FC Schalke 04
·8 Agustus 2023
Grundsteinlegung Glückauf-Kampfbahn: Grüße vom Sportgeist

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·8 Agustus 2023
Lärm gehört zu diesem Ort einfach dazu, selbst wenn er mal wieder menschenleer ist. Den Krach schickt die nahe Autobahn: Ein Laster nach dem anderen dröhnt vorbei. Doch gerade der Geräuschpegel macht auch den Reiz dieses traditionsreichen Bauwerks aus – je lauter, desto schöner! Schließlich schreien, jubeln, singen und pfeifen hier einst bis zu 70.000 Menschen. Am 8. August 1927 erfährt die Glückauf-Kampfbahn ihre Grundsteinlegung.
Viele Jahrzehnte danach und spätestens nach Anbruch des neuen Jahrtausends ist über die vielen fabelhaften Fußballfeste Gras gewachsen – und Unkraut. Die langjährige Schalker Heimspielstätte ist ein wenig verwildert: Grasige Hügel haben die alten Stehplätze verdrängt, und die Zugänge zur Gegentribüne im Norden sind sogar ganz zugewuchert mit allerlei Sträuchern, vor allem Hagebutten und Brombeeren, Brennnesseln und gelben Margeriten. Ansonsten überragen Pappeln, Eichen, Buchen und Ahornbäume das Stadion, in dem einst der Kreisel geboren wurde. Das Gelände gehört später der Stadt Gelsenkirchen, Schalke nutzt es zwischenzeitlich als Austragungsort von Jugendspielen. Dem Sportfeld merkt man allerdings die Bergschäden an, es ist uneben geworden und steigt nach Osten hin ein wenig an. Viereinhalb Jahrzehnte mit spannenden Spielen haben Spuren hinterlassen auf dem Platz, auf dem erst Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, dann Berni Klodt und Manfred Kreuz, zuletzt Stan Libuda und Klaus Fischer gezaubert und ihre Tore gemacht haben.
Alle sieben Meisterschaften fallen in die Epoche der Glückauf-Kampfbahn. „Eine dolle Stimmung“, erinnert sich Willi Koslowski, Mitglied der Meistermannschaft von 1958. „Keine Zäune, die Zuschauer nur zwei, drei Meter von der Außenlinie entfernt. Manche hingen sogar in den Bäumen oder auf den Flutlichtmasten.“ Sein Teamkollege Manfred Kreuz schwärmt: „Die Glückauf-Kampfbahn war schon eine Macht. Bereits damals war die Nordkurve phänomenal.“ Wenn es ganz voll war, litt sogar der Sport: „Wir konnten dann kaum ’ne Ecke schießen.“
Die beiden zählen in der Saison 1958/1959 zur ersten Deutschen Mannschaft, die im Europapokal der Landesmeister das Viertelfinale erreicht. Die Knappen setzen sich gegen die Wolverhampton Wanderers um den englischen Nationalmannschaftskapitän Billy Wright durch. Nach dem 2:2 im Hinspiel bringen Tore von Günter Siebert und Heiner Kördell in Gelsenkirchen den 2:1-Sieg. „Das war schon eine herrliche Atmosphäre“, sagt auch Klaus Fischer, der mit Norbert Nigbur, Stan Libuda und den Kremers-Zwillingen den Weg zum Pokalsieg 1972 ebnet. Besonders gerne denkt er an die Begegnung mit dem 1. FC Köln. Damals kennt der DFB-Pokal noch Hin- und Rückspiel, ein 5:2 nach dem 1:4 in Köln, Gleichstand damit und die Entscheidung nach mehr als 20 Elfmetern. Als Schalke über 40 Jahre später aus dem Stadion mit dem Bergmannsgruß im Namen auszieht, lässt der Verein erst einmal auch das sportliche Glück zurück. 25 Jahre müssen die Knappen nach dem DFB-Pokal auf den nächsten Titel warten. Der UEFA-Cup-Triumph 1997 ist der erste Erfolg nach der Zeit in der Glückauf-Kampfbahn.
