anderem nicht die Polizei kritisieren möchte. Das ist so die These und das reiht sich in das Verhalten der Politik zur Polizei ziemlich nahtlos ein.

Weiter geht’s in Teil 2

Im zweiten Teil des Interviews besprechen wir, wie NSU-Watch nach dem Prozess die Arbeit gegen rechten Terror fortführt, ob Verbesserungen in Justiz und Behörden festzustellen sind und wie man sich dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegensetzten kann. Den Spendenlink für NSU-Watch findet ihr bereits hier. // Nina

Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.

MillernTon auf BlueSky // Mastodon // Facebook // Instagram // Threads // WhatsApp // YouTube

// Teile diesen Beitrag mit Deinem Social Media Account (Datenübertragung erfolgt erst nach Klick)

  • teilen 
  • teilen 
  • teilen  
  • teilen  
  • teilen 
Lihat jejak penerbit