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·25 Juli 2025
"Titelfähig? Noch nicht! Teamgeist? Unschlagbar!" - Die EM-Kolumne von Verena Schweers

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·25 Juli 2025
Manchmal reichen Mentalität und Physis einfach nicht (mehr) aus. Nicht, wenn dir Spanien auf dem Rasen im Züricher Letzigrund gegenübersteht und jeden deiner Fehler im Handumdrehen bestrafen kann und du dich als Mannschaft aus diesem Grund über weite Strecken hauptsächlich auf das Verteidigen konzentrieren musst.Die Halbfinalniederlage der deutschen Nationalmannschaft der Frauen gegen La Roja war sicherlich eine spielerische Lehrstunde. Unsere Mannschaft musste viel leiden, ist ständig hinterhergelaufen. Aber das mannschaftliche Fundament, die Geschlossenheit und Resilienz waren ein Paradebeispiel für die immer noch vorhandenen Qualitäten einer deutschen Nationalmannschaft. Matthias Sammer hat vor kurzem gefordert, sich wieder verstärkt auf diese 'deutschen Tugenden' zu konzentrieren. Diese Mannschaft hat beim EM-Turnier in der Schweiz genau das bewiesen und sich gegen viele Widerstände bis in die Verlängerung im EM-Halbfinale gegen den großen Titelfavoriten Spanien vorgekämpft. Eine großartige Leistung.
Aber ich muss auch ehrlich bleiben: Spielerisch war das im ganzen Turnier über weite Strecken deutlich zu wenig. Deutschland hat sich über das Turnier hinweg immer weiter vom Ballbesitzfußball verabschiedet. Was wir vor der EM wie beispielsweise gegen die Niederlande in Ansätzen noch gesehen haben, war schnell Geschichte. Ab der K.o.-Phase sahen wir einen tiefen Block, Kompaktheit und Wille bis zur letzten Sekunde. Vom Sturm bis zur überragenden Keeperin Berger stemmte sich jede gegen das oft spielerische Übergewicht der Gegnerinnen. Eine Art Sicherheitsmodus, fast wie eine Schutzhaltung. Und klar, der hat das Team ins Halbfinale getragen, aber er hat es auch dort festgenagelt.Es gab kaum spielerische Lösungen, kaum Überraschungsmomente, kaum Ballbesitzphasen, in denen man sich mal Luft verschaffen konnte. Es wirkte oft so, als ob man sich auf das eigene Aufopfern verlassen wollte – viel Laufarbeit, viel Physis, viel Mentalität. Doch genau das reicht auf diesem Niveau nicht mehr. Nicht gegen ein Team wie Spanien, das den Ball laufen lässt, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Und offensichtlich auch nicht gegen die Schwedinnen, die uns Grenzen gezeigt haben.
Eine Sache haben die DFB-Frauen aber vielen anderen Nationen voraus: sie sind ein echtes Team. Das habe ich gespürt, gesehen und fast schon mitfühlen können. Nicht im System, sondern im Gefühl liegt die große Stärke dieses Teams. Die Mannschaft funktioniert einfach. Keine kämpft für sich, jede wird aufgefangen. Wer sich in seinem Team wohlfühlt, der traut sich mehr und das kann beflügeln. Paradebeispiele für dieses Teamgefüge sind Carlotta Wamser und Franziska Kett: beide jung und eigentlich noch Lehrlinge auf dieser Bühne. Das habe ich ihnen allerdings nicht angemerkt. Warum? Weil sie das Vertrauen gespürt haben vom Trainer, von den Mitspielerinnen und von den Fans. Das ist unbezahlbar. Sie sind eine Truppe, die sich gegenseitig auffängt, hochzieht, zusammen lacht, leidet und kämpft. Genau das steckt so an und begeistert, sei es auf dem Platz oder auf den Tribünen. Taktik kann man trainieren. Vertrauen und Teamchemie muss man leben und das tut diese Mannschaft.
Das zählt übrigens nicht nur für die Spielerinnen. Ich habe das Gefühl, dass Bundestrainer Christian Wück samt Trainerinnenteam von Spiel zu Spiel mehr zu seiner Mannschaft fand. Zuvor wirkte es so, als wären Trainer*innen und Spielerinnen noch keine wahrhaftige Einheit. Doch das änderte sich. Ich fand es sehr erfrischend, wie Wück mehr Emotionalität am Seitenrand zeigte. Das hat dem Team gutgetan. Sein emotionaler Appell nach dem Spiel gegen Spanien war ehrlich und pointiert gesetzt.
Natürlich endet das Turnier sportlich jetzt mit einer Enttäuschung. Kein Finale, kein Titel, kein Märchen bis zum Schluss. Aber wer nur auf das Ergebnis schaut, verpasst das Entscheidende. Die DFB-Frauen haben ihre Strahlkraft ausgebaut. Sie haben gezeigt, dass der Fußball der Frauen kein Anhängsel ist, sondern längst selbst ein Ereignis.Die Zuschauerzahlen, die Einschaltquoten, das mediale Interesse: Das war kein Zufall, das war verdient. Auch auf dem Rasen wurde ein Fundament durch Vertrauen und Miteinander gelegt. Das spielerische Konzept hat Luft nach oben, doch auch hier bin ich mir sicher, werden die DFB-Frauen weiterwachsen. Wenn jetzt noch das spielerische Element gestärkt wird, wieder mehr Fußball gespielt wird, dann kann da etwas entstehen. Vielleicht ist das ja letztendlich sogar mehr wert als der Pokal.
Verena Schweers / Alexander Scheuber/GettyImages
Verena Schweers ist ehemalige Bundesliga- und Nationalspielerin. Ihre Profi-Karriere startete die Abwehrspielerin beim SC Freiburg, bevor es über den VfL Wolfsburg zum FC Bayern München ging. Mit den Wölfinnen gewann Verena Schweers sowohl zwei Mal die UEFA Women's Champions League als auch die Meisterschaft. Außerdem holte sie mit dem VfL den DFB-Pokal gleich dreifach. Für die A-Nationalmannschaft absolvierte die 36-Jährige 47 Länderspiele. 2020 beendete Verena Schweers ihre Karriere im Alter von 31 Jahren.