Die Entscheidung zum Bau dieses glorreichen Stadions fällt am 19. Juni 1927. Die Vorsitzenden Fritz Unkel und Oskar Köttgen sowie Finanzobmann Willi Nier setzen sich mit ihren Vorschlägen in einer sehr emotional geführten Mitgliederversammlung durch. Der S04 steht mehrere Spielzeiten an der Tabellenspitze der Emscher-Kreisliga, und spätestens durch den Aufstieg in die Erste Liga 1926 sind die Erfordernisse an den Übungs- und Spielbetrieb stark angewachsen. „Es stand felsenfest, dass der Platz an der Grenzstraße den Ansprüchen nicht mehr genügt“, ist in der Festschrift zur Einweihung der neuen Spielstätte zu lesen. „Erwähnt soll nur sein, dass kein Verein in ganz Deutschland bei seinen Spielen um die Landesverbandsmeisterschaften so viele Zuschauer zusammengebracht hat.“ 22.000 gegen Köln, 24.000 gegen Bielefeld, sogar 42.000 gegen den Duisburger Spielverein und auch gegen Fortuna Düsseldorf 26.000.
Dennoch ist es ein wagemutiges Unternehmen in wirtschaftlich schweren Zeiten, das manche für nicht weniger als „größenwahnsinnig“ halten, weil der Verein das Vorhaben weitgehend selbst finanzieren will. Dabei hilft Schalke 04 allerdings die stark angewachsene Mitgliederzahl – und eine Geschäftsidee, die 70 Jahre später beim Bau der Arena noch einmal wiederkehren soll. Der Club verkauft Bausteine für eine Reichsmark. Ursprünglich als Darlehen gedacht, wird das Geld aber später nie zurückgezahlt. „Der Schein dient auch als Quittung“, ist auf den Papieren vermerkt, gezeichnet von der „Stadion-Bau-Kommission; Schulte, Lütterforst.“
Auf etwa 200.000 Mark belaufen sich die Kosten – Geld, das der Club nicht hat. „Wir sind mit viel Gottvertrauen zu Werk gegangen“, beschreibt Heinrich Pieneck, neben Willi Nier im Club für die Finanzen zuständig und später Vereinspräsident, die Situation. Mit Wechseln („Rainer Lütterforst und Vater Unkel schrieben sie quer.“), Krediten, Stundungsvereinbarungen und der Hoffnung auf zukünftige Einnahmen gehen die Verantwortlichen ein – wie Kritiker sagen – Vabanquespiel ein.
Die Verantwortlichen bieten zunächst „den Bedenken kleinlicher Politiker tapfer die Stirn“, und schließlich beteiligt sich sogar die Stadt mit Bürgschaften und Darlehen an dem Vorhaben. Als Dank dafür nennt sich der Verein seither „FC Gelsenkirchen-Schalke 04“. Auch die Zeche Consol hilft mit 50.000 Quadratmetern Baugrund im Norden des Stadtteils, auf dem sich bislang nur einige Schrebergärten befinden, deren Eigentümer Abfindungen erhalten. In der Festschrift ist zu lesen, der Club habe „20 Morgen von den Mannesmannröhrenwerken, Steinkohlenbergwerk, Consolidation pachtweise erworben“. Wahrscheinlich handelt es sich aber eher um eine Schenkung, nachdem S04-Präsident „Papa“ Unkel als Materialverwalter auf dem Pütt seine guten Kontakte genutzt hat. Außerdem sorgt Consol unter Federführung von Fritz Laders für die Bauzeichnungen.
Als Vorbilder dienen die Sportparks im Berliner Grunewald und in Duisburg sowie das gerade fertiggestellte Stadion Rote Erde in Dortmund. Als Name ist ursprünglich „Fritz-Unkel-Kampfbahn“ der Favorit. Doch Unkel selbst lehnt bescheiden ab, und die volksnahe Orientierung am täglichen Gruß auf den Zechen setzt sich letztlich durch. Die Tiefbaufirma August Jäger unter Geschäftsführer Pieneck beginnt am 1. August 1927 mit dem Projekt, kleinere Bauarbeiten übernehmen die Mitglieder selbst, und die „Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung“ (GAZ) jubelt: „Ein neuer frischer Geist scheint seit einiger Zeit die Gelsenkirchener Sportwelt zu beherrschen. Nach dem Jahnplatz und dem neuen Tennisplatz am Stadtgarten soll nun ein weiterer großer Plan verwirklicht werden. Das öde und schmucklose Gelände an der König-Wilhelm-Straße vor dem Bahnübergang wird bald verschwunden sein. Umgeben von Grünanlagen wird an dieser Stelle in absehbarer Zeit eine neue Zierde der Stadt, ein neues Wahrzeichen des in Gelsenkirchen herrschenden Sportgeistes entstehen – das große Stadion von Schalke 04.“
Am 8. August 1927 dann die Grundsteinlegung, die Urkunde, die diesen Anlass dokumentiert, ist in bürgerlich-nationalem Ton gehalten: „Das Stadion soll dazu dienen, unsere Jugend zu kräftigen und zu stärken, damit sie ein neues, starkes Vaterland bildet.“ Der Bau kommt kontinuierlich voran, wegen des schlechten Wetters in den nächsten Monaten jedoch etwas langsamer als erhofft. 650 Meter lang ist der Damm um Spielfeld und Laufbahn, daneben entsteht noch ein Trainingsplatz. Der Haupteingang befindet sich an der König-Wilhelm-Straße, der heutigen Kurt-Schumacher-Straße.
All das wird viele Jahrzehnte lang Bestand haben, wie auch die 19 Reihen mit Holzbänken in den beiden mittleren Blöcken der Tribüne. Für diese 1200 überdachten Sitzplätze, quasi den ersten „VIP-Bereich“ des Reviers, hat sich die Bau- und Festkommission fünf Wochen vor der Eröffnung entschieden; zu dieser Zeit beobachten viele Fans fast täglich Training und Baufortschritte. Erfreut vermeldet die GAZ: „In einigen Tagen sind Umkleideräume wie Pilze aus der Erde gewachsen.“ Haupt- und Nebenplatz ermöglichen zudem ein besseres Training.
Zur offiziellen Eröffnung erlebt der Spätsommer 1928 eine ganze Festwoche. Die vielen Veranstaltungen dienen auch dazu, mit den Zuschauereinnahmen Geld in die wenig gefüllte Vereinskasse zu spülen. Das erste Fußballspiel endet remis: Der FC Schalke 04 und der SV Köln-Sülz 07 trennen sich am 25. August vor 20.000 Zuschauern mit 3:3.
Krönung der Festlichkeiten aber ist die große Weihefeier am 2. September. Um Viertel vor zwei beginnt an diesem Sonntag das Stiftungsfest mit einem Handballspiel. Auch die Künste kommen nicht zu kurz. Außer der Consolidationskapelle treten die Gesangvereine „Einigkeit“ und „Schalker Sängerbund“ auf. Gesang ist wichtig an diesem Tag, dafür wird sogar das Hauptspiel fünf Minuten unterbrochen: Die Kapelle spielt das Lied vom treuen Kameraden. Da hat Emil Rothardt Schalke gegen Tennis Borussia gerade in Führung geschossen. Bald nach der musikalischen Einlage knallt Kuzorra einen Freistoß aus 20 Metern in den Winkel. Berlin aber gleicht aus, und erst in der Schlussminute gelingt erneut Rothardt, von Kuzorra freigespielt, das 3:2. Happy End eines spektakulären Sportfests, abgerundet durch Staffelläufe in der Halbzeitpause und einen langen Kommers in einem riesigen Zelt.
In der Festschrift findet sich auch ein Geleitwort des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg: „Leibesübung ist Bürgerpflicht und sichert uns die Gesunderhaltung des Volkes und fördert Tatkraft, Gemeinsinn, Manneszucht und Mut.“ Die lokale Prominenz ist ebenso dabei wie 25.000 weitere Besucher, der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Carl von Wedelstedt gibt seiner Hoffnung Ausdruck, „die Jugend möge sich auf diesem Platz tummeln, um Kräfte zu schöpfen für das Leben“.
Auf Schalke ist es der Beginn der Werbung in großem Stil: Die Solinger Firma Dr. Hillers AG wirft aus einem Reklameflugzeug einen Blumenstrauß, einen Ball und mehrere tausend Pfefferminzkostproben ab. Bewegung gibt es auch in der Gegenrichtung: Rund 4000 Brieftauben werden losgeschickt – der schnellste Nachrichtendienst jener Tage.
Der FC Schalke 04 ist stolz und lädt internationale Gäste ein: Die Rampla Juniors aus Uruguay siegen im April 1929 mit 5:1, einige Wochen später folgt ein 3:3 gegen den fünfmaligen ägyptischen Meister, den Internationalen Sporting Club Kairo. Die Königsblauen haben nun eine der größten vereinseigenen Sportanlagen Europas, aber auch mehrere 10.000 Mark Schulden. „Es hat noch fünf, sechs Jahre gedauert, bis wir die Sorgen los waren“, erinnert sich Heinrich Pieneck. Immerhin gelingt es bis 1930, die Summe zu halbieren.
Die ersten Deutschen Meisterschaften fluten dann sogar so viel Geld in die Kasse, dass die Kampfbahn 1936 ausgebaut wird. Im Rahmen der städtischen Arbeitslosenfürsorge errichten 240 Arbeiter ein 110 Meter langes Tribünendach, eine Stahlkonstruktion auf schmalen Stützen mit verglasten Seitenwänden. Die neue Tribüne bietet jetzt 2300 Zuschauern Platz und ist außerdem unterkellert. So entstehen zusätzliche Sitzungsräume und Umkleidekabinen. Auch die Stehplätze gewinnen an Luxus, auf den gerade bei Regen sehr rutschigen Erdwällen zementieren die Kräfte mehr als 13 Kilometer Steinstufen.
Die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Eingänge und Teile der Umfassungsmauer werden 1946 notdürftig mit Winkeleisen und ausgedienten U-Boot-Fangnetzen ausgebessert, doch bereits beim Derby gegen Dortmund im März 1950 geht schon wieder viel zu Bruch. Mit teilweise gefälschten Eintrittskarten wollen mehr als 60.000 Zuschauer ins Stadion, die Mauer der Kampfbahn bricht erneut zusammen und verletzt 17 Menschen schwer.
Eine Zündholz-Verkaufsaktion unter dem Motto „Schalke gibt Feuer“ soll die notwendige Reparatur finanzieren, aber trotz 600.000 verkaufter Streichholzschachteln reicht das Geld nicht. Bis zum Jubiläum 1954 ziehen sich die Arbeiten hin, dann hat die Mannschaft „vorbildliche Gesundheitseinrichtungen“, und es existiert sogar eine Jugendbibliothek unter der Sitzplatztribüne. Die Besucherplätze sind jetzt in Blocks eingeteilt und mit Wellenbrechern versehen.
Zwei Jahre danach installiert der S04 die erste Flutlichtanlage der Vereinsgeschichte und erneuert bald darauf die Eingangspforten zur Kurt-Schumacher-Straße. Die acht Kassenhäuschen bleiben lange Zeit stehen, mit winzigen blau-weißen Kacheln aus der Schalker Glas- und Spiegelmanufaktur getäfelt, verbunden durch Metalltore, die von rostigen Ketten geschlossen gehalten werden. Im Jahr 2020 wird eine neuerliche Einweihung gefeiert nach originalgetreuem Wiederaufbau des ursprünglichen Eingangs, angestoßen durch die Stiftung Schalker Markt, die Brost-Stiftung, die Denkmalschutzbehörde der Stadt Gelsenkirchen sowie den Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Zum Bundesliga-Start 1963 folgt ein neues Flutlicht, weil das alte bereits nicht mehr zeitgemäß ist. Wieder geht es dem Verein finanziell nicht gut, daher verkauft er – um seine Lizenz zu sichern – die Glückauf-Kampfbahn 1964 für 850.000 Mark an die Stadt Gelsenkirchen. Neun Jahre später zieht Königsblau ins Parkstadion um, das inzwischen ebenso Geschichte ist. Während dort Abrissbirnen und Bagger wirken, steht die Tribüne der alten Kampfbahn seit 1986 unter Denkmalschutz.
So bleiben in der ehrwürdigen Arena außerdem nur noch drei Werbereiter, je einer für Bier, Schnaps und Sprudel. Der zweite Rasenplatz mit seinen vier Parkbänken ist besser als der im Stadion, ehe ein Kunstrasen einzieht, auf dem Aschenplatz haben die Tore gar noch rechteckige Pfosten. An der Sandsteinfassade der Tribüne ist eine Vitrine mit Vereinsnachrichten der DJK Teutonia Schalke-Nord angebracht, eine Tür ziert ein Anschlag von Horst 08, und die Verbote sind auch nicht originell: Hunde und Radfahren sind ebenso wenig erwünscht wie das „Betreten und Bespielen des Rasens“. Nur der ständige Lärm, der stört hier wirklich niemanden.
Dieser – leicht aktualisierte – Beitrag ist 2015 im Buch „Königsblau – Die Geschichte des FC Schalke 04“ erschienen; Herausgeber FC Schalke 04; Verlag Die Werkstatt, 704 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN: 978-3-7307-0204-8